Die Abgründe des Kunstmarkts

Rezensiert von Ralph Gerstenberg |
Bis zu 30 Prozent aller Werke auf dem Kunstmarkt sollen Fälschungen sein. Wer Stefan Koldehoffs und Tobias Timms gründliche Recherche über den Fall Beltracchi liest, den verwundert diese Zahl nicht.
Das Buch beginnt mit der Beschreibung einer Villa in Freiburg: 450 Quadratmeter Wohnfläche mit integrierter Schwimmhalle, die einen eindrucksvollen Panoramablick über die Stadt bietet. Besitzer dieser Immobilie ist das Ehepaar Beltracchi, das jedoch meist auf einem nicht minder imposanten Anwesen in Südfrankreich residierte.

Die Beltracchis liebten es luxuriös - teure Autos, die besten Hotels, ausgedehnte Reisen. Als bekannt wurde, dass sie sich ihr Geld mit skandalösen Kunstfälschungen ergaunert hatten, blieb die öffentliche Entrüstung jedoch aus. Im medialen Interesse überwog eine Mischung aus Faszination und Schadenfreude.

Stefan Koldehoff und Tobias Timm ist es wichtig, von Anfang an darauf hinzuweisen, dass der grau gelockte Kunstfälscher wahrlich kein Eulenspiegel ist, dessen Intention es war, der Kunstwelt den Spiegel vorzuhalten, sondern schlicht ein Krimineller mit einem Hang zur Selbstinszenierung.

Stefan Koldehoff: "Ich glaube, es ging ihm ums Geld und um nichts anderes."

Tobias Timm: "Und er hat das auch noch mit einer Geschichte versehen, mit einer Herkunftsgeschichte. Diese Bilder haben angeblich mal dem großen Galeristen Alfred Flechtheim gehört - einem Mann, der ins Exil gehen musste, vor den Nazis fliehen musste, dort gestorben ist. Und er hat die Geschichte dieses Mannes benutzt, um die Bilder besser verkaufen zu können. Das hat auch einen gewissen Hautgout."

Aus dem Besitz Flechtheims, so die Lügengeschichte, sollen verschollen geglaubte Bilder teuer gehandelter Expressionisten in die Privatsammlung von Helene Beltracchis Großvater Werner Jägers übergegangen sein. Ein paar gefälschte Fotos und Galerieaufkleber reichten den Auktionshäusern als Beleg. Schon wurden die Werke des erfolglosen Malers Wolfgang Beltracchi als echte Campendonks, Pechsteins oder van Dongens zu Millionensummen versteigert.

Namhafte Kunsthistoriker blamierten sich mit falschen Expertisen. Der Kunstmarkt gierte nach frischen Bildern. Die Beltracchis hatten leichtes Spiel. Ungewiss ist, wie viele unentdeckte Fälschungen aus der vermeintlichen Sammlung Jägers noch im Umlauf sind. Auch das Strafverfahren gegen den Kopisten, seine Frau und zwei Komplizen brachte nicht die erhoffte Aufklärung.

In nur neun Prozesstagen begnügte sich das Kölner Landgericht mit dem Geständnis Wolfgang Beltracchis, 14 Bilder gefälscht zu haben, obwohl das Landeskriminalamt Berlin 50 Fälle ermittelt hatte. 170 Zeugen blieben ungehört. Der spektakulärste Kunstfälschercoup der letzten Jahrzehnte endete mit einem milden Urteil. Sechs Jahre Gefängnis im offenen Vollzug für Wolfgang Beltracchi, vier Jahre für seine Frau.

Eine vertane Chance, meint Stefan Koldehoff.

"Viele Bilder wird man sich heute nur noch angucken mit der Frage: Ist das ein echter Campendonk, ein echter Max Ernst oder ist es nicht doch ein Beltracchi? Das alles hat das Gericht nicht interessiert. Nach den Buchstaben der Strafprozessordnung muss das ein Gericht auch nicht unbedingt interessieren, kann es aber. Und wir waren der Meinung, bei einem so exemplarischen Fall von dieser Tragweite, da hätte sich wunderbar die Möglichkeit ergeben, auch mal tiefer in die Praktiken des Kunstmarktes reinzuschauen. Und weil das Gericht das nicht getan hat, haben wir eben überlegt, dann versuchen wir das in Buchform zu tun."

Mit Spürsinn und journalistischer Hartnäckigkeit verfolgen Stefan Koldehoff und Tobias Timm den Weg der gefälschten Bilder. Sie haben mit Ermittlern, Experten, Kunsthändlern und Sammlern gesprochen. Im Laufe ihrer Arbeit wurden ihnen sogar die Prozessakten zugespielt, die belegen, wie leicht es den Fälschern gemacht wurde, ihre Imitate als Originale auf den Markt zu bringen.

Weder Auktionatoren noch Galeristen haben nachgeforscht, ob es eine Sammlung Jägers überhaupt gegeben habe. Wenn große Gewinne winken, nimmt es der Kunsthandel offenbar nicht so genau damit, Provenienzen zu überprüfen. Es ist ebenso üblich, mit Schwarzgeld zu bezahlen, wie Sachverständige finanziell am Verkauf von Bildern zu beteiligen. Darum fordern die beiden Autoren Konsequenzen.

Tobias Timm: "Das ist wirklich ziemlich fatal, dass bisher, einzelne Experten entscheiden konnten, nachdem sie ein Bild nur auf einem Foto gesehen haben, ob es echt oder nicht echt ist. Und diese Entscheidung sagt, ob ein Bild gar nichts wert ist oder bis zu sieben Millionen Euro."

Stefan Koldehoff: "Deswegen ist eine der Forderungen, die wir stellen, dass nicht weiterhin ein einziger Experte über echt oder falsch entscheiden darf. Zumindest sollen die Experten, die über echt oder falsch bei einem Bild entscheiden, dann hinterher nicht am Weiterverkauf verdienen dürfen. Das war im Fall Beltracchi gegeben. Werner Spieß, der große Max-Ernst-Experte, hat nicht nur sieben Fälschungen für echt erklärt, sondern hat von den Beltracchis, wie er selbst eingestanden hat, dafür auch noch mindestens 400.000 Euro kassiert plus einer Summe, die er nicht nennen wollte, für den Weiterverkauf oder die Weitervermittlung an Galeristen. Das ist eigentlich undenkbar, dass so etwas in anderen Branchen geschieht, und das darf auch für den Kunsthandel nicht mehr gelten."

Zehn bis 30 Prozent der auf dem Kunstmarkt gehandelten Werke sollen Fälschungen sein, so schätzen Experten. Wenn man Stefan Koldehoffs und Tobias Timms Recherche über "Falsche Bilder, echtes Geld" liest, verwundern solche Zahlen nicht. Kunst wird offenbar als Ware betrachtet, deren Verkauf Gewinne bringen soll, wie sie nur in organisierter Kriminalität üblich sind.

Und diesem System stehen personell und materiell dürftig ausgestattete Strafverfolgungsbehörden gegenüber. Nur drei kriminalpolizeiliche Kunstdezernate gibt es derzeit in Deutschland. Im Rathgen-Forschungslabor, das maßgeblich zu den Ermittlungen beigetragen hat, arbeiten die meisten Mitarbeiter auf der Basis von Zeitverträgen.

Wolfgang Beltracchi wird gewiss bald selbst mit einer Autobiografie die eigene Legende festhalten. Dem stellen Stefan Koldehoff und Tobias Timm ihr Buch entgegen - gründlich recherchiert und spannend zu lesen. Es ist verdienstvoll, wie sie diskrete Praktiken des Kunsthandels offen legen und Menschen porträtieren, deren Zweifel erst möglich machten, den Skandal aufzudecken – Menschen wie den Kunsthistoriker Ralph Jentzsch, der nicht in Blitzlichtgewittern posiert und von Gewinnsucht getrieben wird, sondern von der Liebe zur Kunst.


Stefan Koldehoff, Tobias Timm: "Falsche Bilder, echtes Geld. Der Fälschungscoup des Jahrhunderts – und wer alles daran verdiente"
Verlag Galiani Berlin, Mai 2012
Cover Stefan Koldehoff, Tobias Timm: "Der Fälschungscoup des Jahrhunderts"
Stefan Koldehoff, Tobias Timm: "Der Fälschungscoup des Jahrhunderts"© Galiani Verlag
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