Verwendete Literatur:
- Heinrich Mann: "Ein Zeitalter wird besichtigt." (= Gesammelte Werke Bd. 24)Berlin und Weimar 1922
- ders.: "Die ersten zwanzig Jahre. Fünfunddreißig Zeichnungen." Berlin und Weimar 1986
- Willi Jasper: "Der Bruder Heinrich Mann. Eine Biographie." Frankfurt am Main 1994
- Klaus Schröter: "Heinrich Mann in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten." Reinbek bei Hamburg 1975
Heinrich Mann und sein Lübeck
Das Theater, die Matrosen, der "Millionengestank" der großbürgerlichen Nachbarschaft: Heinrich Manns Kindheit und Jugend waren stark von der Atmosphäre der Hansestadt Lübeck geprägt. Auch wenn Heinrich, der Träumer, diese früh verließ.
"Man kennt meine Herkunft ganz genau aus dem berühmten Roman meines Bruders."
Ist das Neid? Als Heinrich Mann diesen Satz 1904 schreibt, erlebt sein Bruder Thomas mit den "Buddenbrooks" gerade den ganz großen Durchbruch. Vielleicht ist es weniger Neid als Schock. Denn die Geschichte über Aufstieg und Fall der Kaufmannsfamilie aus Lübeck, das ist ja auch seine, Heinrich Manns Geschichte. Oder wie er es in seiner Autobiografie formulieren wird:
"Wenn ich mir die Ehre beimessen darf, habe ich an dem berühmten Buch meinen Anteil gehabt; einfach als Sohn desselben Hauses, der auch etwas beitragen konnte zu dem gegebenen Stoff."
Heinrich Mann hat die Kindheit in Lübeck genauso geprägt wie seinen Bruder. Aber der ältere verarbeitet sie nicht in dem einen, großen Roman, sondern kleinteiliger. Erlebnisse und Personen seiner hanseatischen Heimat tauchen überall in den Romanen auf, gleichsam wie Skizzen. Das ist sogar wörtlich zu verstehen. Denn viel später, im amerikanischen Exil, als über 70-Jähriger, zeichnet Heinrich Mann seine Kindheitserlebnisse.
Auf diesen 35 Blättern hält er mit Bleistift Szenen aus Lübeck und Travemünde fest: ein Spaziergang mit dem Kinderfräulein über den Markt, besoffene Matrosen, die aus Kneipen purzeln, der erste Besuch im Bordell. Dieses Erlebnis wird den Schriftsteller später zu seinem berühmtesten Roman inspirieren, Professor Unrat, verfilmt als Der Blaue Engel mit Marlene Dietrich als verruchter Lola in der Hauptrolle.
"Millionengestank" zwischen Aktienmarkt und Musentempel
Als Heinrich 11 Jahre alt ist, verlassen die Manns ihr "Buddenbrookhaus" in der Mengstraße 4 und ziehen zwei Straßen weiter. Der Vater, Kaufmann durch und durch, hat es jetzt noch näher zur Börse. Aber auch zum Theater. Diese unmittelbare Nachbarschaft von Aktienmarkt und Musentempel verspottet der Gymnasiast Heinrich als "Millionengestank".
Das Theater oder besser gesagt: die Schauspielerinnen haben es dem Jungen angetan. Ein magischer Ort, von dem sein Kindermädchen Mine berichtet, es würden dort abends "Dinge geschehen". Mit Heinrich dagegen geschieht erst mal nichts. Zumindest nicht das, was sein Vater für ihn plant. Der erkennt schnell: Als Stammhalter taugt der Träumer nix. Kann ja nicht mal die Straßennamen! Der Jüngere, der Thomas, der soll das Geschäft weiterführen, Heinrich dagegen lieber Bürgermeister werden. Darunter macht es Senator Mann nicht.
Aber Klein-Heinrich spielt auch hier nicht mit. Mit 18 bricht er das Gymnasium ab, verlässt Lübeck und beginnt in Dresden eine Lehre als Buchhändler. Für den Vater eine mittlere Tragödie. Für die Literaturgeschichte ein Riesenglück. Und auch hier spielt die Heimatstadt Lübeck eine wichtige Rolle: Heinrich Manns allererstes literarisches Werk erscheint in der "Lübeckischen Zeitung". 1890, da ist er 19 Jahre alt.