Die Anfänge einer Epoche
Ein Gemälde von der Entstehung des modernen Chinas hat Luo Linguan mit ihrem Roman "Die Sterne von Shenzhen” entworfen. Er handelt vom schwierigen Leben im Zentrum einer Wirtschaft, die gerade anfängt, sich vor Dynamik zu überschlagen, und vom Aufstieg und Fall des Unternehmers Dai Xingkong.
China stehen schwere Zeiten bevor, heißt es, wenn man in die Wirtschaftsteile der Zeitungen schaut. Wegen seiner ungünstigen demografischen Struktur muss das Land reich werden, bevor es alt wird, doch nun verliert das rasante Wachstum der chinesischen Wirtschaft an Geschwindigkeit.
Eine Epoche scheint zu Ende zu gehen. Wie sie anfing, das kann man in "Die Sterne von Shenzhen” nachlesen, dem neuen Roman der deutsch-chinesischen Autorin Luo Lingyuan. Man kann ihn lesen wie einen historischen Roman, auch wenn er 1997 spielt. Er handelt vom schwierigen Leben im Zentrum einer Wirtschaft, die gerade anfängt, sich vor Dynamik zu überschlagen.
Die Titel gebende Stadt Shenzhen befindet sich in jener Sonderwirtschaftszone, mit der die chinesische Regierung in den Achtzigerjahren erst vorsichtig und dann immer wagemutiger anfing, ihre sozialistischen Prinzipien durch marktwirtschaftliche Elemente zu ersetzen.
Mit allem, was dazugehört: Da gibt es Vermögen, die in kurzer Zeit aufgetürmt werden, korrupte Beamte, die ihren Teil abhaben wollen. Hochhäuser werden doppelt so hoch gebaut wie ursprünglich geplant, schlicht, weil die Unternehmen während des Baus entdecken, dass sie noch mehr Platz brauchen als angenommen.
Die Hauptfigur Dai Xingkong ist einer der Unternehmer von Shenzhen. Er hat einen Mischkonzern aufgebaut, der sein Geld mit Computerprogrammen und chinesischer Medizin macht - vor allem mit einer Kräutertinktur namens "Gehirnpräsident”, die die Lernleistungen von Kindern stimulieren soll. Angesichts der chinesischen Einkindpolitik eine Lizenz zum Gelddrucken.
"Die Sterne von Shenzhen” beschreibt auf 400 Seiten seinen Aufstieg und seinen Fall. Wie aus dem Studenten ein Unternehmer wird, wie aus dem Unternehmer ein Konzernlenker wird und wie der Konzernlenker an den Komplexitäten dieses wild wuchernden Kapitalismus scheitert.
Luo Lingyang skizziert in ihrem Buch das Panorama einer Gesellschaft, die zum großen Sprung ansetzt. Alle Spieler des rasanten chinesischen Wirtschaftsaufschwungs kommen vor. Nicht nur die Unternehmer, ihre Angestellten und die modernen Beamten. Auch die, die die Kehrseite einer solchen Entwicklung bilden: die Produktfälscher, die Erpresserbanden, die bestechlichen Funktionäre.
So ehrgeizig "Die Sterne von Shenzhen" als Gemälde der Entstehung des modernen China ist - manchmal hat man bei der Lektüre das Gefühl, als vergesse Luo Lingyuan über all den Details, die sie ausmalt, welche Geschichte sie nun eigentlich erzählen will: die Räuberpistole vom Kampf gegen die Produktfälscher, die tragische Romanze vom Unternehmer, der glaubt, sich keine Gefühle leisten zu können oder die Wirtschaftsgeschichte vom Entstehen einer Industriestadt?
Etwas weniger Willen zum großen Wurf wäre da sicher mehr gewesen. Hundert Seiten weniger hätten es auch getan. Auf der anderen Seite: Anders ist die Abbildung dieses gesellschaftlichen Prozesses nicht zu haben. Unübersichtlichkeit ist ja eines seiner hervorstechenden Merkmale - und der Unternehmer Dai Xingkong gerät nicht zuletzt deshalb ins Stolpern, weil er selbst das große Bild aus den Augen verliert.
Rezensiert von Tobias Rapp
Luo Lingyuan: Die Sterne von Shenzhen
dtv premium
414 Seiten, 14,90 Euro
Eine Epoche scheint zu Ende zu gehen. Wie sie anfing, das kann man in "Die Sterne von Shenzhen” nachlesen, dem neuen Roman der deutsch-chinesischen Autorin Luo Lingyuan. Man kann ihn lesen wie einen historischen Roman, auch wenn er 1997 spielt. Er handelt vom schwierigen Leben im Zentrum einer Wirtschaft, die gerade anfängt, sich vor Dynamik zu überschlagen.
Die Titel gebende Stadt Shenzhen befindet sich in jener Sonderwirtschaftszone, mit der die chinesische Regierung in den Achtzigerjahren erst vorsichtig und dann immer wagemutiger anfing, ihre sozialistischen Prinzipien durch marktwirtschaftliche Elemente zu ersetzen.
Mit allem, was dazugehört: Da gibt es Vermögen, die in kurzer Zeit aufgetürmt werden, korrupte Beamte, die ihren Teil abhaben wollen. Hochhäuser werden doppelt so hoch gebaut wie ursprünglich geplant, schlicht, weil die Unternehmen während des Baus entdecken, dass sie noch mehr Platz brauchen als angenommen.
Die Hauptfigur Dai Xingkong ist einer der Unternehmer von Shenzhen. Er hat einen Mischkonzern aufgebaut, der sein Geld mit Computerprogrammen und chinesischer Medizin macht - vor allem mit einer Kräutertinktur namens "Gehirnpräsident”, die die Lernleistungen von Kindern stimulieren soll. Angesichts der chinesischen Einkindpolitik eine Lizenz zum Gelddrucken.
"Die Sterne von Shenzhen” beschreibt auf 400 Seiten seinen Aufstieg und seinen Fall. Wie aus dem Studenten ein Unternehmer wird, wie aus dem Unternehmer ein Konzernlenker wird und wie der Konzernlenker an den Komplexitäten dieses wild wuchernden Kapitalismus scheitert.
Luo Lingyang skizziert in ihrem Buch das Panorama einer Gesellschaft, die zum großen Sprung ansetzt. Alle Spieler des rasanten chinesischen Wirtschaftsaufschwungs kommen vor. Nicht nur die Unternehmer, ihre Angestellten und die modernen Beamten. Auch die, die die Kehrseite einer solchen Entwicklung bilden: die Produktfälscher, die Erpresserbanden, die bestechlichen Funktionäre.
So ehrgeizig "Die Sterne von Shenzhen" als Gemälde der Entstehung des modernen China ist - manchmal hat man bei der Lektüre das Gefühl, als vergesse Luo Lingyuan über all den Details, die sie ausmalt, welche Geschichte sie nun eigentlich erzählen will: die Räuberpistole vom Kampf gegen die Produktfälscher, die tragische Romanze vom Unternehmer, der glaubt, sich keine Gefühle leisten zu können oder die Wirtschaftsgeschichte vom Entstehen einer Industriestadt?
Etwas weniger Willen zum großen Wurf wäre da sicher mehr gewesen. Hundert Seiten weniger hätten es auch getan. Auf der anderen Seite: Anders ist die Abbildung dieses gesellschaftlichen Prozesses nicht zu haben. Unübersichtlichkeit ist ja eines seiner hervorstechenden Merkmale - und der Unternehmer Dai Xingkong gerät nicht zuletzt deshalb ins Stolpern, weil er selbst das große Bild aus den Augen verliert.
Rezensiert von Tobias Rapp
Luo Lingyuan: Die Sterne von Shenzhen
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414 Seiten, 14,90 Euro