"Poesie ist ein Grundbedürfnis"
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Jan Wagners Gedichte handeln von Konkretem: vom Giersch, von Servietten, Eseln und ab und zu von Menschen. Wagner wurde nicht nur mit den höchsten Literaturpreisen geehrt, seine Poesie voller Sprachkunst und Humor steht sogar auf den Bestseller-Listen.
Seine Liebe zur Sprache entdeckte er in der großen Bibliothek seiner Eltern. Jan Wagner wuchs mit Büchern auf und verschlang alles von den Klassikern bis hin zur zeitgenössischen Literatur. Eine wichtige Rolle spielte aber der Garten des Hauses in Ahrensburg, wo er aufwuchs. Dort konnte er nicht nur dem seltenen Doldenblütler Giersch, Mittelpunkt eines seiner bekanntesten Gedichte, beim Wachsen zusehen. Die Kunst liegt für ihn darin, im scheinbar Alltäglichen, die großen Themen zu entdecken:
"Gedichte fangen mit allem möglichen an, mit einem Wort, einem Unkraut, einer Säge, einer Matratze, einem winzigen Gegenstand, weil es eben so ist, dass in diesem winzigen Gegenstand alles andere enthalten sein kann. Und im Giersch ist eben nicht nur die Gier enthalten, sondern auch ein Nachdenken über Umsturz, über Wiederstand und so weiter."
Die kindliche Freude beim Spiel mit Wörtern
Es sei die Freude am Spiel und die Freude am Jonglieren mit Worten und Klängen, die ihn, der mit 14 Jahren seine ersten Gedichte schrieb, nie losgelassen habe: "Diese rein kindliche Freude, die jeder kennt, wie es ist, mit Wörtern zu spielen und das macht Gedichte auch aus, dass man genau da weiter macht, wo Kinder vielleicht aufhören."
Der heute 47-Jährige ist für seine Werke mit zahlreichen Preisen bedacht worden, unter anderem mit dem Büchner-Preis für sein Gesamtwerk. Für den Band "Regentonnenvariationen" bekam er 2015 den Preis der Leipziger Buchmesse und war damit der erste Lyriker unter den Preisträgern. Und nicht nur dieses Buch von ihm schaffte es auf die Bestsellerlisten.
"Dichtung ist etwas höchst Lebendiges"
Wer glaubt, dass Dichtung eher etwas gestriges ist, täuscht sich, so Wagner:
"Vielleicht rechnet man gar nicht mehr damit, dass überhaupt Menschen existieren, die Gedichte schreiben. Man denkt immer dass es etwas ist, das mal getan wurde. Die Wahrheit ist, dass es eine Vielzahl von Dichterinnen und Dichtern gibt, gerade jüngere, gibt, die hervorragende Gedichte schreiben. Also Dichtung ist etwas höchst Lebendiges."
Er ist fest davon überzeugt, dass jeder Mensch Gedichte braucht und jeder sie ohne besondere Vorbildung verstehen kann:
"Man muss nicht wissen, was ein Sonett ist. Gedichte sollten sofort sprechen zur Leserin, zum Leser. Man muss nicht studiert haben und die ganzen Formen kennen. Gedichte sind etwas Essentielles und Poesie ist, glaube ich, ein Grundbedürfnis, das jeder kennt."
Eine große Geschichte in zehn Zeilen
Jan Wagner ist froh, wenn es ihm gelingt, im Monat zwei Gedichte zu schreiben: "Ich schreibe sehr viel am Tag und kritzel in mein Notizbuch und so entstehen vielleicht ein oder zwei Zeilen am Tag. Und wenn ich Glück habe entsteht eine Strophe."
Der studierte Anglist arbeitet aber auch als Übersetzer, Herausgeber und Prosaautor. "Beiläufige Prosa" heißt zum Beispiel ein Band mit Reden und Texten von ihm, der im vergangen Jahr erschien. "Ich schreibe Prosa, aber das ist nicht die Hauptsache für mich, weil ich es viel bezaubernder finde, wenn man nur zehn Zeilen braucht, um eine große Geschichte zu erzählen. Ich werde also bei Gedichten bleiben und weiterhin beiläufige Prosa schreiben."