Filmische Zeitreisen in bewegte Zeiten
Vor 50 Jahren wurde die DFFB gegründet, die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin. Namhafte Regisseure sind hier ausgebildet worden – und ihre Filme sind ein Spiegelbild deutscher Geschichte seit den 60er-Jahren. Seit wenigen Wochen sind viele im online-Archiv zu sehen.
Westberlin, 1968. Eine Stafette aus Läufern trägt ein rotes Banner quer durch die Stadt zum Schöneberger Rathaus. 1968 ist es der Regierungssitz für die Westsektoren der geteilten Stadt. Kurz darauf schwenkt der letzte der Läufer die rote Fahne vom Rathausbalkon. Von hier hat John F. Kennedy 1963 sein legendäres "Ich bin ein Berliner" gerufen.
"Farbtest rote Fahne" heißt der Film, den der damalige Filmstudent Gerd Conradt für das
Seminar von Kameramann Michael Ballhaus drehte. Rathausbalkon und rote Fahne – dass dieser "Farbtest" vermutlich keinen schlichten "Test" bezeichnet, sondern der Titel auf die Rezeption roter Fahnen im Westberlin von 1968 verweist, ahnt, wer die empörten Passanten sieht.
"Farbtest Rote Fahne" gehört zur Filmauswahl der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin DFFB, die ein Team um Jürgen Keiper und Volkmar Ernst jetzt für das Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz digitalisiert und auf der Website des Museums zugänglich gemacht hat. Die Website stellt 50 Jahre DFFB-Geschichte dar, von der Gründung 1966 bis heute mit Filmbeispielen, Seminararbeiten, Werkfotos, Drehbüchern und Produktionsunterlagen.
Jürgen Keiper: "Die Idee ist schon, dass so ein Flow entsteht, dass man sich wirklich durch das Archiv bewegen kann und von einer Inhaltsangabe zu dem Film kommen kann, sich die Bilder ansehen kann, eventuell auch den Film ansehen kann, dann schaut man sich die Biografie des Regisseurs an, wird weitergeleitet auf eine Narrationsstrecke, wo beispielsweise erklärt wird, was es mit diesen Prüfungen auf sich hatte und von den Prüfungen kommt man dann zu Helene Schwarz, die ja so eine ganz starke Figur in der DFFB war und von Helene Schwarz zum Direktor, der zu dieser Zeit agierte."
Helene Schwarz, Grande Dame der DFFB, Sekretärin über Jahrzehnte, Vertraute gleichermaßen von Lernenden wie Lehrenden, Namenspatronin der Cafeteria und nicht zuletzt Hauptfigur in einem Film von Rosa von Praunheim, der bei ihr seine Bewerbungsmappe abholen musste, als die DFFB ihm 1968 den Studienplatz verweigerte.
Filmen für die Revolution
So entfaltet sich die Geschichte der Berliner Filmhochschule und ganz nebenbei fällt der Blick auf die deutsche Geschichte nach 1945.
"Brecht die Macht der Manipulateure", 1967 von Helke Sander gedreht, ist eine der frühen Filme aus der DFFB. Das Filmessay kreist um die Springer-Kampagne der APO und untersucht die Macht der Medien mit den Mitteln des Kinos. In einer Szene besuchen die damaligen DFFB-Studenten Helke Sander, Christian Ziewer und Harun Farocki den Berliner Presseball. Unter den Gästen erkennt man den entspannt Zigarre rauchenden Verleger Axel Springer. Die Filmemacher suchen das Gespräch mit den Ballgästen:
Dass ein Film politisch zu sein hat, ist 1968 an der DFFB Konsens. Nicht für den Markt, für die Revolution werden Filme gedreht! Doch wenn man sich die Beispiele aus der Online-Auswahl heute ansieht, ist man erstaunt, wie dünn der Firnis aus lautem Agitprop ist und wie deutlich darunter eine repressive und leicht erregbare Gesellschaft hervorschimmert.
Uwe Schrader: "Also die DFFB - als ich anfing, 76, wenn man da nicht in den sogenannten K-Gruppen war, war es schon relativ schwierig."
Auch der Regisseur Uwe Schrader ist in der Online-Präsentation des DFFB vertreten. mit seinem Abschlussfilm KANAKERBRAUT in der Online-Präsentation der DFFB vertreten. Für sein Studium war er 1976 von Hamburg nach Berlin gezogen, ein echter Kulturschock, wie er sich erinnert, denn vor Drehbeginn mussten die Filme ausführlich zur Diskussion gestellt werden.
Schrader: "Und dann wurde das genau hinterfragt. Also braucht die Welt diesen Film? Und welche Haltung hat der Filmemacher zu seinen Protagonisten, wem nutzt dieser Film, ist da eine Botschaft mit verbunden etc? Also das ging schon relativ hart zur Sache und gleichzeitig war man natürlich auch darauf angewiesen, dass da, ich glaube 2/3 Mehrheit was das damals war, zustandekommt, um dann sozusagen den VW-Bus mit den Geräten volladen zu können und auch das entsprechende Geld von seinem Konto abbuchen zu können."
Mehr als nur eine Filmschule
Solche Diskussionsprozesse lassen sich auf der DFFB- Website des Museums für Film und Fernsehen nachvollziehen. Exposés, Abrechnungen, Drehtagebücher oder Filmplakate, neben den Interviews der Narrationsstrecken – gerade die Fülle des digitalisierten Archivmaterials lädt zu Entdeckungsreise ein. Das Online-Archiv wird unversehens zur Zeitmaschine.
Ende der achtziger Jahre beginnt Thomas Arslan sein Studium an der DFFB. Heute gehört Arslan neben Regisseuren wie Christian Christian Petzold und Angela Schanelec zu den zentralen Regisseuren, die unter dem Label "Berliner Schule" zusammengefasst werden.
In den Neunzigern schreibt sich die Wiedervereinigung in die Filme ein. AM RAND von Thomas Arslan beschreibt in langen statischen Einstellungen den Vorgang der Wiedervereinigung im Grenzgebiet zwischen West- und Ostberlin. Marode Baumaschinen und müde Bauarbeiter entfernen die Grenzanlagen, aus einer mobilen Küche werden Essensrationen ausgegeben, es wächst nicht leicht zusammen, was zusammengehört, es ist harte Arbeit.
Die DFFB-Berlin war immer mehr als eine Filmschule. Bei ihrer Gründung stand sie im Zentrum der gesellschaftlichen Veränderungen, die mit der APO Ende der Sechzigerjahre begann. Bei allen Veränderungen, Umbrüchen und Neuanfängen blieb die Filmhochschule dieser Haltung bis heute treu. Das Online-Archiv der DFFB auf der Website des Berliner Filmmuseums bildet nun 50 Jahre bundesdeutscher Geschichte ab.