Die Auferstehung eines Friedhofes

Von Adolf Stock |
Fast 300 Jahre diente der Friedhof in Bad Arolsen als letzte Ruhestätte. In den 1960er Jahren wurde er zu einem Park umgewidmet. Aber die Bevölkerung akzeptierte die neue Grünfläche nicht. Jetzt gibt es dort wieder Gräber.
Es war wie an vielen Orten in Deutschland: Der alte Friedhof in der Nähe der Kirche wurde zu klein. Ein neuer kommunaler Friedhof am Stadtrand wurde eingerichtet. Der Gottesacker in der nordhessischen Residenzstadt Bad Arolsen ist fast 300 Jahre alt. Hier wurden alle begraben, die am Hofe des Fürsten zu Waldeck und Pyrmont eine Rolle spielten: Juden, denen der Landesherr Schutz gewährte, Freimaurer, Künstler, Musen, Höflinge. Auch Bürger der Stadt fanden hier ihre letzte Ruhe. Viele prächtige Grabsteine erinnern an sie. So zum Beispiel ein großes Rokoko-Grabmal:

"Die beiden Figuren, die wir da haben, das ist die Gerechtigkeit, und was mich immer so etwas stutzig macht, ich habe keine Erklärung dafür: Das Schwert, mit dem man ja eigentlich mit Kraft aus der rechten Hand zuschlägt, ist links. Heißt es, dass das Schwert beim Herzen sein soll? Ich weiß es nicht ... "

Edith Hüttig ist die Vorsitzende eines Vereins, der sich um den Alten Arolser Friedhof kümmert. Sie steht zwischen historischen Grabsteinen und erzählt:

"Und die Klassizisten, immer wieder der Schmetterling, oder auch die Sanduhr, das sind alles Symbole des Todes, wir haben die erlöschenden Fackeln. Was fehlt auf den Steinen, sind die Urnen hier oben, und so manche Urne, vermute ich, steht auch in den Arolser Gärten. Als das damals umgestaltet wurde, das ist nicht gestohlen, es ist einfach nur damals zur Seite gelegt und man konnte sich wohl bedienen."

Als dann in den 60er Jahren aus dem Friedhof ein öffentlicher Park wurde, hat die Kommune 300 wertvolle Grabsteine nach Epochen geordnet museal aufgestellt. Als Park sollte der Alte Friedhof nun der Naherholung dienen.

"Der Park wurde nie angenommen von der Bevölkerung. Es war immer eine Passage zu den Einkaufsstraßen, es war ein riesiges Hundeklo, es war also ein Rückzugsgebiet für die eher lichtscheuen Arolser Bürger, da gehörte dann dazu, dass sehr viel Vandalismus, sehr viel Verschmutzung hier auf dem Friedhof war."

Mit Parkfriedhöfen fällt die Umwandlung manchmal leichter
Dass aus geschlossenen Friedhöfen Parkanlagen werden, ist nichts Ungewöhnliches, erklärt Reiner Sörries von der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal. Manchmal werden Friedhöfe auch schon als Parkfriedhöfe angelegt, damit später die Umwandlung leichter fällt:

"Man kann natürlich auch zu radikaleren Lösungen gehen, wie das eben in früheren Zeiten durchaus gemacht wurde, wo man sagte, ich trenne mich radikal von diesem Ort als Begräbnisplatz. Das klingt zunächst mal etwas radikal, aber ich halte es nach wie vor auch für eine Möglichkeit, zumal uns eben auch die Kulturgeschichte sehr viele Beispiele dafür liefert, das ist letztlich natürlich auch immer eine Frage der finanziellen Ressourcen, die eine Kommune bereitstellen kann, um Historie zu bewahren."

Reiner Sörries findet eine harten Schnitt allemal besser als halbherzige Konzepte, die am Ende dann doch zum Verfall eines Friedhofs führen.

"Die Erfahrung ist allerdings, dass diese umgewandelten Friedhöfe dann sehr schnell in der Gefahr sind, zu verwahrlosen, dass Vandalismus-Schäden viel stärker zu beobachten sind als auf belegten Friedhöfen. Wir raten deshalb, alte Friedhöfe, die längst aufgelassen sind, durchaus wieder in Nutzung zu nehmen, weil wir auch festgestellt haben, dass es da ein bürgerliches Interesse daran gibt, doch wieder eher auf den alten Friedhöfen zu bestatten. Und inzwischen ist es eigentlich ausgemachte Erkenntnis auch der Denkmalpflege, dass historische Friedhöfe, wenn sie belegt sind, gesicherter sind und besser sich erhalten lassen, als wenn sie in Parkanlagen umgewandelt sind."

So war es auch in Arolsen. Ein paar engagierte Bürger wollten den Alten Friedhof reaktivieren. Edith Hüttig:

"Professor Sörries sagte: Nur was genutzt wird, kann auch erhalten werden. Und dann waren die Bestrebungen, diesen Friedhof wieder zum Friedhof zu machen, und seit dieser Zeit dürfen Urnenbestattungen hier sein, die Urnen, die werden belegt nur mit Grabplatten, die genormt sind. Es sind ganz strenge Gestaltungsvorschriften, und das war also das große Problem, wo keiner dran geglaubt hatte, dass das gelingt, dass man heute, wo die Beliebigkeit so groß ist, mit Gestaltungsvorschriften noch etwas machen kann auf dem Friedhof."

Ein Engel-Grabstein auf dem Friedhof
Die kunstvoll behauenen Steine erzählen unendlich viele Geschichten.© Jan-Martin Altgeld
Gräber müssen sich historischem Ort unterordnen
Entgegen der Vermutung wurde der Alte Friedhof von der Bevölkerung gut angenommen, trotz der strengen Satzungen und Vorschriften, die dem Erhalt des historischen Charakters des Friedhofs dienen. Es sollen pflegeleichte Gräber sein, die sich dem historischen Ort unterordnen. Das Konzept funktioniert nicht nur in Arolsen, wie Rainer Sörries erklärt:

"Erstaunlich genug, die Bevölkerung akzeptiert in diesen Fällen tatsächlich auch die ganz strengen Gestaltungsvorschriften, weil man sich ja gerade mit diesem Friedhof und auch mit diesem Friedhofsbild regelrecht identifiziert, und man selber ein Interesse daran hat, dass dieses Bild dann tatsächlich auch so erhalten bleibt. Und natürlich, gerade Menschen, die trotz unserer mobilisierten Welt noch ortsgebunden, heimat- oder traditionsverbunden sind, gerade diese Menschen haben natürlich ein verstärktes Interesse an solchen traditionsreichen Orten, und das ist eben ein Zeichen dafür, dass Menschen sich heute mehr denn je bewusst für bestimmte Grablagen, für bestimmte Grabstätten entscheiden."

Edith Hüttig ist auch ein wenig stolz, wenn sie zwischen den vielen restaurierten Grabsteinen steht. Die kunstvoll behauenen Steine erzählen unendlich viele Geschichten, falls man sie zu lesen versteht:

"Hier haben Sie ein Grab, Sie sehen es ganz selten. Um die Freimaurer ist ja immer so etwas Geheimnisvolles. Sie sehen auf der Seite die Inschrift: Dem geliebten Meister die Brüder, und hier oben haben Sie die Insignien, das Buch, die Bibel ist das, dann haben Sie den Lorbeerkranz, Sie haben das Schwert und den Zirkel."

Mit den historischen Steinen wird Tradition bewahrt. Trotzdem möchte Edith Hüttig selbst auf einem anderen Friedhof begraben werden:

"Ich will natürlich eine Erdbestattung haben. Ich bin ein Mensch, der sein Leben lang gern Garten und die Finger in der Erde hatte und ich will einfach langsam vergehen und nicht verbrannt werden. Da hat jeder so seine Vorstellungen, das ist sowieso, man brüskiert viele Leute, die denken: Den schönsten hat sich jetzt die Hüttig ausgesucht, mitnichten, also ich habe hier keinen Stein."
Herbstlaub liegt auf der Skulptur eines Grabmals auf dem Alten Friedhof in Freiburg.
Die Bevölkerung akzeptiert sogar die strengen Friedhofsvorschriften.© AP