Die Angst wegtanzen
Beirut behauptet sich als Party-Hauptstadt der arabischen Welt. Alkohol, Schönheits-OPs, Homosexualität – alles, was sonst ungern in der Öffentlichkeit gesehen wird, gehört in Beirut zum Alltag. Doch auch hier gibt es Repressionen, vor allem gegen junge Frauen.
Der Abend beginnt um sechs Uhr mit einem ersten Wodka-O und einem kleinen Joint. Schließlich ist die Nacht noch lang und R.* (Anmerkung: Name der Redaktion bekannt) muss die anderen Mädels noch zur Party fahren. Happy Hour in Beiruts Innenstadt. Die Straßenbars und kleinen Cafés sind voll. Essen, erste Getränke für die Nacht. Auf der anderen Straßenseite huschen Gläubige in eine Moschee zum Freitagsgebet. Soldaten in grauen Uniformen sorgen mit Absperrgittern und M16-Maschinengewehren dafür, dass sich beide Gruppen nicht vermischen. Dabei ist es in diesem Teil Beiruts seit Jahren nicht mehr zu größeren Zwischenfällen gekommen.
"Der Libanon liegt ziemlich zentral. Es ist ein Ort im Nahen Osten, der frei ist. Du kannst hier in der Stadt machen, was immer Du willst."
R. geht trotz ihres angedeuteten Irokesenschnitts und ihrer einnehmenden Erscheinung zwischen den anderen Gästen im Café unter. Zusammen mit vier Freundinnen sitzt sie an einem Tisch vor der geöffneten Glasfront. Die 41-Jährige ist der Kern der Gruppe; lacht am lautesten, spricht am meisten. Alles ist immer "großartig", wenn sie erzählt. Sie sieht aus wie eine Mischung aus Boy George und Hella von Sinnen. Und so will sie auch die Nacht verbringen.
"Ich hatte wirklich epische Momente beim Feiern hier im Libanon. Und ich hab schon überall gefeiert."
Während es im südlichen Teil Beiruts, im Hizbollah-Gebiet, und in anderen Städten des Landes immer öfter zu Übergriffen und Schusswechseln zwischen Sunniten, Schiiten und dem Militär kommt, geht die Party in Beiruts Mitte für R. und ihre Freundinnen einfach weiter.
"Der Libanon überzeugt jeden. Selbst wenn man sonst nicht so auf Partys steht: Im Libanon wird jeder zum Super-Helden der Partyszene. Hier wird Non-Stop gefeiert, die Party endet nie."
Und sie steigert sich für R. und ihre Freundinnen langsam: Bei den nächsten Cocktails in einem Club auf einem Hoteldach. Unten glitzert das tote Mittelmeer.
Als der Krieg begann, war R. gerade geboren worden. Als er endete, war sie im besten Alter, am Wiederaufbau ihres Landes mitzuwirken: Als Event-Planerin.
"Mitte der 90er-Jahre ging es richtig los. Das war die Zeit des Wiederaufbaus für den Libanon. Viele internationale Firmen haben in das Land investiert, es wurde viel gebaut, das Land war im Aufschwung. In dieser Zeit wurden auch die unglaublichsten Künstler und DJs aus der ganzen Welt in den Libanon geholt."
Dann kam im Jahr 2005 der Bomben-Anschlag auf Libanons Ex-Premier Rafik Hariri – mitten in Beiruts Downtown. Von der Dachterrasse aus kann R. auf die Stelle herunter schauen, an der heute immer noch eine Skulptur an die Tat erinnert.
"Selbst wenn hier eine Bombe hochgeht, gehen die Menschen anschließend auf die Dachterrassen hoch und trinken ein paar Cocktails, als ob nichts gewesen wäre. Ich bin damals an den Strand gegangen, nur ein paar hundert Meter von der Stelle entfernt, und die Leute haben einfach weitergemacht, als ob nichts gewesen wäre. Komplett selbstvergessen. Wir sind hier so daran gewöhnt. Man fragt kurz, o.k. was ist genau passiert? Wie viele Menschen? Und dann geht es weiter."
Auch auf der Dachterrasse. Das offizielle Motto des Clubs: No one gets shot here. Here you get Shots! - Rum statt Raketen.
"Es ist alles total vergesellschaftet hier, man kann fast sagen ‚über-sozialisiert‘. Exzessiv sozialisiert. Jeder hat hier gerade irgendwas Neues am Laufen. Da muss man doch rausgehen, um auf dem Neuesten zu bleiben."
"Der Libanon liegt ziemlich zentral. Es ist ein Ort im Nahen Osten, der frei ist. Du kannst hier in der Stadt machen, was immer Du willst."
R. geht trotz ihres angedeuteten Irokesenschnitts und ihrer einnehmenden Erscheinung zwischen den anderen Gästen im Café unter. Zusammen mit vier Freundinnen sitzt sie an einem Tisch vor der geöffneten Glasfront. Die 41-Jährige ist der Kern der Gruppe; lacht am lautesten, spricht am meisten. Alles ist immer "großartig", wenn sie erzählt. Sie sieht aus wie eine Mischung aus Boy George und Hella von Sinnen. Und so will sie auch die Nacht verbringen.
"Ich hatte wirklich epische Momente beim Feiern hier im Libanon. Und ich hab schon überall gefeiert."
Während es im südlichen Teil Beiruts, im Hizbollah-Gebiet, und in anderen Städten des Landes immer öfter zu Übergriffen und Schusswechseln zwischen Sunniten, Schiiten und dem Militär kommt, geht die Party in Beiruts Mitte für R. und ihre Freundinnen einfach weiter.
"Der Libanon überzeugt jeden. Selbst wenn man sonst nicht so auf Partys steht: Im Libanon wird jeder zum Super-Helden der Partyszene. Hier wird Non-Stop gefeiert, die Party endet nie."
Und sie steigert sich für R. und ihre Freundinnen langsam: Bei den nächsten Cocktails in einem Club auf einem Hoteldach. Unten glitzert das tote Mittelmeer.
Als der Krieg begann, war R. gerade geboren worden. Als er endete, war sie im besten Alter, am Wiederaufbau ihres Landes mitzuwirken: Als Event-Planerin.
"Mitte der 90er-Jahre ging es richtig los. Das war die Zeit des Wiederaufbaus für den Libanon. Viele internationale Firmen haben in das Land investiert, es wurde viel gebaut, das Land war im Aufschwung. In dieser Zeit wurden auch die unglaublichsten Künstler und DJs aus der ganzen Welt in den Libanon geholt."
Dann kam im Jahr 2005 der Bomben-Anschlag auf Libanons Ex-Premier Rafik Hariri – mitten in Beiruts Downtown. Von der Dachterrasse aus kann R. auf die Stelle herunter schauen, an der heute immer noch eine Skulptur an die Tat erinnert.
"Selbst wenn hier eine Bombe hochgeht, gehen die Menschen anschließend auf die Dachterrassen hoch und trinken ein paar Cocktails, als ob nichts gewesen wäre. Ich bin damals an den Strand gegangen, nur ein paar hundert Meter von der Stelle entfernt, und die Leute haben einfach weitergemacht, als ob nichts gewesen wäre. Komplett selbstvergessen. Wir sind hier so daran gewöhnt. Man fragt kurz, o.k. was ist genau passiert? Wie viele Menschen? Und dann geht es weiter."
Auch auf der Dachterrasse. Das offizielle Motto des Clubs: No one gets shot here. Here you get Shots! - Rum statt Raketen.
"Es ist alles total vergesellschaftet hier, man kann fast sagen ‚über-sozialisiert‘. Exzessiv sozialisiert. Jeder hat hier gerade irgendwas Neues am Laufen. Da muss man doch rausgehen, um auf dem Neuesten zu bleiben."
Von den Eltern ziemlich verwöhnt
Andere sagen, die Leute gehen auch einfach raus, um der Enge ihres Elternhauses zu entfliehen. Die Mieten in der Hauptstadt sind enorm, für ein kleines Zimmer muss man mindestens 400 Dollar im Monat zahlen. Das Einkommen liegt bei den meisten nur knapp darüber. Die, die Geld haben, geben auf den Dachterrassen dafür gerne mal 500 Dollar für eine Flasche Wodka oder Champagner aus. Die anderen wohnen noch zu Hause bei den Eltern. So wie R. mit ihren 41 Jahren.
"Die Eltern hier kümmern sich aber auch ziemlich – als ob sie für ihre Babys immer noch sorgen müssten. Ich glaube, die Libanesen werden von ihren Eltern ziemlich verwöhnt. Ein bisschen zu viel. Vielleicht wollen die Eltern da aber auch einfach was wegen der Kriegsjahre kompensieren."
Hochfrisierte Frauen in kurzen, bunten Kleidchen schieben sich an R. und ihren Freundinnen vorbei, die mit Rautenpulli und sportlichem Jogging-Top am Rand der Tanzfläche stehen. Eine Ausnahme, dass sie an diesem Abend überhaupt auf der schicken Dachterrasse sind.
Für viele der Frauen hier hat die Party schon nachmittags begonnen – mit einem Besuch in einer der zahlreichen Schönheitskliniken Beiruts.
"Das fängt schon im jungen Alter an. Erst die Nase, später dann die Brüste oder die Ohren. Wenn die Leute älter werden gibt es Botox gegen die Fältchen, so Ende der 20er, Anfang der 30er. Und dann gibt es jetzt das sogenannte Mummy make over: Frauen, die Kinder bekommen haben, die lassen sich nach der Geburt Bauch und Brüste auffrischen. Das kommt die letzten zehn Jahre verstärkt."
Roland Thomé ist Schönheits-Chirurg an zwei Kliniken in Beirut. Etwa zehn Operationen macht er die Woche: 4.000 Euro für neue Brüste, 1.000 Euro für einen kleineren Magen, 4.000 für eine gerade Nase – besonders beliebt, sagt Roland Thomé.
"Es ist ein Trend, es gehört einfach dazu. Es ist auch ein Anti-Stress-Mittel. Wenn es dir nicht gut geht, machst du eine kleine Operation und es geht dir besser. Viele denken darüber nach."
Etwa eineinhalb Millionen Schönheitsoperationen werden jedes Jahr im Libanon durchgeführt. Doch woher kommt dieser unbedingte Wunsch, sich neu zu erfinden? Ein Wunsch, der so stark ist, dass sogar die Banken explizit Kredite für Schönheitsoperationen vergeben.
"Das wird vielfach von den Müttern, Großmüttern oder Tanten an die Kinder weitergegeben. Ihr ganzes Umfeld ist auf das Aussehen ausgerichtet. Junge Frauen sollen gut aussehen, um erfolgreich zu sein."
… sagt Brigitte Khoury. Die Psychologie-Professorin arbeitet an der renommierten American University of Beirut. In ihre Sprechstunde kommen häufiger Frauen mit Minderwertigkeitskomplexen.
"Der Libanon ist in allem sehr konkurrenzlastig. Es ist ein kleines Land, hat wenig Ressourcen. Die Leute kämpfen hier um alles: Um Jobs, Freunde, sogar um Parkplätze. Das Land hält nicht für jeden genug bereit. Daher auch dieser unbedingte Konkurrenzgedanke."
Gerade bei den Frauen. Denn nach all den Kriegen der vergangenen Jahrzehnte sind Männer Mangelware im Land: Auf einen Mann im heiratsfähigen Alter kommen etwa sechs Frauen, sagt Professorin Khoury.
Vier Frauen sitzen in einem weißen BMW X1 und fahren zur nächsten Party. Stillstand gibt es im Libanon nicht, die Party muss immer weiter gehen. Vier Mal ziehen R. und ihre Freundinnen in dieser Nacht weiter durch die verschiedenen Clubs. Es geht vorbei am Gerippe des alten Holiday Inn Hotels, vorbei an der Corniche, dem Küsten-Boulevard zwischen Ost- und West-Beirut, auf dem die Pärchen und alle, die sonst gesehen werden wollen, flanieren.
Am Rand sitzen einige Frauen und Kinder in zerschlissener Kleidung und betteln: Syrer. Es werden immer mehr. Seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland vor gut zwei Jahren sind offiziellen Angaben zufolge mehr als eine halbe Million Syrer in den Libanon geflohen. Die libanesische Regierung geht intern sogar von mehr als einer Million Flüchtlinge aus. Das wäre ein Viertel der Gesamtbevölkerung des Libanon.
"Wenn du alle Freiheiten hast, dann heißt das: Es gibt kein Limit. Und dann kann es echt chaotisch werden."
Alkohol und Marihuana scheinen allmählich zu wirken. Mal schleicht R. BMW über die leere Schnellstraße stadtauswärts, dann tritt sie das Gaspedal plötzlich voll durch. Dann wieder Schneckentempo. Den Joint in der einen Hand, die Bierflasche in der Mittelkonsole fährt sie an einer Polizeikontrolle vorbei.
"Manchmal ist das Leben hier schon frustrierend. Der Verkehr, das ganze Chaos in gewisser Weise. Wenn es keine Regeln gibt, kommst du mit allem durch. Niemand hält dich auf, wenn du zum Beispiel eine rote Ampel überfährst. So ist das halt hier. Du musst dich dem anpassen. Was du in Beirut machst, kannst du sonst nirgends machen auf der Welt. Aber die Dinge hier verkommen langsam. Es geht seit einiger Zeit bergab mit dem Libanon."
So ganz lässt sich die Unruhe im Zedernstaat nicht wegtanzen – auch wenn das jeder gerne behaupten möchte. Die Umbrüche im Nahen Osten, der Bürgerkrieg in Syrien; all das schwächt vor allem die libanesische Wirtschaft erheblich, die als liberales Drehkreuz der Levante auf den Außenhandel fokussiert ist. Fast 40 Prozent des Haushalts gehen für die Schuldentilgung drauf. Infrastrukturprojekte lahmen. Selbst in der Partymetropole Beirut geht tagsüber für ein paar Stunden der Strom aus.
Mohammed Ghebris: "Wir hatten hier so viele Clubs. 2005, nach dem Attentat auf Hariri, dem Krieg mit Israel ein Jahr später, ist das weniger geworden. Die Leute haben zwar weiter gefeiert, sie sind in die Berge gefahren zu den Partys, aber viele Clubs haben dicht gemacht. Einige haben nie wieder geöffnet. Die Zahl der teuren Clubs in Beirut ist also inzwischen sehr gering. Die Leute gehen lieber in Bars als in Clubs. Es gibt da laute Musik, es ist offen, es gibt keine Reglementierungen. Du kannst Shorts anhaben und hingehen. Die Leute wollen es heute bequemer haben."
Mitten im Epizentrum dieser Club-Szene hat Mohammed Ghebris, alias G-Mohris, vor einiger Zeit seine DJ Schule aufgebaut – die einzige registrierte im Libanon. Hunderte junger DJs hat er schon an den Plattendecks ausgebildet, in seinen mit rosa Plüsch gefütterten Kellerräumen in Beiruts Ausgehviertel Hamra. Hier mischt der Meister die Musik für die Clubs der Stadt.
"In den meisten Ländern mit einem Kriegshintergrund wird viel dunkle, elektronische Underground-Musik gehört. Die Produzenten aus Russland oder der Ukraine zum Beispiel, mit denen ich zusammen arbeite, die nutzen alle ähnliche Vibes. Alles sehr düster. Und das findest Du hier auch mittlerweile. Die Leute wollen lieber dunkle, emotionale Bässe, nicht dieses Gangnam-Style-Zeugs."
"Die Eltern hier kümmern sich aber auch ziemlich – als ob sie für ihre Babys immer noch sorgen müssten. Ich glaube, die Libanesen werden von ihren Eltern ziemlich verwöhnt. Ein bisschen zu viel. Vielleicht wollen die Eltern da aber auch einfach was wegen der Kriegsjahre kompensieren."
Hochfrisierte Frauen in kurzen, bunten Kleidchen schieben sich an R. und ihren Freundinnen vorbei, die mit Rautenpulli und sportlichem Jogging-Top am Rand der Tanzfläche stehen. Eine Ausnahme, dass sie an diesem Abend überhaupt auf der schicken Dachterrasse sind.
Für viele der Frauen hier hat die Party schon nachmittags begonnen – mit einem Besuch in einer der zahlreichen Schönheitskliniken Beiruts.
"Das fängt schon im jungen Alter an. Erst die Nase, später dann die Brüste oder die Ohren. Wenn die Leute älter werden gibt es Botox gegen die Fältchen, so Ende der 20er, Anfang der 30er. Und dann gibt es jetzt das sogenannte Mummy make over: Frauen, die Kinder bekommen haben, die lassen sich nach der Geburt Bauch und Brüste auffrischen. Das kommt die letzten zehn Jahre verstärkt."
Roland Thomé ist Schönheits-Chirurg an zwei Kliniken in Beirut. Etwa zehn Operationen macht er die Woche: 4.000 Euro für neue Brüste, 1.000 Euro für einen kleineren Magen, 4.000 für eine gerade Nase – besonders beliebt, sagt Roland Thomé.
"Es ist ein Trend, es gehört einfach dazu. Es ist auch ein Anti-Stress-Mittel. Wenn es dir nicht gut geht, machst du eine kleine Operation und es geht dir besser. Viele denken darüber nach."
Etwa eineinhalb Millionen Schönheitsoperationen werden jedes Jahr im Libanon durchgeführt. Doch woher kommt dieser unbedingte Wunsch, sich neu zu erfinden? Ein Wunsch, der so stark ist, dass sogar die Banken explizit Kredite für Schönheitsoperationen vergeben.
"Das wird vielfach von den Müttern, Großmüttern oder Tanten an die Kinder weitergegeben. Ihr ganzes Umfeld ist auf das Aussehen ausgerichtet. Junge Frauen sollen gut aussehen, um erfolgreich zu sein."
… sagt Brigitte Khoury. Die Psychologie-Professorin arbeitet an der renommierten American University of Beirut. In ihre Sprechstunde kommen häufiger Frauen mit Minderwertigkeitskomplexen.
"Der Libanon ist in allem sehr konkurrenzlastig. Es ist ein kleines Land, hat wenig Ressourcen. Die Leute kämpfen hier um alles: Um Jobs, Freunde, sogar um Parkplätze. Das Land hält nicht für jeden genug bereit. Daher auch dieser unbedingte Konkurrenzgedanke."
Gerade bei den Frauen. Denn nach all den Kriegen der vergangenen Jahrzehnte sind Männer Mangelware im Land: Auf einen Mann im heiratsfähigen Alter kommen etwa sechs Frauen, sagt Professorin Khoury.
Vier Frauen sitzen in einem weißen BMW X1 und fahren zur nächsten Party. Stillstand gibt es im Libanon nicht, die Party muss immer weiter gehen. Vier Mal ziehen R. und ihre Freundinnen in dieser Nacht weiter durch die verschiedenen Clubs. Es geht vorbei am Gerippe des alten Holiday Inn Hotels, vorbei an der Corniche, dem Küsten-Boulevard zwischen Ost- und West-Beirut, auf dem die Pärchen und alle, die sonst gesehen werden wollen, flanieren.
Am Rand sitzen einige Frauen und Kinder in zerschlissener Kleidung und betteln: Syrer. Es werden immer mehr. Seit Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland vor gut zwei Jahren sind offiziellen Angaben zufolge mehr als eine halbe Million Syrer in den Libanon geflohen. Die libanesische Regierung geht intern sogar von mehr als einer Million Flüchtlinge aus. Das wäre ein Viertel der Gesamtbevölkerung des Libanon.
"Wenn du alle Freiheiten hast, dann heißt das: Es gibt kein Limit. Und dann kann es echt chaotisch werden."
Alkohol und Marihuana scheinen allmählich zu wirken. Mal schleicht R. BMW über die leere Schnellstraße stadtauswärts, dann tritt sie das Gaspedal plötzlich voll durch. Dann wieder Schneckentempo. Den Joint in der einen Hand, die Bierflasche in der Mittelkonsole fährt sie an einer Polizeikontrolle vorbei.
"Manchmal ist das Leben hier schon frustrierend. Der Verkehr, das ganze Chaos in gewisser Weise. Wenn es keine Regeln gibt, kommst du mit allem durch. Niemand hält dich auf, wenn du zum Beispiel eine rote Ampel überfährst. So ist das halt hier. Du musst dich dem anpassen. Was du in Beirut machst, kannst du sonst nirgends machen auf der Welt. Aber die Dinge hier verkommen langsam. Es geht seit einiger Zeit bergab mit dem Libanon."
So ganz lässt sich die Unruhe im Zedernstaat nicht wegtanzen – auch wenn das jeder gerne behaupten möchte. Die Umbrüche im Nahen Osten, der Bürgerkrieg in Syrien; all das schwächt vor allem die libanesische Wirtschaft erheblich, die als liberales Drehkreuz der Levante auf den Außenhandel fokussiert ist. Fast 40 Prozent des Haushalts gehen für die Schuldentilgung drauf. Infrastrukturprojekte lahmen. Selbst in der Partymetropole Beirut geht tagsüber für ein paar Stunden der Strom aus.
Mohammed Ghebris: "Wir hatten hier so viele Clubs. 2005, nach dem Attentat auf Hariri, dem Krieg mit Israel ein Jahr später, ist das weniger geworden. Die Leute haben zwar weiter gefeiert, sie sind in die Berge gefahren zu den Partys, aber viele Clubs haben dicht gemacht. Einige haben nie wieder geöffnet. Die Zahl der teuren Clubs in Beirut ist also inzwischen sehr gering. Die Leute gehen lieber in Bars als in Clubs. Es gibt da laute Musik, es ist offen, es gibt keine Reglementierungen. Du kannst Shorts anhaben und hingehen. Die Leute wollen es heute bequemer haben."
Mitten im Epizentrum dieser Club-Szene hat Mohammed Ghebris, alias G-Mohris, vor einiger Zeit seine DJ Schule aufgebaut – die einzige registrierte im Libanon. Hunderte junger DJs hat er schon an den Plattendecks ausgebildet, in seinen mit rosa Plüsch gefütterten Kellerräumen in Beiruts Ausgehviertel Hamra. Hier mischt der Meister die Musik für die Clubs der Stadt.
"In den meisten Ländern mit einem Kriegshintergrund wird viel dunkle, elektronische Underground-Musik gehört. Die Produzenten aus Russland oder der Ukraine zum Beispiel, mit denen ich zusammen arbeite, die nutzen alle ähnliche Vibes. Alles sehr düster. Und das findest Du hier auch mittlerweile. Die Leute wollen lieber dunkle, emotionale Bässe, nicht dieses Gangnam-Style-Zeugs."
Die Elite des Landes steht auf der Gästeliste
Von der schicken Dachterrasse in Downtown geht es auch für R. und ihre Mädels in den Undergrund – in eine verlassene Lagerhalle am Stadtrand von Beirut. Der Staub legt sich auf Turnschuhe, Hemden und R. weißen BMW. Die Eröffnungsparty einer Klamotten-Firma mit exklusiver Gästeliste. Die Elite des Landes, sagt eines der Mädels. Eine Automobil-Erbin, Brauerei- und Weingutbesitzer, Makler, Anwälte. R. gibt ihre Eintrittskarte an einen Freund ab. Sie kommt auch so am Türsteher vorbei, denn sie kennt jeden in Beiruts Partyszene – obwohl sie vor einiger Zeit aufgehört hat, selbst die Partys zu veranstalten.
"Das ganze frisst dich auf, wenn du den Absprung nicht schaffst. Ich bin früher auf jeder Party gewesen. Aber ich bin jetzt 41. Ich kann das nicht mehr. Ich könnte noch, aber... Beiruts Party-Industrie verlangt dir extrem viel ab."
Nicht zu vergessen die Rückschläge, die R. in den letzten unruhigen Jahren einzustecken hatte:
"Wenn du einen internationalen Künstler buchst, dann musst du erst mal für alles bezahlen: Flüge, Hotel, et cetera. Und dann fliegt Israel zum Beispiel mal eben wieder durch unseren Luftraum, also kriege ich einen Anruf von der Künstleragentur: R., es tut uns leid, aber es gibt eine Reisewarnung von unserer Botschaft – und ich denk nur, alles klar. Am Ende verlierst du den Vorschuss und dein Geld. Ich hab hier einiges einstecken müssen."
Jetzt arbeitet R. bei einer libanesischen Hilfsorganisation und unterrichtet syrische Frauen, die über die Grenze geflohen sind.
R. ist wie ein schwarzes Loch voller Energie in der Lagerhalle. Immer mehr Partygäste ordnen sich um die jungen Frauen auf der Tanzfläche an. Küsse zur Begrüßung. Rechts und links des DJs hängen zwei große Leinwände. Kampfroboter aus den "Star Wars"- Filmen ballern Feuerbälle, Blitze explodieren. R. und die anderen tanzen immer enger. Vereinzelt knutschen die Mädels der Gruppe vertraut miteinander.
"Die sind jetzt schon lange zusammen. Acht Jahre in einer Beziehung. Ich bin da nicht gut drin."
Sechs Frauen auf einen Mann im heiratsfähigen Alter, wie es Psychologin Khoury analysierte. Der Libanon ist das einzige arabische Land, in dem es eine Organisation für Homosexuelle gibt. Ein Frauenpaar verschwindet gemeinsam auf dem Klo. In den vergangenen Monaten gab es ein paar kürzere Verhaftungen und Verhöre in der Schwulen- und Lesbenszene Beiruts; die Polizei wollte ein Exempel statuieren. Trotzdem tanzen R.s Freundinnen in der Lagerhalle weiter lasziv miteinander.
"Nur einmal, im B018, hat mir ein so Typ ins Gesicht geschlagen. Ich bin morgens um sechs rausgekommen und der Typ hat mich dumm angemacht: Was bist du? Bist du ein Junge oder ein Mädchen? Dann ist er plötzlich ins Auto gesprungen, hat zwei Mal in mein Gesicht geschlagen, mich dann rausgezerrt und den Kopf auf den Kofferraum gehauen."
Auf der Leinwand neben der Bühne stehen mittlerweile zwei Mädchen vor einem Spiegel. Jung, japanisch gezeichnet wie ein Manga-Comic. Eine hat kein T-Shirt an, aber spitze Brüste, die andere trägt ein Top mit der Aufschrift "Hope". Die eine haucht in den Spiegel, schreibt mit ihren Fingern: "Du bist jung, reich, wunderschön. Werde unsterblich". Vor kurzem hatte Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah offiziell verkündet, gemeinsam mit Syriens Präsident Assad zu kämpfen – bis zum Sieg. R. und die anderen in der Lagerhalle tanzen.
Außerdem hat das libanesische Parlament wenige Wochen zuvor beschlossen, die für den Sommer geplanten Wahlen zu verschieben. Die Gräben zwischen den konfessionellen, zersplitterten Parteien waren zu groß, man konnte sich nicht auf das Wahlrecht einigen. R. und die anderen in der Lagerhalle reißen die Arme hoch.
R: "Wenn dir deine Freiheit genommen wird, dann erkennst du erst ihren wahren Wert. Ich denke, das ist der Grund, warum wir alle so versessen aufs Feiern sind. Wenn du mit allem tanzt, was du hast, dann verändert sich deine Perspektive auf das Leben."
Dann haucht das junge Mädchen wieder in den Spiegel, schreibt mit ihren Fingern. "Du bist jung, reich, wunderschön. Werde unsterblich." Es ist das Motto dieses Landes.
"Das ganze frisst dich auf, wenn du den Absprung nicht schaffst. Ich bin früher auf jeder Party gewesen. Aber ich bin jetzt 41. Ich kann das nicht mehr. Ich könnte noch, aber... Beiruts Party-Industrie verlangt dir extrem viel ab."
Nicht zu vergessen die Rückschläge, die R. in den letzten unruhigen Jahren einzustecken hatte:
"Wenn du einen internationalen Künstler buchst, dann musst du erst mal für alles bezahlen: Flüge, Hotel, et cetera. Und dann fliegt Israel zum Beispiel mal eben wieder durch unseren Luftraum, also kriege ich einen Anruf von der Künstleragentur: R., es tut uns leid, aber es gibt eine Reisewarnung von unserer Botschaft – und ich denk nur, alles klar. Am Ende verlierst du den Vorschuss und dein Geld. Ich hab hier einiges einstecken müssen."
Jetzt arbeitet R. bei einer libanesischen Hilfsorganisation und unterrichtet syrische Frauen, die über die Grenze geflohen sind.
R. ist wie ein schwarzes Loch voller Energie in der Lagerhalle. Immer mehr Partygäste ordnen sich um die jungen Frauen auf der Tanzfläche an. Küsse zur Begrüßung. Rechts und links des DJs hängen zwei große Leinwände. Kampfroboter aus den "Star Wars"- Filmen ballern Feuerbälle, Blitze explodieren. R. und die anderen tanzen immer enger. Vereinzelt knutschen die Mädels der Gruppe vertraut miteinander.
"Die sind jetzt schon lange zusammen. Acht Jahre in einer Beziehung. Ich bin da nicht gut drin."
Sechs Frauen auf einen Mann im heiratsfähigen Alter, wie es Psychologin Khoury analysierte. Der Libanon ist das einzige arabische Land, in dem es eine Organisation für Homosexuelle gibt. Ein Frauenpaar verschwindet gemeinsam auf dem Klo. In den vergangenen Monaten gab es ein paar kürzere Verhaftungen und Verhöre in der Schwulen- und Lesbenszene Beiruts; die Polizei wollte ein Exempel statuieren. Trotzdem tanzen R.s Freundinnen in der Lagerhalle weiter lasziv miteinander.
"Nur einmal, im B018, hat mir ein so Typ ins Gesicht geschlagen. Ich bin morgens um sechs rausgekommen und der Typ hat mich dumm angemacht: Was bist du? Bist du ein Junge oder ein Mädchen? Dann ist er plötzlich ins Auto gesprungen, hat zwei Mal in mein Gesicht geschlagen, mich dann rausgezerrt und den Kopf auf den Kofferraum gehauen."
Auf der Leinwand neben der Bühne stehen mittlerweile zwei Mädchen vor einem Spiegel. Jung, japanisch gezeichnet wie ein Manga-Comic. Eine hat kein T-Shirt an, aber spitze Brüste, die andere trägt ein Top mit der Aufschrift "Hope". Die eine haucht in den Spiegel, schreibt mit ihren Fingern: "Du bist jung, reich, wunderschön. Werde unsterblich". Vor kurzem hatte Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah offiziell verkündet, gemeinsam mit Syriens Präsident Assad zu kämpfen – bis zum Sieg. R. und die anderen in der Lagerhalle tanzen.
Außerdem hat das libanesische Parlament wenige Wochen zuvor beschlossen, die für den Sommer geplanten Wahlen zu verschieben. Die Gräben zwischen den konfessionellen, zersplitterten Parteien waren zu groß, man konnte sich nicht auf das Wahlrecht einigen. R. und die anderen in der Lagerhalle reißen die Arme hoch.
R: "Wenn dir deine Freiheit genommen wird, dann erkennst du erst ihren wahren Wert. Ich denke, das ist der Grund, warum wir alle so versessen aufs Feiern sind. Wenn du mit allem tanzt, was du hast, dann verändert sich deine Perspektive auf das Leben."
Dann haucht das junge Mädchen wieder in den Spiegel, schreibt mit ihren Fingern. "Du bist jung, reich, wunderschön. Werde unsterblich." Es ist das Motto dieses Landes.