"Gaucks Rede hallt nach"
Mehr außenpolitische Verantwortung Deutschlands - das forderte Bundespräsident Joachim Gauck vor einem Jahr. Die Politik scheint dazu bereit, aber die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht, meint der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider.
Vor einem Jahr hielt Bundespräsident Joachim auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine vielbeachtete Rede, in der er für eine größere globale Verantwortung Deutschlands plädierte - eventuelle Militäreinsätze eingeschlossen.
Mehr Verantwortung heißt nicht automatisch Militarisierung
Diese Rede hat nach Ansicht der Politikwissenschaftlers Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die Debatte um deutsche Außenpolitik der letzten zwölf Monate bestimmt und "ein Stückchen weit auch beflügelt".
"Die Rede hallt schon nach", sagte er. So habe beispielsweise Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in ihrer gestrigen Eröffnungsrede zur Münchner Sicherheitskonferenz "von einem Konzept des Führens aus der Mitte" gesprochen und gleichzeitig deutlich gemacht, dass Deutschland keine Alleingänge wagen, sondern immer mit Partnern agieren wolle.
Mehr Verantwortung zu übernehmen, bedeute jedoch nicht automatisch eine Militarisierung deutscher Außenpolitik, so Sandschneider weiter. "Das ist völlig falsch. Das will niemand, und das ist de facto auch nicht so, wenn sie sich das große Spektrum von außenpolitischen Maßnahmen der Bundesrepublik anschauen."
Die Mehrheit der Deutschen ist gegen mehr außenpolitisches Engagement
Deutschlands neue globale Verantwortung müsse allerdings nicht nur den Partnern nach außen erklärt werden, sondern vor allem auch den Menschen im eigenen Land, betonte der Politikwissenschaftler: Wenn, wie von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen zitiert, 62 Prozent der Deutschen gegen mehr Engagement und Verantwortung seien, dann laufe dieser Prozess noch nicht so rund, wie er rund laufen müsste. "Dann tut sich in einem demokratischen System die Politik auf Dauer schwer, eine solche Politik durchzusetzen, gegen die erkennbare Mehrheit der eigenen Bevölkerung."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Wenn die Bundeskanzlerin heute auf der Münchener Sicherheitskonferenz spricht, dann wird ihr Fokus eindeutig auf der Lage in der Ostukraine liegen. Sie wird sich messen lassen müssen an ihrer Friedensinitiative beim russischen Präsidenten, und sie wird sich auch messen lassen müssen an der Rede, mit der Bundespräsident Joachim Gauck die Sicherheitskonferenz 2014 eröffnet hat. Gauck forderte damals eine stärkere Rolle Deutschlands in der Welt.
Joachim Gauck: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen. Als äußerstes Mittel ist dann der Einsatz von Militär möglich, und zwar nach sorgfältiger Prüfung sowie Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Welty: So weit der Bundespräsident in München 2014. Ein Jahr und einige Krisen später fragen wir: Was hat sich seitdem in Deutschland verändert? Und damit wir auch Antworten bekommen, fragen wir Professor Eberhard Sandschneider, den Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Morgen nach München!
Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen!
Welty: Wie sehr hallt die Rede Gaucks nach, oder wirken Rede wie Forderung angesichts der aktuellen Krisen wie ein frommer Wunsch?
Sandschneider: Nein, das glaube ich nicht, die Rede hallt schon nach. Zunächst einmal hat sie ja nicht nur auf der Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr eine Rolle gespielt, sie hat diese Debatte um deutsche Außenpolitik – wohin soll deutsche Außenpolitik gehen – letztendlich das ganze Jahr über bestimmt, ein Stückchen weit auch beflügelt. Und die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die im letzten Jahr gemeinsam mit Außenminister Steinmeier diesen Ball aufgenommen hatte, hat gestern in ihrer Eröffnungsrede versucht, im nächsten Schritt sozusagen dieses Mehr-Verantwortung-Wagen auszubuchstabieren, indem sie von einem Konzept des Führens aus der Mitte gesprochen hat.
Welty: Können alle damit was anfangen, mit diesem Begriff, "Führen aus der Mitte heraus"?
Sandschneider: Sie hat das sehr deutlich gemacht: Deutschland will keine Alleingänge wagen, sondern immer gemeinsam mit Partnern agieren. Das ist so neu nicht. Aber unsere amerikanischen Kollegen hier fragen natürlich sofort zurück, erstens, wie übersetzt man das richtig ins Englische, und zweitens, was, bitte schön, heißt das dann? Und man sieht an dem laufenden Konflikt in der Ostukraine auch sehr schnell, wie sich da auch transatlantisch die Dinge durchaus konflikthaft entwickeln. Es gibt eine sehr intensive Debatte über die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine, wo genau dieses Führen aus der Mitte in der Praxis durchbuchstabiert werden muss.
"Man kann sich nur begrenzt auf Zusagen Putins verlassen"
Welty: Diejenige, die aus der Mitte heraus führen will, ist nicht nur die Verteidigungsministerin, sondern auch die Bundeskanzlerin, die gerade aus Moskau zurückkommt. Zusammen war sie da mit dem französischen Präsidenten, und die beiden haben versucht, einen Hoffnungsschimmer für die Ukraine aufzuzeigen. Entspricht das Gaucks Äußerungen, oder können Sie sich noch ein Mehr vorstellen?
Sandschneider: Na, zunächst einmal ist es ein gewagter Versuch, weil man nach einem Jahr verhandeln und reden mit Wladimir Putin weiß, dass man sich nur äußerst begrenzt auf Zusagen verlassen kann, die er in solchen Gesprächen macht. Solche Gespräche hat es ja auch zu Dutzenden gegeben, zum Teil persönlich, zum Teil telefonisch. Die Kanzlerin hat jetzt den bemerkenswerten Versuch, gemeinsam mit dem französischen Präsidenten, gewagt, eine europäische Initiative – auch das ist übrigens eine Forderung unserer amerikanischen Kollegen – auf den Weg zu bringen. Aber sie riskiert eine Menge, weil sie sich nicht darauf verlassen kann, in Putin einen verlässlichen Partner auf der anderen Seite zu haben. Gleichzeitig muss man sagen: Offensichtlich hat dieser Schritt der beiden, von Hollande und Merkel, letzendlich den Versuch im Hintergrund, zu verhindern, dass es zu Aufrüstungsmaßnahmen für die Ukraine kommt und damit zu etwas – der Begriff geistert ja schon durch die Debatte –, was man tatsächlich einen Stellvertreterkrieg im ganz alten Stil des Kalten Krieges nennen könnte.
Welty: Was muss passieren, damit Deutschland in dieser Rolle der Vermittlung, in dieser Rolle der Führung von der Mitte heraus noch erfolgreicher wird?
Sandschneider: Zunächst einmal muss man, glaube ich, auf etwas hinweisen, was dann im vergangenen Jahr im Wesentlichen in Händen des Außenministeriums lag: Deutsche Außenpolitik, die sich in dieser Art und Weise aktiv nicht nur in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, sondern tatsächlich global einmischt, Verantwortung übernimmt, muss nicht nur den Partnern nach außen erklärt werden, sondern vor allem auch den Menschen im eigenen Land. Und die Verteidigungsministerin hat gestern, finde ich, sehr zu recht darauf hingewiesen, dass dieser Prozess noch nicht so rund läuft, wie er rund laufen müsste. Wenn 62 Prozent der Deutschen – diese Zahl hat sie zitiert – gegen mehr Engagement und mehr Verantwortung sind, dann tut sich in einem demokratischen System die Politik auf Dauer schwer, eine solche Politik durchzusetzen gegen die erkennbare Mehrheit der eigenen Bevölkerung.
Welty: Bedeutet mehr Engagement zwangsläufig auch mehr Waffen und mehr Militär? Also im Kampf gegen den isalmistischen Terror, gegen den IS hat Deutschland ja Waffen an die Peschmerga geliefert.
"Eingreifen der Bundeswehr ist Ultima Ratio der deutschen Außenpolitik"
Sandschneider: Nicht automatisch, aber eben auch. Es bleibt, sowohl was den Bereich der Waffenlieferungen angeht oder die Ertüchtigung von Partnern, wie die Bundeskanzlerin das nennen würde, natürlich immer der gültige Satz: Waffen, Waffenlieferungen, vielleicht sogar das direkte Eingreifen der Bundeswehr sind Ultima Ratio der deutschen Außenpolitik. Aber es gilt natürlich auch der Hinweis, Sie haben es eben im Zitat des Bundespräsidenten noch einmal gesagt: Es kann sein, dass diese Ultima Ratio tatsächlich auch gezogen werden muss, das darf man nicht in Abrede stellen. Man darf aber auch nicht so tun, als würde mehr Verantwortung automatisch zu einer Militarisierung deutscher Außenpolitik führen. Das ist völlig falsch. Das will niemand, und das ist de facto auch nicht so, wenn Sie sich das große Spektrum von außenpolitischen Maßnahmen der Bundesrepublik anschauen.
Welty: Gauck hat sich ja vor einem Jahr sehr vorsichtig ausgedrückt, er hat sehr vorsichtig formuliert: Tun wir, was wir können, tun wir, was wir müssen. Glauben Sie, er würde das heute genauso vorsichtig formulieren, oder sind die Zeiten tatsächlich andere geworden, wo es eine etwas deutlichere Sprache braucht?
Sandschneider: Also zum Teil wird die Sprache deutlicher, aber das wäre, glaube ich, nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten. Der hat in seiner Rolle Denkanstöße zu geben aus seinem Amt heraus, gerade in einem Auftritt wie dem, der hat auf der letzten Sicherheitskonferenz das getan, was er tun konnte. Aber man muss sich daran erinnern: Vor einem Jahr, als Gauck geredet hat, wusste niemand um den Konfliktherd Ukraine, das hat erst drei Wochen später begonnen. Niemand kannte vor einem Jahr die Abkürzung IS und wusste um die Gräueltaten des islamistischen Terrors. Insoweit hat sich die Situation schon verändert, insoweit führt sie auch zu offeneren und kontroverseren Debatten. Ich würde allerdings vermuten, dass der Bundespräsident entsprechend der Position seines Amtes auch heute relativ zurückhaltend und vorsichtig formulieren würde.
Welty: Professor Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, über die Münchener Sicherheitskonferenz in diesem und im vergangenen Jahr. Ich danke für Ihre Einschätzung!
Sandschneider: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.