"Die Angstmacher"

Die Neue Rechte und ihre Nähe zu den 68ern

Der Autor Thomas Wagner
Thomas Wagner, Autor des Buches "Die Angstmacher" © Milena Schlösser
Thomas Wagner im Gespräch mit Christine Watty |
Das Jahr 1968 war nicht nur der Ursprung eines linksliberalen Gesellschaftsmodells, sagt der Autor Thomas Wagner. Er zeigt in seinem neuen Buch "Die Angstmacher", dass damals auch die politische Rechte ihren Anfang nahm. Sie übernahm auch viele Aktionsformen.
Mit dem Aufkommen der AfD droht die Neue Rechte breite bürgerliche Schichten zu erfassen. Der Autor Thomas Wagner geht in seinem neuen Buch "Die Angstmacher" der Frage nach ihren Anfängen nach. Er macht deutlich, wie zentral das Jahr "1968" für das rechte Lager war, nicht etwa nur für die Linke. Wagner weist nach, dass es damals zu einem Bruch in der Geschichte des radikalrechten politischen Spektrums kam, der bis heute nachwirkt. "Mir war eben aufgefallen, dass viele rechte Aktionen oder Erscheinungsweisen in der Öffentlichkeit gar nicht so aussahen, wie man es von der Alten Rechten, insbesondere vom neonazistischen und vom NPD-Umfeld kennt", sagte Wagner im Deutschlandfunk Kultur. Die Neue Rechte habe sich plötzlich offen präsentiert und gesagt, "wir sind rechts". Sie seien mit einem gewissen Selbstbewusstsein in der Öffentlichkeit aufgetreten und hätten den Anspruch erhoben, als gleichwertige Diskussionspartner anzutreten. Auf der anderen Seite seien die Antifa-Gruppen bei Demonstrationen vermummt, in schwarz und relativ militant aufgetreten. Wagner sagte, er habe beobachtet, dass Außenstehende auf einmal nicht gewusst hätten, "wer sind jetzt die Guten, wer sind die Bösen, wer sind die Rechten, wer die Linken, wo sind eigentlich die Nazis, wo sind die Faschisten?" (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Christine Watty: Der Autor Thomas Wagner hat sich für sein neues Buch "Die Angstmacher" einer brisanten Frage gewidmet: Wer sind die Neuen Rechten. In seiner historischen Analyse und in diversen Interviews mit den Protagonisten der Szene von Götz Kubitschek bis zu Martin Sellner kommt er zu dem Schluss: 68 war nicht nur die Geburtsstunde der Linken, sondern ebenso der Neuen Rechten. Außerdem plädiert er dafür, sich ernsthaft mit den Gedanken eben dieser Neuen Rechten zu befassen und die Auseinandersetzung mit ihnen keinesfalls zu vermeiden. Ich freue mich, dass Thomas Wagner heute Morgen Zeit für uns hat. Schönen guten Morgen, Herr Wagner!
Thomas Wagner: Guten Morgen!
Watty: Sie sind tief in die Geschichte eingestiegen, um die Parallelen einzufangen, die Sie vor allem in der 68er-Bewegung sehen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist relativ ersichtlich: Es geht bei den Linken und den Rechten um den Kampf gegen das Establishment. Wo konkret sehen Sie auch ähnliche Verhaltensweisen in der Entwicklung und Durchsetzung der jeweils linken und rechten Position?
Wagner: Mir war eben aufgefallen, dass viele rechte Aktionen oder Erscheinungsweisen in der Öffentlichkeit gar nicht so aussahen, wie man es von der Alten Rechten, insbesondere vom neonazistischen und vom NPD-Umfeld kennt. Also beispielsweise, dass man auf einmal in Gesichter guckt, dass man sich offen präsentiert und sagte, wir sind rechts, also mit einem gewissen Selbstbewusstsein in der Öffentlichkeit auch auftrat und sozusagen den Anspruch erhob, als gleichwertige Diskussionspartner auch in den Raum zu treten.
Auf der anderen Seite die Reaktionen der Antifa-Gruppen zum Beispiel, die dann bei Demonstrationen vermummt, in schwarz, relativ militant manchmal auftraten, sodass ich beobachtete bei Demonstrationen, dass Passanten, Passantinnen, Leute, die gar nicht politisch sind, die das beobachteten, auf einmal nicht wussten, wer sind jetzt die Guten, wer sind die Bösen, wer sind die Rechten, wer die Linken, wo sind eigentlich die Nazis, wo sind die Faschisten.

Strategie- und Taktikfragen

Watty: Ist das aber auch nicht Teil natürlich der Strategie oder der Taktik aus der rechten Seite, sich natürlich an dem, was von links kommt, zu orientieren, um sich eben auch in den Mainstream besser verkaufen zu können und da besser eindringen zu können, weil natürlich die Reaktion erst mal ist, genau die ganzen rechten Haltungen nicht in der Debatte haben zu wollen?
Wagner: Natürlich geht es in erster Linie erst mal um Strategie- und Taktikfragen. Also mir war eben auch aufgefallen, dass bestimmte Aktionsformen der 68er, die Provokationsmethoden, die von der subversiven Aktion und im Rahmen des SDS verwendeten Spaßguerilla-Taktiken und so weiter, dass die nun Einzug gehalten hatten in die Aktionsformen der Rechten. Also seit Götz Kubitschek in den 90er-Jahren mit einer kleinen Gruppe von Leuten die "konservativ-subversive aktion" gegründet hat und sozusagen spektakuläre Aktionen startete, die dann später von der Identitären übernommen wurden, konnte man das sehen. Also es gab auf der einen Seite oder es gibt auf der einen Seite die Übernahme von Kampfmethoden mit einer gleichzeitigen starken Positionierung gegen das, was man die Ideen von 1968 bezeichnet. Also ganz grob gesagt: gegen alles, was man als zu emanzipatorisch betrachtet, und dieser Widerspruch in der Aktionsweise und in den Ideen, die damit transportiert werden sollen, ist erst mal interessant.
Watty: Sie empfehlen im Weiteren Ihres Buches die Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten genau eben auf dieser Grundlage zu wissen, was woher kommt und auch die Argumente der Gegenseite zu durchschauen. Darauf kommen wir gleich noch. Sie wiederum aber haben in dem Buch zwar die Protagonisten getroffen, aber mit ihnen nicht diskutiert, sondern vor allem die Positionen abgebildet, also zumindest wenig diskutiert im Fall von Götz Kubitschek zum Beispiel. Da tatsächlich haben Sie Positionen abgefragt. Was hat das mit Ihnen gemacht, also, klar: der Zweck ist klar, Sie wollten hören, was die alle so zu sagen haben, aber hatten Sie kein Bedürfnis nach der Auseinandersetzung dennoch?
Wagner: Das ist eine andere Frage, das Bedürfnis. In diesem Buch ging es mir in erster Linie darum, von den Akteuren zu erfahren, wie es damals war in den 90ern, von wem sie was genau abgeschaut haben, wie es sozusagen historisch gekommen ist zu diesen Übernahmen. Also ich habe sie in erster Linie aufgesucht als Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Das war der Grund, warum ich mit denen gesprochen habe. Dass ich in den Gesprächen dann auch noch anderes eingefangen habe und das, was ich in den Gesprächen-, was ich sonst noch eingefangen habe auch an Meinungsäußerungen und teilweise für mich überraschenden Positionierungen, das war sozusagen Beiwerk, was ich abgefischt habe und auch noch in dieses Buch mit reingenommen habe.
Das Buch war von Anfang an nicht konzipiert als eines, ein streitbares Buch, das jetzt selbst mit den Neuen Rechten streitet, sondern es hat die These, dass wenn man mit ihnen streiten will – und man sollte mit ihnen streiten –, dass man dann verstehen muss, wie sie ticken. Das ist sozusagen der Ausgangspunkt, und dazu habe ich versucht, meinen bescheidenen Beitrag zu leisten. Ein Buch, ich streite mit Götz Kubitschek und Martin Sellner über ihre aus meiner Sicht völlig falschen Positionen, habe ich nicht geschrieben, und das müssten dann eventuell auch andere machen.

Peter Sloterdijk als Ziehvater

Watty: Götz Kubitschek sagte irgendwann selbst auch, in Ihrem Buch nachzulesen: redet mit uns, redet mit der AfD, lernt unsere Konzepte kennen, das ist ein Weg zur Entzauberung und auch der Weg schließlich zum Kompromiss, und diesen Begriff der Entzauberung, der wird ja auch ständig verwendet, wenn es darum geht, sollen AfD-Politiker in Talkshows dabei sein, sollen die sich sozusagen selber entzaubern oder wie geht man mit all dem um. Wenn Sie diese Auseinandersetzung wünschen und sagen, man muss die Argumente kennen, dann kann man auch sich auseinandersetzen, braucht es aber nicht dennoch dafür die Voraussetzung, dass sich die Neuen Rechten natürlich abgrenzen von rechtsextremem Gedankengut, von Hass und Gewaltaufrufen, die ja in dem Kreis, den sie so nach sich ziehen, spätestens in den Politikerreihen der AfD und so weiter zu hören sind – also kann man diese Auseinandersetzung tun, ohne vorher zu wünschen, dass das klar sein muss, dass da sich abgegrenzt wird?
Wagner: Also, Sie haben natürlich recht, dass es wenig Sinn macht, mit Leuten zu reden, die sozusagen Hass verbreiten. Ich möchte aber in dem Zusammenhang auf noch was anderes aufmerksam machen: Was mir auch bei den Recherchen zu diesem Buch aufgefallen ist, dass die Blaupause für das wichtigste ideologische Strategem, was derzeit in der Rechten, auf Seiten der AfD vorherrscht, das der Erhöhung der Thymosspannung ist.
Das ist ein Begriff, den Peter Sloterdijk in die Debatte eingeworfen hat, und Peter Sloterdijk ist sozusagen der Ziehvater von einem der wichtigsten AfD-Ideologen, nämlich Marc Jongen, und der übernimmt dieses Konzept von Peter Sloterdijk, der ja selbst eine ZDF-Talkshow über zehn Jahre hatte, und dieses Buch, wo er dieses Konzept, dass man nämlich sozusagen die Wehrbereitschaft der europäischen Bevölkerung gegen die nordafrikanischen jungen Männer erhöhen müsse, die im schlimmsten Fall mit dem Sprengstoffgürtel in die europäischen Städte kämen – das ist alles Peter Sloterdijk übrigens aus "Zorn und Zeit" –, dass man die sozusagen erhöhen müsse.
Also dieses Konzept der Erhöhung der Thymosspannung, also der Wehrbereitschaft, der wehrhaften Emotionen und so weiter, genau dieses brandgefährliche Konzept stammt von Peter Sloterdijk und wird sozusagen in die AfD eingeschleust. Kubitschek ist auch ein Fan davon, und diese Zusammenhänge, ich glaube, die gilt es zu betrachten.
Watty: Um dann in die Auseinandersetzung gehen zu können. Thomas Wagner war das. Er hat das Buch geschrieben "Die Angstmacher: 1968 und die Neuen Rechten". Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Thomas Wagner, Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten, Aufbau Verlag 2017, 18,95 Euro.

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