Auf der Suche nach Mysterien in der eigenen Umgebung
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Sich an zufällig ausgewählten Orten im eigenen Umfeld so richtig schön gruseln – das verspricht die App Randonautica: Random heißt ja Zufall und Nautik ist die Kunst ein Schiff zu führen. Hält sie, was sie verspricht? Ein Selbstversuch.
Überall lässt sich Erstaunliches entdecken. Nicht nur in großen Städten, sondern auch in Buxtehude, Tittmoning oder im Urlaub - auf einer verschlafenen Insel in Schweden. Zum Baden ist das Wetter nicht gut genug, die Dorfkirche und einen Bauernhof haben wir schon besucht. Also soll uns Randonautica retten vor der drückenden Langeweile.
Während die App nach Zufallskoordinaten im Nahbereich fischt, müssen wir das Thema unsere kleinen Reise gedanklich visualisieren.
"Was suchen wir denn?", frage ich mein Kind. "Geheimnisse. Ganz versteckte Geheimnisse", meint es. "So wir müssen jetzt ganz doll an Geheimnisse denken und dann wird uns mit Zufallsgenerator ein Punkt ausgespielt", meine ich.
Die App zapft dafür einen leistungsfähigen Quantenzufallsgenerator an der Australian National University in Canberra an: Der funktioniert mit Laserstrahlen im Vakuum – irgendwie. Und wir können ihn beeinflussen – nur mit unserer Gedankenkraft, glaubt Randonautica-Chef Joshua Lengfelder.
"Es wurde in Laborversuchen nachgewiesen, dass unser Bewusstsein eine Rolle spielt: Menschen, die viel meditieren, können Zufallsgeneratoren beeinflussen", sagt Lengfelder. "Die Energie folgt dem Fokus. Das findet sich seit tausenden Jahren in der Mythologie: Was du suchst, wirst du auch finden."
Geocaching für Arme
Unser geheimnisvoller Ort ist 40 Minuten entfernt – zu Fuß, sagt mein Handy. Dummerweise gibt es nicht genügend Fahrräder. Die Begeisterung droht nachzulassen. Also neun Minuten mit dem Auto. Danach wird aber noch ein Stück gelaufen. Meine Freundin Anke fährt.
"Also wir müssen jetzt hier weiter geradeaus fahren nach Trolldalen", sage ich zu ihr. "Du fährst durch den Wald, das ist wie so eine Art Serpentinen, weil Stockholm und Umgebung so ziemlich bergig sind", meint sie. "Die Straße wird auf jeden Fall ziemlich eng hier. Ist auch nur noch eine Spur. Bist du hier schon mal langefahren?", frage ich. "Nein", antwortet sie.
Die Straße wird schließlich zum Privatweg. Wir entscheiden trotzdem weiterzufahren - weil uns die wenigen Passanten keines Blickes würdigen. Am Ende der Straße halten wir auf einer Lichtung.
"48 Stunden dürfen wir hier sogar parken", sagt meine Freundin. "Das reicht für unser Abenteuer, oder?", antworte ich.
Geocaching für Arme - mit minimalem Aufwand. Für viel Wirbel hat die kostenlose App in den Staaten gesorgt, als Randonauten an der Küste vor Seattle zufällig einen Koffer mit Leichenteilen gefunden haben. Grauenhaft. Seitdem werden Randonauticatouren gern mit dem Handy gefilmt und gehen auf TikTok und Youtube viral – oft mit schauriger Musik unterlegt.
"Schau dir das an. All die Kinderspielzeuge vor dem verlassenen Haus. Die Schaukel ist kaputt. Ich weiß es nicht: Was ist hier passiert? Es ergibt keinen Sinn. Ich glaube diese App trachtet uns nach dem Leben - auch wenn sich das dämlich anhört", erzählt jemand im geposteten Video.
Die Tour ist ein voller Erfolg
Richtige Blair-Witch-Atmosphäre kommt bei den aufgepeppten Touren im Dunklen auf: Wenn jedes Geräusch und jeder Schatten im Lichtstrahl der Taschenlampe Unheil verheißt. Wir gehen nur tagsüber auf Geheimnissuche, doch die Tour ist von Beginn an ein voller Erfolg.
"Waldhimbeeren. Fast überall", freut sich mein Kind. "Wir müssen jetzt hier hoch so im spitzen Winkel in den Wald rein", sage ich. "Warum gehen wir jetzt in den Wald rein?", höre ich.
Weil das hier nun mal so steht, basta. Über Google Maps wird mir der Weg angezeigt. Es geht hinein in den dichten Wald, vorbei an steilen Felswänden. Ein idealer Platz für Geheimnisse – so nah dran an den ausgelatschten Wegen der Zivilisation.
"Wir nähern uns dem Ziel. Bis dahin sind es noch 240 Meter. Das ist mitten im Wald", sagt unser Teenie. "Ach das ist gar nicht an einem Weg dran?", frage ich. "Das sind zwei Wege. Und dazwischen ist das Geheimnis", höre ich.
Also führt unser Weg direkt durchs Unterholz – über umgestürzte Bäume und mit Moos bewachsene Steine. Die Stimmung ist gut – zum Glück. Denn viele sind von ihren Randonauticatrips auch enttäuscht: Weil sie zu einem beliebigen Punkt mitten im Nirgendwo gelotst werden.
"Und hier ist Scheiße. Hier ist nichts. Hier ist einfach gar nichts. Ich checke nicht, was wir hier finden sollen. Wir sind seit zwei Stunden hier und haben einfach nur eine Radtour gemacht. Zweimal dieselbe Strecke", erklärt beispielsweise Youtuber Creepypastapunch.
Die App kommt pseudowissenschaftlich daher
Wir hingegen stoßen auf eigenartige, aus Felsbrocken gemauerte Kegelstümpfe - voller Geröll.
"Wir haben hier so eine Art Unterschlupf gefunden oder eine Flakstellung", sagt der Teenie. "Das ist so eine runde Struktur, die haben so eine Art Kreis gebaut aus Stein", meine ich. "Flakgeschütze, die man für die Luftabwehr eingesetzt hat. Und was hast du gefunden Ottchen?" "Eine Motte," sagt mein Kind. "Auch voll das Geheimnis."
Fotos im Netz belegen das: Hier standen mal Maschinengewehre Auch wenn Stockholm nie aus der Luft angegriffen wurde. Die digitale Schnitzeljagd hat sich gelohnt. Randonautica will keine akademischen Standards genügen, sondern sieht sich als Spiel- und Kunstprojekt.
"Wir nutzen die App, um aus vorherbestimmten Wahrscheinlichkeitstunneln auszubrechen. Wir geben anderen Möglichkeiten für den Lauf unseres Lebens Raum, ermöglichen Teilhabe an einer holistischen Realität und mehr Auswahl. Viele Dinge geschehen nur, weil wir uns diese Extradosis Zufall in unser Leben injizieren - in jenem Moment", sagt ein Sprecher.
Randonautica kommt pseudowissenschaftlich daher, das Prinzip jedoch ist simpel: Statt in Corona-Zeiten draußen die gleichen Runden zu drehen, verlassen wir ausgetrampelte Pfade und entdecken unser Umfeld neu. Spaziergang 2.0 sozusagen, ein Wort, bei dem sich normalerweise die Fußnägel hochrollen. Krass, dass wir dazu eine App benötigen. Doch der Mensch ist ja bekanntlich ein Gewohnheitstier.