Deutschlands Wagner-Missverständnisse
Richard Wagner und die Deutschen – es gibt regalmeterweise Bücher über dieses Thema, das zugleich ein Trauma ist: die politische Verführbarkeit durch Kunst und die politische Verführbarkeit der Kunst stecken darin. Udo Bermbach hat nun eine umfassende Untersuchung der Wagner-Rezeption vorgelegt und dabei viele Missverständnisse aufgedeckt.
Noch ein Wagner-Buch – muss das sein? Ja, denn diesmal geht es um einen gewichtigen Band, der schon jetzt Referenzcharakter besitzt: bis heute kursieren ja Urteile, die eine Linie von Wagner zu Hitler ziehen.
Udo Bermbach, ehemaliger Professor für Ideengeschichte und Politische Theorie, hat sich nach seinen grundlegenden Interpretationsbüchern zu Wagner und dessen Werken nun mit der Wirkungsgeschichte befasst. "Richard Wagner in Deutschland – Rezeption - Verfälschungen" heißt der Band.
In unseren Zeiten des lügenbefrachteten Plagiats und der nass-forsch unverfrorenen Aufweichung diesbezüglicher Maßstäbe führt Bermbach die Tugenden wissenschaftlich seriösen Arbeitens vor: auf profunder Quellenkenntnis sich arbeitsaufwändig durch Jahrzehnte bzw. Jahrgänge geistig verquaster, nationalistisch schwitzender, dazu sprachlich oft schwulstender Sekundärliteratur zu klar nachvollziehbaren demokratischen Kultur-Urteilen durchzuarbeiten.
In zehn inhaltlich überlegt ausgewählten Kapiteln – die auch einzeln lesbar sind – untersucht Bermbach zentrale Stränge der Wagner-Rezeption. Zunächst werden die wichtigsten Wagner-Biographien untersucht. Von Glasenapp 1894 bis von Westernhagen 1956 und Folgejahre belegt Bermbach das selektive Betonen von Einzelzügen des Künstlers, die zunächst ein konservatives, dann ein nationales, bald völkisch-nationales, schließlich ein nationalsozialistisches Wagner-Bild zeichnen.
Speziell am Beispiel der meistgelesenen, bis 1979 nachgedruckten von Westernhagen Biographie zeigt Bermbach, wie nach 1950 parallel zur Verdrängungshaltung der Adenauer-Epoche nun ein gänzlich unpolitisches, an der Antike orientiertes Wagner-Bild die breite Zustimmung des politisch korrumpierten Bildungsbürgertums fand. Erst mit Gregor-Dellins Biographie 1980 in der Bundesrepublik, zuvor mit Hans Mayer in der DDR sieht Bermbach den ‚ganzen Wagner’ zutreffend dargestellt. Zentrum aber ist die Entlarvung der Missdeutung Wagners durch Hitler:
"Die grundlegende Kunstkonzeption, die Hitler in seinen Parteitagsreden von 1933 bis 1939 immer wieder variiert hat, steht in diametralem Widerspruch zu der Vorstellung von Wagner. Wagner war der Meinung, Kunst komme vor Politik, sei sozusagen die höchste Sphäre, in der Menschen sich betätigen könnten. Hitler hat gerade umgekehrt gedacht: dass die Kunst zwar Ausdruck eines Volkes sei, [...] aber er war der Meinung, dass diese Kunst eines Volkes gelenkt werden müsse in ihrem Ausdrucksvermögen durch einen Autokraten wie ihn – also politischen Vorgaben folgen müsse – und dies ist die fundamentale Differenz!"
Schon allein dieses Kapitels wegen sind Bermbachs gut lesbare, intellektuell anspruchsvolle 500 Seiten allen Kulturinteressierten als Pflichtlektüre zu verordnen. Parallel dazu hat Bermbach erstmals die einflussreichen "Bayreuther Blätter" von 1878 bis 1938 detailliert durchforstet: die zunehmend "unterkomplexe" Wagner-Interpretation; die Herausbildung eines "Bayreuther Gedanken" gegen die demokratische Politik; der Gedanken-Wust um "Regeneration" hin zu einer "Bayreuther Theologie", gipfelnd in einem "arischen Christentum" und der nach zwei Jahren in Paraguays Urwald scheiternden Genossenschaftsutopie "Nueva Germania" – all diese neuen Ergebnisse zeigen, wie die Erbe-Verwalter die ursprünglich radikaldemokratischen bis sozialrevolutionären Vorstellungen Wagners, vor allem aber seine kunst-politisch diesbezüglich eindeutigen Ziele allmählich umakzentuiert haben.
Erkennbar wird das große Versäumnis der Linksintellektuellen Deutschlands: den Demokraten und Revolutionär Wagner samt seiner fundamentalen Kritik an Politik, Staat, Institutionen, Kirche, bürgerlicher Gesellschaft und Industriekapitalismus gegen die Vereinnahmung von "Rechts" zu verteidigen.
Durch 100 Jahre vielfältig vernebelter Rezeption schlägt Bermbach aufklärerisch glasklare, argumentativ überzeugende Schneisen hin zu einem Werk, das pseudo-intellektuell umgebogen und missbraucht wurde, aber ebenso weiterhin künstlerisch vielfältig interpretierbar bleibt.
Udo Bermbach, ehemaliger Professor für Ideengeschichte und Politische Theorie, hat sich nach seinen grundlegenden Interpretationsbüchern zu Wagner und dessen Werken nun mit der Wirkungsgeschichte befasst. "Richard Wagner in Deutschland – Rezeption - Verfälschungen" heißt der Band.
In unseren Zeiten des lügenbefrachteten Plagiats und der nass-forsch unverfrorenen Aufweichung diesbezüglicher Maßstäbe führt Bermbach die Tugenden wissenschaftlich seriösen Arbeitens vor: auf profunder Quellenkenntnis sich arbeitsaufwändig durch Jahrzehnte bzw. Jahrgänge geistig verquaster, nationalistisch schwitzender, dazu sprachlich oft schwulstender Sekundärliteratur zu klar nachvollziehbaren demokratischen Kultur-Urteilen durchzuarbeiten.
In zehn inhaltlich überlegt ausgewählten Kapiteln – die auch einzeln lesbar sind – untersucht Bermbach zentrale Stränge der Wagner-Rezeption. Zunächst werden die wichtigsten Wagner-Biographien untersucht. Von Glasenapp 1894 bis von Westernhagen 1956 und Folgejahre belegt Bermbach das selektive Betonen von Einzelzügen des Künstlers, die zunächst ein konservatives, dann ein nationales, bald völkisch-nationales, schließlich ein nationalsozialistisches Wagner-Bild zeichnen.
Speziell am Beispiel der meistgelesenen, bis 1979 nachgedruckten von Westernhagen Biographie zeigt Bermbach, wie nach 1950 parallel zur Verdrängungshaltung der Adenauer-Epoche nun ein gänzlich unpolitisches, an der Antike orientiertes Wagner-Bild die breite Zustimmung des politisch korrumpierten Bildungsbürgertums fand. Erst mit Gregor-Dellins Biographie 1980 in der Bundesrepublik, zuvor mit Hans Mayer in der DDR sieht Bermbach den ‚ganzen Wagner’ zutreffend dargestellt. Zentrum aber ist die Entlarvung der Missdeutung Wagners durch Hitler:
"Die grundlegende Kunstkonzeption, die Hitler in seinen Parteitagsreden von 1933 bis 1939 immer wieder variiert hat, steht in diametralem Widerspruch zu der Vorstellung von Wagner. Wagner war der Meinung, Kunst komme vor Politik, sei sozusagen die höchste Sphäre, in der Menschen sich betätigen könnten. Hitler hat gerade umgekehrt gedacht: dass die Kunst zwar Ausdruck eines Volkes sei, [...] aber er war der Meinung, dass diese Kunst eines Volkes gelenkt werden müsse in ihrem Ausdrucksvermögen durch einen Autokraten wie ihn – also politischen Vorgaben folgen müsse – und dies ist die fundamentale Differenz!"
Schon allein dieses Kapitels wegen sind Bermbachs gut lesbare, intellektuell anspruchsvolle 500 Seiten allen Kulturinteressierten als Pflichtlektüre zu verordnen. Parallel dazu hat Bermbach erstmals die einflussreichen "Bayreuther Blätter" von 1878 bis 1938 detailliert durchforstet: die zunehmend "unterkomplexe" Wagner-Interpretation; die Herausbildung eines "Bayreuther Gedanken" gegen die demokratische Politik; der Gedanken-Wust um "Regeneration" hin zu einer "Bayreuther Theologie", gipfelnd in einem "arischen Christentum" und der nach zwei Jahren in Paraguays Urwald scheiternden Genossenschaftsutopie "Nueva Germania" – all diese neuen Ergebnisse zeigen, wie die Erbe-Verwalter die ursprünglich radikaldemokratischen bis sozialrevolutionären Vorstellungen Wagners, vor allem aber seine kunst-politisch diesbezüglich eindeutigen Ziele allmählich umakzentuiert haben.
Erkennbar wird das große Versäumnis der Linksintellektuellen Deutschlands: den Demokraten und Revolutionär Wagner samt seiner fundamentalen Kritik an Politik, Staat, Institutionen, Kirche, bürgerlicher Gesellschaft und Industriekapitalismus gegen die Vereinnahmung von "Rechts" zu verteidigen.
Durch 100 Jahre vielfältig vernebelter Rezeption schlägt Bermbach aufklärerisch glasklare, argumentativ überzeugende Schneisen hin zu einem Werk, das pseudo-intellektuell umgebogen und missbraucht wurde, aber ebenso weiterhin künstlerisch vielfältig interpretierbar bleibt.