Deutschlands größte WG
Düsseldorf gilt als Hauptstadt der Jobnomaden, von Leuten also, die ihrem Arbeitsplatz hinterherziehen. Arbeitsplätze sind nicht sicher, also zieht so mancher von hier nach dort, wo es gerade Arbeit gibt. Und nicht wenige Jobnomaden können sich nicht gleich eine neue Wohnung leisten, suchen also ein preiswertes Quartier auf Zeit. Zum Beispiel in Düsseldorf. Gleich neben der Kö und im noblen Viertel Pempelfort liegen Deutschlands größte WGs.
Auf den Türschildern stehen Vorname und Handynummer statt Familienname, sie laden sich per SMS-Verteiler zu ihren Partys ein, haben einen Hemden-Bügelservice und einen Kühlschrank für 15 Mann: Die Bewohner einer Düsseldorfer Groß-WG im gepflegten Stadtteil Pempelfort.
Ein findiger Unternehmer gründete die Groß-Wohngemeinschaft in der Augustastraße - Reaktion auf immer instabilere Arbeitsverhältnisse. Und darauf, dass sich junge Mieter nicht gleich eine Wohnung leisten können oder wollen.
Studenten finden sich unter den 30 Mietern in der Düsseldorfer Augustastraße nicht mehr – diese Lebensphase haben sie hinter sich. Vor allem Jobnomaden haben sich hier einquartiert; Jobnomaden aus der Banken- oder Werbebranche, Leute mit ihrem ersten Arbeitsvertrag nach der Ausbildung oder dem Studium. Sie suchen sozialen Anschluss auf Zeit. Und sie bekommen ihn geboten in einer 1000 Quadratmeter-WG.
"Schatzi" heißt Stefanie, ist 33 Jahre alt, kommt aus Gelsenkirchen, hat endlich einen Job gefunden – Werbekauffrau bei einem Messeveranstalter - und sucht eine Bleibe in Düsseldorf.
In der zweiten Etage wartet Klaus Moskob auf sie, WG-Gründer und -Besitzer in Personalunion, mit 45 Jahren der älteste in der Groß-WG. Früher war auch er Werbekaufmann, jetzt macht er in WG’ und ist Herr von 89 Zimmern in zwei Häusern. Ein kurzer Händedruck von "Ich bin der Klaus" – Nachnamen werden hier grundsätzlich nicht genannt - und von Stefanie die typische Geschichte einer WG-Bewerbung.
Stefanie: "Ich kenn halt niemanden in Düsseldorf und hab gedacht, das wäre ne gute Kombination einfach in eine WG zu ziehen - lernt man ein paar Leute kennen, hat man ein bisschen Anschluss und es ist nah zu meinem Arbeitsplatz."
Die WG-Bewohner kommen aus ganz Deutschland. Schwäbisch hört man genauso wie hessisch oder sächsisch. Der Düsseldorfer Arbeitsmarkt zieht sie an, die Mieten in der Stadt eher nicht. Vom Mietniveau her ist das die teuerste Stadt ganz Nordrhein-Westfalens. Bis zu 9,30 Euro pro Quadratmeter plus Heizung zahlt etwa die Stadt den Hartz-IV-Empfängern, weil das als angemessener Mietpreis gilt. Stefanie hat mit Hartz IV nichts mehr zu tun. Sie tritt einen auf 18 Monate befristeten Job an, inklusive sechs Monate Probezeit. Ein unsicheres Parkett für eine eigene Wohnung. WG-Chef Moskob bekommt ihre Geschichte häufiger zu hören.
"Es ist halt schwierig, ich komme halt aus dem Ruhrgebiet, aus Gelsenkirchen. Da ist die Arbeitslosenquote halt sehr hoch und einen Job da zu finden ist so gut wie aussichtslos. Und da hat sich halt Düsseldorf aufgetan, dass ich da den Job bekommen konnte, und da ist das mit der WG ne tolle Sache, dass man Kontakt zu andern Leuten bekommt und auch halt kurzfristig einziehen kann, ohne diesen ganzen Trara drum herum machen zu müssen mit Bewerben bei Vermietern, ne ganze Wohnung einrichten und so weiter."
Die 33-jährige WG-Bewerberin fällt unter den WG-Mietern schon ein bisschen aus dem Rahmen. Der Altersdurchschnitt liegt bei 23 Jahren. Es ist aber ein anderer Grund, weshalb sie in der Augustastraße nicht einziehen kann. Die 30 Zimmer sind ausgebucht. Sie muss deshalb in der zweiten WG, in der Elisabethstraße, unterkommen.
Die andere WG liegt direkt neben der Kö und ist mit 1.600 Quadratmetern und 53 Zimmern größer und anonymer. Dort, in der Elisabethstraße, schließen alle ihre Zimmer ab, hier, in der Augustastraße, ziehen viele nur die Klinke zu. Dort trägt man Straßenschuhe im Gang, hier haben alle Bewohner Badeschlappen an. Dort macht alles eine Putzfrau, hier gibt es einen Wochenplan für die Mitbewohner: Mülldienst, Post holen, Handtuch-Wechseldienst, Ordnung und Sauberkeit im TV-Zimmer, in Whirlpool und Sauna, in den beiden Kühlschränken.
Friederike wohnt seit drei Monaten in der WG Augustastraße, ist Grafikdesignerin, entwirft Verpackungen für Lebensmittel, kommt gerade vom Einkauf. Nun steht nun mit einem Schälchen frischer Champignons vor dem blauen Kühlschrank im Wohnzimmer.
"Wir müssen uns zu 15 einen Kühlschrank teilen. Und jeder hat dann so sein eigenes Fach. Steht der Name drauf: Andreas, Patrik, Dörte. Das ist mein Fach Friederike. Käse, Milch und Butter, mein Frühstück eben. Und wir haben auch Schränke, können wir auch Sachen bunkern."
Für die Champignons ist kein Platz mehr, sie wird sie mit aufs Zimmer nehmen müssen. Und zu dem führt ein endlos langer Gang.
Endlos lang heißt hier 80 Meter. Deshalb stehen am Flurende vier Scooter – chromfarbene Miniroller. Der soll das Pendeln zwischen Zimmer und Kühlschrank verkürzen, was mit Lebensmitteln in der Hand nicht ganz so einfach ist.
Im Gang mit dem dunkeln Teppichboden atmet alles noch die Atmosphäre eines früheren Großbüros. Ein nüchterner zweistöckiger 60er-Jahre-Bau, mit Flachdach. Was heute eine WG-Etage ist, war früher die Büroetage einer Webeagentur, die allerdings nach dem Platzen der New-Economy-Blase schnell Pleite machte. Da stand das Bürohaus jahrelang leer. Bis Klaus Moskob kam und das ganze Haus billig kaufte. Die Einnahmen aus den 30 Zimmermieten finanzieren seine Hypothek.
Auf halber Strecke liegen die Gemeinschaftswaschräume.
Friederike: "Leider nur Kaltwasser. Das ist schlimm. Aber die Duschen sind warm. Also Handtücher gibt’s. Es gibt sogar einen Handtuchdienst. Der wechselt irgendwie einmal die Woche die Handtücher aus. Ist nicht wirklich ganz lecker, mit 30 Leuten das Handtuch zu teilen. Und anders ist einfach, dass hier ungefähr 15 andere Zahnbürsten stehen."
Zehn Euro muss jeder Mieter zahlen für die Putzfrau, die werktags täglich vorbei kommt. Neben den Toiletten ist das WG-Fernsehzimmer. Dämmerlicht, ein Pärchen kuschelt auf der Couch.
"Hier ist halt der Gemeinschaftsfernseher. Und Gemeinschafts-Popcorn wie ich gerade sehe. Also hier muss man sich halt immer abstimmen, was man guckt. Ist ja klar bei einem Fernseher. Ich guck lieber auf meinem Zimmer. Kann ich gucken, was ich will."
Die Tür zu ihrem Zimmer - ein grauer Holzrahmen mit großer Milchglasfläche, von innen mit weißem Tuch verhangen. Davor ist Endstation.
"Bei mir herrscht das absolute Chaos, deswegen geht das nicht. Ich hab zu viel Krempel, zu wenig Platz und zu wenig Schränke. Es passt alles nicht rein, deswegen ist es relativ chaotisch. Mein gesamter Haushalt ist ja in dem einen Zimmer untergebracht. 16 Quadratmeter, ein großes kann ich mir nicht leisten grad im Moment. 350 bezahle ich, glaube ich, ich weiß aber gar nicht genau, wie groß es ist."
Nach drei Monaten in der Düsseldorfer Groß-WG, die ganz praktisch sei, wenn man in der Stadt neu ist, und in der man gleich 30 Leute in einer Woche kennen lernt, kann sie sich nicht vorstellen, hier länger als ein halbes Jahr zu bleiben. Und so träumt sie naheliegendes:
"Eigene Wohnung, ne schöne Wohnung mit eigenen Möbeln, Balkon, eigener Waschmaschine … und Badewanne."
Volker: "Kalt, aber groß. Habe mir Parkett selbst gelegt, ich denke das ist ein bisschen schöner. Und es ein bisschen gemütlich eingerichtet."
505 Euro Warmmiete zahlt Volker jeden Monat für knapp 25 Quadratmeter. Das ist der Spitzenpreis auf der Etage. Zwar ist er tagsüber oft unterwegs – er vertreibt bundesweit Telefonenglischkurse für Firmen. Aber kleiner ging es für ihn nicht mehr - seine alte Wohnung hatte schon 74 qm. Dort standen auch schon Sofa, Beistelltisch, Fernseher, Pflanzen, Bett, Sideboard. Vor seinem Kleiderschrank stapeln sich drei Bier- und Colakästen. Halogenröhren sorgen für grelles Licht im Zimmer. Die Jalousien vor den großen Fenstern hatte er schon runter gelassen.
"Es geht in den Innenhof. Man sieht auf andere Wohnungen, Gebäude, einen Innenhofparkplatz. Es ist nicht der schönste Ausblick, aber … hell ist es."
Sehr lange hält er sich nach Feierabend eh nicht in seinem Zimmer auf, geht lieber nach vorne in Küche und Gemeinschaftswohnzimmer. Kommen die Eltern mal nach Düsseldorf, dann übernachten sie im Hotel. In seinem WG-Zimmer in dem "Halbjahres-Hotel" fehlt der Platz.
"Freunde fürs Leben, ich weiß nicht, ob man die hier findet. Weil ziemlich schnell die Leute wieder ausziehen, und das ist dann das Problem. Es sind Leute da, mit denen man einfach ein Bier trinken kann, am Tisch sitzen kann, man ist halt nicht allein in einer fremden Stadt. Man kommt nicht von der Arbeit und da ist niemand, sondern kann sich auch mit jemand unterhalten über den Tag, über alles Mögliche. Auch über persönliche Sachen. Und das ist Klasse."
Um Viertel nach neun bruzzeln in der Küche die Fischstäbchen, dazu gibt es Kartoffelsalat aus dem Supermarkt. Am Esstisch hinter der Durchreiche werden gleich alle 18 Plastikschalenstühle besetzt sein. Volker hat sich ein Bier mitgebracht und WG-Mitbewohner Philipp steht mit angespanntem Gesicht an der Seite. Vor Tagen hatte er Tisch und Essbereich reserviert, dick mit Kreide die Tafel bemalt: Donnerstags Pokerabend mit 30 Mann.
Philipp: "Wir haben unsere Arbeitskollegen eingeladen. Treffen uns in gemütlicher Runde, wollten ein bisschen spielen. Ja und jetzt macht uns Käptn Iglo ein Strich durch die Rechnung. Das Fischstäbchenessen. Das wurde nicht geplant, war eine spontane Aktion vom Klaus. Aber er ist der Chef, und deswegen denke ich, setzt sich Käptn Iglo durch."
Eine "spontane Aktion" von WG-Vermieter Moskob für den Journalisten? Käptn Iglo setzt sich jedenfalls wie vermutet durch, die Pokerrunde zieht zum Couchtisch. Unabhängig davon zählt Philipp schon die Tage bis sein Praktikum in der Kosmetikbranche zu Ende ist und er hier wieder auszieht.
"Ich habe ja den Gedanken im Hinterkopf, dass ich im Januar ausziehe. Und deshalb kann man sich hier nicht so richtig niederlassen quasi. Für mich ist es wie Urlaub. Ja, ich komme mir vor, als wenn ich im Urlaub wär, weil wir so viel unternehmen. Jedes Wochenende machen wir irgendwas anderes, unter der Woche machen wir Veranstaltungen. Also es ist wie so ein animiertes Wohnheim quasi. Das trifft’s. Mit Betreuung. Wir haben einen Bügelservice, wir haben eine Putzfrau, wir haben ab und zu einen Koch hier. Man muss sich quasi um gar nichts kümmern. Das ist also Vier-Sterne-Wohnheim."
Immer Party, nie einsam. Das Gefühl will Moskob in seinen zwei Düsseldorfer Großs-WGs vermitteln.
"Es sind schon beruflich orientierte Leute, die mit einem Schlips morgens raus gehen, sich die Haare kämen und irgendwie in eine Unternehmensberatung reinwatscheln. Und die arbeiten auch für kleines Geld und die arbeiten auch lange. Und ich denke, dass diese Leute halt in einer Findungsphase sind. Die kaufen bei uns ein bisschen Community, ja, weil: Das ist für die total einfach: Die setzen sich an einen Tisch und da ist jemand, der irgendwas zu essen auf den Tisch stellt oder eine Zigarette hat. Und wenn die sagen: Wir gehen heute Schlittschuh laufen, dann geht man eben mal Schlittschuh laufen. Das ist sehr einfach."
Das sagt der Vermieter mit einem breiten Lächeln. Doch die Riesen-WG ist mit den ersten Kommunen der 60er und 70er Jahre nicht zu vergleichen.
"Mich reizt eigentlich schon der linke Aspekt von solchen WGs, wie wir das hier aber in keiner Weise durchziehen. Wir sind hier eine WG von sagen wir mal schlimmstens gesagt kleinen Luxusäffchen, die irgendwie möglichst unproblematisch irgendwelchen Wohnraum suchen und möglichst schnell wieder verschwinden können. Aber das ist auch schon wieder zu oberflächlich gesagt."
Moskob ist einer, der einen neuen Lebensstil-Trend aufgegriffen hat. Nach Düsseldorfer Muster will er noch diesen Monat eine weitere Groß-WG in Bonn aufmachen.
"Ich glaube, dass ein ganz großer Teil von Deutschen auch zukünftig in solchen Lebensformen wohnen wird. Mutter-Kind-WG, 50-plus-WG, Alzheimer-WG und so weiter. Man hört ja nichts anderes mehr. Und ich denke, dass bei unseren gesellschaftlichen Strukturen dieses Thema schon ziemlich angesagt ist."
Sagt Moskob und wird im Februar aus seiner Groß-WG ausziehen und in eine ganz normale Wohnung einziehen. Zusammen mit einer WG-Bewohnerin, die ein Kind von ihm trägt. Dauerhaft enge Beziehungen sind hier dennoch die Ausnahme. So wie sich die meisten auch nicht länger als ein halbes Jahr binden an die Riesen-WGs von Moskob in der Düsseldorfer Augustastraße und in der Elisabethstraße.
Stefanie hat sich übrigens für einen kleines 300-Euro-Zimmer in der WG entschieden. Wegen des befristeten Arbeitsplatzes in Düsseldorf, wegen der Mitbewohner und vielleicht auch wegen der Überredungskunst von Besitzer Moskob.
Moskob: "Das ist eine interessante Lebensform, aber nach sechs Monaten hast du den Hals von dem Mist wirklich voll. Weil hier ist nur Party. Die spielen heut Abend Poker mit 30 Leuten, die verführen dich, du verlierst Geld, du bist betrunken, du wachst mit nem Schädel auf, was weiß ich. Das hältst du einfach nicht aus, das kannst du einfach nur einen begrenzten Zeitraum machen."
Stefanie: "Das hört sich doch nach Spaß an."
Ein findiger Unternehmer gründete die Groß-Wohngemeinschaft in der Augustastraße - Reaktion auf immer instabilere Arbeitsverhältnisse. Und darauf, dass sich junge Mieter nicht gleich eine Wohnung leisten können oder wollen.
Studenten finden sich unter den 30 Mietern in der Düsseldorfer Augustastraße nicht mehr – diese Lebensphase haben sie hinter sich. Vor allem Jobnomaden haben sich hier einquartiert; Jobnomaden aus der Banken- oder Werbebranche, Leute mit ihrem ersten Arbeitsvertrag nach der Ausbildung oder dem Studium. Sie suchen sozialen Anschluss auf Zeit. Und sie bekommen ihn geboten in einer 1000 Quadratmeter-WG.
"Schatzi" heißt Stefanie, ist 33 Jahre alt, kommt aus Gelsenkirchen, hat endlich einen Job gefunden – Werbekauffrau bei einem Messeveranstalter - und sucht eine Bleibe in Düsseldorf.
In der zweiten Etage wartet Klaus Moskob auf sie, WG-Gründer und -Besitzer in Personalunion, mit 45 Jahren der älteste in der Groß-WG. Früher war auch er Werbekaufmann, jetzt macht er in WG’ und ist Herr von 89 Zimmern in zwei Häusern. Ein kurzer Händedruck von "Ich bin der Klaus" – Nachnamen werden hier grundsätzlich nicht genannt - und von Stefanie die typische Geschichte einer WG-Bewerbung.
Stefanie: "Ich kenn halt niemanden in Düsseldorf und hab gedacht, das wäre ne gute Kombination einfach in eine WG zu ziehen - lernt man ein paar Leute kennen, hat man ein bisschen Anschluss und es ist nah zu meinem Arbeitsplatz."
Die WG-Bewohner kommen aus ganz Deutschland. Schwäbisch hört man genauso wie hessisch oder sächsisch. Der Düsseldorfer Arbeitsmarkt zieht sie an, die Mieten in der Stadt eher nicht. Vom Mietniveau her ist das die teuerste Stadt ganz Nordrhein-Westfalens. Bis zu 9,30 Euro pro Quadratmeter plus Heizung zahlt etwa die Stadt den Hartz-IV-Empfängern, weil das als angemessener Mietpreis gilt. Stefanie hat mit Hartz IV nichts mehr zu tun. Sie tritt einen auf 18 Monate befristeten Job an, inklusive sechs Monate Probezeit. Ein unsicheres Parkett für eine eigene Wohnung. WG-Chef Moskob bekommt ihre Geschichte häufiger zu hören.
"Es ist halt schwierig, ich komme halt aus dem Ruhrgebiet, aus Gelsenkirchen. Da ist die Arbeitslosenquote halt sehr hoch und einen Job da zu finden ist so gut wie aussichtslos. Und da hat sich halt Düsseldorf aufgetan, dass ich da den Job bekommen konnte, und da ist das mit der WG ne tolle Sache, dass man Kontakt zu andern Leuten bekommt und auch halt kurzfristig einziehen kann, ohne diesen ganzen Trara drum herum machen zu müssen mit Bewerben bei Vermietern, ne ganze Wohnung einrichten und so weiter."
Die 33-jährige WG-Bewerberin fällt unter den WG-Mietern schon ein bisschen aus dem Rahmen. Der Altersdurchschnitt liegt bei 23 Jahren. Es ist aber ein anderer Grund, weshalb sie in der Augustastraße nicht einziehen kann. Die 30 Zimmer sind ausgebucht. Sie muss deshalb in der zweiten WG, in der Elisabethstraße, unterkommen.
Die andere WG liegt direkt neben der Kö und ist mit 1.600 Quadratmetern und 53 Zimmern größer und anonymer. Dort, in der Elisabethstraße, schließen alle ihre Zimmer ab, hier, in der Augustastraße, ziehen viele nur die Klinke zu. Dort trägt man Straßenschuhe im Gang, hier haben alle Bewohner Badeschlappen an. Dort macht alles eine Putzfrau, hier gibt es einen Wochenplan für die Mitbewohner: Mülldienst, Post holen, Handtuch-Wechseldienst, Ordnung und Sauberkeit im TV-Zimmer, in Whirlpool und Sauna, in den beiden Kühlschränken.
Friederike wohnt seit drei Monaten in der WG Augustastraße, ist Grafikdesignerin, entwirft Verpackungen für Lebensmittel, kommt gerade vom Einkauf. Nun steht nun mit einem Schälchen frischer Champignons vor dem blauen Kühlschrank im Wohnzimmer.
"Wir müssen uns zu 15 einen Kühlschrank teilen. Und jeder hat dann so sein eigenes Fach. Steht der Name drauf: Andreas, Patrik, Dörte. Das ist mein Fach Friederike. Käse, Milch und Butter, mein Frühstück eben. Und wir haben auch Schränke, können wir auch Sachen bunkern."
Für die Champignons ist kein Platz mehr, sie wird sie mit aufs Zimmer nehmen müssen. Und zu dem führt ein endlos langer Gang.
Endlos lang heißt hier 80 Meter. Deshalb stehen am Flurende vier Scooter – chromfarbene Miniroller. Der soll das Pendeln zwischen Zimmer und Kühlschrank verkürzen, was mit Lebensmitteln in der Hand nicht ganz so einfach ist.
Im Gang mit dem dunkeln Teppichboden atmet alles noch die Atmosphäre eines früheren Großbüros. Ein nüchterner zweistöckiger 60er-Jahre-Bau, mit Flachdach. Was heute eine WG-Etage ist, war früher die Büroetage einer Webeagentur, die allerdings nach dem Platzen der New-Economy-Blase schnell Pleite machte. Da stand das Bürohaus jahrelang leer. Bis Klaus Moskob kam und das ganze Haus billig kaufte. Die Einnahmen aus den 30 Zimmermieten finanzieren seine Hypothek.
Auf halber Strecke liegen die Gemeinschaftswaschräume.
Friederike: "Leider nur Kaltwasser. Das ist schlimm. Aber die Duschen sind warm. Also Handtücher gibt’s. Es gibt sogar einen Handtuchdienst. Der wechselt irgendwie einmal die Woche die Handtücher aus. Ist nicht wirklich ganz lecker, mit 30 Leuten das Handtuch zu teilen. Und anders ist einfach, dass hier ungefähr 15 andere Zahnbürsten stehen."
Zehn Euro muss jeder Mieter zahlen für die Putzfrau, die werktags täglich vorbei kommt. Neben den Toiletten ist das WG-Fernsehzimmer. Dämmerlicht, ein Pärchen kuschelt auf der Couch.
"Hier ist halt der Gemeinschaftsfernseher. Und Gemeinschafts-Popcorn wie ich gerade sehe. Also hier muss man sich halt immer abstimmen, was man guckt. Ist ja klar bei einem Fernseher. Ich guck lieber auf meinem Zimmer. Kann ich gucken, was ich will."
Die Tür zu ihrem Zimmer - ein grauer Holzrahmen mit großer Milchglasfläche, von innen mit weißem Tuch verhangen. Davor ist Endstation.
"Bei mir herrscht das absolute Chaos, deswegen geht das nicht. Ich hab zu viel Krempel, zu wenig Platz und zu wenig Schränke. Es passt alles nicht rein, deswegen ist es relativ chaotisch. Mein gesamter Haushalt ist ja in dem einen Zimmer untergebracht. 16 Quadratmeter, ein großes kann ich mir nicht leisten grad im Moment. 350 bezahle ich, glaube ich, ich weiß aber gar nicht genau, wie groß es ist."
Nach drei Monaten in der Düsseldorfer Groß-WG, die ganz praktisch sei, wenn man in der Stadt neu ist, und in der man gleich 30 Leute in einer Woche kennen lernt, kann sie sich nicht vorstellen, hier länger als ein halbes Jahr zu bleiben. Und so träumt sie naheliegendes:
"Eigene Wohnung, ne schöne Wohnung mit eigenen Möbeln, Balkon, eigener Waschmaschine … und Badewanne."
Volker: "Kalt, aber groß. Habe mir Parkett selbst gelegt, ich denke das ist ein bisschen schöner. Und es ein bisschen gemütlich eingerichtet."
505 Euro Warmmiete zahlt Volker jeden Monat für knapp 25 Quadratmeter. Das ist der Spitzenpreis auf der Etage. Zwar ist er tagsüber oft unterwegs – er vertreibt bundesweit Telefonenglischkurse für Firmen. Aber kleiner ging es für ihn nicht mehr - seine alte Wohnung hatte schon 74 qm. Dort standen auch schon Sofa, Beistelltisch, Fernseher, Pflanzen, Bett, Sideboard. Vor seinem Kleiderschrank stapeln sich drei Bier- und Colakästen. Halogenröhren sorgen für grelles Licht im Zimmer. Die Jalousien vor den großen Fenstern hatte er schon runter gelassen.
"Es geht in den Innenhof. Man sieht auf andere Wohnungen, Gebäude, einen Innenhofparkplatz. Es ist nicht der schönste Ausblick, aber … hell ist es."
Sehr lange hält er sich nach Feierabend eh nicht in seinem Zimmer auf, geht lieber nach vorne in Küche und Gemeinschaftswohnzimmer. Kommen die Eltern mal nach Düsseldorf, dann übernachten sie im Hotel. In seinem WG-Zimmer in dem "Halbjahres-Hotel" fehlt der Platz.
"Freunde fürs Leben, ich weiß nicht, ob man die hier findet. Weil ziemlich schnell die Leute wieder ausziehen, und das ist dann das Problem. Es sind Leute da, mit denen man einfach ein Bier trinken kann, am Tisch sitzen kann, man ist halt nicht allein in einer fremden Stadt. Man kommt nicht von der Arbeit und da ist niemand, sondern kann sich auch mit jemand unterhalten über den Tag, über alles Mögliche. Auch über persönliche Sachen. Und das ist Klasse."
Um Viertel nach neun bruzzeln in der Küche die Fischstäbchen, dazu gibt es Kartoffelsalat aus dem Supermarkt. Am Esstisch hinter der Durchreiche werden gleich alle 18 Plastikschalenstühle besetzt sein. Volker hat sich ein Bier mitgebracht und WG-Mitbewohner Philipp steht mit angespanntem Gesicht an der Seite. Vor Tagen hatte er Tisch und Essbereich reserviert, dick mit Kreide die Tafel bemalt: Donnerstags Pokerabend mit 30 Mann.
Philipp: "Wir haben unsere Arbeitskollegen eingeladen. Treffen uns in gemütlicher Runde, wollten ein bisschen spielen. Ja und jetzt macht uns Käptn Iglo ein Strich durch die Rechnung. Das Fischstäbchenessen. Das wurde nicht geplant, war eine spontane Aktion vom Klaus. Aber er ist der Chef, und deswegen denke ich, setzt sich Käptn Iglo durch."
Eine "spontane Aktion" von WG-Vermieter Moskob für den Journalisten? Käptn Iglo setzt sich jedenfalls wie vermutet durch, die Pokerrunde zieht zum Couchtisch. Unabhängig davon zählt Philipp schon die Tage bis sein Praktikum in der Kosmetikbranche zu Ende ist und er hier wieder auszieht.
"Ich habe ja den Gedanken im Hinterkopf, dass ich im Januar ausziehe. Und deshalb kann man sich hier nicht so richtig niederlassen quasi. Für mich ist es wie Urlaub. Ja, ich komme mir vor, als wenn ich im Urlaub wär, weil wir so viel unternehmen. Jedes Wochenende machen wir irgendwas anderes, unter der Woche machen wir Veranstaltungen. Also es ist wie so ein animiertes Wohnheim quasi. Das trifft’s. Mit Betreuung. Wir haben einen Bügelservice, wir haben eine Putzfrau, wir haben ab und zu einen Koch hier. Man muss sich quasi um gar nichts kümmern. Das ist also Vier-Sterne-Wohnheim."
Immer Party, nie einsam. Das Gefühl will Moskob in seinen zwei Düsseldorfer Großs-WGs vermitteln.
"Es sind schon beruflich orientierte Leute, die mit einem Schlips morgens raus gehen, sich die Haare kämen und irgendwie in eine Unternehmensberatung reinwatscheln. Und die arbeiten auch für kleines Geld und die arbeiten auch lange. Und ich denke, dass diese Leute halt in einer Findungsphase sind. Die kaufen bei uns ein bisschen Community, ja, weil: Das ist für die total einfach: Die setzen sich an einen Tisch und da ist jemand, der irgendwas zu essen auf den Tisch stellt oder eine Zigarette hat. Und wenn die sagen: Wir gehen heute Schlittschuh laufen, dann geht man eben mal Schlittschuh laufen. Das ist sehr einfach."
Das sagt der Vermieter mit einem breiten Lächeln. Doch die Riesen-WG ist mit den ersten Kommunen der 60er und 70er Jahre nicht zu vergleichen.
"Mich reizt eigentlich schon der linke Aspekt von solchen WGs, wie wir das hier aber in keiner Weise durchziehen. Wir sind hier eine WG von sagen wir mal schlimmstens gesagt kleinen Luxusäffchen, die irgendwie möglichst unproblematisch irgendwelchen Wohnraum suchen und möglichst schnell wieder verschwinden können. Aber das ist auch schon wieder zu oberflächlich gesagt."
Moskob ist einer, der einen neuen Lebensstil-Trend aufgegriffen hat. Nach Düsseldorfer Muster will er noch diesen Monat eine weitere Groß-WG in Bonn aufmachen.
"Ich glaube, dass ein ganz großer Teil von Deutschen auch zukünftig in solchen Lebensformen wohnen wird. Mutter-Kind-WG, 50-plus-WG, Alzheimer-WG und so weiter. Man hört ja nichts anderes mehr. Und ich denke, dass bei unseren gesellschaftlichen Strukturen dieses Thema schon ziemlich angesagt ist."
Sagt Moskob und wird im Februar aus seiner Groß-WG ausziehen und in eine ganz normale Wohnung einziehen. Zusammen mit einer WG-Bewohnerin, die ein Kind von ihm trägt. Dauerhaft enge Beziehungen sind hier dennoch die Ausnahme. So wie sich die meisten auch nicht länger als ein halbes Jahr binden an die Riesen-WGs von Moskob in der Düsseldorfer Augustastraße und in der Elisabethstraße.
Stefanie hat sich übrigens für einen kleines 300-Euro-Zimmer in der WG entschieden. Wegen des befristeten Arbeitsplatzes in Düsseldorf, wegen der Mitbewohner und vielleicht auch wegen der Überredungskunst von Besitzer Moskob.
Moskob: "Das ist eine interessante Lebensform, aber nach sechs Monaten hast du den Hals von dem Mist wirklich voll. Weil hier ist nur Party. Die spielen heut Abend Poker mit 30 Leuten, die verführen dich, du verlierst Geld, du bist betrunken, du wachst mit nem Schädel auf, was weiß ich. Das hältst du einfach nicht aus, das kannst du einfach nur einen begrenzten Zeitraum machen."
Stefanie: "Das hört sich doch nach Spaß an."