Dichter der Apokalypse
Zwar studierte der 1887 geborene Georg Heym Jura, doch sein eigentliches Interesse galt seit jeher der Literatur. Also wurde Heym Schriftsteller, und rief in seinen Gedichten das "Weltende" zum Programm aus. Damit brachte er ein Grundgefühl zum Ausdruck, das eine ganze Generation von Jugendlichen bewegte.
"Welch ein Verlust! Doch warum, fragten wir uns, hat ihm die 'Vossische' keinen Nachruf geschrieben? Nur die Kurzmeldung: 'Am Dienstag Nachmittag gerieten beim Schlittschuhlaufen der Referendar Dr. Georg Heym und der Cand. jur. Ernst Balcke gegenüber von Kladow in eine offene Stelle, die für Wasservögel in die Eisdecke geschlagen worden war'."
Günter Grass widmet in seiner Chronologie "Mein Jahrhundert" die Jahreszahl "1912" dem Tod Georg Heyms am 16. Januar und klagt:
"Nichts über die innere Not unserer schon damals verlorenen Generation. Nichts über Heyms Gedichte."
1887 als Sohn eines Kaiserlichen Militäranwalts in Schlesien geboren, quält Heym schon früh die Kälte seiner Zeit. Die Schule bezeichnet er im Tagebuch als eine grässliche Verwahranstalt, wo der "Verderb" des Geistes wütet und jegliche Fantasie im Keim erstickt wird. In Würzburg, Jena und Berlin fühlt der Jurastudent sein Dasein zwischen Stammtisch und Mensurgeschichten vergeudet. Die preußischen Staatsdiener erscheinen ihm wie "Spucknapfhalter", die ihre Söhne für das Militär und die Amtsstube abrichten.
"Ich habe solchen Trieb, etwas zu schaffen ... solche Gesundheit, etwas zu leisten"
Notiert der 23-Jährige im Tagebuch.
"Mein Gehirn rennt immer im Kreise herum wie ein Gefangener, der an die Kerkertür haut."
In Gedichten, in der Prosa und den dramatischen Skizzen entwirft Heym düstere Visionen der Entfremdung und Entgrenzung. Im Zentrum stehen Prozeduren körperlicher wie seelischer Gewalt. Doch Heym stimmt nicht in den Tenor der expressionistischen Epoche ein: er ist ihr Repräsentant. Der Verleger Kurt Wolff nannte ihn einen "deutschen Baudelaire". In seinen Großstadtgedichten, vor allem in den Berliner Sonetten, begründet er neben Jakob van Hoddis, Rilke und Brecht ein neues Genre.
"Der Gott der Stadt
Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land verirrn."
Bilder der Apokalypse bestimmen Heyms expressionistische Dichtung. Seine Untergangs- und Todesvisionen trägt er 1910 im "Neopathetischen Cabaret" mit robuster Stimme vor, so dass manchem der Atem stockt. Heyms Verzicht auf das lyrische Ich tritt als Ich-Verlust des modernen Subjekts schmerzhaft hervor. In grotesken Überzeichnungen macht er die Verwesung zum Mythos der Dichtung.
"Ophelia
Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht."
Verfolgt von der bangen Ahnung des "Niegelingens", fühlt Heym sich Dichtern verwandt, die wie er ein zerrissenes Herz haben: Kleist, Grabbe, Hölderlin, Büchner, Rimbaud. Als 1911 die von Ernst Rowohlt edierte Gedichtsammlung "Der ewige Tag" erscheint, zeigt sich die Mutter von den poetischen Neigungen des Sohnes enttäuscht.
"Du hast keine edle Seele. Sowas kann ich nicht lesen ... Goethe und Schiller haben doch auch anders gedichtet."
"Der ewige Tag" bleibt der einzige zu Lebzeiten des Dichters publizierte Lyrikband. Noch im Todesjahr erscheinen weitere Gedichte unter dem Titel "Umbra vitae".
Am 24. Januar 1912, acht Tage nach seinem Tod, wird Heym auf dem evangelischen Friedhof der Luisengemeinde Berlin beigesetzt. Er war am 20. Januar endlich aus dem Eis geborgen worden. Den Leichnam des Freundes Ernst Balcke fand man erst Tage später. 1942, nach Ablauf der Liegefrist, wurde Heyms Grab eingeebnet. In einem Tagebucheintrag von 1910 hatte er verfügt:
"Auf meinem Grabstein soll einmal nichts anderes stehen als
KEITAI
Keine Namen, nichts. Keitai. Er schläft, er ruhet aus."
Seine Worte sind seit 2009 auf einem neuen Grabstein zu lesen.
Günter Grass widmet in seiner Chronologie "Mein Jahrhundert" die Jahreszahl "1912" dem Tod Georg Heyms am 16. Januar und klagt:
"Nichts über die innere Not unserer schon damals verlorenen Generation. Nichts über Heyms Gedichte."
1887 als Sohn eines Kaiserlichen Militäranwalts in Schlesien geboren, quält Heym schon früh die Kälte seiner Zeit. Die Schule bezeichnet er im Tagebuch als eine grässliche Verwahranstalt, wo der "Verderb" des Geistes wütet und jegliche Fantasie im Keim erstickt wird. In Würzburg, Jena und Berlin fühlt der Jurastudent sein Dasein zwischen Stammtisch und Mensurgeschichten vergeudet. Die preußischen Staatsdiener erscheinen ihm wie "Spucknapfhalter", die ihre Söhne für das Militär und die Amtsstube abrichten.
"Ich habe solchen Trieb, etwas zu schaffen ... solche Gesundheit, etwas zu leisten"
Notiert der 23-Jährige im Tagebuch.
"Mein Gehirn rennt immer im Kreise herum wie ein Gefangener, der an die Kerkertür haut."
In Gedichten, in der Prosa und den dramatischen Skizzen entwirft Heym düstere Visionen der Entfremdung und Entgrenzung. Im Zentrum stehen Prozeduren körperlicher wie seelischer Gewalt. Doch Heym stimmt nicht in den Tenor der expressionistischen Epoche ein: er ist ihr Repräsentant. Der Verleger Kurt Wolff nannte ihn einen "deutschen Baudelaire". In seinen Großstadtgedichten, vor allem in den Berliner Sonetten, begründet er neben Jakob van Hoddis, Rilke und Brecht ein neues Genre.
"Der Gott der Stadt
Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land verirrn."
Bilder der Apokalypse bestimmen Heyms expressionistische Dichtung. Seine Untergangs- und Todesvisionen trägt er 1910 im "Neopathetischen Cabaret" mit robuster Stimme vor, so dass manchem der Atem stockt. Heyms Verzicht auf das lyrische Ich tritt als Ich-Verlust des modernen Subjekts schmerzhaft hervor. In grotesken Überzeichnungen macht er die Verwesung zum Mythos der Dichtung.
"Ophelia
Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht."
Verfolgt von der bangen Ahnung des "Niegelingens", fühlt Heym sich Dichtern verwandt, die wie er ein zerrissenes Herz haben: Kleist, Grabbe, Hölderlin, Büchner, Rimbaud. Als 1911 die von Ernst Rowohlt edierte Gedichtsammlung "Der ewige Tag" erscheint, zeigt sich die Mutter von den poetischen Neigungen des Sohnes enttäuscht.
"Du hast keine edle Seele. Sowas kann ich nicht lesen ... Goethe und Schiller haben doch auch anders gedichtet."
"Der ewige Tag" bleibt der einzige zu Lebzeiten des Dichters publizierte Lyrikband. Noch im Todesjahr erscheinen weitere Gedichte unter dem Titel "Umbra vitae".
Am 24. Januar 1912, acht Tage nach seinem Tod, wird Heym auf dem evangelischen Friedhof der Luisengemeinde Berlin beigesetzt. Er war am 20. Januar endlich aus dem Eis geborgen worden. Den Leichnam des Freundes Ernst Balcke fand man erst Tage später. 1942, nach Ablauf der Liegefrist, wurde Heyms Grab eingeebnet. In einem Tagebucheintrag von 1910 hatte er verfügt:
"Auf meinem Grabstein soll einmal nichts anderes stehen als
KEITAI
Keine Namen, nichts. Keitai. Er schläft, er ruhet aus."
Seine Worte sind seit 2009 auf einem neuen Grabstein zu lesen.