Der Dreck der anderen
Milchtüten, Weingummiverpackungen, Joghurtbecher: Drei Beispiele für Produkte mit einem Grünen Punkt. Sie alle kommen in Gelbe Säcke, wenn die Verbraucher ordnungsgemäß Müll trennen. Das Aussortieren übernehmen dann andere, damit Recycling überhaupt möglich ist.
Dr. Mattias Berwanger stapft durch den Dreck. Ein süßlich-moderiger, fauler Geruch liegt in der nasskalten Hamburger Luft. Berwanger passt gut auf die LKW auf, die kreuz und quer auf dem Betriebsgelände unterwegs sind. Er geht voran, neonoranger Bauhelm auf dem Kopf. Durch eine Gittertür, Stahlstufen nach oben, hinein in die Empfangshalle, hinein in eine noch dickere Variante Modergeruch:
"Wir befinden uns jetzt in der Input-Halle für gelbe Säcke. Das heißt, auf der anderen Seit ist eine Kippstelle, wo LKW anfahren können und ihr Material in die Halle abladen. Vor uns sind dann mehrere Boxen, in denen das Material eingelagert wird. Uns erreichen pro Tag zwischen 350 und 450 Tonnen Material."
Nur im Moment, so kurz nach Weihnachten schwillt die Menge noch einmal an, genau wie nach Ostern. Vor Mattias Berwanger, dem Betriebsleiter der Müllsortierungsanlage in Hamburg-Tiefstack lagern, so schätzt er, rund 600 Tonnen Gelber Sack Müll. An einigen Stellen steigt Dampf aus der hellgelben, plastikverhüllten Masse.
"Die Verpackungsabfälle waren ja ursprünglich mal Verpackungen für Lebensmittel. Das heißt, wir haben da Restanhaftungen drin und Bakterien, die in dem Material arbeiten. Und das erzeugt so eine gewisse Grundwärme. Und eben zusammen mit Feuchtigkeit, gerade aus Regen und Temperaturen, die wir gerade haben, so im einstelligen Gradbereich, sieht man eben so ein bisschen Dampf aufsteigen. Ist aber gar nichts Kritisches."
Hier, beim privaten Entsorger Veolia, wird in drei Schichten, rund um die Uhr Müll sortiert, den die Hamburger Haushalte in die Gelbe Tonne werfen. Dazu kommt noch Abfall aus dem Umland. Insgesamt 100.000 Tonnen pro Jahr. Neun Angestellte sind dafür nötig.
Zwei Laster rollen langsam rückwärts an die Rampe, die Fahrer öffnen die Hänger, heraus quillt der Müll. Wird weitertransportiert von einem Bagger:
"Schaufelweise kann er das Material von der Kippstelle entnehmen, einlagern und aber auch der Anlage zuführen. Und er muss im Endeffekt diese beiden Aufgaben simultan erfüllen."
Der Baggerfahrer bugsiert die hellgelben, dünnen Plastiksäcke, aufgeplatzte und noch intakte, in einen riesenhaften Trichter. Den Vorzerkleinerer. Durch den rutscht der Müll dann auf breite, schwarzverschmierte Hartgummibänder, die ihn ins Herz der Anlage verfrachten.
Förderband unter Hochleistungskameras
Dort läuft nicht mehr nur ein Förderband, sondern es laufen Dutzende. Kreuz und quer, in mehreren Ebenen durchläuft der bunt gemischte Müll die Sortieranlagen. Erst werden die leichten von den schweren Plastikteilen getrennt. Ein Windstoß pustet die zerknitterten dünnen Folien aus dem Müllstrom, gleich danach zieht ein mächtiger Magnet Eisenhaltiges heraus. Und dort, wo vor 10, 20 Jahren noch gemächlich und per Hand unterschiedliche Plastiksorten getrennt wurden, rauscht das Förderband heute mit einem Meter pro Sekunde unter Hochleistungskameras hindurch:
"Besonderheit hierbei ist auch, dass wir mit den Kameras nicht im für den Menschen sichtbaren Bereich des Lichts arbeiten, sondern wir sind im Nah-Infrarot. Das heißt, die Kamera sieht tatsächlich die chemische Zusammensetzung."
Die Infrarot-Augen der ein Meter breiten Spezialkamera können also hineingucken ins Material. Im Bruchteil einer Sekunde ist klar, was da übers Fließband rauscht: Polypropylen oder Polyethylen, Polystyrol oder Polyethylenterephthalat. Sofort werden die Information weitergegeben an computergesteuerte Druckluftdüsen, erklärt Mattias Berwanger.
"Wenn Material aussortiert werden soll, werden die Druckluftventile geöffnet, das Material also weggeschossen und alles andere fällt ganz normal runter."
Der Ingenieur führt über Stahlgitterstufen durch das Labyrinth aus Fließbändern und dröhnenden Maschinen. Hinein in einen kleinen, fast schon ruhigen und vor allem: gut beleuchteten und über dicke Schläuche belüfteten Raum. Hier steht einer der beiden Männer, die bei Veolia noch per Hand einen Zweig des Materialstroms sortieren. Bauhelm auf dem Kopf, Stöpsel in den Ohren. Durch eine Öffnung surren Folienknäuel, plattgedrückte Plastikschälchen, nicht mehr identifizierbare Kunststoffteile in den Raum - allesamt aus "PE", aus Polyethylen - am anderen Ende verschwindet der Müll wieder.
"Er ist jetzt gerade im PE-Strom drin, um nochmal nachzukontrollieren. Auf Folie, die sich vielleicht durchgemogelt hat, auf Tetrapacks, die sich durchgemogelt haben. Und diese Leistung von der Verpackung in Form, Farbe und Beschriftung auf den Inhalt zu schließen, das leistet im Endeffekt der Mensch hier an dieser Stelle."
Ab und zu greift der Müllsortierer mit schmutziggelben Plastikhandschuhen ein Teil heraus, wirft es in eine Öffnung neben dem Band.
Es geht zurück zum Ausgang, vorbei an Bergen von grauen, leichten Flocken, von kleingeschredderten Resten, die trotz der Hightech-Anlagen keiner reinen Plastiksorte zugeordnet werden können. "Fluff" nennt sich das Material: die "Flugfähige Fein-Fraktion". Dieser Fluff wird am Ende verbrannt, so Mattias Berwanger.
"Geht also in die Verbrennung, beispielsweise in die Zementindustrie, dahin, wo viel Energie benötigt wird, um primäre Energieträger zu substituieren. Also Kohle, Öl oder Gas werden durch dieses Material dann substituiert. Und so erfüllt das Ganze auch noch mal einen Zweck."
Unterm Strich, erklärt der Betriebsleiter, wird etwa die Hälfte der angelieferten Masse zu neuen Plastikverpackungen recycelt. Die andere Hälfte wird, wie der Fluff, entweder, wie es heißt: "thermisch verwertet" oder aber "thermisch beseitigt", also ohne Zusatznutzen verbrannt.
Rund 200 Tonnen dieser nicht recycelbaren Abfälle fallen allein bei der Veolia in Hamburg täglich an. Dass irgendwann gar kein Müll mehr anfällt, dass all unsere Konsumgüter und ihre Verpackungen zu immer neuen Dingen auferstehen, hält Mattias Berwanger für äußerst unwahrscheinlich:
"Der Konsum wird aus dieser sehr breiten Produktpalette gefüttert, auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite verlässt das gesamte Material den Konsum wieder in Richtung Entsorgung, in die Kreislaufwirtschaft. Und die müsste im Grunde ja genauso diffizil aufgebaut sein wie die Produktionsseite."
Und das ist sie, trotz Infrarotscannern, trotz Hightech-Filtertechnik und konzentrierten menschlichen Blicken noch lange nicht.