"Wir müssen an Bord 200 Prozent geben"
Sie ist erst 29 Jahre alt und hat schon das Kommando über die "Ilka", einem 72 Meter langen Küstenmotorschiff: Dorothee Gaedeke ist Kapitänin. Wie hat die junge Frau es geschafft, in der Männerdomäne Seefahrt ganz nach oben zu kommen?
Der Maschinenraum der "Ilka" ist überraschend groß. Knallrot sind die meisten Maschinen, die da im grellen Licht vor sich hinarbeiten – und mächtig Lärm machen.
Dorothee Gaedeke kommt oft hier runter, die Kontrollgänge sind für sie Routine. Doch erst recht ist sie gefordert, wenn plötzlich etwas hakt…
"Dann gehe ich natürlich runter in den Maschinenraum, sage meinem ersten Offizier Bescheid und dann muss ich handeln."
Dorothee Gaedeke ist gleich in doppelter Hinsicht etwas besonderes: Denn dass eine Person auf dem Schiff sowohl für den Maschinenraum zuständig ist wie auch als Kapitän auf der Brücke steht, ist heutzutage rar.
Dass diese Person dann auch noch eine Frau ist, ist erst recht ungewöhnlich. Nach jüngsten Zahlen der Knappschaft Bahn-See gibt es in Deutschland 1003 Kapitäne. Gerade mal acht von ihnen sind Frauen – also weniger als ein Prozent. Dorothee Gaedeke ist die jüngste von ihnen.
Die 29-Jährige ist seit Beginn dieses Jahres Kapitänin auf der "Ilka", einem 72 Meter Meter langen Küstenmotorschiff, das vor allem landwirtschaftliche Produkte transportiert.
Zum Zeitpunkt des Gesprächs liegt die "Ilka" im Hafen von Lübeck – der Heimatstadt von Gaedeke. Doch Zeit für einen ausgiebigen Landgang bleibt diesmal kaum.
"Das tut natürlich weh. Wir sind vielleicht drei Mal im Jahr in Lübeck, also es ist auch immer unterschiedlich. Mal liegen wir ein Wochenende hier und mal weniger. Und jetzt ist eben viel zu tun – und ein anderes Mal konnte ich nach Hause."
Gaedeke hat blonde Haare, ist eher klein und spricht konzentriert. Drei Jahre lang hat sie nach ihrem Studium hingearbeitet auf ihr Ziel, Kapitänin zu werden:
"Ja, das war natürlich ein unbeschreibliches Gefühl, als ich die Beförderung erhalten habe. Und ich habe mich sehr gefreut, an Bord einzusteigen und dann endlich ein eigens Schiff zu bekommen. Ich kannte ja die Besatzung schon und das hat sich schnell eingespielt."
Die Besatzung der "Ilka" ist klein: Vier Männer hat Gaedeke nun unter ihrem Kommando. Wobei was heißt Kommando…
"Es hat sich eigentlich gar nichts geändert. Ich bin immer noch die alte, die Jungs sind die alten und wir kennen unsere Macken und ich spiele jetzt auch nicht meine Macht aus. Also, es ist ein schönes Zusammenspiel."
Aber natürlich weiß Gaedeke, dass sie in ihrer Position etwas Besonderes ist: Ihre Kollegen sind deutlich älter als sie. Und eben Männer.
Andererseits hat sie schon früh gelernt, sich in der maritimen Männerwelt zu behaupten. Beim Segeln als Jugendliche in der Gruppe merkte sie: Frauen sind hier klar in der Minderheit! Gaedeke sitzt nun in ihrem Büro - einem kleinen engen Raum mit zwei kleinen Tischen und einer Eckbank.
"Selbstverständlich wollten die Jungs sich aufspielen und zeigen, wie toll sie sind. Und dass sie ja als Jungs viel besser sind. Also, die üblichen Machtspielchen. Da habe ich schnell die Männerhierarchie kennengelernt und gelernt, mich da durchzuboxen. Und war natürlich immer nervig – aber nützt ja nichts."
Diese Männerhierarchie begegnet Dorothee Gaedeke bis heute. Wer sich länger mit der Schleswig-Holsteinerin unterhält, spürt, dass der Weg zur Kapitänin für sie alles andere als einfach war – und dies für eine Frau auch mit der Beförderung nicht automatisch aufhört.
"Ja, ganz klar. Also, wir müssen an Bord 200 Prozent geben. Wir leisten nicht dasselbe, sondern wir leisten ja mehr – aber um eben anerkannt zu werden. Ja, man muss ja die Männer davon überzeugen, dass Frauen eben wirklich das gleiche an Bord leisten können. Und das muss man ihnen Tag auf Tag beweisen."
Die Organisation "Frauen zur See" weiß um die Herausforderung. Immer wieder erreichten sie Geschichten von Frauen darüber, wie schwer es auf einem Schiff als Frau sei, sich durchzusetzen, sagt die Vorsitzende Maria Esser. Und natürlich könnten auch strenge Vorschriften sexuelle Übergriffe der männlichen Kollegen nicht gänzlich verhindern:
"Weil die sind ja auch sehr lange an Bord, z.T. haben die ja bis zu einem Jahr oder auch länger die Verträge. Und wenn die dann wenig an Land kommen, das ist natürlich auch etwas schwierig, wenn man dann als einzige Frau da auf einmal da auftaucht – man möchte sich ja auch nicht total abkapseln von den anderen. Sondern man möchte ja auch noch normal irgendwie ein Sozialleben so ein bisschen an Bord haben. Und da muss man natürlich auch immer `n bisschen aufpassen, dass das nicht falsch verstanden wird oder aufgefasst wird."
Genau dies musste auch Dorothee Gaedeke lernen. Zum Beispiel, was tun, wenn der Kollege einen sexistischen Spruch bringt?
"Es ist harte Arbeit. Also, in meiner Ausbildung im ersten Praxissemester da hab‘ Schritt für Schritt Pionierarbeit geleistet. Und viel mit den Männern gesprochen und da Vorurteile abgebaut."
Es sei wichtig, Fehler zu machen, denn erst so könne man lernen, sagt Gaedeke.
"Natürlich geb ich meine Fehler zu. Ob ich das jetzt immer offen zugebe… man kann auch darüber schmunzeln und das sportlich nehmen. Mit meiner Crew ist es so, dass wir hier leben und leben lassen – Gott sei Dank, leben können."
In wenigen Minuten wird ihr Schiff wieder auslaufen. Dann muss sie sich auch von ihrem Freund Hermes Martins Däubler verabschieden. Der 25-Jährige weiß, wie es ist, als junger Mensch einer Arbeit nachzugehen, in der das andere Geschlecht deutlich stärker vertreten ist: Er arbeitet in Lübeck als Erzieher.
"Ich bin froh, dass ich `ne emanzipierte Frau habe, die selbstständig ist, die selbst auf den Beinen steht. Und dass wir uns jetzt mehrere Monate lang nicht sehen ist nicht der Fall. Ihr Heimathafen ist ja in Husum und dadurch sehen wir uns alle ein bis zwei Wochen. Und sie ist dann ja auch länger wieder zu Hause."
Dass die Schifffahrt einer Familiengründung im Weg stehen wird, glauben beide nicht. Sowieso: Dorothee Gaedeke hofft darauf, dass mehr Frauen wie sie den Schritt aufs Schiff wagen:
"Ich denke, ein besonderer Vorteil von Frauen ist es, dass sie sich um ihre Umwelt kümmern und organisieren. Und das ist ja auch bekannt, dass Frauen anders agieren als Männer. Und es ist gerade wichtig, dass in einer Männerdomäne eine Frau da ist. Weil sich dann das Team noch besser ergänzen kann und noch besser zusammenspielt. Und für mich ist es ganz wichtig, dass es meinen Jungs gut geht – denn ich kann ohne meine Jungs hier nicht arbeiten."