"Scham ist nie was richtig Gutes"
Sie glaubte, Mick Jagger sei ihr Vater und Kennedy ihr Onkel: Die Journalistin Christiane Wirtz hatte eine Psychose, die ihr Leben komplett zusammenbrechen ließ. In ihrem Buch "Neben der Spur" schreibt sie über ihre Krankheit.
Mehr als zwei Jahre lang war sie davon überzeugt, dass Mick Jagger ihr Vater ist, John F. Kennedy ihr Onkel und ihre Eltern eigentlich ihre Entführer. Die Journalistin Christiane Wirtz hatte eine Psychose, eine schizophrene Störung, die ihr das Leben "zerbombt" hat. Ihr Wahn führte sie 2015 bis nach Israel, wo sie Benjamin Netanjahu besuchen wollte, den sie für ihren Cousin hielt.
"Ich habe mein letztes Geld abgehoben und mich im Waldorf-Astoria eingebucht. Irgendwann habe ich mich mit dem Taxi zum Büro des Ministerpräsidenten bringen lassen und habe dort zunächst unter dem Vorwand, dass ich ein Interview mit ihm machen möchte, vor den Guards gestanden und das alte Foto herausgezogen, wo Netanjahu und ich abgebildet waren. Die haben schon ein bisschen doof geguckt, und irgendwann kam der Guard zurück, lachte in sich hinein und sagte: Wenn Sie wirklich mit Benjamin Netanjahu verwandt sind, dann können Sie ihn ja in seinem Privathaus besuchen. Das habe ich mich dann aber nicht getraut."
Job weg, Freunde weg, Wohnung weg
Christiane Wirtz verliert ihren Job, ihre Freunde, ihre Wohnung und landet in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik. Nach der Entlassung bekommt sie ihr Leben Stück für Stück wieder in den Griff, nimmt Medikamente, sucht sich eine neue Wohnung, findet einen neuen Job und schreibt ein Buch über ihre Krankheit - veröffentlicht unter ihrem eigenen Namen.
"Irgendwie dachte ich, ich mach das mal, das wird jetzt für ein paar Jahre vornehmlich mit meinem Namen verbunden sein. Ich dachte, das ist total sinnvoll. Ich habe aus Gründen, die mit der Krankheit zu tun haben, letztlich keine Kinder bekommen. Man sucht nach Lebenssinn und das ist was, wo ich was beitragen kann. Das hat sich in meinem Leben ergeben und ich dachte: Es wäre toll, wenn du jetzt mit dem Buch die Gelegenheit beim Schopf packst und da was machst."
"Sie haben das Gefühl, sie müssen sich schämen"
Sie hatte bisher fünf Psychosen, die alle unterschiedlich verliefen. Die letzte war die längste. Der offene Umgang mit der Erkrankung hilft ihr und - so hofft sie - auch anderen, diese besser zu verstehen.
"Es belastet viele Betroffene, dass sie damit nicht offen umgehen können, dass sie immer das Gefühl haben, sie müssen sich schämen oder in die Ecke stellen und denken: Ich kann das nicht sagen. Ich habe das ja auch nicht gesagt. Obwohl ich relativ offen damit umgegangen bin, habe ich es immer so ein bisschen verbrämt. Ich habe nicht hundertprozentig gesagt: Diagnose Schizophrenie und Psychosen. Scham ist nie was richtig Gutes, weder für den Betroffenen noch insgesamt für die Gesellschaft."
Heute berät Christiane Wirtz als Coach Menschen in Lebenskrisen. Spezialisiert hat sie sich auf Psychose-Patienten.