Dicke Luft und verseuchte Flüsse

Neu-Delhi ist die dreckigste Stadt der Welt

Zwei Männern und ein Elefant sind in der dunstigen Luft neben einem brennender Müllhalde am Yamuna Fluß in Neu Delhi nur als Umriss zu erkennen. Der heilige Yamuna Fluß ist stark durch industrielle Abwässer verschmutzt.
In Indien nimmt die Umweltverschmutzung stark zu (hier der Yamuna Fluss in Neu-Delhi). © picture alliance / dpa / Douglas Curran
Von Jürgen Webermann |
Bisher galt Peking als die Stadt mit der schlechtesten Luft. Aber Indien holt auf - in jeder Beziehung. Nun besitzt Neu-Delhi den zweifelhaften Ruf, die dreckigste Stadt der Welt zu sein. Auto- und Industrieabgase verpesten die Luft. Und wie ein sauberer Fluss aussieht, wissen viele gar nicht mehr.
Der Lodi Garden liegt im Herzen Neu-Delhis, in dem Teil, den die Briten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebaut haben. Hier wohnen die Reichen und Mächtigen, hier haben Botschaften und Ministerien ihren Sitz. Im Lodi Garden gehen sie Spazieren, sie machen Yoga oder gehen Joggen, mitten im tropischen Grün, zwischen palmenumringten Moscheen, liebevoll gepflegten Blumenbeeten und Grabmälern aus dem 15. Und 16. Jahrhundert. Heute ist der Lodi Garden ein grünes Juwel, in dem sich Touristen von der Hektik und dem Krach in der Megastadt Delhi ein wenig erholen können.
Praminder schaut einer Gruppe Jungs beim Cricket zu. Praminder ist um die 50 Jahre alt, ein hoher indischer Beamter, mehr will er nicht sagen.
"Puh, ich will gar nicht über Luftverschmutzung nachdenken. Dieser Ort ist nicht ganz so verschmutzt, hier gibt's viele Bäume, es ist ein Grüngürtel. Was soll ich machen? Wenn ich mich hier mit der Luftverschmutzung beschäftigen würde, würde ich durchdrehen. Also ignoriere ich das lieber. Ich habe mein ganzes Leben bisher in Delhi verbracht. Wir haben uns daran gewöhnt."
Ein paar Kilometer weiter, im ebenfalls parkähnlichen und grünen Botschaftsviertel, zeigt die Mess-Station der amerikanischen Botschaft einen Feinst-Staubwert von fast 200 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an. Der Grenzwert der Weltgesundheitsbehörde WHO liegt bei 25 Mikrogramm.
"Ja, darüber wird geredet. Ich habe gerade gehört, dass das Atmen der Luft hier mit dem Rauchen einer Schachtel Zigaretten pro Tag gleichgesetzt werden kann. Das ist in der Tat ziemlich übel. Aber wir können ja nicht einfach aufhören, hier zu leben, oder?"
Ein staubiger Mix aus Abgasen und Wüstensand

Direkt vor dem Lodi Garden verläuft die Lodhi Road, eine vierspurige Allee. Dort, vor dem staatlichen Wetteramt, können Passanten auf einer Anzeigetafel die aktuellen Daten ablesen, auch zur Luftverschmutzung. Mehr als 20 solcher Mess-Stationen gibt es mittlerweile in Neu-Delhi. Und keiner kennt ihre Funktionsweise so gut wie B. Kumar. Er hat sie aufgebaut, für das Delhi Pollution Control Board, einer Regierungsbehörde, die die Verschmutzung der Stadt in den Griff bekommen soll:
Müll und Unrat liegt neben Müllcontainern auf einem Markt in Neu-Delhi.
Müll und Unrat liegt neben Müllcontainern auf einem Markt in Neu-Delhi.© picture alliance / dpa / Arno Burgi
"Unsere Daten gehen direkt auf die Internetseite. Das hat niemand zuvor gemacht. Die Öffentlichkeit kann sie sofort nachlesen. Sieben Tage lang werden Daten dort angezeigt."
Es gibt so viele Faktoren für die Verschmutzung. Der Autoverkehr ist das größte Problem, die Industrieabgase sind ein anderes Problem. Im Winter haben wir eine Wetterlage, bei der die Abgase nicht in die Höhe steigen können, und im Sommer kommt auch noch der Staub aus den Wüsten Rajasthans dazu.
Die schlichten Anzeigetafeln, die wie hier an der Lodhi Road den Feinstaubwert dunkelrot aufleuchten lassen, wenn es besonders schlimm ist, wirken da fast schon wie der hilflose Versuch, einen Kollaps zu stoppen:
"Ehrlich gesagt, ist es ja nur ein Mess-System. Den Menschen das Problem begreiflich zu machen, das müssen andere tun. Ich meine, die meisten Menschen verstehen ja die Daten, die wir anzeigen, gar nicht. Wir müssten den Leuten eigentlich erst einmal erklären, was diese Maschine hier eigentlich soll."
Viele Menschen werden Husten nicht mehr los
Das Sir Ganga Ram-Krankenhaus ist ein Teil der indischen Geschichte. Sir Ganga Ram war einst ein angesehener Beamter in der Stadt Lahore. Dort gründete er auch die Klinik. Als das britische Kolonialreich in Südasien geteilt wurde, fiel Lahore Pakistan zu. Die indische Regierung baute das Sir Ganga Ram Krankenhaus also in Neu Delhi auf. Der indische Staatsgründer Nehru legte kurz nach der Unabhängigkeit den Grundstein.
Heute ist das Sir Ganga Ram eines der größten privaten Krankenhäuser der Stadt. Auf den ersten Blick wirkt das Campus-Gelände wie ein einziges Chaos, so viele Menschen gehen hier ein und aus. Rashmi Sama hat gerade Patienten auf der Lungenstation behandelt. Erschöpft lässt sie sich in ihren Schreibtisch-Stuhl fallen und nimmt den Mundschutz ab:
"Ich trage überall einen Mundschutz. Nicht nur im Krankenhaus. Sobald ich im Auto sitze, trage ich die Maske. Die Luft ist überall schlecht. Für Kinder und Menschen, deren Lungen angeschlagen sind, empfehlen wir Luftfilter-Geräte, aber man kann jetzt auch nicht den ganzen Tag vor einem Luftfilter sitzen."
Doktor Sama ist eine anerkannte Spezialistin für Atemwegs-Krankheiten. Sie hat in Amerika studiert und ist eine jener Hoffnungsträgerinnen, die zurück nach Indien gegangen sind. Vor drei Jahren trat sie ihren Job im Sir Ganga Ram Krankenhaus an:
"Wir haben hier immer mehr Patienten, am Schlimmsten ist es für diejenigen, die ohnehin Lungenprobleme haben. Wer sich zum Beispiel einen Virus einfängt und husten muss, wird den Husten gewöhnlich nach vielleicht maximal zehn Tagen wieder los sein. Hier leidet er über Monate darunter, weil die Luft so schlecht ist, dass der Husten einfach nicht weggehen will. Viele Patienten wollen Steroide haben, um wieder gesund zu werden."
Was genau die Luftverschmutzung in Neu-Delhi anrichtet, das kann Dr. Sama nicht sagen. Es gibt bisher zu wenige Daten und kaum Langzeitstudien. Nur so viel: Die Zahl der Lungenkrebsfälle ist zuletzt nach Daten des All India Institute of Medical Sciences um zwei bis drei Prozent pro Jahr gestiegen. Eine ältere Studie aus dem Jahr 2006 führt auf, dass 40 Prozent der Kinder in Delhi an Atemwegserkrankungen leiden. Und vor genau diesem Problem steht auch Dr Sama. Die Lungenspezialistin hebt die Arme und zuckt mit ihren Schultern:
"Ganz ehrlich: Ich will hier weg. Ich möchte nicht, dass meine Kinder in so einer Luft aufwachsen. Meine Kinder sind vier und zwei Jahre alt. Und sie sind ständig krank. Seit November, bis zur vergangenen Woche, haben sie durchgehustet. Drei Monate lang!
Es gibt hier keine klare Luft mehr. Alles ist irgendwie vernebelt. Wenn Sie mit dem Flugzeug landen, dann sehen sie nicht viel. Und man gewöhnt sich auch noch daran! Als ich mit meinem Ehemann im November nach Europa geflogen und gelandet bin, habe ich nur gesagt: Sag' mal, haben wir hochauflösende Brillen auf? Die Grünanlagen in Europa waren wirklich grün. Alles war so viel sauberer. Alles! Es war einfacher zu atmen. Dabei haben wir noch keine Lungenprobleme."
Aus dem Fluss Yamuna steigen Blasen von Methangas

Das Viertel Yamuna Bazar am Ufer des Yamuna-Flusses könnte, wie der Lodhi Garten, ein wunderbarer Ort der Erholung und Ruhe sein. Alte, gelbe, rote und grün angemalte kleine Steinhäuser umringen zwei alte, starke Bäume. Zum Fluss selbst führt eine Steintreppe. Von hier aus starten kleine Ruderboote zu einem weißen Tempel, der in der Flussmitte liegt. Der Yamuna ist vielleicht 400 Meter breit, am anderen Ufer ist Marschland, das in den Monsun-Monaten überflutet wird. Dahinter, im Dunst, schimmern graue Wohntürme.
Ein Junge streckt seinen Kopf aus dem schwarzen Wasser des Flusses Yamuna in Neu Delhi.
Ein Junge streckt seinen Kopf aus dem schwarzen Wasser des Flusses Yamuna in Neu Delhi. Er taucht nach Münzen, die Gläubige hineingeworfen haben.© dpa/ picture-alliance/ Harish Tyagi
Doch hier, in Yamuna Bazar gleich neben der Altstadt von Delhi, hört hinter den alten Steinhäuschen jegliche Romantik auch schon wieder auf. Eine achtspurige Straße führt dazu, dass der Yamuna-Fluss nur schwer erreichbar ist. Es gibt keine Uferpromenade, keinen Zugang zu anderen Sehenswürdigkeiten. Der Yamuna ist nicht das Zentrum von Delhi wie der Rhein in Köln oder die Elbe in Hamburg. Und: Er erinnert eher an einen stinkenden Abwasserkanal. Manchmal ist das Wasser so verschmutzt, das an der Oberfläche Methangasblasen zu sehen sind. Ganesh, den Bootsmann, stört das aber weniger. Ganesh ist Ende 20, und das Holzboot seine Lebensgrundlage. Für den gläubigen Hindu ist der Yamuna ein heiliger Fluss.
"Ja klar, ich gehe auch in das Wasser und tauche ein. Es fühlt sich gut an. Im Sommer schwimme und bade ich täglich hier im Yamuna. Natürlich stinkt das Wasser. Aber der Priester sagt, dass es auch gut ist gegen Hautkrankheiten.
Manchmal kommen auch Touristen her. Sie gehen dann meist zu dem Abwasserkanal dort drüben, der in den Yamuna mündet. Sie machen Photos und kleine Filmchen, um sie dann in ihren Ländern zu zeigen."
Im Sommer, wenn es monatelang trocken war, sind die 18 Abwasserkanäle, die Neu-Delhi durchziehen, manchmal die einzige Wasserquelle für den Yamuna. Eigentlich kommt das Flusswasser aus dem Himalaya-Gebirge, aber die Bundesstaaten, durch die der Yamuna fließt, leiten das meiste Wasser ab für ihre Landwirtschaft. Durch das große Sperrwerk an der Landesgrenze von Delhi kommt dann kaum noch etwas durch.
Kinder wissen nicht, wie ein sauberer Fluss aussieht
Ravi Aggarwal kennt den Yamuna ähnlich gut wie Bootsmann Ganesh. Ravi ist in Neu-Delhi aufgewachsen, und der Fluss hat ihn schon immer fasziniert.
"Ich war schon mit 15, 16 auf dem Fluss, und ich kann mich noch gut an damals erinnern. Der Fluss war sauber. Wenn man eine Münze ins Wasser warf, konnte man sie auch sehen. Aber die Kinder heute kennen diesen Fluss kaum. Sie wissen auch gar nicht, was ein sauberer Fluss überhaupt ist, wie er aussieht. Sie können sich eine andere Welt gar nicht mehr vorstellen, sie wissen nicht, wie schön die Natur sein kann. Also schreiben die Schülerinnen und Schüler schöne Texte über den Fluss. Aber wenn Du fragst: Warst Du jemals am Yamuna? Dann kommt heraus, dass die meisten noch nicht hier waren. Einige wissen nicht mal, dass es hier einen Fluss gibt."
Ravi Aggarwal versucht es mit Aufklärung in den Schulen. Er leitet eine Gruppe, die sich Toxics Link nennt und auf Gifte in der Umwelt aufmerksam machen will. Der Yamuna steht dabei im Zentrum seiner Arbeit:
"Der Fluss ist ein Abwasserkanal, das Übelste des Üblen. Das hier ist nicht mal Wasser. Das riecht man ja auch jetzt gerade. Viel schlimmer kann es eigentlich nicht mehr werden.
Der Yamuna und der Ganges sind zwei der größten Flüsse in Indien. Aber sie haben auch eine mystische und religiöse Bedeutung. Die Idee dahinter hat viel mit dem Lebenststil der Hindus zu tun. Ein Neugeborenes wird mit dem Flusswasser gesegnet. Und wenn jemand stirbt, landet seine Asche hier. Der Fluss steht also für den Lebenskreis. Und trotzdem sind unsere Flüsse schwarz und dreckig."
In Neu-Delhi gibt es insgesamt 36 Klärwerke. Aber nach Angaben der Wasserbehörde sind sie nur zu 60 Prozent ausgelastet. Und eine andere Behörde, die Maßnahmen gegen die Verschmutzung in Delhi ausarbeiten soll, stellte fest, dass 69 Prozent der Abwässer der mindestens 20 Millionen Einwohner gar nicht aufbereitet werden. Ravi Aggarwal hat Daten gesammelt, die viele Inder überrascht haben:
"Wir haben eine Ein-Jahres-Studie durchgeführt. Die erste Studie, die alle Jahreszeiten einbezieht. Und wir haben Schwermetalle und Chemikalien im Wasser gefunden. Was uns überraschte war, dass viele dieser Metalle auftauchten, als im Monsun mehr Wasser den Yamuna hinabfloss. Das Flussbett hat die Gifte dadurch frei gegeben. Sie hatten sich wegen der langsamen Strömung im Flussbett abgelagert."
Bootsmann versenkt Geschäftsakten im Fluss
Ganesh steuert das Boot ein Stückchen stromaufwärts. Dort legt sich eine Rauchwolke über das Wasser. Das alte Krematorium am Nigambodh Ghat sieht aus wie eine herunter gekommene Tribüne eines Sportstadions. Ein Blechdach schützt die Gläubigen auf den Stufen vor Regen. Eine Gruppe von vielleicht dreißig Menschen steht direkt am Wasser um einen Scheiterhaufen. Angeblich brennen hier jeden Tag 50 bis 60 Leichen, bevor ihre Asche im Fluss landet:
"Man sieht hier diese Gegensätzlichkeit – hier der reine, heilige Fluss, dort der Drecksfluss. Wenn man Hindus fragt, werden einige sagen: Oh, der Fluss heilt meine Krankheiten, ein Bad zu nehmen, das ist heilig, der Fluss ist meine Mutter. Diese Zweideutigkeit gibt es also auch in uns selbst. Und ich glaube, das hat viel mit der kulturellen Vielfalt zu tun, in der dieses Land lebt.
Wir beschäftigen uns gerade nur mit der Frage: Wie schnell wird unsere Wirtschaft wachsen? Aber die Kosten hat niemand im Blick. Wie denken wir über unsere Zukunft? Wir denken in so kurzen Zeitspannen, wir sind so egoistisch geworden. Und wir werden schlecht regiert. Obwohl es so viele Gerichtsurteile gibt, die die Politik dazu zwingen sollen, zum Beispiel die Klärwerke in Ordnung zu bringen. Sie tun es einfach nicht. Das ist doch kriminell.
Die Leute sehen Wasser- und Luftverschmutzung als ein technisches Problem an. Aber es ist weit mehr als das. Es ist ein grundlegendes Problem, es hat auch damit zu tun, wie wir uns politisch organisieren."
Ganesh paddelt nach einer kurzen Pause wieder über den Fluss. Er hat einen neuen Auftrag erhalten, der selbst den erfahrenen Ravi Aggarwal erstaunt. Ein offenbar sehr gläubiger Unternehmer hat stapelweise Aktenordner mit alten Unterlagen seiner Firma anliefern lassen, Rechnungen, Bilanzen, sauber sortiert und gebündelt in roten Bänden. Ganesh, der Bootsmann, soll sie im heiligen Yamuna versenken:
"Das ist schließlich mein Job. Asche im Fluss zerstreuen, oder irgendwelche Götzen versenken, die die Leute für heilig halten."
Ein paar Minuten später schwimmen bereits die ersten Ordner flussabwärts. Wenn der dreckige Yamuna Glück hat, wird sie irgendein armer Anwohner aus dem Fluss fischen und als Altpapier verkaufen.
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