"Welt ohne außen – immersive Räume seit den 60er Jahren" - die Ausstellung mit Aufführungen und Workshops läuft bis zum 5. August im Berliner Martin-Gropius Bau, geöffnet ist dort täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr.
Ein Gefühl für die Unendlichkeit
Im Berliner Martin-Gropius Bau ist eine Ausstellung zu sehen, in der die Geschichte allumfassender Räume erzählt wird. "Welt ohne Außen" heißt die Schau. Simone Reber hat sie sich angeschaut und eine Geschichte der räumlichen Kunst entdeckt.
Hier möchte man bleiben. Im oberen Wandelgang des Martin-Gropius Bau steht eine unscheinbare Bank. Doch sobald sich ein Besucher darauf setzt, erwacht sie zum Leben. Ganz langsam rollt sie nach links, dann wieder zurück. In Zeitlupe gleiten die Säulen des historischen Gebäudes am Blick vorbei, die Uhr spielt keine Rolle mehr. Die Bank von Jeppe Hein ist ein guter Ort, um die Wirkung immersiver Kunst am eigenen Leib zu erfahren, ein guter Ort auch für ein Interview mit einem der beiden Kuratoren, dem Künstler Tino Sehgal.
"Man setzt sich auf diese Bank drauf, man denkt es ist eine normale Bank, sieht auch aus, wie eine normale Bank und auf einmal fängt die an, sich zu bewegen. Und dieser kurze Moment, wo man nicht so genau weiß, wer man eigentlich ist, was gerade passiert, oder wo man ist, wäre ein Beispiel für einen immersiven Moment."
Keine leichte Kost
Tino Sehgal hat gemeinsam mit Thomas Oberender die "Welt ohne Außen" als eine Abenteuer–Ausstellung inszeniert – für Besucher bisweilen keine leichte Kost. Bei Lucio Fontana stößt man sich erst einmal den Kopf. Der Italiener hat Kunstgeschichte geschrieben, weil er die Leinwand aufschlitzte, das flache Bild wurde ihm zu eng. In der Ausstellung ist in einer rot schimmernden Höhle eine mit flauschigem Teppich belegte Bodenwelle zu sehen. Wer sie erklettert, schlägt an die Decke. Auch eine immersive Erfahrung. Als Theaterregisseur ist Thomas Oberender fasziniert von der Hybridform zwischen Aufführung und Ausstellung.
"Es geht nicht nur um das Bild im Rahmen an der Wand, die Aufführung im Guckkasten, sondern es geht darum, was passiert, wenn Sie durch diesen Rahmen gehen. Wenn Sie durch das Portal gehen, das ist, was uns interessiert."
"Es geht nicht nur um das Bild im Rahmen an der Wand, die Aufführung im Guckkasten, sondern es geht darum, was passiert, wenn Sie durch diesen Rahmen gehen. Wenn Sie durch das Portal gehen, das ist, was uns interessiert."
Im gleißend weißen Lichtgehäuse von Doug Wheeler aus dem Jahr 1969 löst sich der Raum auf, weil kein Schatten mehr Ecken und Kanten definiert. Mit den Begrenzungen geht auch die Orientierung verloren, es entsteht ein Gefühl für Unendlichkeit.
"Immersion meint ja tatsächlich, dass das Schema von Subjekt Objekt, also, von denen man sich bedrängt erlebt, aber eben dadurch auch in der Lage, sie distanziert und kritisch zu beobachten und zu beurteilen, dass diese Trennung aufgelöst wird. Oder mehr zu einem Oszillieren, zu einem Pendel wird, man ist drinnen und draußen gleichzeitig."
"Immersion meint ja tatsächlich, dass das Schema von Subjekt Objekt, also, von denen man sich bedrängt erlebt, aber eben dadurch auch in der Lage, sie distanziert und kritisch zu beobachten und zu beurteilen, dass diese Trennung aufgelöst wird. Oder mehr zu einem Oszillieren, zu einem Pendel wird, man ist drinnen und draußen gleichzeitig."
Diese vergleichsweise einfachen Experimente mit der Wahrnehmung sind die schönsten Arbeiten der Ausstellung, weil die räumliche Erfahrung ganz im Verantwortungsbereich der Besucher liegt. Komplizierter wird es bei den ausgefeilten Aufführungen, die in den vier Eckräumen des Wandelgangs stattfinden. Wolfgang Georgsdorf erzählt in einer 14-minütigen Duftkomposition die Geschichte der Welt als Folge von Gerüchen.
In dem geschlossenen Raum steht eine Apparatur mit silbrig glänzenden Röhren – der smeller. Als die Vorstellung des Osmodramas beginnt, rümpfen die Besucherinnen erstmal die Nase. Es riecht nach Fäulnis, Urin, später nach Knoblauch und heißen Reifen. Als Alarmorgan erkennt der Geruchssinn vor allem den Gestank.
"Also, das ist eine Vive-Brille, die würden wir Ihnen jetzt aufsetzen und damit kommen Sie in den digitalen Raum."
In dem geschlossenen Raum steht eine Apparatur mit silbrig glänzenden Röhren – der smeller. Als die Vorstellung des Osmodramas beginnt, rümpfen die Besucherinnen erstmal die Nase. Es riecht nach Fäulnis, Urin, später nach Knoblauch und heißen Reifen. Als Alarmorgan erkennt der Geruchssinn vor allem den Gestank.
"Also, das ist eine Vive-Brille, die würden wir Ihnen jetzt aufsetzen und damit kommen Sie in den digitalen Raum."
Ein paar Räume weiter hilft Annika Kuhlmann vom kuratorischen Team, die virtuelle Realität der kalifornischen Journalistin Nonny de la Pena zu erkunden.
"Sie müssen sich einfach nur bewegen. Sie sind in diesem Raum drin, mit der Person, mit der Hauptfigur des Films. Es geht um eine Einzelhaftzelle und um einen jungen Mann, der jahrelang in einer Einzelhaftzelle saß in den Vereinigten Staaten und der Film erzählt aus seiner Perspektive. Und Sie erfahren es aus erster Hand quasi als Eins-Zu-Eins-Gespräch mit dem ehemaligen Häftling."
Ein spannender Parcours für die Besucher
Mit der Datenbrille auf dem Kopf kann man sich in der Zelle kaum rühren zwischen Pritsche, Edelstahltoilette und Waschbecken. Plötzlich sitzt da der Häftling Kenny Moore, so nah, dass jedes Tattoo zu erkennen ist. Er schildert sein Leben in der Zelle. Nach acht Jahren Einzelhaft war er nicht mehr in der Lage aus dem Haus zu gehen. "After Solitary" ist eins der besseren Beispiele für virtual reality, dennoch bleibt der künstliche Raum anstrengend, weil sich der Körper ganz dem Auge anpassen muss.
Im Martin-Gropius Bau leitet der spannende Parcours die Besucher sehr eindeutig durch die Geschichte der räumlichen Kunst. Dabei fällt auf, dass eher die Werke ein neues Bewusstsein von der Umgebung wecken, die der Vorstellungskraft eigenen Spielraum lassen. Der Überfluss an Technik aber kappt die Flügel der Phantasie. Da wird die Welt ohne Außen zu einer Welt ohne Innen.