Die ägyptische Künstlerin Bahia Shehab

Tausendmal "Nein" zu Gewalt

Blick auf die Dächer in der Innenstadt von Kairo (Aufnahme: 15.3.2010).
Blick über die Dächer von Kairo: Bahia Shehab trug hier die Kunst, nein zu sagen, auf die Straße. © picture alliance / dpa / Arved Gintenreiter
Von Cornelia Wegerhoff |
Zum ersten Mal erhält eine Frau den von der UNESCO vergebenen Sharjah-Preis für arabische Kultur: die ägyptische Streetart-Künstlerin Bahia Shehab. Mit ihren heimlich gesprühten "Nein"-Graffitis hat sie gegen Gewalt in ihrem Land protestiert.
Sie selbst ist schmal und zierlich, spricht nur leise, wirkt bescheiden. Doch bei ihren Kunstprojekten kennt Bahia Shehab keinerlei Zurückhaltung. Sie liebt die ganz großen Formate: Sieben Meter hoch und drei Meter breit ist zum Beispiel der durchsichtige Vorhang, der schon in den verschiedensten Museen der Welt die Blicke auf sich gezogen hat.
Bahia Shehab hat ihn mit exakt tausend Varianten eines einzigen arabischen Wortes beschriftet: "La", auf Deutsch "Nein". Kalligraphie, die Kunst der Schönschrift, inszeniert als imposante Installation. Erstmals zu sehen 2010 in München, wo die Ägypterin international ihre Premiere hatte.
"Deutschland ist deshalb etwas Besonderes für mich. Das 'Haus der Kunst' hat mich damals eingeladen. Der Kurator meinte aber, es müsse arabische Schrift sein, die ich präsentiere. Doch das Publikum dort kann ja kein Arabisch. Also war es nicht möglich, ein Gedicht auszuwählen oder ähnliches. Aber wenn ich als arabische Frau unbedingt ein Wort zum Ausdruck bringen wollte, dann das Wort Nein. Nein zu Gewalt. Nein zu Verstößen gegen die Menschenrechte. Nicht nur in der arabischen Welt, sondern überall auf der Erde. Auf Arabisch haben wir eine Redewendung, die Ablehnung verstärkt: Nein und tausend Mal Nein, sagt man. Und so habe ich nach tausend verschiedenen Neins gesucht."

"Jedes Nein hat sein eigenes, spezielles Design"

Bahia Shehab ist Kunsthistorikerin. Sie unterrichtet an der Amerikanischen Universität in Kairo. Ein ganzes Jahr lang durchforschte sie dort die islamische Kulturgeschichte nach diesem einen Wort.
"Jedes Nein hat dort sein eigenes, spezielles Design. Ich habe zum Beispiel auf Teppichen danach gesucht, in Moscheen, in Schriftwerken. Hier sehen Sie: Dieses Nein habe ich zum Beispiel in einem Mausoleum gefunden. Es ist sehr komplex gestaltet: Die Buchstaben sind eng verschlungen, fast verwebt. Ganz ähnlich habe ich es im Süden der Türkei noch einmal gefunden. Es ist erstaunlich. Das Thema Gewalt, zu dem ich Nein sagen wollte, hat mich erschüttert. Aber gleichzeitig hat die Vielfalt des Wortes Nein mir auch die Gelegenheit gegeben, den Reichtum und die Schönheit der arabischen Kalligraphie zu zeigen."

"Ich hätte nie gedacht, dass ich auf der Straße aktiv werde"

Als im Jahr 2011 mit der ägyptischen Revolution die Gewalt in ihrer Heimat um sich griff, hielt es Bahia Shehab aber nicht mehr länger in Museen und am sicheren Professoren-Schreibtisch an der Uni. Sie trug die Kunst, Nein zu sagen, auf die Straße:
"Zu meiner eigenen Überraschung. Ich bin Historikerin. Ich habe zwei Kinder. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal auf der Straße aktiv werde. Aber als ich sah, wie Menschen auf offener Straße umgebracht wurden, wie ihre Leichen auf dem Müll lagen, im November 2011, sagte ich mir: Okay, es ist genug. Da kann ich nicht weiter zusehen."
Bahia Shehab schneidet aus den Varianten des "La", des "Nein" Schablonen und sprüht diese "Stencils" an unzählige Kairoer Wände, nachts, heimlich.
"Ich hatte so eine alte Baby-Tasche, wo man normalerweise Milchflaschen und Windel drin verstaut. Da hab ich dann meine Spraydosen reingepackt."
Als dann im Dezember 2011 eine verschleierte Demonstrantin von ägyptischen Armee-Angehörigen über die Straße geschleift wird, an den Haaren gerissen, brutal getreten, ihr die Kleider vom Leib gerissen werden, bis der blaue BH zu sehen ist, kommt ein neues Widerstandssymbol hinzu.
"Das einfache Design des blauen BHs und ein kleines Nein mit den Worten: Nein zum Entkleiden von Leuten. Und ein Fußabdruck mit der Inschrift: Lange Lebe eine friedliche Revolution. Ich hatte das Gefühl, dass die Frau im blauen BH zu einer Ikone werden muss. Und ich wollte die Gewalt, die ihr angetan wurde, das Entsetzen und die Beschämtheit von uns Frauen simplifizieren, um die Menschen mit einem Blick daran zu erinnern, was passiert ist."

"Die Revolution ist kein Event, sondern ein Prozess"

Bahia Shehabs Graffiti wurde in Ägypten zum Inbegriff des weiblichen Widerstandes gegen Gewalt. Zwei Jahre lang war die heute 39-Jährige so als Streetart-Aktivistin unterwegs. Inzwischen sprüht und malt sie wieder in sicherer Umgebung, im Auftrag von Museen weltweit. Zuletzt gestaltete sie Weisheiten des palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish in großflächige arabische Kalligraphien, zu sehen in Amsterdam, Tokio, Marrakesch, Vancouver und auf einer griechischen Insel, als Mahnmal für die Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer. Auf ägyptische Hausmauern sprüht Bahia Shehab nicht mehr.
"Auf die Wand zu malen ist irrelevant geworden. Es war ein Werkzeug, um nach Veränderung zu fragen. Diesen Wandel strebe ich immer noch an, aber jetzt benutze ich andere Mittel. Die Revolution ist kein Event, sondern ein Prozess. Ein sehr langsamer. Dieser Prozess muss jetzt drinnen stattfinden, in unseren Köpfen, unseren Herzen, an den Institutionen."
Jetzt will Bahia Shehab ihre Studenten dazu ermutigen, Teil des gesellschaftlichen Wandels zu sein. Der Sharjah-Preis für arabische Kultur der UNESCO sei dabei eine große Hilfe, freut sich Bahia Shehab.
"Ich hoffe, dass er andere Frauen inspiriert. Ich hätte nicht gedacht, dass ich da gewinnen kann, denn alle vor mir waren ältere Herren mit einer Menge Forschungsarbeit hinter sich. Aber dass gleich zwei Straßenkünstlern den Preis bekommen, ist wirklich eine große Sache. Es wertet die Kunstart auf."
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