Die Antwort war: ja

Rezensiert von Astrid Kuhlmey |
Heute hätte Samuel Beckett seinen 100. Geburtstag begangen. Mehr über den Menschen im Schriftsteller verrät ein schmales Bändchen, "Becketts Freundschaft" von André Bernold. Die beinah nebensächlichen Beobachtungen bringen einem Beckett sehr nah. Bernold betrachtet und beschreibt die Person seiner Verehrung schlicht, und dabei sehr intelligent und genau.
Es sind die beiden Begriffe, Freundschaft und Fotografie, die einen zu dem Buch greifen lassen. Zum einen kann ich mir dieses großartige Gesicht, das wie eine zerklüftete Landschaft aussieht, wieder und immer wieder ansehen. Es sind alles schwarz-weiß Fotos - andere sind bei Beckett gar nicht denkbar, weil ihre Magie aus den Nuancen zwischen den bestimmenden Tönen kommt - viele Graunschattierungen. Kein Hochglanzpapier , sondern festes, einfaches, fast unmerklich getöntes Papier.

Und der Begriff Freundschaft hat mich angezogen. Eine Freundschaft mit Beckett, habe ich mich gefragt, wie kann die gelebt worden sein. Denn man weiß von ihm, dass er ziemlich schwierig war, nicht arrogant oder hochfahrend - aber in großem Maße auf seine Autonomie bedacht - und vielleicht habe ich mich auch davon verführen lassen, mir Beckett wie eine seiner Figuren vorzustellen - einsam, wie ein archaischer König. Schlicht und einfach kann man sagen, dass ich gerne wissen wollte, wie denn Beckett als Freund und damit als Mensch war - nicht als Heiliger des absurden Theaters, als Schilderer der existentiellen Verlorenheit.

Der Autor Bernold ist kein Generationsgefährte Becketts, sondern weitaus jünger als er. André Bernold war Mitte Zwanzig als er dem 73-jährigen Iren in Paris begegnete. Einige Jahre zuvor hatte der junge Franzose aus der Provinz, der unbedingt Schriftsteller werden wollte, einen Brief an Beckett geschrieben mit der Bitte um wenigstens ein Wort als Antwort. Die Antwort von Beckett bestand aus einem Wort: JA.

Obwohl Bernold von einem Briefwechsel schreibt, deutet er jedoch keine weiteren Details an, was ich sehr schade finde, denn nach einem solchen eigenwilligen, Beckett-typischen Einleitungsbrief, wäre die weitere Dramaturgie schon interessant gewesen.

Die ersten persönlichen Begegnungen wirken wie Inszenierungen eines Beckettstücks. Bernold sieht Beckett in Paris vor einem Haus, das er Jahrzehnte früher bewohnt hat - später an einer Fußgängerampel. Beckett bietet dem 52 Jahre jüngeren Hilfe an und entfernt sich. Wofür, bleibt ungesagt. Später bekommen die Treffen Deutlichkeit, auch wenn selten Gespräche zwischen beiden erinnert werden. Manchmal orakelt der Autor und verliert sich allzu arg in existentialistischen Andeutungen, denen man sehr anmerkt, dass sie unbedingt dem Niveau des Meisters gerecht werden sollen.

Der Text kam mir immer dann nahe, wenn Bernold die Person seiner Verehrung schlicht, dabei sehr intelligent und genau betrachtet und beschreibt. Dieser seltsame Widerspruch zwischen Gang und Kopfhaltung, das typische, Beckettprofil, das an einen scharf geschnittenen Vogelkopf erinnert, das störrische , dicht graue Haar, der leicht melancholische, manchmal etwas spöttische Blick, der langsame. aufrechte Gang des großen schmalen Mannes. Alles an Beckett war minimalistisch, auf das Wesentliche konzentriert. Seine Kleidung war einfach und schlicht, dabei muss er trotzdem oder vielleicht gerade darum eine gewisse Eleganz ausgestrahlt haben. Bernold nennt das sogar Anmut.

Die beinah nebensächlichen Beobachtungen bringen einem Beckett sehr nah: die zahlreichen Brandspuren der Zigarillos auf seinem Jackenärmel, die sanfte Art seiner Gesten, die langen Pausen zwischen den Sätzen. Und eine Tatsache hat mich ganz besonders fasziniert: Beckett war fast von dieser Idee besessen: Man müsste den Schatten einer Stimme finden können, er nannte das eine "weiße Stimme", fast wie ein Atem wirken müsste. Man kann das verschroben nennen - aber ich empfand diese Idee in einer immer lauter werdenden Welt fast religiös. Es erinnerte mich an das Schweißtuch der Veronika, das ja auch nur die Ahnung von Jesus Gesicht abbildet.

Der Fotograf John Minihan hat ja Beckett viele Jahre mit der Kamera begleitet. In diesem Buch nun sind eine Reihe von Fotos, die zum ersten Mal veröffentlicht worden. Wie schon gesagt - alle in schwarz-weiß, alle aus den frühen 80er Jahren. Beckett war da Ende 70, ging auf die 80 zu. Aber er strahlt die Energie eines sehr viel jüngeren Mannes aus - und das vor allem durch die Aura seiner Intellektualität. Das ist einfach kein alter Mann und man kann sich gut vorstellen, dass er eine große Wirkung auf Frauen hatte, was sein Biograf Knowlson auch nachdrücklich bestätigt.

Allein diese wunderbaren Fotos: Beckett vor einer kargen Mauer, mit der berühmten Umhängetasche aus Tuch über der Schulter - London 1984, der lange, schmale Mann, ganz in Schwarz auf der Bühne , den Kopf leicht nachdenklich gesenkt , als höre er in sich hinein - wie ein Figur von Giacometti. Der melancholische Mann in einem Pariser Bistro: Immer ist viel Kargheit um ihn, der Blick in die Ferne gerichtet. Und in all diesen Fotos ist noch das Gesicht des jungen Mannes vorhanden.

Das ist bei Altersbildern für mich immer besonders faszinierend – die Spuren der Jahre sind nicht zu übersehen, die Verwitterungen haben eine Gesichts - Landschaft geformt, doch der junge Beckett ist noch deutlich sichtbar - sein Gesicht ist sich in den Jahrzehnten nicht fremd geworden, nicht weich verpolstert, schlaff beschwert - es ist von einer fast erschreckenden Radikalität und Schönheit



André Bernold: Becketts Freundschaft
mit Fotos von John Minihan
Berenberg Verlag, Berlin 2006, 112 Seiten