Diagnose mit befreienden Witz
Der 2006 verstorbene Robert Gernhardt hat halbjährlich in seinem Zweitwohnsitz in der Toskana gelebt. Dort hat er 675 Notizbücher mit Texten und Zeichnungen gefüllt. Diese Gedanken wurden jetzt von Kristina Maidt-Zinke herausgegeben und sind unter dem Titel "Toscana mia" erschienen.
So stellt man sich das vor: Was ein wahrer Dichter ist, hat stets ein Notizbuch zur Hand. Wo er geht und steht, schreibt er seine Einfälle nieder, aus jeder noch so kleinen Beobachtung saugt er Honig. Auch der Cartoonist und Heine-Preisträger Robert Gernhardt notierte zeitlebens, was das Zeug hielt und füllte 675 DIN-A-5 große Schulhefte mit mehr als 40.000 Seiten. Sie seien die ästhetische Summe seiner Existenz, schrieb er: "Authentischer als Bilder und Bücher, da sie reine Bewegung sind und kein Ankommen."
Eine Auswahl aus diesem bewegten Arbeitsjournal versammelt nun der von der Literaturkritikerin Kristina Maidt-Zinke posthum herausgegebene Band. Es sind autobiographische Texte, Reime und Reflexionen, Skizzen und Zeichnungen, die seit 1979 an Gernhardts Zweitwohnsitz in der Toskana entstanden. Dort verbrachte er bis zu seinem Tod 2006 die Hälfte des Jahres, dort hatte er viel Zeit zum Schreiben und dort fand er den Stoff für seine Literatur: glanzvolle Satiren auf die ewige Italiensehnsucht der Deutschen wie im Theaterstück "Die Toscana-Therapie" (1987), wie im Erzählband "Kippfigur" (1987) sowie in unzähligen Gedichten.
In "Toscana mia" - der Titel stammt noch von Gernhardt selbst - treffen wir auf einen Zeitgenossen mit gemischten Gefühlen. "Seine" Toskana ist nicht das reine Idyll. Er schwärmt von der Schönheit der Landschaft, aber er beklagt sich über die Verschandelung der Dörfer; er preist die gut gepflegten Felder, den herrlichen Sommer, die Stille und das langsame Leben, aber er verflucht die ackernden Bauern; und ganz und gar Feierabend ist mit dem Jubel, wenn die Lastwagen unablässig zum nahe gelegenen Steinbruch donnern, die Hügelketten während der Dürreperiode "wie ein mottenzerfressener Teppich" aussehen, Oliven und Zypressen unaufhaltsam vor sich hinkränkeln und die deutschen Studienräte aber auch jede abgeschiedene Trattoria entern.
Vor allem seine Landsleute sind dem Hobbyitaliener ein Dorn im Auge. Warum deren Anblick in ihm nur Feindseligkeit hervorruft? Vermutlich das Wissen um die Verwandtschaft, spricht der scharfsinnige Satiriker: "Das alles sind Toscana-Liebhaber wie ich. Also drängt sich die Frage auf, ob an der Geliebten etwas nicht stimmt ... Und: wenn das meine Mitbewerber sind - wer bin dann ich?"
In bewährter Manier richtet Gernhardt den Blick beharrlich auf lästige Zustände und Befindlichkeiten, bis er bei sich selbst ankommt, was der Diagnose ihren vollkommen pädagogikfernen, befreienden Witz verleiht. Das Buch ist voll von solchen, mit leichter Hand dahin geworfenen Selbstbefragungen, in denen der Autor sich immer wieder selbst aufs Korn nimmt: den Kennerblick des Malers und Zeichners Gernhardt etwa, den er zum ersten Mal seit Langem wieder auf die Meisterwerke ("nur Qualität kann Qualität erkennen") in den Uffizien richtet, um lakonisch festzustellen, dass er nichts anderes tut, "als einen allgemein abgesegneten Kanon zur persönlichen Bestenliste zu stilisieren."
Neben maßvoll lustigen Kurzsketchen über "sie" und "ihn" und eheliche Missverständnisse fanden auch jede Menge kalauernde Reime Eingang, wie Gernhardt sie seit jeher kultiviert hat: "Ein Essen unter Pinien, ist dem im Keller vorzuzinien." Daneben gibt es auch Belangloses in diesem Ideensteinbruch, sehr viel über Fauna und Flora, Hunde, Katzen und Gottesanbeterinnen. Selbst wenn hier nicht das gesamte Gernhardtsche Gewicht - in gewohnter Leichtigkeit - auf der Waage steht, eine vergnügliche Entdeckung für seine Liebhaber ist es allemal.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Robert Gernhardt: "Toscana Mia"
S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2011
358 Seiten, 22,95 Euro
Eine Auswahl aus diesem bewegten Arbeitsjournal versammelt nun der von der Literaturkritikerin Kristina Maidt-Zinke posthum herausgegebene Band. Es sind autobiographische Texte, Reime und Reflexionen, Skizzen und Zeichnungen, die seit 1979 an Gernhardts Zweitwohnsitz in der Toskana entstanden. Dort verbrachte er bis zu seinem Tod 2006 die Hälfte des Jahres, dort hatte er viel Zeit zum Schreiben und dort fand er den Stoff für seine Literatur: glanzvolle Satiren auf die ewige Italiensehnsucht der Deutschen wie im Theaterstück "Die Toscana-Therapie" (1987), wie im Erzählband "Kippfigur" (1987) sowie in unzähligen Gedichten.
In "Toscana mia" - der Titel stammt noch von Gernhardt selbst - treffen wir auf einen Zeitgenossen mit gemischten Gefühlen. "Seine" Toskana ist nicht das reine Idyll. Er schwärmt von der Schönheit der Landschaft, aber er beklagt sich über die Verschandelung der Dörfer; er preist die gut gepflegten Felder, den herrlichen Sommer, die Stille und das langsame Leben, aber er verflucht die ackernden Bauern; und ganz und gar Feierabend ist mit dem Jubel, wenn die Lastwagen unablässig zum nahe gelegenen Steinbruch donnern, die Hügelketten während der Dürreperiode "wie ein mottenzerfressener Teppich" aussehen, Oliven und Zypressen unaufhaltsam vor sich hinkränkeln und die deutschen Studienräte aber auch jede abgeschiedene Trattoria entern.
Vor allem seine Landsleute sind dem Hobbyitaliener ein Dorn im Auge. Warum deren Anblick in ihm nur Feindseligkeit hervorruft? Vermutlich das Wissen um die Verwandtschaft, spricht der scharfsinnige Satiriker: "Das alles sind Toscana-Liebhaber wie ich. Also drängt sich die Frage auf, ob an der Geliebten etwas nicht stimmt ... Und: wenn das meine Mitbewerber sind - wer bin dann ich?"
In bewährter Manier richtet Gernhardt den Blick beharrlich auf lästige Zustände und Befindlichkeiten, bis er bei sich selbst ankommt, was der Diagnose ihren vollkommen pädagogikfernen, befreienden Witz verleiht. Das Buch ist voll von solchen, mit leichter Hand dahin geworfenen Selbstbefragungen, in denen der Autor sich immer wieder selbst aufs Korn nimmt: den Kennerblick des Malers und Zeichners Gernhardt etwa, den er zum ersten Mal seit Langem wieder auf die Meisterwerke ("nur Qualität kann Qualität erkennen") in den Uffizien richtet, um lakonisch festzustellen, dass er nichts anderes tut, "als einen allgemein abgesegneten Kanon zur persönlichen Bestenliste zu stilisieren."
Neben maßvoll lustigen Kurzsketchen über "sie" und "ihn" und eheliche Missverständnisse fanden auch jede Menge kalauernde Reime Eingang, wie Gernhardt sie seit jeher kultiviert hat: "Ein Essen unter Pinien, ist dem im Keller vorzuzinien." Daneben gibt es auch Belangloses in diesem Ideensteinbruch, sehr viel über Fauna und Flora, Hunde, Katzen und Gottesanbeterinnen. Selbst wenn hier nicht das gesamte Gernhardtsche Gewicht - in gewohnter Leichtigkeit - auf der Waage steht, eine vergnügliche Entdeckung für seine Liebhaber ist es allemal.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Robert Gernhardt: "Toscana Mia"
S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2011
358 Seiten, 22,95 Euro