Die Ästhetik der Kursschwankungen
In ihren Installationen beschäftigen sich die Künstler Beate Geissler und Oliver Sann mit dem Treiben auf den Internationalen Finanzmärkten. Ihre Ausstellung "volatile smile - Ein uneinschätzbares Lächeln" ist in der Berliner Galerie NGBK zu sehen.
Dutzende großer Flachbildschirme haben Beate Geissler und Oliver Sann auf einer 30 Meter langen Stellwand in der Berliner NGBK aneinandergereiht, also eine Installation, wie man sie von Foto- und Videokünstlern erwartet. Aber diese Monitore bleiben dunkel, zeigen gar keine Bilder. Sie scheinen in einer Art Petersburger Hängung gruppiert, dicht an dicht wie eine Gemäldegalerie des 18. Jahrhunderts. Der Eindruck täuscht. Tatsächlich ist die Anordnung, diese "Konfiguration" der schwarz gerahmten Screens eins zu eins übernommen aus einer Schaltzentrale des 21. Jahrhunderts, von Computer-Arbeitsplätzen der Trader, der Börsenspekulanten. Oliver Sann:
"Wir sitzen hier direkt vor einem, der als Trader ziemlich fortgeschritten ist. Er hat insgesamt zwölf Screens, wo er in der Mitte die aktuellen Kurse gucken würde und dann weiter außen an den Rändern CNN, Börsen-Nachrichten oder das Wetter in China. Wir betrachten die als formal ästhetische Konfiguration. Und das führt zu einer Abstraktion um im Grunde genommen diese Distanzierung, die dadurch existiert, das nicht Abbildbare zu thematisieren."
Diese Kunst nämlich will dem Kapital auf die Schliche kommen, statt sich andächtig zu vertiefen in ratternde Kurstabellen, hektisch flackernde Diagramme und Grafiken, die Brokern und Bankern längst als neue Weltformel gelten. Wenn nun deren Monitore schwarz bleiben und im blinden Spiegel nur noch matt das eigene, entgeisterte Gesicht zu sehen ist, dann zeigt sich die düstere Kehrseite zu jenem "volatile smile", jenem "uneinschätzbaren Lächeln", das dieser Schau den Titel gab.
Gemeint ist damit nicht etwa die Mona Lisa, sondern eine Kurve, die Kursschwankungen in Gestalt eines nach oben offenen Halbkreises darstellt. Ästhetisch vollendet - und scheinbar auch ein Nullsummenspiel, weil die Börse nach Berg- und Talfahrt wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Tatsächlich aber haben diese virtuellen Spekulationen enorme Auswirkungen, etwa im Großraum Chicago, wo Oliver Sann und Beate Geissler kurz nach ihrem eigenen Umzug 2008 verlassene Wohnungen fotografiert haben, Eigenheime, die wegen der Immobilienkrise zwangsversteigert werden mußten. Die großformatigen Farbfotos der Serie "real estate" sind erschreckend, gerade weil es sich um eine nüchterne Bestandsaufnahme handelt, weil die Künstler vorschnelle Erklärungen gemieden und sich statt dessen selbst der visuellen Schwerkraft dieses Bildmaterials ausgesetzt haben. Beate Geissler:
"Zu der Zeit, wo wir diese Häuser fotografiert haben, wo wir 2008 angefangen haben, haben wir uns dann danach, als wir diese Arbeit abgeschlossen hatten, auch gefragt: Wie kam es eigentlich dazu?"
Damit begann die Zeit der Recherche, der Interviews in Brokerfirmen und den geheimnisumwitterten "trading floors", wo es längst nicht mehr um "real estates" geht, um reale, im Alltagsleben verankerte Werte, sondern um virtuelle Milliarden, die im Sekundentakt via Internet gehandelt werden. Oliver Sann:
"Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was 2008 passiert ist, mit der Überbewertung des Immobilienmarktes oder eben Immobiliencrash - langfristiger, wo auch sehr viel Kulturelles involviert war. Aber dann gibt es zum Beispiel auch so etwas wie den 'flash crash' 2010, wo innerhalb von einer halben Stunde der Dow Jones um 800 Punkte fällt, 400 Millionen Dollar verbrennen. Das war zum Beispiel rein durch Maschinen ausgelöst, das waren High-Frequency-Trader."
Diese Händler folgen wie die Lemminge mathematischen Formeln, sogenannten Algorithmen. Ganz anders als jene Börsenmakler, die der Fotograf Andreas Gursky für seine Panorama-Aufnahme der Chicago Stock Exchange noch auf dem Parkett an ihrem jeweiligen Stand, in der sogenannten "pit" in Szene setzte. Es war ein rechtes Wimmelbild, voller Trubel - aber das ist längst passé. Beate Geissler:
"Der Unterschied zum High-Frequency-Trading vor dem Screen ist, dass zum Beispiel die Trader in der 'pit' noch versuchen, Fehler zu regulieren, gegenseitig. Was vor dem Screen nicht mehr der Fall ist: Der macht 'klick' und damit ist der Deal getan."
Hatte der Großmeister Gursky noch von oben herab fotografiert und damit die eigentlich doch gar nicht mehr mögliche Übersicht demonstriert, so untersuchen Beate Geissler und Oliver Sann die Situation des Traders ganz hautnah. Und erkannten die beunruhigende Wahlverwandtschaft zwischen High-Frequency-Tradern und den Ego-Shootern, den Schützenkönigen der Ballerspiele: Den Auftakt zu ihrer Ausstellung "volatile smile" nämlich bildet das Porträt eines lächelnden jungen Computerspielers - ein Bild aus der frühen Serie über sogenannte Ego-Shooter, die in einem ganz besonderen Augenblick, einem charakteristischen Momentum aufgenommen wurden:
"Dass wir immer jeden einzelnen Shooter in dem Augenblick fotografiert haben, wenn er jemanden tötet im Spiel, also die höchste Konzentration hat. Und dann haben wir eben diese 'trading floors' besucht und waren dann wirklich beinahe schockiert, dass wir diese hohe Konzentration und bestimmte Verhaltensweisen eben auch auf diesen 'trading floors' erlebt haben. Wir hatten beinahe das Gefühl: die trainierten Leute, die wir 2000, 2001 fotografiert haben, wurden vorbereitet für das, was wir dann da auf diesen 'trading floors' gesehen haben."
Service:
Die Ausstellung "volatile smile - Ein uneinschätzbares Lächeln " in der Berliner Galerie NGBK ist vom 13. August bis 11. September 2011 geöffnet.
"Wir sitzen hier direkt vor einem, der als Trader ziemlich fortgeschritten ist. Er hat insgesamt zwölf Screens, wo er in der Mitte die aktuellen Kurse gucken würde und dann weiter außen an den Rändern CNN, Börsen-Nachrichten oder das Wetter in China. Wir betrachten die als formal ästhetische Konfiguration. Und das führt zu einer Abstraktion um im Grunde genommen diese Distanzierung, die dadurch existiert, das nicht Abbildbare zu thematisieren."
Diese Kunst nämlich will dem Kapital auf die Schliche kommen, statt sich andächtig zu vertiefen in ratternde Kurstabellen, hektisch flackernde Diagramme und Grafiken, die Brokern und Bankern längst als neue Weltformel gelten. Wenn nun deren Monitore schwarz bleiben und im blinden Spiegel nur noch matt das eigene, entgeisterte Gesicht zu sehen ist, dann zeigt sich die düstere Kehrseite zu jenem "volatile smile", jenem "uneinschätzbaren Lächeln", das dieser Schau den Titel gab.
Gemeint ist damit nicht etwa die Mona Lisa, sondern eine Kurve, die Kursschwankungen in Gestalt eines nach oben offenen Halbkreises darstellt. Ästhetisch vollendet - und scheinbar auch ein Nullsummenspiel, weil die Börse nach Berg- und Talfahrt wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Tatsächlich aber haben diese virtuellen Spekulationen enorme Auswirkungen, etwa im Großraum Chicago, wo Oliver Sann und Beate Geissler kurz nach ihrem eigenen Umzug 2008 verlassene Wohnungen fotografiert haben, Eigenheime, die wegen der Immobilienkrise zwangsversteigert werden mußten. Die großformatigen Farbfotos der Serie "real estate" sind erschreckend, gerade weil es sich um eine nüchterne Bestandsaufnahme handelt, weil die Künstler vorschnelle Erklärungen gemieden und sich statt dessen selbst der visuellen Schwerkraft dieses Bildmaterials ausgesetzt haben. Beate Geissler:
"Zu der Zeit, wo wir diese Häuser fotografiert haben, wo wir 2008 angefangen haben, haben wir uns dann danach, als wir diese Arbeit abgeschlossen hatten, auch gefragt: Wie kam es eigentlich dazu?"
Damit begann die Zeit der Recherche, der Interviews in Brokerfirmen und den geheimnisumwitterten "trading floors", wo es längst nicht mehr um "real estates" geht, um reale, im Alltagsleben verankerte Werte, sondern um virtuelle Milliarden, die im Sekundentakt via Internet gehandelt werden. Oliver Sann:
"Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was 2008 passiert ist, mit der Überbewertung des Immobilienmarktes oder eben Immobiliencrash - langfristiger, wo auch sehr viel Kulturelles involviert war. Aber dann gibt es zum Beispiel auch so etwas wie den 'flash crash' 2010, wo innerhalb von einer halben Stunde der Dow Jones um 800 Punkte fällt, 400 Millionen Dollar verbrennen. Das war zum Beispiel rein durch Maschinen ausgelöst, das waren High-Frequency-Trader."
Diese Händler folgen wie die Lemminge mathematischen Formeln, sogenannten Algorithmen. Ganz anders als jene Börsenmakler, die der Fotograf Andreas Gursky für seine Panorama-Aufnahme der Chicago Stock Exchange noch auf dem Parkett an ihrem jeweiligen Stand, in der sogenannten "pit" in Szene setzte. Es war ein rechtes Wimmelbild, voller Trubel - aber das ist längst passé. Beate Geissler:
"Der Unterschied zum High-Frequency-Trading vor dem Screen ist, dass zum Beispiel die Trader in der 'pit' noch versuchen, Fehler zu regulieren, gegenseitig. Was vor dem Screen nicht mehr der Fall ist: Der macht 'klick' und damit ist der Deal getan."
Hatte der Großmeister Gursky noch von oben herab fotografiert und damit die eigentlich doch gar nicht mehr mögliche Übersicht demonstriert, so untersuchen Beate Geissler und Oliver Sann die Situation des Traders ganz hautnah. Und erkannten die beunruhigende Wahlverwandtschaft zwischen High-Frequency-Tradern und den Ego-Shootern, den Schützenkönigen der Ballerspiele: Den Auftakt zu ihrer Ausstellung "volatile smile" nämlich bildet das Porträt eines lächelnden jungen Computerspielers - ein Bild aus der frühen Serie über sogenannte Ego-Shooter, die in einem ganz besonderen Augenblick, einem charakteristischen Momentum aufgenommen wurden:
"Dass wir immer jeden einzelnen Shooter in dem Augenblick fotografiert haben, wenn er jemanden tötet im Spiel, also die höchste Konzentration hat. Und dann haben wir eben diese 'trading floors' besucht und waren dann wirklich beinahe schockiert, dass wir diese hohe Konzentration und bestimmte Verhaltensweisen eben auch auf diesen 'trading floors' erlebt haben. Wir hatten beinahe das Gefühl: die trainierten Leute, die wir 2000, 2001 fotografiert haben, wurden vorbereitet für das, was wir dann da auf diesen 'trading floors' gesehen haben."
Service:
Die Ausstellung "volatile smile - Ein uneinschätzbares Lächeln " in der Berliner Galerie NGBK ist vom 13. August bis 11. September 2011 geöffnet.