Deutschlands neue Rolle in Europa

Zahlmeister und Zuchtmeister

Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin.
Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin. © imago/IPON
Der Politologe Herfried Münkler im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Deutschland muss als Macht der Mitte Europa zusammenhalten. Davon ist der Politologe Herfried Münkler überzeugt. Mit klirrendem Säbel dürfe es nicht auftreten, sondern mit viel Geduld und Strenge - auch gegenüber dem europäischen Süden.
Nach dem Ausfall des deutsch-französischen Motors und der Hinwendung der USA Richtung Pazifik ist Deutschland eine neue Rolle zugefallen: Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht das Land als "Macht der Mitte", wie er sein neues Buch nennt. Deutschland müsse die Fliehkräfte in Europa zusammenhalten.
Dabei komme dem Land zugute, dass es hier - anders als in manchen anderen europäischen Staaten - eine generelle Abneigung gegen populistische Strömungen gebe: "Man muss sich nur vorstellen, die Macht der Mitte hätte sich in den letzten Monaten so aufgeführt wie die griechische Regierung - das wäre das Ende Europas gewesen", sagt Münkler.
Damit Deutschland seine Rolle ausfüllen könne, brauche es vor allem viel Geduld. Das habe sich zuletzt in der Ukraine-Krise gezeigt, aber auch in den Verhandlungen mit Griechenland:
"Die Macht in der Mitte ist eben nicht diejenige, die mit hohen Kavalleriestiefeln und klirrendem Säbel daherkommt und sagt, wo es lang geht, sondern sie ist eine Kombination von, na ja, ein bisschen Zahlmeister und ein bisschen Zuchtmeister. Letzteres muss auch schon sein, damit der europäische Süden sich nicht durchsetzt und eine (...) Wirtschaftsstimmung in Europa sich breit macht, bei der man nur sagen kann: Dann wird Europa im globalen Wettbewerb marginalisiert sein."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute erscheint das neue Buch eines der renommiertesten deutschen Politikwissenschaftler und Ideenhistoriker, Herfried Münkler. "Macht in der Mitte", heißt es, "Die neuen Aufgaben Deutschlands in Europa", und das passt irgendwie ganz genau zu den Diskussionen um die Rolle, die Deutschland in der Mitte Europas einnehmen soll oder muss.
Münkler lehrt Theorie der Politik an der Humboldt-Universität Berlin, bekam 2009 den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse für sein Buch "Die Deutschen und ihre Mythen". Zuletzt erschien "Der große Krieg. Die Welt 1914 bis 18", und jetzt also sein neues Buch, "Macht in der Mitte". Professor Münkler ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!
Herfried Münkler: Guten Morgen!
von Billerbeck: Tollkühn, so ein umfassendes Thema in ein paar Minuten diskutieren zu wollen, aber wir versuchen es mal. Merkel ist ja heute beim Antrittsbesuch bei Kommissionspräsident Juncker – da geht es auch, irgendwie zumindest um die Macht in Europa. Und Ihr Buch heißt nun "Macht in der Mitte". Die meinen Sie ja vermutlich nicht bloß geografisch, diese Mitte, bringe besondere Verantwortung mit. Worin liegt denn die Verantwortung, gerade für Deutschland?
Deutschland muss Europa zusammenhalten
Münkler: Das Zusammenhalten Europas, das ja, kann man, glaube ich, sagen, in den letzten Jahren schwieriger geworden ist, weil die mentalitätsmäßigen und kulturellen Spaltungslinien an Bedeutung gewonnen haben, weil auch die sozialstrukturellen und sozialökonomischen Unterschiede in Europa sich vertieft haben. Die Finanzkrise des europäischen Südens ist ja dafür ein Beispiel.
Also, man kann sagen, die Fliehkräfte in Europa sind stärker geworden, und das zusammenzuhalten, das ist eine der ganz zentralen und wesentlichen Aufgaben der Macht in der Mitte, und das ist natürlich eine große Herausforderung, zentrifugale Kräfte in zentripetale Kräfte zu verwandeln. Und genau das ist die Aufgabe Deutschlands.
von Billerbeck: Und warum liegt die nun genau bei Deutschland?
Münkler: Da kommt Verschiedenes zusammen. Zunächst einmal der Umstand, dass die Bundesrepublik natürlich der von der Wirtschaftskraft her größte Akteur ist, auch von der Bevölkerungszahl her größte Akteur. Das hat in der Vergangenheit, Deutschland hat in der Vergangenheit durchaus so eine Rolle gespielt, aber natürlich im Duett mit Frankreich, also deutsch-französische Achse oder deutsch-französischer Motor. Nun ist aber Frankreich in den letzten fünf Jahren aufgrund ausgebliebener struktureller Reformen zurückgefallen.
Das ist der eine Punkt, und der andere Punkt ist, es gibt ein "Disengagement" der Vereinigten Staaten in Europa, die nicht mehr diese Rolle spielen, die sie lange gespielt haben, also Stichwort Obama-Doktrin, Verlagerung der Ressourcen und Aufmerksamkeiten aus dem atlantischen und mittelmeerischen in den pazifischen Raum. Mit dem Ergebnis, dass da im Prinzip ein Akteur gesucht worden ist und es seiner dringend bedarf. Und deswegen ist diese Rolle an Deutschland gefallen.
Sich wie Griechenland verhalten? Das wäre das Ende Europas
von Billerbeck: Sie haben schon die Spaltungslinien erwähnt. Von denen gibt es ja bekanntlich in Europa genug, gerade durch die Osterweiterung, Nord-Süd-Erweiterung, dass da also eine ausgleichende Rolle nötig ist, aber auch erschwert wird. Und das verhindert ja auch, dass dieses, sagen wir, Elitenprojekt Europa ein Bürgerprojekt wird. Wie kann man denn dieses Dilemma, etwas verbinden zu wollen, das irgendwie doch nicht so richtig zu verbinden ist, überhaupt lösen?
Münkler: Ja gut, das gehörte ja mit irgendwie in den letzten 20 Jahren zu einer der großen europäischen Hoffnungen, nämlich das, was man auf der Elitenebene, der Ebene der wirtschaftlichen und politischen Ebene angeschoben hatte, dass man das zu einem Bürgerprojekt machen kann. Und das lief ja auch anfangs ganz munter.
Aber dann zeigte sich doch in der Weise, in der man für alles, was in der nationalen Politik nicht so angenehm war, immer Brüssel verantwortlich machte und auf diese Weise eine populistische Reaktion gegen Europa erzielte, dass eine ganze Fülle von teilweise sehr starken populistischen Parteien entstanden ist, deren wesentliches Thema eine antieuropäische Position ist, sodass also die Überführung dieses Elitenprojekts in ein Bürgerprojekt selber schon eine Reihe von Zentrifugalkräften hervorgebracht hat.
Und da muss man sagen, stehen die Deutschen, die ja keine in dem Sinne genuin populistische Partei im Bundestag haben, bislang ganz gut da. Und selbst wenn man die AfD vielleicht in den nächsten Bundestag hineinsieht – ja, vielleicht, vielleicht auch nicht –, dann ist sie doch in Relation zu dem, was man in Tschechien oder in Österreich, selbst bei den Finnen und den Schweden, zumal in Frankreich beobachten kann, kann man sagen, die deutsche Politik ist eigentlich in hohem Maße populismus-avers, also distanziert gegenüber solchen Bewegungen. Und das ist natürlich auch eine Voraussetzung, Macht der Mitte zu sein. Man muss sich nur vorstellen, die Macht der Mitte hätte sich in den letzten Monaten so aufgeführt wie die griechische Regierung - das wäre das Ende Europas gewesen.
Die Macht der Mitte kommt nicht mit Kavalleriestiefeln und klirrendem Säbel daher
von Billerbeck: Nun ist das aber alles ein Spagat, diese Erwartungen, die da an Deutschland gerichtet werden innerhalb Europas. Da gibt es einerseits die Angst, dass Deutschland wieder zu stark werden könnte, bei den einen, und andererseits immer den lauten Ruf und Wunsch nach deutscher Führung. Ich will ja nicht Lenin oder Tschernyschewski zitieren, aber eigentlich kann man nur fragen: Was tun? Was bleibt? Realpolitik?
Münkler: Na ja, gut, ich meine, das setzt relativ viel an innerer Disziplin oder an einer fast aus der Mode gekommenen Tugend, nämlich Geduld, voraus. Man hat das ja jetzt auch sehen können sowohl in den Verhandlungen um Griechenland als auch in den Verhandlungen mit Putin um das Einfrieren des Konflikts im Donbass – also sehr, sehr viel Geduld.
Die Macht in der Mitte ist eben nicht diejenige, die mit hohen Kavalleriestiefeln und klirrendem Säbel daherkommt und sagt, wo es lang geht, sondern sie ist eine Kombination von, na ja, ein bisschen Zahlmeister und ein bisschen Zuchtmeister. Letzteres muss auch schon sein, damit der europäische Süden sich nicht durchsetzt und eine Stimmung, eine Wirtschaftsstimmung in Europa sich breit macht, bei der man nur sagen kann: Dann wird Europa im globalen Wettbewerb marginalisiert sein.
von Billerbeck: Trotzdem fragen sich manche Bürger auch hierzulande: Europa – wofür machen wir das eigentlich alles noch?
Münkler: Ja, ja. Das ist natürlich ein Problem, weil dieses Problem der Geduld muss natürlich auch in hohem Maße auf die Bevölkerung übertragen werden. Und bei Politikern kann man vielleicht dann doch so etwas wie eine professionelle Schulung in Sachen Geduld erwarten. Die allgemeine Bevölkerung ist ungeduldiger, will Ergebnisse sehen, ist auch schnell dann eines sich lange hinziehenden Prozesses überdrüssig und fragt sich dann, warum sollen wir das machen? Ich meine, darauf gibt es schon klare Antworten.
Wir profitieren, auch aufgrund unserer Lage in der Mitte, von Europa am meisten. Und insofern kann man auch sagen, gibt es gute Gründe dafür, warum wir seit jeher auch am meisten in die europäische Kasse eingezahlt haben. Aber andererseits wird das nicht mehr genügen. Also die Lösung des Problems von Helmut Kohl, mit dem Scheckbuch, das ist zu wenig. Wir müssen gleichzeitig auch energisch gegenüber einigen Akteuren auftreten, und das heißt, so ganz geliebt werden wir nicht mehr sein.
von Billerbeck: Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Heute erscheint bei der Edition Körber sein neues Buch "Macht der Mitte. Die neuen Aufgaben Deutschlands in Europa". Professor Münkler, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Münkler: Gerne!
von Billerbeck: Und das können Sie natürlich im Netz nachhören, oder Sie können natürlich, noch besser, auch alles in seinem Buch nachlesen in aller Ausführlichkeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema