Die Babyklappe der Germanen
Ohne eifernden Purismus beschreibt der Kölner Germanist Karlheinz Göttert, wie sich die deutsche Sprache im Lauf der Jahrhunderte verändert hat. Seine Darstellung ist kurzweilig, aber nicht jeder Kalauer gelungen.
Erwin Arndt, Professor für Sprachgeschichte an der Humboldt-Universität, pflegte in seinen Seminaren zu sagen, dass die deutsche Sprache, wie überhaupt jede Sprache, dazu neige, sich zu verändern, und jeder Versuch, das aufzuhalten, ein sinnloses Unterfangen sei. Eines Tages würden alle Deutschen, auch die Germanisten sagen, statt "der Mantel des Vaters" "dem Vater sein Mantel". Er konnte nicht ahnen, dass schon ein Vierteljahrhundert später selbst Abiturienten sich lustvoll der von türkischen und arabischen Einwanderern eingeführten präpositions- und artikellosen Grammatik hingeben, die sich in Sätzen wie "Isch mach disch Messer" manifestiert.
Nun hat Arndts Kollege Karl-Heinz Göttert, bis 2009 Professor für Germanistik an der Universität Köln, eine Geschichte der deutschen Sprache vorgelegt, in der er mit ähnlicher Gelassenheit und ohne jeden Sprachpurismus die Veränderungen, denen die deutsche Sprache unterworfen war und ist, beschreibt.
Nicht aus einem Dialekt wie viele andere europäische Sprachen entwickelte sich die Hochsprache, sondern aus der ostmittel- und süddeutschen Schriftlichkeit, deren Aussprache stark norddeutsch geprägt war. Und sie war und ist vielen Einflüssen anderer Sprachen, wie Latein, Französisch oder Englisch ausgesetzt, was Göttert konstatiert, ohne in den weit verbreiteten Alarmismus zu verfallen, das Deutsche würde in nächster Zeit aussterben:
"Die deutsche Sprache war von Anfang an eine Sprache im Kontakt, nahm nicht nur ein paar Brosamen von hier und da auf, sondern ernährte sich munter von den Tischen der anderen."
Ein Zeitraum von 1200 Jahren ist nicht leicht überschaubar und das Thema nicht gerade eins, das bestsellertauglich ist. Göttert geht bis auf gelegentliche Einschübe chronologisch vor, wobei er der Wortbildung und der Entwicklung der Sprache durch die Literatur großen Raum gibt. Dabei finden nicht nur Luther und Lessing, Goethe, Gottsched, Bodmer und die Gebrüder Grimm sowie die Sprachpuristen, die das Fremdwort Nase durch Gesichtserker ersetzen wollten, Erwähnung, sondern auch Mechthild von Magdeburg, Eike von Repgow oder August Stramm, die mit ihren Texten zur Entwicklung beitrugen. Die Sprache selbst, so eine umstrittene These des Autors in Bezug auf den Nationalsozialismus, lenke das Denken nicht, sondern Verführung gehe immer nur von den Benutzern der Sprache aus.
Götterts Buch ist im guten wie im schlechten Sinne populärwissenschaftlich. Gut, weil er in verständlichem Deutsch erklärt, welchen Weg die deutsche Sprache genommen hat, schlecht, weil er offenbar meint, sich durch den Text kalauern zu müssen, um unbedarfte Leser bei Laune zu halten. So heißt es über die Ursprünge der Sprache:
"Fast könnte man sagen: Germanische Eltern haben sie durch die Babyklappe geschoben und ihr vermutlich alles Gute gewünscht."
Zum Glück vergisst der Autor ab dem späten Mittelalter diesen betulichen Humor und verzichtet auch auf die weitere Strapazierung der Metapher der Biographie, die der Sprache eine Entwicklung vom Säuglings- bis zum Greisenalter suggeriert. Auch haben sich ein paar Fehler eingeschlichen, von denen nicht alle, wie das falsche Gründungsjahr von DDR und Bundesrepublik, für jeden Laien als solche erkennbar sind. So sollte sich der geplante, aber nicht abgeschlossene Nachfolgeband von Victor Klemperers Buch LTI – LQI, "Sprache des Vierten Reiches", nicht mit der Weiterexistenz der Nazisprache beschäftigen, sondern mit der der DDR. Auch war der ostdeutsche Begriff für Tiefkühlkost nicht Feinfrostkost, sondern Feinfrosterzeugnis. Trotz dieser Einschränkungen ist die Lektüre über weite Strecken kurzweilig und voller Informationen, die auch Germanisten nicht sofort parat haben.
Eine wesentliche Erkenntnis des Werkes ist, dass die deutsche Sprache, im Gegensatz zum Französischen beispielsweise, bis auf die Rechtschreibreform, ohne staatliche Reglementierung auskam. Dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung künftig regelmäßig einen Bericht zur Lage der deutschen Sprache liefern will, ohne dass Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker oder Literaturwissenschaftler der Expertenkommission angehören sollen, klingt nach der Lektüre von Karl-Heinz Götterts Buch wie eine Drohung.
Karl-Heinz Göttert: Deutsch. Biographie einer Sprache
Ullstein Verlag, Berlin 2010
400 Seiten, 19,95 Euro
Nun hat Arndts Kollege Karl-Heinz Göttert, bis 2009 Professor für Germanistik an der Universität Köln, eine Geschichte der deutschen Sprache vorgelegt, in der er mit ähnlicher Gelassenheit und ohne jeden Sprachpurismus die Veränderungen, denen die deutsche Sprache unterworfen war und ist, beschreibt.
Nicht aus einem Dialekt wie viele andere europäische Sprachen entwickelte sich die Hochsprache, sondern aus der ostmittel- und süddeutschen Schriftlichkeit, deren Aussprache stark norddeutsch geprägt war. Und sie war und ist vielen Einflüssen anderer Sprachen, wie Latein, Französisch oder Englisch ausgesetzt, was Göttert konstatiert, ohne in den weit verbreiteten Alarmismus zu verfallen, das Deutsche würde in nächster Zeit aussterben:
"Die deutsche Sprache war von Anfang an eine Sprache im Kontakt, nahm nicht nur ein paar Brosamen von hier und da auf, sondern ernährte sich munter von den Tischen der anderen."
Ein Zeitraum von 1200 Jahren ist nicht leicht überschaubar und das Thema nicht gerade eins, das bestsellertauglich ist. Göttert geht bis auf gelegentliche Einschübe chronologisch vor, wobei er der Wortbildung und der Entwicklung der Sprache durch die Literatur großen Raum gibt. Dabei finden nicht nur Luther und Lessing, Goethe, Gottsched, Bodmer und die Gebrüder Grimm sowie die Sprachpuristen, die das Fremdwort Nase durch Gesichtserker ersetzen wollten, Erwähnung, sondern auch Mechthild von Magdeburg, Eike von Repgow oder August Stramm, die mit ihren Texten zur Entwicklung beitrugen. Die Sprache selbst, so eine umstrittene These des Autors in Bezug auf den Nationalsozialismus, lenke das Denken nicht, sondern Verführung gehe immer nur von den Benutzern der Sprache aus.
Götterts Buch ist im guten wie im schlechten Sinne populärwissenschaftlich. Gut, weil er in verständlichem Deutsch erklärt, welchen Weg die deutsche Sprache genommen hat, schlecht, weil er offenbar meint, sich durch den Text kalauern zu müssen, um unbedarfte Leser bei Laune zu halten. So heißt es über die Ursprünge der Sprache:
"Fast könnte man sagen: Germanische Eltern haben sie durch die Babyklappe geschoben und ihr vermutlich alles Gute gewünscht."
Zum Glück vergisst der Autor ab dem späten Mittelalter diesen betulichen Humor und verzichtet auch auf die weitere Strapazierung der Metapher der Biographie, die der Sprache eine Entwicklung vom Säuglings- bis zum Greisenalter suggeriert. Auch haben sich ein paar Fehler eingeschlichen, von denen nicht alle, wie das falsche Gründungsjahr von DDR und Bundesrepublik, für jeden Laien als solche erkennbar sind. So sollte sich der geplante, aber nicht abgeschlossene Nachfolgeband von Victor Klemperers Buch LTI – LQI, "Sprache des Vierten Reiches", nicht mit der Weiterexistenz der Nazisprache beschäftigen, sondern mit der der DDR. Auch war der ostdeutsche Begriff für Tiefkühlkost nicht Feinfrostkost, sondern Feinfrosterzeugnis. Trotz dieser Einschränkungen ist die Lektüre über weite Strecken kurzweilig und voller Informationen, die auch Germanisten nicht sofort parat haben.
Eine wesentliche Erkenntnis des Werkes ist, dass die deutsche Sprache, im Gegensatz zum Französischen beispielsweise, bis auf die Rechtschreibreform, ohne staatliche Reglementierung auskam. Dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung künftig regelmäßig einen Bericht zur Lage der deutschen Sprache liefern will, ohne dass Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker oder Literaturwissenschaftler der Expertenkommission angehören sollen, klingt nach der Lektüre von Karl-Heinz Götterts Buch wie eine Drohung.
Karl-Heinz Göttert: Deutsch. Biographie einer Sprache
Ullstein Verlag, Berlin 2010
400 Seiten, 19,95 Euro