Die Angst vor dem Krieg zeigen

Gorch Pieken im Gespräch mit Dieter Kassel |
Bisher waren Militärmuseen hauptsächlich Technikmuseen. Doch in Dresden wird versucht, Gewalt als historisches und kulturelles Phänomen zu untersuchen. Ausstellungsmacher Gorch Pieken will die Besucher sogar mit ihrem eigenen Aggressionspotenzial konfrontieren.
Dieter Kassel: Am Freitag wird das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden vom Bundesverteidigungsminister de Maizière feierlich wiedereröffnet nach jahrelangem Umbau. Ab dem Wochenende ist es dann für jedermann zu sehen, aber schon heute findet der Journalistenrundgang in der neuen Dauerausstellung statt und man darf davon ausgehen, dass heute Abend in den elektronischen Medien und morgen früh in den Zeitungen dann einiges zu lesen sein wird, was auch von gewissem Erstaunen zeugt.

Denn wer jetzt auch in Dresden eine Ausstellung erwartet, die ein bisschen so ist wie die in den berühmten anderen Militärmuseen wie dem Imperial War Museum in London oder dem Musée de l'Armée in Paris, der wird ziemlich Augen machen, denn die neue Dauerausstellung im Dresdener Museum, die verfolgt ein für Museen dieser Art doch ziemlich neues Konzept und ist natürlich überwiegend auch in einem neuen Gebäudeteil zu sehen. Das ist von außen schon spektakulär, der sogenannte Libeskind-Keil, der neue Gebäudeteil, den der Architekt Daniel Libeskind in dieses schon über 100 Jahre alte Gebäudearrangement hineingebaut hat.

Aber wie gesagt: Noch erstaunlicher als das Außen ist das Drinnen, und über das Drinnen wollen wir jetzt mit dem wissenschaftlichen Leiter des Museums sprechen, mit Dr. Gorch Pieken. Schönen guten Morgen, Herr Pieken!

Gorch Pieken: Guten Morgen!

Kassel: Lassen Sie uns mit dem anfangen, was mir in der Beschreibung am spektakulärsten vorgekommen ist: Es gibt da einen Parcours bei Ihnen, der heißt "Leiden am Krieg", und da wird sogar gewarnt, wenn man da reingeht: Kinder nur in Begleitung Erwachsener und es wird gewarnt davor, dass man verstörende Dinge dort zu sehen bekommt. Was bekommt man denn in diesem Teil zu sehen?

Pieken: Das ist ein Ausstellungsbereich im Neubau von Daniel Libeskind, der heißt tatsächlich "Leiden am Krieg". Da haben wir das Erzählprinzip der Ausstellung umgekehrt: Man wird nicht auf eine Vitrine zugehen, sondern auf ein Kabinett, das erst mal geschlossen, abweisend wirkt. Und dann gibt es einen Eingang da hinein und an diesem Eingang, wie Sie schon richtig gesagt haben, gibt es dann ein Hinweisschild für Familien, für die Besucher, dass man hier Exponaten begegnet, die vielleicht unerwartet ausgestellt werden oder vielleicht ein bisschen unerwartet sind für ein militärhistorisches Museum, zumindest im Imperial War Museum oder in anderen Militärmuseen gibt es diese Exponate nicht.

Zum Beispiel Humanexponate, also Exponate aus wehrmedizinischen Sammlungen, der Charité zum Beispiel auch in Berlin, und ausgestellt wird zum Beispiel das Rückgrat eines Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg mit einer schweren Verletzung, mit einem Schuss in sein Rückgrat, mit dieser Verletzung hat er allerdings noch 47 Jahre überlebt. Und dieses Schild und auch diese Art der Ausstellung ist dazu gedacht, um einmal den Besucher vorzubereiten, aber auch die Exponate zu schützen, wenn ich das Stichwort postmortale Menschenwürde nennen darf.

Kassel: Das ist natürlich auch einer der Gründe, warum so etwas bisher nicht gemacht wurde, manche Leute sagen, das geht moralisch nicht, so etwas auszustellen.

Pieken: Diese Frage haben wir uns natürlich gestellt und intensiv diskutiert, auch im Zusammenhang mit anderen Exponaten oder Installationen in dieser Ausstellung. Wir zeigen zum Beispiel Laborfilme mit Tierversuchen, wo Waffen erprobt werden an Tieren, und das qualvolle Sterben dieser Tiere zeigen. Das wurde sehr intensiv von uns diskutiert, aber ich bin zu der festen Überzeugung gekommen, dass es pädagogisch unverantwortlich wäre, es nicht zu zeigen, wenn man mit dem Eindruck aus einem solchen Museum geht, dass Krieg etwas Harmloses wäre, nur aus gebügelten Uniformen und polierten Granaten bestehen würde.

Kassel: Ich würde gerne, um klarzumachen, dass es – mein Eindruck ist das zumindest – bei Ihrer Ausstellung auch nicht immer leicht gewesen sein kann, die richtigen Exponate überhaupt zu finden, über ein konkretes Beispiel reden: In Ihrer Ausstellung kann man auch eine blutbefleckte Bibel sehen, die einem griechischen Priester gehörte, der von deutschen Soldaten ermordet wurde. Zwei Fragen: Wie kommt man überhaupt, so ein Ausstellungsstück zu wollen, und wie findet man es dann?

Pieken: Die Historiker in einem Museum, die ähneln eigentlich Detektiven auf der Suche nach Bildgeschichten, nach Objekten, nach Dokumenten, die Geschichte anschaulich machen, von denen wir auch glauben, dass sie den Menschen berühren, dass sie den Menschen ansprechen, auch die Menschen, die vielleicht für das geschriebene Wort nicht so zugänglich sind. Das ist eben das Museum, das manchmal auch für einige Kritiker die Inhalte auf einen sehr plakativen Nenner herunterbricht in diesen Bildergeschichten. Und die Bibel aus Comino, einem kleinen griechischen Dorf, wurde recherchiert von einem Mitarbeiter, der Muttersprachler, Grieche ist. Und für uns ist ganz wesentlich, für den Zweiten Weltkrieg auch ein Schauplatz des Krieges auch zu thematisieren, der eigentlich im Zweiten Weltkrieg zumindest aus deutscher Sicht so ein wenig übersehen wird.

Kassel: Man muss, glaube ich, feststellen nach dem, was Sie jetzt schon erzählt haben, das gilt auch für den größten Teil des Rests der Ausstellung: Man kann Ihr Museum ein Militärmuseum nennen, man kann es ein Kriegsmuseum nennen, aber wahrscheinlich muss man es ein Antikriegsmuseum nennen?

Pieken: Das will ich so nicht sagen. Also, es ist weder ein Kriegsmuseum noch ein Antikriegsmuseum, denn der Pazifismus per se ist keine unschuldige Position, weil die unterlassene Hilfeleistung oder der unterlassene Krieg kann im Zweifel verwerflicher sein als der Krieg, denken Sie nur an die Befreiung der Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg. Diese wurden von Soldaten befreit. Und ich sage immer ganz gerne, dass dieses Militärmuseum vielleicht den Mut aufbringt, Angst vor dem Krieg zu haben und diese Angst auch zu zeigen. Wir sind Wissenschaftler und dieses Museum steht unter dem Primat der Geschichtswissenschaft, über allen anderen Interessen und so, wie das Deutsche Historische Museum auch oder das Haus der Geschichte in Bonn. Und insofern ist es nicht verwunderlich, wenn Historiker eine historisch-kritische Ausstellung machen.

Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit Dr. Gorch Pieken, er ist der wissenschaftliche Leiter des Militärhistorischen Museums in Dresden, das Ende der Woche wiedereröffnet wird. Das ist, Herr Dr. Pieken, ja das Museum der Bundeswehr, über 50 Millionen aus dem Verteidigungsministerium sind auch geflossen für den Umbau des Museums. War eigentlich Ihre – Sie haben ja gesagt, Sie sind Wissenschaftler – wissenschaftliche Entscheidung, die Ausstellung so auszurichten, wie sie ausgerichtet wurde, bei den sozusagen Auftraggebern völlig unumstritten?

Pieken: Für mich spürbar, wahrnehmbar vollkommen unumstritten. Wir werden… dieses Projekt wird begleitet durch einen wissenschaftlichen Beirat aus zwölf unabhängigen Wissenschaftlern, sehr anerkannten, bekannten Geschichtsdozenten deutscher Universitäten, anderen Museumsdirektoren, zum Beispiel der Präsident des Hauses der Geschichte in Bonn ist Mitglied in diesem Beirat oder der ehemalige Direktor des heeresgeschichtlichen Museums in Wien, wir haben einen englischen Beirat, unabhängige Wissenschaftler. Und das war das Gremium, mit dem ich die Inhalte diskutiert habe, nicht mit einem Referat oder mit einer Abteilung im Bundesministerium der Verteidigung. Natürlich sind wir hundertprozentiger Zuwendungsempfänger des Bundes, das ist aber auch das Deutsche Historische Museum oder das Haus der Geschichte in Bonn.

Kassel: Sie haben im Vorfeld, ein paar Tage, paar Wochen zum Teil, bevor jetzt die Ausstellung wirklich eröffnet wird, in Interviews schon gesagt, dass Sie eigentlich fest damit rechnen, dass es auch Kritik geben wird. Wenn, gibt es die ja ab heute Abend, morgen, wenn die Presse durchgelaufen ist. Warum eigentlich? Im Prinzip ist doch die Idee, in einem Museum, das sich mit Krieg beschäftigt, die Leiden und Schrecken des Krieges zu zeigen, gar nicht kritisierbar?

Pieken: Na ja, Militärmuseen klassischerweise waren Technikmuseen. Dieses Museum ist primär kein technisches Museum mehr, sondern ein historisches Museum. Diese ganzen Verästelungen, Verzweigungen in die Mentalitätsgeschichte, Politikgeschichte, Kulturgeschichte und soziale Geschichte hinein. Und das ist eine ganz neue Perspektive und wir gehen ja sogar noch einen Schritt weiter, indem wir den Besucher mit seinem eigenen Aggressionspotenzial konfrontieren. Das ist sehr ungewöhnlich, also in einem Militärmuseum Gewalt als ein historisches Phänomen, als ein kulturelles und anthropologisches Phänomen zu thematisieren. Und insofern öffnen wir da schon ganz neue Perspektiven auf das Thema und machen Gewalt und das Thema Militär erfahrbar eben für alle Menschen der Gesellschaft, weil wir der Überzeugung sind, dass es jeden angeht, dieses Thema.

Kassel: Sie haben sich sogar entschlossen, auch den Bundeswehreinsatz in Afghanistan schon zu thematisieren, was mich aus dem banalen Grund wundert, das ist ja nun beim besten Willen noch nicht Geschichte.

Pieken: Da haben Sie recht, das ist schwierig. Das Deutsche Historische Museum macht einen Cut 1995 in der Dauerausstellung in Berlin, weil man als Historiker natürlich da Probleme hat, weil die Archive nicht geöffnet sind, man nicht alle Perspektiven einnehmen kann, nicht alle Akteure zu Worte kommen lassen kann, es noch keine Forschung zu den Themen gibt. Aber wir als Militärhistorisches Museum können die Gegenwart einfach nicht ausschließen, dafür verstehen wir uns zu sehr auch als ein Forum der kritischen und fachkundigen Auseinandersetzung über aktuelle Sicherheitspolitik. Und in diesem Teil sind wir sicherlich ein bisschen essayistischer als in den anderen Bereichen, ein bisschen flüchtiger als in den anderen Bereichen, mehr so als Angebot für Diskussionen.

Kassel: Das ist eigentlich ein sehr, sehr altes Gelände, über 100 Jahre alt. Es gab auch immer schon Militärmuseen da von ganz verschiedenen Armeen, aber neu ist jetzt natürlich dieser Libeskind-Teil, das neue Gebäude. Das meiste, worüber wir gesprochen haben, ist ja auch da drin. Haben Sie einfach hingenommen, was da jetzt steht, oder korrespondiert die Ausstellung auch mit dieser Architektur?

Pieken: Also, wir haben die Architektur als Rahmen, aber nicht als Spielanweisung verstanden, und trotzdem haben wir sehr eng mit dem Architekten kooperiert und zusammengearbeitet. Und ich glaube, beide finden sich im Ergebnis wieder und sind zufrieden mit dem Ergebnis. Und der Themenparcours, der Neubau von Daniel Libeskind macht ungefähr ein Drittel der Ausstellungsfläche aus. Und wir haben noch einen Altbau, ein altes Arsenalgebäude aus dem 19. Jahrhundert und da sind zwei Drittel der Ausstellung. Und ich sage auch immer ganz gerne, dass wir eigentlich zwei Museen haben unter einem Dach: Wir haben einen eher klassischen Teil im Altbau, chronologische Erzählung vom Mittelalter bis in die Gegenwart, und dann den Neubau, wo man eben nicht in diesen suggestiven Fluss der Chronologie abtaucht, wo Zahlen und Daten, zumindest die Jahreszahlen keine so große Rolle spielen, Themeninseln, vielleicht auch als Angebot für die Besucher, die sich vorher noch nicht mit Militärgeschichte so intensiv auseinandergesetzt haben.

Kassel: Man kann das neue Militärhistorische Museum auf dem alten Gelände ab dem November als ganz normaler Mensch sehen, Freitag ist die große Eröffnungsfeier und am Wochenende gibt es ein ausführliches kulturelles Begleitprogramm. Was da im Detail läuft, das kann man im Internet nachgucken: mhmbw.de ist die Adresse, Militärhistorisches Museum der Bundeswehr. Wir haben gesprochen mit dem wissenschaftlichen Leiter des Museums Dr. Gorch Pieken. Herr Pieken, ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen gnädige Journalisten jetzt gleich beim Rundgang!

Pieken: Danke schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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