Streit um das Wohl unserer Kinder
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Deutschland Schuldenquote wird 2019 erstmals wieder unter die Maastricht-Grenze von 60 Prozent des BIP sinken. Die Schuldenbremse greift. Bund und Länder tragen ihre Altlasten langsam ab. Zum Wohle kommender Generationen, hieß es früher.
13 Ziffern braucht es, um den Schuldenstand Deutschlands anzugeben. Bedrohlich rot leuchten sie an dem Gebäude vom Bund der Steuerzahler in Berlin Mitte. Bundeskanzleramt und Bundestag liegen nur einige hundert Meter entfernt auf der anderen Seite der Spree. Regierung und Parlament sollen sekundengenau an den deutschen Schuldenstand erinnert werden – "mit der Präzision und Unerbittlichkeit des Uhrwerks", wie es der Bund der Steuerzahler ausdrückt.
Seit nunmehr zwei Jahren allerdings läuft dieses unerbittliche Uhrwerk erstmals überhaupt rückwärts – die von dem Verband geschätzte Schuldenlast nimmt nicht mehr zu, sondern ab. Auf derzeit 1,9 Billionen Euro. Was den Passanten im Regierungsviertel weitgehend positiv auffällt.
"Je weniger Schulden wir hinterlassen den Generationen, die nach uns kommen, desto besser." "Besser als wenn sie weiter zunähme." "Es gibt mir das Gefühl, dass wir Investitionen tätigen können, wenn gerade die Schulden abnehmen, also dass das eine Zeit ist, in der wir Investitionen machen." "In meinem Portemonnaie merke ich das nicht."
Um 66 Euro pro Sekunde sank die Summe auf der Schuldenuhr in den vergangenen Monaten. Zum neuen Jahr wird die Uhr umgestellt, denn dann werden es nach Berechnung des Bundes der Steuerzahler immerhin noch 47 Euro pro Sekunde sein. Dessen Präsident Rainer Holznagel kann dem einiges abgewinnen – wenn er auch Einschränkungen macht.
"Ich finde das sehr gut, das ist ein beruhigendes Gefühl. Es zeigt aber eben auch, dass noch sehr viel zu tun ist. Wer glaubt, dass Deutschland an dieser Stelle seine Hausaufgaben erledigt hat, der irrt. Im Gegenteil, Deutschland hat noch sehr viel vor sich, wir haben einen Substanzschuldenberg von fast 2 Billionen Euro, und wir haben viele Probleme in den Ländern, bei den Kommunen und auch beim Bund."
Sieben Jahre in Folge keine neuen Schulden
Die sinkende Schuldenlast hat Deutschland vor allem der guten Konjunktur und den niedrigen Zinsen zu verdanken. 2008 zahlte der Bund noch 40 Milliarden Euro Zinsen auf seine Schulden, 2018 waren es weniger als halb soviel: nur noch gut 16 Milliarden Euro. Auch dieses Jahr wird die Bundesregierung mit einem Überschuss beenden. Das siebte Jahr in Folge steht die schwarze Null, mit der die Bundeshaushälter sich verpflichten, keine neuen Schulden aufzunehmen. Und sogar kleine Überschüssen erwirtschaften. Damit gehen sie noch über die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse hinaus.
Mit einer Schuldenquote von rund 60 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt wird Deutschland voraussichtlich auch erstmals seit 2002 wieder die Maastricht-Kriterien einhalten, die die Stabilität des Euro garantieren sollen. Zum Vergleich: Auf dem Höchststand lag die deutsche Schuldenquote 2010 bei über 80 Prozent. Der niedrige Schuldenstand führe dazu, dass der Bund Luft zum Investieren habe, sagt Eckhart Rehberg, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
"Dass im Bundeshaushalt 43 Mrd. Euro bereitstehen, in den verschiedensten Bereichen. Dazu kommt noch das Klimapaket, das ja zum Beispiel bei der energetischen Gebäudesanierung, bei der steuerlichen Begünstigung auch Investitionen freisetzen wird."
Insgesamt hat der Bundestag mit den Stimmen der großen Koalition fürs kommende Jahr einen Rekordhaushalt von 362 Milliarden Euro beschlossen. Da nun weniger in den Schuldendienst fließt, könne mehr Geld in Verteidigung, die Schieneninfrastruktur, an Schulen und Kitas gehen. Am Geld mangele es derzeit nicht, meint CDU-Politiker Rehberg:
"In Deutschland scheitert aktuell kein Investitionsprojekt am Geld, sondern eher an der Umsetzung: Zu lange Planungsverfahren, zu wenige Planungskapazitäten und mittlerweile zu wenige Kapazitäten in der Bauwirtschaft."
Kritiker fordern Ende der schwarzen Null
Dass es an Kapazitäten mangelt, bezweifelt kaum jemand. Aber auch an der Investitionspolitik der Bundesregierung gibt es immer mehr Kritik. Grüne, Linke, Ökonomen, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind der Ansicht, dass die Bundesregierung mit der schwarzen Null in Zeiten niedriger Zinsen unnötige Hürden für zusätzliche Investitionen schaffe. Sie sehen Deutschland nicht durch neue Schulden gefährdet, sondern durch marode Straßen und Schienen oder den schleppenden Breitbandausbau. Die bisherigen Investitionen reichten bei weitem nicht aus, kritisierten Arbeitgeber und Gewerkschaften in ungewöhnlicher Einigkeit.
"In der Summe kommen wir auf einen zusätzlichen Investitionsbedarf über die kommenden zehn Jahre von etwas mehr als 450 Milliarden Euro oder etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr."
Sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Unter anderem müsse der Investitionsstau der Kommunen abgebaut und der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden. Auch die Bildung brauche weitere Milliarden, forderte das gewerkschaftsnahe Institut gemeinsam mit dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
IW-Chef Hüther: Neue Schulden für Extrahaushalt
Das zusätzliche Geld könne über einen Extrahaushalt durch Schulden finanziert werden, ohne die Schuldenbremse ändern zu müssen, sagte Direktor Michael Hüther.
"Die Schuldenbremse spricht davon: Haushalt des Bundes und der Länder sollen in der Normallage ausgeglichen sein. Das lässt aber Raum für ein solches Sondervermögen."
Diese Investitionen seien für die deutsche Wirtschaft hochlukrativ. Und sie seien wegen der niedrigen Zinsen ohne hohe Belastung zu haben.
SPD will Entschuldung für 2500 hochverschuldete Städte
Auch die neue SPD-Parteiführung will mehr Investitionen und spricht sich dafür aus, im Zweifel die schwarze Null zu opfern und notfalls auch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu ändern. Bundesfinanzminister Olaf Scholz, ebenfalls SPD, hatte die schwarze Null bislang verteidigt. Nach einem entsprechenden Parteitagsbeschluss begann aber auch er von ihr abzurücken. Wenn neue Schulden gemacht würden, sollten sie allerdings ein klares Ziel haben, sagte Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
"Wir Sozialdemokraten haben uns darauf geeinigt, dass, was wir wollen, die Entschuldung der 2500 am meisten überschuldeten Städte ist, insbesondere im Ruhrgebiet. Die werden durch die Zinsen daran gehindert, weiter zu investieren."
Kritik an dem Vorschlag kam postwendend aus der FDP und vom Koalitionspartner. Anders als Nordrhein-Westfahlen gebe es viele Länder, die ihre Kommunen schon länger entschuldeten oder Kommunen, die besser hausgehalten hätten. Die würden dann bestraft. Außerdem stehe die schwarze Null im Koalitionsvertrag, und an Verträge müsse man sich halten. Oder sie nachverhandeln, wie die neue SPD-Führung es will. Der Streit um die deutsche Schuldenpolitik scheint in vollem Gang.