Die alternde Gesellschaft
Auf kaum 150 Seiten fächert das Buch "Altersgesellschaft" eine erstaunliche Vielfalt an Aspekten auf. Vertreter der Soziologie, Gerontologie, Genetik, Ökonomie und Kulturwissenschaften kommen zu Wort, leider - und das wirkt heute doch sehr wenig zukunftsfähig - ist darunter nur eine einzige Frau. Auf keinen Fall dürfen wir den demografischen Umbruch der Gesellschaft dem Zufall überlassen, fordert René Künzli, Präsident der Tertianum-Stiftung, die regelmäßig Kongresse zum Thema Altern organisiert. Künzli sagt klar, worauf es ankommt:
"Die demografische Revolution wird neue Formen der Arbeit und der Arbeitsorganisation, Neuregelungen des Pensionsalters, Öffnungen für Immigration, Reformen der Sozialsysteme und Änderungen im Generationenvertrag erforderlich machen."
Warum nicht über ein Wahlrecht für Kinder und Jugendliche nachdenken? So würden die Ansprüche junger Menschen von einer alternden Gesellschaft berücksichtigt - ein Ausdruck von Generationengerechtigkeit, meint Künzli. Gesundheit, Finanzberatung, Freizeit, häusliche Dienste - das sind die Märkte von Morgen, und die Verbraucher sind älter als sechzig. Der Marketingexperte Andreas Reidl macht in seinem Text mit sympathischer Empörung darauf aufmerksam, dass schon die heutige Rentnergeneration nicht mit Blasmusik, sondern den Rolling Stones aufwuchs. Dennoch fallen der Industrie bislang als Produkte für Ältere nicht viel mehr als Prothesenspülbäder und Treppenlifts ein. Hier ist ein Umdenken dringend erforderlich. Wenn immer mehr Menschen lange leben, wird der Begriff der multikulturellen Gesellschaft neu an Aktualität gewinnen, so lautet die These des Schweizer Soziologie-Professors François Höpflinger:
"Eine dynamische multigenerationelle Gesellschaft wird faktisch zu einer multikulturellen Gesellschaft, da jede Generation andere Sozialisationsbedingungen und lebensgeschichtliche Muster erfahren hat. "
In einer Welt, wo die einen noch die Dampflok kennen, die anderen ohne Computer nicht mehr schreiben können, müssten die Jungen die Lebenswirklichkeit der Älteren aktiv nachvollziehen, während die Älteren Aufgaben für das Gemeinwesen übernehmen. Erfreulich, dass das Buch hier mit Vorurteilen aufräumt: Denn trotz des viel beschworenen "Generationenkonfliktes" haben wir heute eine erstaunliche Solidarität zwischen den Generationen zu verzeichnen, erklärt der Lebenszeitforscher Michael Pries vom B.A.T. Freizeit-Forschungsinstitut in Hamburg:
"Sieben Prozent der jüngeren Generation im Alter bis zu neunundzwanzig Jahren unterstützen ihre Eltern regelmäßig durch Geld und Sachmittel. Und fast ein Viertel der Jüngeren leistet regelmäßig persönliche Hilfen wie Haushaltsarbeiten und Besorgungen. "
Umgekehrt fließen erhebliche Ströme an Geld und Hilfen von den Älteren zu den Jüngeren. Von dem privaten Generationenpakt profitieren allerdings vorwiegend Menschen in familiären Netzwerken, denn wer sich auf gleichaltrige Freunde verlässt, bleibt im Alter oft alleine übrig. Schade, dass Pries nur die Forderung einfällt, die Familie staatlich zu fördern - als wären hier nicht Ideen gefragt, wie sich in unserer Gesellschaft generell mehr tragfähige Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Generationen schaffen lassen. Die zwölf Autoren von "Altersgesellschaft" werden der Vielschichtigkeit des Themas gerecht, ohne je ausufernd zu sein oder in Klagelieder und Fachsprachen abzugleiten. Die Texte sind dicht, aber immer verständlich geschrieben. Hier wird nicht in erster Linie ein Fachpublikum angesprochen, sondern aus der Fülle der klugen Gedanken können sich alle bedienen, die mit alten Menschen arbeiten oder leben - oder wissen, wie schnell sie selbst dazu gehören.
"Die Zukunft der Altersgesellschaft - Analysen und Visionen", Herausgegeben von Helmut Bachmaier
Wallstein Verlag
14 Euro
Warum nicht über ein Wahlrecht für Kinder und Jugendliche nachdenken? So würden die Ansprüche junger Menschen von einer alternden Gesellschaft berücksichtigt - ein Ausdruck von Generationengerechtigkeit, meint Künzli. Gesundheit, Finanzberatung, Freizeit, häusliche Dienste - das sind die Märkte von Morgen, und die Verbraucher sind älter als sechzig. Der Marketingexperte Andreas Reidl macht in seinem Text mit sympathischer Empörung darauf aufmerksam, dass schon die heutige Rentnergeneration nicht mit Blasmusik, sondern den Rolling Stones aufwuchs. Dennoch fallen der Industrie bislang als Produkte für Ältere nicht viel mehr als Prothesenspülbäder und Treppenlifts ein. Hier ist ein Umdenken dringend erforderlich. Wenn immer mehr Menschen lange leben, wird der Begriff der multikulturellen Gesellschaft neu an Aktualität gewinnen, so lautet die These des Schweizer Soziologie-Professors François Höpflinger:
"Eine dynamische multigenerationelle Gesellschaft wird faktisch zu einer multikulturellen Gesellschaft, da jede Generation andere Sozialisationsbedingungen und lebensgeschichtliche Muster erfahren hat. "
In einer Welt, wo die einen noch die Dampflok kennen, die anderen ohne Computer nicht mehr schreiben können, müssten die Jungen die Lebenswirklichkeit der Älteren aktiv nachvollziehen, während die Älteren Aufgaben für das Gemeinwesen übernehmen. Erfreulich, dass das Buch hier mit Vorurteilen aufräumt: Denn trotz des viel beschworenen "Generationenkonfliktes" haben wir heute eine erstaunliche Solidarität zwischen den Generationen zu verzeichnen, erklärt der Lebenszeitforscher Michael Pries vom B.A.T. Freizeit-Forschungsinstitut in Hamburg:
"Sieben Prozent der jüngeren Generation im Alter bis zu neunundzwanzig Jahren unterstützen ihre Eltern regelmäßig durch Geld und Sachmittel. Und fast ein Viertel der Jüngeren leistet regelmäßig persönliche Hilfen wie Haushaltsarbeiten und Besorgungen. "
Umgekehrt fließen erhebliche Ströme an Geld und Hilfen von den Älteren zu den Jüngeren. Von dem privaten Generationenpakt profitieren allerdings vorwiegend Menschen in familiären Netzwerken, denn wer sich auf gleichaltrige Freunde verlässt, bleibt im Alter oft alleine übrig. Schade, dass Pries nur die Forderung einfällt, die Familie staatlich zu fördern - als wären hier nicht Ideen gefragt, wie sich in unserer Gesellschaft generell mehr tragfähige Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Generationen schaffen lassen. Die zwölf Autoren von "Altersgesellschaft" werden der Vielschichtigkeit des Themas gerecht, ohne je ausufernd zu sein oder in Klagelieder und Fachsprachen abzugleiten. Die Texte sind dicht, aber immer verständlich geschrieben. Hier wird nicht in erster Linie ein Fachpublikum angesprochen, sondern aus der Fülle der klugen Gedanken können sich alle bedienen, die mit alten Menschen arbeiten oder leben - oder wissen, wie schnell sie selbst dazu gehören.
"Die Zukunft der Altersgesellschaft - Analysen und Visionen", Herausgegeben von Helmut Bachmaier
Wallstein Verlag
14 Euro