Dicke Rübe, hoher Ton

27.07.2012
Selbst ein verkatertes Erwachen bekommt hier einen hehren Klang: Thomas Kapielski lauscht unserer banalen Alltagswelt ihre philosophische Tauglichkeit ab - und erweist sich mit diesem Band voller Kurztexte erneut als einer der spektakulärsten Autoren im deutschen Sprachraum.
Man kann das seit etlichen Jahren verfolgen: Thomas Kapielski ist einer der ungewöhnlichsten, einer der spektakulärsten Autoren im deutschen Sprachraum. Wenn sich das so ein wenig abseits vollzogen hat, dann vielleicht, weil er auf literarische Modelle und Moden wie den "Epochenroman" partout nicht aufspringen mag. Kapielskis Stimme ist immer der Reflexion gewidmet. Die braucht für eine Episode nur wenig Platz. Und sie sucht auch nicht wirklich Geschlossenheit einer Handlung, eines Ensembles von Personen, einer Zeit oder eines bestimmten Ortes. Das erzählende Ich ist in diesen kurzen Texten alles und sich selbst genug, denn auf Andere sollte man sich wohl nur in Sonderfällen verlassen.

Man stößt dann auf Sätze wie diese ersten: "Noch vor Anbruch der Nüchternheit bleicht Morgengraun die Schwärze. Die Nacht wälzt sich von den Schlaflosen und Albträumern gemach hinweg nach Westen." Das ist ein hoher Ton, aber auch so kann man eben ein verkatertes Er- oder Durchwachen beschreiben. Zwischen der dicken Rübe nach schwerer Nacht und dem hehren Klang der Beschreibung wohnt der ganze Witz dieser (und eigentlich aller) Texte Kapielskis. Er ist ein sprachgewaltiger und oft absurd reflektierender Autor, der freilich seinem inneren Programm konsequent folgt: "Ich muss keiner Generation angehören! Gar nicht! - Wenn diese meinen Stil für veraltet hält, weil ich verschlafene Worte wecke, dann habe ich es geschafft."

Die Erweckung der "verschlafenen" Worte (immer wieder auch in Klammern auf Latein oder Griechisch) wird kontrastiert durch schnödesten Alltag. Der kann auf Reisen in Zürich, Graz, München oder Wien stattfinden, aber ebenso in ganz und gar heimischen Gefilden in Berlin-Neukölln ("Zur Quelle"). Wobei das Kontrastieren wohl nicht die richtige Bezeichnung ist, es geht eher um ein Amalgamieren. Kapielski lauscht dieser banalen Alltagswelt ihre philosophische Tauglichkeit ab, und das Unerwartete dieser Abhöraktionen birgt ihren ungeheuren Witz.

Man stelle sich diese Szene vor: "Als ich einst eine Postbotenstelle bestellte, gab es an der oberen Wende einen Schrotthändler und einen Schnaps bei ihm und täglich auch ein Gespräch zwischen Schrotthandel und Post. Zwei zukunftsträchtige Branchen, das ahnten wir, disputierten ergiebig. Der Schrotthändler hielt auf Kant."

Und allen Ernstes umreißt der Autor dann die Textexegesen, die sich zwischen Schrotthändler und Postboten abgespielt haben (sollen). Man darf da nicht allzu vertrauensselig sein, ob sich das wirklich so abgespielt haben mag. In seinen "Gottesbeweisen" hat der Autor ungerührt und in sachlichstem Ton aufgeführt, wie er einstmals im hohen Norden angestellt wurde, um am Hang weidende Schafe, deren Wolle sich bei Regenwetter mit Wasser vollsog und die deshalb umfielen, wieder auf die Beine zu bringen.

Thomas Kapielskis Texte sind Mischgebilde. Sie deuten höchste Belesenheit und durchaus Gelehrsamkeit an (ohne sie auszustellen), und kombinieren sie mit den profansten Alltagsgeschichten. In diesen kleinen Texten offenbart sich ein großer Autor.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Thomas Kapielski: Neue Sezessionistische Heizkörperverkleidungen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
214 Seiten, 14,40 Euro

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