Dichtung und Wahrheit

Damian Dombrowski im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Lange Zeit prägte die Biografie von Giorgio Vasari aus dem 16. Jahrhundert das Bild des Malers Botticelli. Diese Vita war allerdings sehr manipulativ, meint der Kunsthistoriker Damian Dombrowski. Botticelli starb heute vor 500 Jahren in Florenz.
Liane von Billerbeck: Giorgio Vasari hat in der Mitte des 16. Jahrhunderts, am Ende der Renaissance, die europäische Kunstgeschichte begründet, könnte man sagen. Denn ohne seine Erzählungen wüssten wir kaum etwas von den Künstlern Italiens dieser Zeit. Seine Lebensberichte, Bildbeschreibungen und Anekdoten haben das Bild von der italienischen Kunst geprägt. Jedoch – sind seine Künstlerbiografien eigentlich historisch korrekt und wie objektiv ist Vasaris Blick auf Kunst und Künstler tatsächlich? Im Wagenbach Verlag ist gerade eine neue Reihe erschienen, die Edition "Giorgio Vasari", neu übersetzt und kommentiert unter anderem von meinem Gesprächspartner, von Professor Damian Dombrowski. Er ist Kunsthistoriker an der Universität Würzburg und hat sich in diesem Band mit Vasaris Text über Botticelli befasst. Herr Professor Dombrowski, schönen guten Tag!

Damian Dombrowski: Guten Tag, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: Giorgio Vasari war der Biograf italienischer Renaissancekünstler, darunter Leonardo, Raffael und Michelangelo. Wie hat er recherchiert?

Dombrowski: Vasari hat auf eine Weise recherchiert, die uns heute noch staunen macht. Er kann unmöglich alle diese Informationen ganz alleine zusammengetragen haben, denn er hatte ja noch eine Fülle weiterer Aufgaben. Es war ja nicht sein Hauptberuf, Künstlerbiograf zu sein, sondern er war ja auch im Dienste Cosimos de' Medici, dem Herzog von Toscana, Hofarchitekt, Hofmaler, hat große Programme entworfen, Dekorationen gestaltet für Festlichkeiten und so weiter und so fort. Das war im Grunde nur ein Nebenprogramm, das aber das Wichtigste für uns geworden ist, nämlich die Viten der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten. Ich habe mich mit der Botticelli-Vita ja etwas näher beschäftigt, wie Sie eben schon gesagt haben. Und da wissen wir dank der Forschungen von Richard Stapleford, dass Vasari ganz offensichtlich auf Vorarbeiten zurückgegriffen hat, darin stehen vor allem nackte Zahlen oder beziehungsweise die Titel der Werke, wo sie sich befinden ... Das, was Sie eben als Erzählungen bezeichnet haben, das ist tatsächlich der literarischen Ader Vasaris geschuldet, der eben aus diesen Informationen und aus älteren, die sich in einer weiteren Quellensammlung befanden und die noch erratischer sind, aus diesem Material hat Vasari also zum Teil echte Geschichten geformt. Es ist in der Tat so, dass wir über die Künstler vor Vasari kaum etwas wüssten, hätten wir nicht diese Viten.

von Billerbeck: Was hat er mit seinen Lebensberichten für ein Ziel verfolgt?

Dombrowski: Dieses Ziel ist recht klar erkennbar: Vasari strebte danach, die Toscanische Kunst, insbesondere die Florentiner, aber überhaupt insgesamt die Kunst des neuen Flächenstaates Toscana, der ja gerade erst entstanden war, die Toscanische Kunst als den Gipfel der italienischen, ja der Weltkunst überhaupt darzustellen. Er wollte also die Kunstgeografie ganz bewusst beeinflussen und ...

von Billerbeck: ... und er wollte vielleicht die Medici, seinen Herrn gut dastehen lassen?

Dombrowski: Ganz genau. Er bindet zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt (die Medici stellen sich ja erst im Laufe des 15. Jahrhunderts als das führende Geschlecht in Florenz und dann später in der ganzen Toscana heraus), aber er bindet die Künstlerbiografien sehr häufig an diese Familie, selbst wenn Bindungen der jeweiligen Künstler an die Medici gar nicht nachzuweisen sind. Er legt also diese Viten als Entwicklungsgeschichte an mit einer teleologischen Grundierung. Das bedeutet, die Kunst führt auf ein Ziel hin, auf einen Höhepunkt zu, und dieser Höhepunkt ist bei ihm ganz klar identifiziert mit der Figur Michelangelo.

von Billerbeck: Er hat in einem Text, das habe ich in der Vorbereitung gelesen, Michelangelo den Göttlichen genannt. Könnte man also sagen, Herr Professor Dombrowski, dass Vasari auch eine Art Visionär war, der durchaus einschätzen konnte, welcher Künstler wirklich überdauern würde?

Dombrowski: Das war bei Michelangelo nicht besonders schwierig, denn er ist als divino, als Göttlicher, bereits zu Lebzeiten tituliert worden. Das war also, das war jedem klar, dass dies ein überragender, ein Jahrhundertkünstler ist. Aber das Entscheidende ist eben, dass Michelangelo am Ende dieses Stammbaumes steht. Er sagt an einer Stelle der Michelangelo-Vita sogar, dass man jetzt fürchten müsse (und jetzt meint eben 1550, als die erste Ausgabe der Viten erschien), dass man jetzt fürchten müsse, dass es mit der Kunst nicht weiter bergauf gehen, sondern praktisch nur noch bergab gehen kann.

von Billerbeck: Das heißt, der Gipfel ist erreicht.

Dombrowski: Der Gipfel ist erreicht, und das ist tatsächlich aus dieser Zeile, da unterläuft ihn mal so etwas wie Kulturpessimismus, eine Haltung, von der Vasari sonst eigentlich gar nicht so besonders angekränkelt ist.

von Billerbeck: Interessant ist ja, dass die Forschung Vasari lange für bare Münze genommen hat, denn seine Biografien haben ja die Kunstgeschichte stark beeinflusst. Wann hat man denn nun angefangen, seine Berichte zu bezweifeln und zu überprüfen?

Dombrowski: Als die großen Archivforschungen begannen, so im späten 19. Jahrhundert, Eugène Müntz und Herbert Horne und so weiter, die durch die Florentiner Archive gegangen sind. Da begann man dann auch, Vasari in einem kritischeren Licht zu sehen. Man hatte ja sonst an Quellen publiziert im Grunde nur Vasari. Das andere lag ja alles nicht vor, das schlummerte noch in Archiven, in die sich noch niemand hineintraute. Und dann so um 1900 begann das wirklich, oder auch schon im späten 19. Jahrhundert, begann das mit Macht dann aufgearbeitet zu werden, und dann wurde Vasari erst mal als der große Betrüger und Lügner dargestellt. Mittlerweile ist man da zu einer ausgewogeneren Einschätzung gelangt, vor allem auch, was die literarische Leistung angeht.

von Billerbeck: Wie Giorgio Vasari mit seinen Künstlerbiografien das Bild der Renaissancekünstler prägte, darüber sprechen wir mit dem Kunsthistoriker Damian Dombrowski, Professor an der Universität Würzburg. Heute ist ja der 500. Todestag des Malers Sandro Botticelli, der sicherlich zu den populärsten Künstlern aller Zeiten gehört. Sie haben sich in dem Band, der gerade bei Wagenbach über Vasari erschienen ist, mit Botticelli und mit dem Text von Vasari über Botticelli befasst. Warum widmet sich Vasari diesem Künstler nicht intensiver – denn dessen Lebensgeschichte über Botticelli umfasst ja nur wenige Seiten. Mochte er ihn nicht?

Dombrowski: Das ist eine der kürzeren Viten ist, ist richtig. Es ist aber gleichzeitig eine der Viten, die die intensivste Wirkungsgeschichte hatten, denn bei kaum einem anderen Künstler hat Vasaris Vita so sehr das Bild eines Künstlers bestimmt wie eben bei Botticelli. Er zeichnet das Leben Botticellis eigentlich als eine große moralische Kurve: Ein Künstler, der mit Begabung gesegnet ist, der dann aber, als er in Rom für den Papst arbeitet (Botticelli hat ja in der Sixtinischen Kapelle mitgemalt), den gerade erworbenen Verdienst einfach so wieder ausgibt, statt schön zu sparen, ein guter Haushälter zu sein, und dann auch noch ins Fahrwasser eines Sektenpredigers gerät, nämlich Savonarolas – das konnte Vasari also nicht tolerieren, jedenfalls also in dieser Darstellung, die er seinem Lebensbericht zu Grunde legt. Diese Vorbehalte gegen Botticelli sind wahrscheinlich ästhetisch begründet, denn Botticelli war ein Maler, mit dem Vasari, zumindest was seine zweite Schaffenshälfte angeht, nicht viel anfangen konnte. Er fällt aus Vasaris Entwicklungsmodell heraus. Er entwickelt einen sehr verstiegenen Stil in den Jahren nach dem Tode Lorenzos de' Medici und weil dieser Stil so eigenartig ist, hat man dann gerne Vasaris Worten geglaubt, die also besagen, Botticelli sei unter die Räder des Sektierertums geraten, sei zu einem Anhänger Savonarolas geworden und habe sogar aufgehört zu malen. Das wird heute allerdings völlig anders gesehen, man weiß mittlerweile, dass Botticelli der Maler war, der durch die geistigen und auch wirtschaftlichen Krisen, durch die Florenz im späten 15., frühen 16. Jahrhundert ging, noch am besten sich hindurchmanövrierte. Er verfügte fast bis zu seinem Tode über eine große Werkstatt – also von wegen, hat nicht mehr gemalt! – und war also auch eine der produktivsten Werkstätten dieser Zeit.

von Billerbeck: Ihr Kollege, der Kunsthistoriker Ulrich Rehm, nennt ja Vasaris Botticelli-Biografie hochgradig manipulativ. Wieso hat das so lange gedauert, bis man darauf gekommen ist, dass Vasari da eben sein eigenes Bild, das von sagen wir mal moralischen Vorbehalten gekennzeichnet ist, gezeichnet hat?

Dombrowski: Das hat mit der besonderen Entwicklung der Botticelli-Forschung zu tun. Botticelli war zwar nie ganz vergessen, wie man das manchmal lesen kann, aber er spielte in der Tat in der Kunstgeschichtsschreibung des 17. und 18. Jahrhunderts keine große Rolle. Und dann, als er so in der Romantik zu neuen Ehren kam, da wurden eigentlich eher so die sittlichen Aspekte im Schaffen Botticellis beachtet und nicht so sehr die sinnlichen Aspekte, sprich jetzt also die konkrete künstlerische Darstellungsweise. Man war fasziniert davon, wie dieser Maler gewissermaßen zum Reformator wurde, weil er eben sich gegen die römische Kirche so aufgelehnt habe – in Wirklichkeit ist das alles nur Savonarola, aber man hat das gerne geglaubt, dass Botticelli sozusagen der malerische Handlanger des Bußpredigers geworden sei. Und daraus hat man sich eigentlich lange dann nicht befreit, auch als man dann daran ging, harte Stilkritik zu betreiben, dauerte eigentlich dieses Bild Botticellis lange, lange noch fort.

von Billerbeck: Der Würzburger Kunsthistoriker Damian Dombrowski über die Rolle von Giorgio Vasari für die Wahrnehmung der Renaissancekünstler, auch der von Sandro Botticelli, dessen 500. Todestag heute sich jährt. Ich danke Ihnen!

Dombrowski: Ja, ich danke Ihnen, Frau von Billerbeck!
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