"Fußball, da kann jeder was mit anfangen"
Im "FC Vorwärts Miteinander" im vorpommerischen Torgelow spielen zahlreiche Geflüchtete zusammen mit Deutschen. Der Fußballverein leistet vorbildliche Integrationsarbeit, wurde dafür 2016 ausgezeichnet. Doch das nützt wenig, wenn der Verein kaum das Geld für Trikots zusammenbekommt.
"So, die nächsten Drei. Kommt, geht los! Wenn der Kegel kommt, passen. Ihr müsst mal alleine drauf achten!"
Ein Dienstagnachmittag auf dem Fußballplatz in Drögeheide. Vor dem Tor sind rot-weiße Kegel aufgestellt. Die Jüngsten üben das Pass-Spielen, sie dürfen nicht zu nah an die Kegel herankommen, die symbolisieren den Gegner.
"Revan, gehst du mal kurz hier rüber zu Marlon? Geh du mal mit rein! Artur und Tom."
Es nieselt leicht, aber das macht keinem etwas aus. Die F-Jugend des FC Drögeheide ist zwar heute nicht vollständig, aber motiviert. Monique Knötsch, einst selbst aktive Fußballerin, betreut die Jungs. Ihr eigener Sohn spielt auch mit.
"Bei uns sind es halt die Jüngsten. Worauf wir auch wirklich stolz sind, auf jeden Einzelnen! - Geht los Steve, komm, abgeben!"
Revan, ein Junge aus Syrien, flitzt zwischen seinen deutschen Altersgenossen umher.
"Revan, der macht jetzt auch aktiv mit. Den hat Familie Samuel mal mitgebracht zum Training, der hat uns ganz gut gefallen. Wir sind begeistert von ihm."
Revan lebt seit einem Jahr mit seinen Eltern und den beiden Geschwistern in Torgelow. Der Neunjährige besucht die erste Klasse.
"In Syrien habe ich auch Fußball gespielt"
"Sonst war ich schon Dritte. Dann Papa hat gesagt, wir gehen. Da war Krieg. Da waren arabisch, die sind nicht gut. Guck mal, die nehmen deinen Kopf und machen schlagen."
Mitten auf einem friedlichen Fußballplatz in Vorpommern macht ein kleiner Junge eine verstörende Geste mit der Handkante: Kopf ab. Auf die Frage nach seinem Heimatort denkt er lange nach.
"Das habe ich alles vergessen."
Nicht vergessen hat er, wie es war, vor dem Krieg zu fliehen.
"Mein Papa hat was in Syrien vergessen, das Auto. Wir waren in einem Zug, ein Bus, großes Bus, dann ein Wald. Da haben wir da rein. Wenn einer uns sieht, dann laufen wir wieder zurück. Da habe ich meine Schuhe da verloren. Das ist so. Der Meer war groß!"
Das große Meer und das kleine Boot und die verlorenen Schuhe im Wald, wo er sich mit seiner Familie verstecken musste - das alles ist jetzt weit weg für den Jungen. Als er in Torgelow ankam, begann er bald mit dem Fußballspielen.
"Weil ich liebe. In Syrien habe ich auch Fußball gespielt."
Auf dem Spielfeld nebenan sammelt gerade Matthias Sachs seine Schäfchen um sich. Er trainiert die Gruppe der Elf- bis 13-Jährigen.
"Wir haben auch zwei vom Asylbewerberheim mit dabei. Die sind Teil der Mannschaft wie alle anderen auch. Fußball ist eine Sportart, egal ob ich jetzt in Deutschland Fußball spiele, in Amerika, Afrika oder weiß der Kuckuck wo - die Regeln sind überall gleich. Da kann jeder was mit anfangen. Klar, in den Trainingseinheiten was zu erklären, ist zum Anfang ein bisschen schwierig zu erklären. Aber dann macht man es einmal vor, beziehungsweise macht es mit anderen Mitspielern vor. Und dann ist klar, so und so muss ich laufen. Und dann funktioniert das auch."
Was sich so selbstverständlich anhört, ist es keineswegs. Vor drei Jahren kamen die ersten Asylbewerber in Drögeheide an. Es ist ein abgelegener Stadtteil von Torgelow: Eine Plattenbausiedlung, ein Supermarkt und einige Einfamilienhäuser, umgeben von einem Kiefernwald mit einem Truppenübungsplatz.
Eine Region, die als "rechter Rand der Republik" verrufen ist
Die Plattenbauten dienten zuerst der NVA, dann der Bundeswehr als Kaserne, in den kleineren Häusern wohnten die Offiziere. Einer von ihnen ist Harald Rinkens. Der Bundeswehroffizier kam in den 90er-Jahren hierher. Inzwischen ist der Standort geschlossen, ein Teil der Wohnblöcke abgerissen und Harald Rinkens ist pensioniert. Ein beschauliches Rentnerdasein am Waldesrand hat er nicht. Die Gegend ist bundesweit bekannt - und verrufen - als "rechter Rand" der Republik. Die NPD hatte in den 90er-Jahren feste Strukturen aufgebaut und sitzt in vielen Gemeinde- und Stadtvertretungen.
Als die rechte Partei ihr bundesweites "Pressefest" in der Region machen wollte, bildeten Hunderte Bürger eine Menschenkette, um dagegen zu protestieren. Harald Rinkens war mit dabei. Dann wurde in Torgelow entschieden, in einem der verbliebenen Armeeblocks in Drögeheide Flüchtlinge unterzubringen.
"Daraufhin hat der Bürgermeister eine Bürgerversammlung einberufen, die relativ krass abgelaufen ist. Da waren die ganzen Nazis, die es hier in der Umgebung gibt - hier in Torgelow gibt es ja keine festgefügte Gruppe - die gibt es in Ueckermünde. Die waren dann alle da. Das war so krass, dass ich mich nicht getraut habe, aufzustehen und meine Weltsicht mal darzulegen. Weil, die kennen mich auch, irgendwo muss mal eine Grenze sein. Also, ich hab mich wirklich nicht getraut, und ich bin eigentlich kein ängstlicher Mensch."
Gemeinsam mit anderen Mitstreitern aus der Stadt gründete Harald Rinkens den Verein "Willkommenskultur Torgelow". Viele Einwohner fanden sich bereit zu helfen.
"Und als wir auf einmal das Haus voll hatten, haben wir überlegt: Was machen wir denn mit den Leuten? Da gab es zwei Dinge. Erstens, haben wir gesagt, wir wollen so früh wie möglich den Leuten die deutsche Sprache nahebringen. Deutschunterricht zu geben, das machen wir seit gut drei Jahren. Und gleichzeitig kam uns die Idee mit dem Fußball. Wir haben gesagt, hier gibt es genug junge Männer oder auch Männer ganz allgemein, die Fußball spielen wollen. Und dann haben wir schon im Dezember 2013 die beiden großen Vereine Drögeheide und Greif Torgelow kontaktiert und gesagt: Mensch, lasst uns doch mal ein gemeinsames Training machen und ihr guckt euch die Leute mal an und guckt, ob ihr welche gebrauchen könnt."
Man lernte sich kennen, Freundschaften entstanden
Viele Mannschaften in Vorpommern leiden unter Nachwuchssorgen, da viele junge Leute die Region verlassen. Nun bekamen sie auf einmal Zuwachs. Das Ende der Drögeheider Männermannschaft konnte durch die neuen Spieler sogar eine Zeit lang verhindert werden. Doch es gab noch die anderen, die immer nur am Rand standen, weil sie nicht so gut waren, die einfach nur mal kicken wollten.
"Und dann ist uns die Idee gekommen, ob wir nicht auch Freizeitfußball anbieten können. Regelmäßige Termine, ganz wichtig für Flüchtlinge. Und das machen wir jetzt auch schon seit dreieinhalb Jahren. Zehn, 20 Mann, unter meiner Leitung. Aber ich bin nur die Aufsichtsperson, ich mache ja kein Training mit denen. Sondern sie sollen einfach kicken, rumrennen und sich ein bisschen austoben."
Aus dem "bisschen austoben" ist für viele mehr geworden. Man lernte sich kennen, Freundschaften entstanden, Begriff die Mentalität der anderen, deren Sorgen und Ängste, deren Auf und Ab der Gefühle, die Schwierigkeit, heimisch zu werden. Udo Samuel ist der Vereinsvorsitzende des FC Drögeheide und Trainer der Herrenmannschaft.
"Es spielt gar keine Rolle, woher die kommen. Dem Ball ist es total egal, wer dagegen haut, oder? Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, gerade bei den Flüchtlingen. Die, die mal am Anfang hier waren vor zwei, drei Jahren, sind teilweise weggezogen oder wurde auch wieder abgeschoben. Dann sind wieder andere da, immer Kommen und Gehen. Es ist nicht konstant. Für uns als Verein, wenn man die versucht zu integrieren, ist es schwierig. Die es tatsächlich geschafft haben, werden dann auch ganz plötzlich wieder weggeschoben. Auch einige, die ans Herz gewachsen sind. Da sind Geschichten dabei, wenn man das nicht selbst erleben würde, glaubt man das gar nicht."
Udo Samuels Trainerkollege Mathias Sachs erinnert sich noch gut an eine albanische Familie. Deren drei Kinder spielten in den Fußballmannschaften mit: zwei Mädchen und ein Junge.
"Wir haben den hier verabschiedet, mit Tränen in den Augen. Hier im Heim haben sie uns noch eingeladen zum Frühstück. Dann kam er an: Könnt Ihr uns noch zum Bahnhof bringen? Ja, gut, okay, bring ich ihn noch zum Bahnhof, ihn und seine Familie. Und er ist dann nachher eingestiegen in den Zug, dann war für mich auch Feierabend. Da konnte ich nicht mehr. Ich bin sonst nicht so nah am Wasser gebaut, aber das war eine Situation - da habe ich ein paar Tage gebraucht, emotional."
Auch jetzt wieder muss Mathias Sachs bei dieser Erinnerung schlucken. Fußballtrainer ist er, wie alle hier, ehrenamtlich. Er betreibt einen Handwerker-Notdienst. Udo Samuel führt zwei Gaststätten. Bevor die Flüchtlinge kamen, hatten die beiden nie mit Migranten zu tun. Wohl aber mit dem, was über sie geredet wurde.
"150 Euro, davon kann man nicht leben"
"Dadurch, dass wir ja mit dem Heim eng zusammenarbeiten, sehen wir da auch ein bisschen die Hintergründe. Es heißt immer viel: Ja, die Asylbewerber kriegen alles in den Allerwertesten gesteckt. Ist gar nicht so. Wenn man sieht, wie spartanisch die da leben teilweise in den Wohnungen! Ich weiß eine Situation, die haben zwei Abschleppseile gespannt von der Balkontür zur Wohnzimmertür. Und haben da eine Decke reingehängt. Das war dann die Babyschaukel, da hat das Baby drin geschlafen. Not macht erfinderisch. Und da ist es wirklich nicht anders. Uralte Möbel, die sie da teilweise gestellt gekriegt haben. Ich meine, die sind froh, dass sie überhaupt was haben. Der eine, der Sanar - wir nennen ihn Peter - der hat einen komplizierten Namen, deshalb heißt er bei uns Peter - er findet es gut. Da hab ich mir angeguckt, er hat 150 Euro im Monat zum Leben. 150 Euro. Davon kann man nicht leben. Was sich manche dabei denken, wie das funktionieren soll?"
Der Mann aus Ghana, der in der Drögeheider Männermannschaft mitspielt, soll abgeschoben werden. Deshalb wurde ihm das Geld gekürzt. Die Papiere, die er von den Behörden bekommt, versteht er nicht. Selbst Udo Samuel hat mit dem Juristendeutsch Schwierigkeiten und kämpfte sich mehr als einmal durch die Unterlagen, um zu begreifen, was darin steht. Er weiß nur eines: Die Asylbewerber sollten nicht zum Herumsitzen und Warten verdammt sein, sie sollen mit Fußball spielen können, selbst wenn sie kein Geld für Schuhe haben.
"Ja, das ist ein Problem. Wenn das nicht Spenden vom Verein sind, also Anzug vom Verein, Regencape, Fußballschuhe, Trainingshose. Da sind wir auf Spenden angewiesen, ist so. Jeder möchte sich ja dazugehörig fühlen und braucht den Anzug. Kann man sich ja durchrechnen, wenn wir für jeden einen Anzug kaufen, was das für Summen sind. Da braucht man Spenden und muss Türklinken putzen. Das ist wirklich ganz schwer, Geld zu bekommen. Wir wohnen nun mal in keinem reichen Landkreis hier oben, Geld ist nun mal ein bisschen knapp, muss man so sagen. Und wir sind auch ein Verein, wo nicht unbedingt nur die Elite trainiert. Sondern wir sind ein Verein, der jedem, ob er ein bisschen dicker ist oder vielleicht nicht so talentiert ist, die Möglichkeit gibt, Fußball zu spielen. Das Recht soll er ja auch haben. Und ob dann vielleicht die Gelder nicht so locker sitzen - keine Ahnung."
Aus den Augenwinkeln hat Udo Samuel das Spiel der Jüngsten beobachtet. Schnell läuft er hin und gibt der jungen Trainerin einen Tipp.
"Reingehen in die Mannschaft, am besten hinten reinstellen, so wie letzter Mann. Und von da aus dirigieren, und die Situation die mir nicht gefällt, dann sagen: Stopp, stehenbleiben. Guck mal: Das Tor ist gefallen, weil: Du hast nicht da gestanden. Oder: Das Tor kannst du erzielen, wenn du hier oder hier stehst. Situation einfrieren! Dann begreifen sie es schneller."
"Die meisten waren sehr, sehr gut im Fußball"
Auf dem zweiten Feld trainieren die Elf- bis 13-Jährigen. Wie bei den Jüngeren ist auch diese Mannschaft nicht vollständig heute. Justin Schröder ist seit fünf Jahren beim Fußballclub Drögeheide. Ausländische Kinder in den verschiedenen Mannschaften gehören für ihn ganz selbstverständlich dazu.
"Die meisten waren sehr, sehr gut im Fußball. Sie haben die meisten Tore geschossen. Die meisten haben jetzt die Vereine gewechselt, nach Torgelow und so."
Die besten Spieler werden oft von anderen Mannschaften abgeworben, die in höheren Klassen spielen oder in den Turnieren besser sind als die Drögeheider. Zudem ziehen viele Familien aus dem hiesigen Flüchtlingsheim weg, sobald sie die Anerkennung als Asylbewerber bekommen haben. Oder sie werden abgeschoben wie der albanische Junge, der in Justins Mannschaft spielte.
"Bis jetzt war unser größter Sieg 5:0. Unsere größte Niederlage bis jetzt 13:1. Wir haben gerade ein Phase, wo wir nicht so gut sind. Wir sind eher unten. Weil, wenn andere ein Tor geschossen haben, verlieren wir schnell die Lust."
Dass Fußball spielen im Verein preiswert ist und es hier auch kein Überangebot anderer Sportarten gibt, sorgt in der strukturschwachen Region immer wieder für Zulauf, besonders bei den Kindern.
"Ist ja nicht so sehr teuer. 18 Euro das Halbjahr, das geht."
Auch Zamari aus Afghanistan spielt in Justins Mannschaft. Der Elfjährige wirkt ernster und älter als seine Sportkameraden.
"Meine Freunde haben Fußball gespielt und gesagt, dass ich mitmachen soll. Dann hab ich gesagt: ja."
Auch Zamari hat - wie Revan aus Syrien – zu Hause in Afghanistan schon Fußball gespielt.
"So an der Straße gespielt, aber nicht im Verein."
Was ein Verein ist, hat er erst hier mitbekommen. Und es gefällt ihm.
"Gut, richtig gut. Fußball, das bringt Sportgeist. Also, das ist mein Traum, Profi zu werden."
Trainer Matthias Sachs zwinkert Zamari zu.
"Also, die Ambitionen hätte er. Aber da sind ein paar Sachen, wo wir noch ein bisschen schleifen müssen. Manchmal ist er so ein kleiner Einzelgänger auf dem Platz. Da müssen wir noch dran feilen. Aber ansonsten, technisch, hat er es drauf, wirklich weiterzukommen."
"Uns geht es ja hier in Deutschland gut"
18 Uhr: Inzwischen ist Udo Samuel auf dem Sportplatz in Eggesin angekommen. Hier trainiert er die Männer. Weil die Herren-Mannschaften nicht mehr vollzählig waren, haben der FC Drögeheide und Motor Eggesin seit vergangenem Jahr eine gemeinsame Mannschaft. Eigentlich wollte Udo Samuel Peter im Asylheim abholen und mitbringen, aber der Mann aus Ghana war nicht da. Schon beim Punktspiel am Wochenende war dem Trainer aufgefallen, das etwas mit Peter nicht stimmt.
"Macht eigentlich ein starkes Spiel, auf einmal, ganz plötzlich im Spiel, keiner weiß, warum, nur noch Schultern runter, er macht nichts mehr, geht bloß noch spazieren eigentlich. Alles muntert ihn auf. Aber er ist dann in sich so - vorbei. Und heute ist er nicht da."
Udo Samuel erlebte den Ghanaer, der seit drei Jahren in Drögeheide wohnt, bisher als verlässlich. Gerade hat er es übernommen, eine Jugendmannschaft zu trainieren. Auch Stefan Burmeister, der Mannschaftskapitän, ist ratlos.
"Jetzt am Wochenende, er hat einen Elfmeter nicht bekommen, klares Ding, aber er hat ihn nicht bekommen. Und danach war der Kopf unten, den Jungen brauchte man nicht mehr anspielen. Der war in einer anderen Welt. Unsereins schüttelt sich einmal und sagt: Weiter geht es. Mentalität: Los, komm. Und für den war das Spiel vorbei. Der war in einer anderen Welt. Da kommt man aber auch gar nicht ran. Ist ganz komisch. Ich habe nach dem Spiel im Bus mit ihm geredet und gefragt, was los ist. Und er sagt dann zehnmal: Ist alles okay. Ich sag: Du, blind sind wir auch nicht! Da war nicht alles okay. Aber wenn er sich nicht ein bisschen öffnet, dann kann man ihm auch schwer helfen oder gar nicht helfen."
Drei Jahre Leben im Asylbewerberheim, warten auf Behördenbeschlüsse, die Furcht vor der Abschiebung. Dass dies an den Nerven seines afrikanischen Mannschaftskameraden zehrt, kann Stefan Burmeister nachempfinden.
"Das kann ich mir vorstellen, dass das ein sehr, sehr schwieriger Zustand ist. Und ich möchte ehrlich gesagt nicht tauschen. Uns geht es ja hier in Deutschland gut, das brauchen wir ja nicht wegdiskutieren, obwohl einige das immer versuchen. Aber den Vergleich dann mal zu ziehen, wer das dann wirklich mal erlebt hat mit den Jungs, ihre Geschichte zu hören. Wie sie tausend Kilometer gelatscht sind, um dann dahinzukommen, ohne eigentlich zu wissen, wie. Das ist schon spannend. Also, ich würde nicht mein Haus und Hof einfach stehen lassen und loslaufen, wenn es mir gut gehen würde. Also, den Jungs muss es schon schlecht gegangen sein. Und vom Charakter her merken wir, dass die, die hier waren, mit denen wir Kontakt hatten, keine üblen Kerle sind. Dann heißt es immer Kriminalität - mag ja sein. Aber wir konnten unser Portemonnaie immer hier in der Kabine lassen, da liegen dann die Handys, die Uhren und das Geld, und da ist nie was weggekommen. Auch von denen, die nur kurzzeitig und nicht regelmäßig hier waren. Da ist nichts passiert."
"Super-Leistung, ganz großen Respekt"
Doch einige junge Flüchtlinge, die sich beim Fußball ausprobieren, scheinen sich selbst im Wege zu stehen, wenn es um die Integration in eine Mannschaft geht.
"Das sind teilweise Befindlichkeiten, die wir als Deutsche manchmal nicht verstehen, die Art und Weise nicht verstehen. Wir können das ja sagen: Wir hatten Syrer hier beim Fußball, die haben es schwer sich einzuordnen. Das ist ganz, ganz schwer für die. Sich von einem anderen Spieler, der jünger ist, was sagen zu lassen. Das passt dann manchmal nicht ins Schema. Und wenn dann mal so strittige Szenen sind, wir können das ja einordnen, dann ist das Blut immer gleich hier oben. Solche Situationen haben wir mehrfach gehabt. Ja, das sind so Sachen, wenn man sich nicht in die Mannschaft eingliedern kann - ich sage nicht unterordnen, sondern eingliedern. Bei uns auf dem Platz fällt jede Schwäche in der Hinsicht sehr schnell auf."
Doch auch die Stärken fallen auf - und so kam es, dass selbst Fußballfans aus dem rechten Lager ein wenig in sich gehen mussten.
"Die größten ausländerfeindlichen Jungs hier in Eggesin, die hier zugeschaut haben, haben am Anfang immer gesagt: Oh, der Andersfarbige - sag ich jetzt mal so. Und das letzte Spiel, das wir hier gemacht haben, ein sehr starkes Spiel, Peter, der 'schwarze Mann', sag ich jetzt mal, hat ein sehr gutes Spiel und auch ein Tor gemacht. Und die, die am lautesten waren, hatten dann aber auch den Charakter, nach dem Spiel in die Kabine zu kommen, zu ihm zu gehen und zu sagen: Super-Leistung, ganz großen Respekt."
Vorurteile kann man auch auf dem Fußballplatz abbauen. Doch bis ein ausländischer Spieler überhaupt bei Turnieren mitmachen darf, müssen die Vereine Geld und Geduld aufbringen. Während der Landesfußballverband von Mecklenburg-Vorpommern nur wenige Tage braucht, um die Berechtigung für deutsche Spieler auszustellen, benötigt er bei Ausländern 60 Tage. Für Deutsche - vom Kind bis zum Erwachsenen - kostet die Spielberechtigung fünf Euro, für einen Flüchtling muss der Klub 25 Euro zahlen.
Außerdem dürfen - im Gegensatz zum deutschen Profifußball - immer nur drei ausländische Spieler pro Mannschaft auf dem Platz sein. Wenn der Vereinsvorsitzende Udo Samuel dann noch erfährt, dass in seinem Landkreis Gelder für den Breitensport verfallen, platzt ihm der Kragen.
"Da müssten die doch sagen: Mensch, hört mal zu, ich weiß, da oben wird Jugendarbeit gemacht und Integrationsarbeit, wir haben Geld da - kommt mal, was können wir für euch tun? Und ich muss Briefe schreiben, jeden Abend! Bettelbriefe an alle Firmen in der Region, dass wir wenigstens 3,50 Euro kriegen. Damit wir das überhaupt aufrecht erhalten können alles, so sieht es aus!"
In Hochzeiten hatte der Drögeheider Fußballverein bis zu 30 Asylbewerber in die Mannschaften integriert - vom Schulanfänger bis zum Erwachsenen. 30 Mal Fußballausrüstung, viel Fahrerei mit Privatautos zum Training und zu den Spielen im ausgedehnten Landkreis. Wenigstens für die Fahrten gab es eine Erleichterung: 2016 bekam der Verein den Integrationspreis des DFB - einen Mercedes-Bus. Fast 200 Vereine, Projekte und Schulen bewerben sich in jedem Jahr um diesen Preis, drei Fahrzeuge werden an die Preisträger vergeben.
"Wenn er das nicht hätte, dann wäre er nur allein"
"Schön, jetzt haben wir einen Bus bekommen, na einwandfrei. Da habe ich gleich den Finger gehoben und gesagt: Der kostet Geld, der fährt nicht mit Luft und Liebe! Der kostet uns im Jahr 2000 Euro mit Steuern und Versicherung. In diesem Jahr ist wieder ein Integrationspreis, wieder ein Mercedes-Bus, vergeben worden an einen anderen Verein. Da war ein Kollege von mir, der hat gesagt: Die anderen Vereine haben den verkauft aus Kostengründen. Aber wir sind eigentlich stolz auf dieses Fahrzeug und haben den immer noch. Aber betteln Geld zusammen, dass wir ihn überhaupt über die Jahre finanziert kriegen. Und das soll es nun sein? Das ist die Integration? Haha, super. Dann haben wir es ja geschafft!"
Weder der Integrationsbeauftragte des Landkreises noch jemand vom Landesfußballverband haben sich seit der großen Ehrung beim FC Drögeheide sehen lassen - oder auch nur gratuliert. Geschweige denn gefragt, wo man helfen könne. Stattdessen brummte man dem Verein eine Strafe auf, weil ein Flüchtlingsfußballer in einem Turnier eingesetzt wurde: Dessen Spielerlaubnis lag nach 60 Tagen noch nicht in Papierform, sondern nur auf elektronischem Weg vor.
Ein Schicksal wie das von Peter, dem Fußballer aus Ghana, was zählt das? Udo Samuel fragt sich das immer wieder. Und macht weiter damit zu helfen, wo er kann. Auch, wenn es viele Enttäuschungen gibt.
"Wenn wir ihn nicht auffangen, was würde er treiben allein? Möchte ich gar nicht drüber nachdenken. Wenn wir nicht wären, wo er Freundschaften vielleicht hat und wo er Spaß hat, wo wir dann drei Mal in der Woche mit ihm zusammen sind. Wenn er das nicht hätte, dann wäre er nur allein und würde darüber nachdenken. Niemand, glaube ich, außer wir hier ehrenamtlich im Sport kümmert sich so intensiv um die Befindlichkeiten und Belange dieser Menschen. Nicht einer. Was wir mittlerweile von denen schon wissen oder hier erleben, auch an persönlichen Krisen, die die Jungs teilweise haben, kann niemand anderes außer uns nachvollziehen. Näher ist keiner dran."