Die Feierabend-Schwestern
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Evangelische Diakonissen stellen ihr Leben in den Dienst von Gott und am Nächsten. Sie bleiben meist unverheiratet und kinderlos. Viele von ihnen erreichen ein hohes Alter. Können sie ein gutes Vorbild für das Älterwerden sein?
Sie wirken wie aus der Zeit gefallen: Im brandenburgischen Kloster Lehnin sitzen die evangelischen Diakonissen Gaby, 66, Hannelore, 74, und Roswitha, 76 Jahre, in einer fröhlichen Kaffeerunde im Schwesternhaus zusammen. Sie tragen eine weiße Haube auf dem Kopf und graue Kleider mit weißen Kragen.
"Zu Feiertagen haben wir blaue Kleider", erzählt Schwester Hannelore. "Und dann haben wir hellgraue und dunkelgraue für den Werktag. Ich trage das gern. Ich habe auch keine Gelüste, da mal Zivil anzuziehen. Ich habe das schon immer gerne angezogen. Vom ersten Tag an."
Die Bezeichnung Diakonisse kommt vom Wort Dienen. "Dienet einander! Nehmt Euch an der armen, kranken und alten Menschen!", lautete das Motto der Lehniner Schwesternschaft bei ihrer Gründung 1911. Während katholische Nonnen die Zustimmung des Kirchenoberhauptes brauchten, um den Orden zu verlassen, seien sie in Abstimmung mit ihrem Mutterhaus frei gewesen zu gehen, erklären die evangelischen Diakonissen den Unterschied.
Schwester Hannelore kam in den 60er-Jahren aus Halle nach Lehnin. Sie legte bei ihrer Einsegnung als Diakonisse das Gelöbnis ab, ein Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam zu führen. In Lehnin arbeitete sie bis zu ihrem Ruhestand als Stationsschwester. Der einzige Schmuck, den sie trägt, ist ein buntes Kreuzsymbol an einer silbernen Kette.
"Wir hatten erst ein richtiges großes Kreuz", erzählt Schwester Hannelore. "Und die Oberin wollte, dass wir ein neues Zeichen haben. Und da haben sie eine Designerin in Potsdam beauftragt, und die hat das entworfen – eigentlich mit uns zusammen. Und da sind wir schon so oft angesprochen worden."
Auf dem Anhänger wächst ein Kreuz aus einer Wurzel. Dahinter leuchten die Farben Rot, Grün, Blau und Gelb. Sie passen gut in diese brandenburger Landschaft: Jenseits der Klostermauern liegen weite Wiesen, durch die sich ein Fluss schlängelt.
Hier, wo im 12. Jahrhundert Zisterziensermönche das Land urbar machten, betreibt heute die evangelische Diakonie verschiedene Einrichtungen: Ein Krankenhaus, eine Altenpflege-Station, eine Behinderten-WG, ein Hospiz, eine Kita und das Schwesternhaus gruppieren sich um die alte Klosterkirche. Manchmal erklingen dort die alten Gesänge der Zisterzienser, gesungen von der Lehniner Choralschola.
"Nicht rauchen, nicht trinken, früh ins Bett gehen"
In den 20er-Jahren lebten im Kloster Lehnin rund 120 Frauen. Im nahegelegenen Wald befindet sich der Diakonissen-Friedhof. Die erste Diakonisse wurde hier 1913 bestattet, die letzte im Dezember 2019 im Alter von 90 Jahren. Derzeit sind noch fünf Diakonissen übrig, die ihre betagte Alt-Oberin pflegen. Wie erklären sie, dass viele von ihnen ein gesegnetes Alter erreichen?
Schwester Hannelore: "Nicht rauchen, nicht trinken, früh ins Bett gehen. Arbeiten gehen. Ich denke, das sind alles so Punkte. Man wird von der Arbeit nicht krank. Das haben wir zwar auch manchmal gedacht, aber das ist nicht so."
Rund 1600 Diakonissen gibt es heute noch in Deutschland – den Zahlen des Kaiserswerther Verbandes zufolge. Er vertritt 65 Diakonieunternehmen wie das in Lehnin. Die Geschäftsstelle in Berlin leitet die österreichische Pfarrerin Christa Schrauf. Sie meint:
"Also, die klassische, ursprüngliche Form der Diakonisse, wie sie im 19. Jahrhundert ihren Anfang genommen hat und zu einer großen Bewegung geworden ist und zirka hundert Jahre eine große Dimension hatte, die ist vorbei."
Diakonissen als Vorbilder – mit einigen Ausnahmen
Die meisten Diakonissen sind heute im Ruhestand, den man Feierabend nennt. Für Geschäftsführerin Christa Schrauf sind diese Frauen auch ein Modell der Emanzipation gewesen:
"Diakonissen waren in sämtlichen leitenden Funktionen tätig. Sie haben in den Krankenhäusern Abteilungen geleitet, die Leitung der Kinderstation oder des OP gehabt. Sie haben Kitas geleitet und auch beigetragen zur Entwicklung von Frauenberufsbildern."
Diakonissen arbeiteten auch in Kinderkur- und Erholungsheimen. Dort muss es zum Teil sehr streng zugegangen sein. Derzeit sieht sich die Diakonie Deutschland mit Beschwerden konfrontiert. Menschen, die in den 50er- bis 70er-Jahren als Kinder in solchen Heimen waren, die staatlich, privat oder eben von der Diakonie geführt wurden, beklagen Methoden der "Schwarzen Pädagogik". Arbeitsgruppen ermitteln jetzt das Ausmaß der möglichen Missstände.
Wunschlos glücklich auch ohne Geld
Im Henriettenstift in Hannover leben heute noch acht Diakonissen. Im Foyer erinnern der Nachbau der alten Hostienbäckerei und einige Schautafeln an ihr Wirken. Hunderte von Frauen leisteten in der Kranken- und Altenpflege ihre Arbeit, für die es kein Gehalt, sondern nur ein Taschengeld gab.
"Ich bin wunschlos glücklich", sagt Schwester Inge. Sie lebt hier seit mehr als 50 Jahren als Diakonisse. Die freundliche Seniorin trägt eine weiße Schleifenhaube. Weil die unter dem Kinn gebunden wird, wurde sie früher spöttisch "die Kussbremse" genannt. Nach ihrer Ausbildung als Krankenschwester hatte Schwester Inge eine Leitungsfunktion in einem Altenpflegeheim. Neben freier Kost und Logis bekommt sie bis heute ein Taschengeld. Das betrage 275 Euro im Monat, erzählt Schwester Inge:
"Alles andere trägt das Mutterhaus: unsere Tracht, also unsere Kleidung, Essen und Trinken ist alles abgedeckt. Wir brauchen an keine Versicherung was abzugeben. Da ich aber gar nicht so viel nötig habe, habe ich so einige Institutionen, die ich mit Geld unterstütze: Und das ist zum Beispiel die Christoffel-Blindenmission und die Brüder-Unität, die also die Losungen herausgeben, und an das Deutsche Rote Kreuz und an die Kindernothilfe."
Die 82-Jährige läuft leichtfüßig wie ein junges Mädchen durch den langen Flur des Mutterhauses in Hannover. Ihre gute gesundheitliche Verfassung führt sie auf die Gemeinschaft mit den Schwestern zurück – und auch darauf, dass sie nie den Ort wechseln musste:
"Es ist ein Erscheinungsbild der Zeit, und die Zeit ist einfach vergangen. Und die ganze Einstellung der jungen Leute hat sich auch so verändert. Ich bin auch oft gefragt worden nach meinem Weg, und dann sagten diese jungen Menschen immer: Tja, aber so fürs ganze Leben sich festlegen, das ist doch schwierig. Ich sage, mir hat das nichts ausgemacht. Aber ich kann auch verstehen, wenn sie da anders denken."
Diakonische Schwestern und Brüder können Familien gründen
Christa Schrauf vom Kaiserswerther Verband gesteht, dass sie als junge Frau dem Lebensmodell der alten Diakonissen nicht viel abgewinnen konnte. Das habe sich geändert:
"Unter anderem dieser regelmäßige Tagesablauf, dieses Eingebundensein in diese Glaubensgemeinschaft, die Rituale, die spirituelle Dimension, das wirkt sich natürlich auf das Lebensalter aus – vor allem in einer Zeit, wo Vereinzelung und auch Vereinsamung leider ein größer werdendes Thema in unseren Gesellschaften ist."
Neben der alten Form der Diakonisse gibt es die neuere Form der diakonischen Schwester oder des diakonischen Bruders. So kann kann privat wohnen, eine Familie gründen – und trotzdem der Glaubensgemeinschaft eines Mutterhauses angehören.
Kraft schöpfen durch Angebote zur Stille
Anders als in Lehnin oder Hannover wird im evangelischen Diakonissenmutterhaus in Bremen noch regelmäßig eine Mittagsandacht gehalten. Hier treffen sich zumeist die fünf verbliebenen Schwestern, eine diakonische Schwester und ihre Oberin. Als Schwester Christa 1961 mit 23 Jahren hier einzog, gab es noch rund 200 Diakonissen. Sie erinnert sich gern an ihre Arbeit als Ausbilderin von Krankenschwestern. Hat sie es jemals bereut, keine eigenen Kinder zu haben?
Schwester Christa: "Es ist kein Mann gekommen, wo ich hätte sagen können, dafür lohnt sich das Austreten. Ist mir einfach keiner begegnet. Ich kann auch bis heute gut alleine sein."
Auch die Schwestern in Bremen gehören zu den Letzten ihrer Zunft. Die Jüngste unter ihnen ist mit 62 Jahren Schwester Elisabeth: Sie schätzt an der aussterbenden Lebensform der Diakonisse vor allem eins:
"Es könnte sein, dass wir im Vergleich zu anderen Menschen vielleicht ein bisschen mehr Kraft schöpfen können, weil wir Angebote haben, zur Stille zu kommen, während andere vielleicht diskutieren und kommen nicht zur Ruhe oder sie streiten sich. Wir können viele Situationen vor Gott bringen, erst mal im Gebet. Und wir können uns innerlich wieder sortieren, auch um wieder nächsten Tag, dass man sagt: Es gibt immer wieder ein Morgen!"