Die Aufräumerin

Von Dani Parthum |
Zwei "Bad Banks" sind in der Finanzkrise gegründet worden. Eine davon für den Megascherbenhaufen, den die Westdeutsche Landesbank mit ihrer Zerschlagung im Juli hinterlassen hat. Die WestLB hat ihrer "Bad Bank" insgesamt ein 180-Milliarden-Paket aufgehalst - bestehend aus Krediten, Anleihen und dubiosen Finanzprodukten. Was dafür auf dem Markt zu holen ist, lotet seit zwei Jahren die Managerin Gabriele Müller aus.
Gabriele Müller auf dem Weg zum Abfluggate. Sie ist, wie so oft, wenn sie beruflich fliegt, früh dran:

"Es ist kurz vor halb sieben, in Düsseldorf am Flughafen. Und ich werde heute nach London fliegen, in 'ner guten halben Stunde"."

Trotz der Uhrzeit strahlen die Augen der 48-Jährigen hell und wach.

Zollkontrolle:
""Ausweise bitte!"
"Guten Morgen!"
"Danke!"

Laptop und Akten hat die Managerin heute nicht dabei. Nur Rollkoffer und Handtasche.
Mit Verspätung hebt das Flugzeug Richtung Heathrow ab.

Gabriele Müller hat den schwersten Part. Sie soll Abnehmer für alles das finden, womit sich WestLB über Jahre hinweg verhoben und verspekuliert hat - also vor allem für Unternehmenskredite, Staatsanleihen und wahnwitzige Finanzkonstrukte. Banker nennen dieses Aufräumen Portfolio-Management. Müller leitet diese Abteilung.

Um aufräumen zu können, hat die 48-Jährige mit ihrem Team die Hinterlassenschaften der WestLB in Milliardenhöhe sortiert und kategorisiert. Und Aufgabe ist jetzt, sich bei Banken, Hedgefonds und Fachleuten umzuhören: Wer könnte was wann haben wollen?

"Wichtig ist bei Terminen, die Infos mitzunehmen, aber auch abzugeben, die man sich vorher vorgenommen hat. In der Sache hart, das muss ich manchmal sein, hart sein heißt aber nicht, tough auftreten, sondern Vertrauen gewinnen, dazu gehört der richtige Ton und auch Verbindlichkeit."

Kaum in Heathrow gelandet, eilt sie zum Schnellzug, der sie in die City bringt.

Müllers erstes Ziel - der Büroturm der Portigon. Die Portigon ist der Teil der WestLB, der nach ihrer Zerschlagung im Juli übrig geblieben ist. Und zwar deshalb, um den Bad Bankern bei ihren Aufräumarbeiten zu helfen. Gabriele Müller bespricht deshalb regelmäßig Arbeitsabläufe, so wie heute:

"Die Leute von der Portigon sind unserer Schnittschnelle zum Markt. Ohne die geht es nicht. Bei uns wird die Verkaufsentscheidung getroffen und die Kollegen von der Portigon führen eine Auktion durch, in der sie sicherstellen, dass dieser Kredit zum bestmöglichen Preis im Markt verkauft wird."

Also fast wie bei ebay -- meistbietend alles versteigern! Für Laien klingt das paradox: Die Abwickler verkaufen Kredite, die die WestLB zum Beispiel an Unternehmen vergeben hat. Für Banker ist das normal; sie verkaufen alles, um wieder an Geld zu kommen. Bei den Auktionen interessieren sich vor allem Hedgefonds für Kredite, gerade für solche, die als "faul" gelten, denn die bekommen sie günstig.

"Dabei wird sichergestellt, dass zumindest drei verschiedene Investoren ihre Preise abgegeben haben. Aber wir kennen nicht den Investor für die einzelne Transaktion. Wesentlich ist, den besten Preis zu erzielen und vorher einzuschätzen, gibt es genug Nachfrager für einen bestimmten Kredit oder ein Wertpapier."

Einschätzen, ob genügend Käufer da sind, ist Sache von Gabriele Müller. Sie schaut sich dafür Daten an, wie Zinsen und Risikoaufschläge, spricht mit potenziellen Käufern wie Investmentbanken, Pensionskassen und Versicherungen. Und: Sie trifft regelmäßig Analysten wie Philipp Gisdakis. Er leitet in München bei der Großbank Unicredit die Abteilung Research und ist extra nach London gekommen. Müllers zweiter Termin für heute, von dem sie sich neue Markt-Infos verspricht.

"Hallo! Geht es gut?"
"Ja, danke dass Sie sich Zeit für uns nehmen ..."
"Ich glaube. Sie haben schon meine Kollegen kennen gelernt ..."
"Servus, guten Morgen! Dann legen wir mal los."

Philipp Gisdakis und Gabriele Müller kennen sich seit Langem. Die Branche ist klein. Marktanalyse im kleinen Kreis:

"Wir glauben, dass Spanier dieses Jahr noch einen Hilfsantrag stellen werden ..."

Nach einer dreiviertel Stunde will Gabriele Müller mit dem Analysten noch ein paar Dinge vertraulich besprechen. Für die Unicredit ist die Bad Bank der WestLB, die Banker EAA nennen, eine Prestigekundin, weil hinter ihr das Land NRW steht. Und: Weil aus den Gesprächen mit Gabriele Müller auch Philip Gisdakis wichtige Infos über neueste Marktentwicklungen zieht:

Gisdakis: "Und in dem Sinne ist eine Organisation wie die EAA ein nicht unwichtiger Kunde, weil man wissen muss, was denken die gerade, was tun die gerade und was passiert gerade am Markt."

Genau das will Müller bei ihrem letzten Termin für den Tag auch erfahren - beim Treffen mit der Investmentbank. Davor geht sie noch einen Salat in einer Sandwichkette essen.

Eine Dreiviertelstunde nimmt sich Gabriele Müller Zeit für ihre Pause. Dann bricht sie zum Gespräch mit der Investmentbank auf. Das soll vertraulich bleiben, ohne journalistische Begleitung.

Kurz vor 18 Uhr trifft die Managerin in einem einfachen Hotel im Westen Londons ein - nach einem zwölfstündigen Arbeitstag. Für Gabriele Müller normal.

"Der Tag ist erfolgreich gewesen, ich habe gute Gespräche geführt, und jetzt ist der Tag geschäftlich gesehen vorbei."

15 Jahre hat sie mit ihren Kollegen Zeit, den Mega-Scherbenhaufen der WestLB abzutragen, die Fehlanlagen wieder zu Geld zu machen. Die Politiker planen dabei mit einem Verlust von 3 Milliarden Euro. Schon heute aber sind 2,4 Milliarden Verlust aufgelaufen - wegen unverkäuflicher griechischer Staatsanleihen und Krediten, die keiner mehr zurückzahlt. Angst vorm Scheitern der Rettungsmission hat Gabriele Müller dennoch nicht:

"Wenn wir nicht sagen würden, wir trauen uns das zu, dann würde keiner von uns den Job auch machen wollen."
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