Michael Roth, Staatsminister im Bundesaußenministerium
Nicola Beer, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, FDP
Jörg Wojahn, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland
Joanna Maria Stolarek, Büroleiterin Heinrich-Böll-Stiftung Warschau
Berlin unter Leistungsdruck in Europa
54:46 Minuten
An Deutschland als EU-Schwergewicht und als Land mit derzeitiger Ratspräsidentschaft gibt es hohe Erwartungen: Corona, Neubelebung der transatlantischen Beziehungen, Klimapolitik, Brexit, EU-Haushalt, Konflikte innerhalb der Union. Kann Berlin liefern?
Wenn über die Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen nach der Ära Trump diskutiert wird, richten sich die Augen nicht zuletzt auf Berlin. Auch ein US-Präsident Joe Biden wird mehr sicherheitspolitisches Engagement der Europäer in eigener Sache erwarten. Und das heißt nicht zuletzt, dass er darauf pochen wird, dass auch und gerade die Deutschen die Militärausgaben erhöhen und dass der europäische Arm in der NATO mehr Muskeln bekommt.
Da ist die größte Volkswirtschaft in der EU natürlich gefragt - unabhängig davon, ob ihr das gefällt oder nicht. "Deutschland macht einiges gut", findet die FDP-Europaparlamentarierin Nicola Beer. Sie würde sich aber noch manches "ambitonierter" wünschen, so die Vizepräsidentin der EU-Parlaments. Sie vermisse "größere Visionen".
1,8 Billionen Euro ab Januar
Ob es ein erfolgreiches halbes Jahr für die Deutschen in ihrer Rolle als turnusgemäße Leitung der EU-Ministerräte und Botschafterrunden wird oder ein krachender Misserfolg, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der EU-Haushalt von 2021 bis 2027 verabschiedet werden kann. Und dann ist da noch der 750 Milliarden Euro schwere Coronafonds. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit das Geld im nächsten Jahr fließen kann, wird in diesen Monaten unter deutscher Federführung ausverhandelt. Bis Ende des Jahres hat Deutschland den Vorsitz inne.
"Die Coronakrise war ein Katalysator für die europäische Einigung", glaubt der Vertreter der EU-Kommission in Deutschland, Jörg Wojahn. "Nationale Reflexe" am Anfang der Pandemie seien überwunden worden.
Brexit-Verhandlungen auf den letzten Metern
Vieles bleibt in diesen Monaten über der Coronakrise liegen, aber bei den Verhandlungen über den Brexit - möglichst mit Handelsvertrag zwischen Großbritannien und der EU - tickt die Uhr. Deutschland ist maßgeblich gefragt - in zweierlei Hinsicht: wenn es darum geht, die 27 EU-Länder beisammen zu halten und gegenüber der britischen Regierung nur soweit nachzugeben, wie die künftigen Beziehungen zum Ex-EU-Mitglied nicht zum Schaden der verbleibenden Mitglieder gestaltet werden.
Der anstehende Wechsel im Weißen Haus vom Brexit-Befürworter Donald Trump zum Brexit-Skeptiker Joe Biden mache eines deutlich, betont der Staatsminister im Bundesaußenministerium, Michael Roth: "Das Vereinigte Königreich wird nicht für einen harten Brexit belohnt", durch ein "privilegiertes Handelsverhältnis" zu den USA.
Stärkung der Rechtsstaatlichkeit
Zu den Erfolgen der deutschen Ratspräsidentschaft gehöre - da ist sich die Runde einig - dass im Haushalt künftig ein Rechtsstaatsmechanismus eingebaut werde, vorbehaltlich der endgültigen Zustimmung durch EU-Länder und EU-Parlament. Dieser Mechanismus erlaubt es, Subventionen aus Brüssel für jene Länder zu kürzen, die sich nicht an die Rechtstaatlichkeit halten. Das sei "ein Quantensprung", findet Jörg Wojahn. "Eine Chance für die EU, in Sachen Rechtsstaatlichkeit Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen", nennt es Michael Roth.
Polen und Ungarn drohen allerdings mit einem Veto. Es käme jedoch einem "polit-ökonomischen Selbstmord" der regierenden PiS-Partei gleich, wenn Polen von seiner Veto-Möglichkeit Gebrauch machen würde, analysiert die Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung Warschau, Joanna Maria Stolarek. Man "pokere hoch" in Warschau, denn nur mit abschließend einstimmiger Zustimmung würden auch in das sehr stark von EU-Geldern abhängige Land selbst die erhofften Milliarden fließen.
Es diskutieren:
Die Sendung entstand in Kooperation mit der Europäischen Akademie Berlin.