Die "Bagatellen" für Klavier von Ludwig van Beethoven

Launig im Ton, frei in der Form

Beethoven-Denkmal in Bonn
Monumental, überlebensgroß: Ein klassisches Beethoven-Bild, hier als Denkmal auf dem Bonner Münsterplatz. Der Komponist war aber auch ein Meister der kleinen Form © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Gast: Mathias Hansen, Musikwissenschaftler; Moderation: Michael Dasche |
Ein Genie ist auch in seinen Kleinigkeiten interessant. Und was nach außen hin klein wirkt, muss es nicht unbedingt sein. So gehören die Bagatellen zu den bemerkenswerten Klavierwerken von Ludwig van Beethoven.
"Vive la Bagatelle! – Von einem großen Mann ist alles interessant, und die Kleinigkeiten desselben sind es nicht am wenigsten." Diese Äußerung von Jean Paul hätte gut und gern auf Ludwig van Beethoven und seine Bagatellen gemünzt sein können. Jedenfalls bestärkt sie Zweifel daran, dass es sich bei den Klavierstücken op. 33, 119 und 126 nur um "Gedankenspäne" handele, "die während des Komponierens großer Werke abgefallen" seien, wie Beethovens Sekretär und Biograf Anton Schindler meinte.

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Allein, dass Beethoven die Stücke mit Opus-Zahlen versah, sie also in die "Liste meiner großen Werke" aufnahm, legt eine andere Wertung nahe. Demnach käme den Bagatellen zwar nicht der Rang von "Hauptwerken" zu, wohl aber wäre ihnen eine eminent wichtige Funktion im Schaffen des Komponisten zuzumessen: des Erkundens von schöpferischen Freiräumen, des spielerischen Erprobens innovativer Lösungen in kleinem Format.

Jeder Satz eine Welt für sich

Allerdings nutzte Beethoven die vor ihm nur ansatzweise entwickelte Gattung keineswegs allein zu experimentellen Zwecken. Als "Gelegenheitskompositionen" hatten die Stücke ebenso Erwartungen von Verlegern und Käufern zu erfüllen: der Unterhaltsamkeit, der leichten Spielbarkeit, der Eignung für den Klavierunterricht. Nicht in allen Fällen vermochte Beethoven diesen marktgängigen Kriterien zu folgen. Mit den radikal aphoristischen Bagatellen op. 119 etwa stieß er zunächst gar auf Unverständnis seines Verlegers. Beim musikalisch aktiven Publikum hatten die Werke schließlich dennoch Erfolg.
Keine der mit Opus-Zahlen nobilitierten Bagatellen steht pars pro toto für die insgesamt 24 Stücke, von denen in unserer Sendung eine Auswahl vorgestellt wird. Jeder einzelne Satz weist seine ganz eigene musikalische Charakteristik auf, und das Spektrum reicht vom lyrisch-liedhaften Kantabile über den mal elegant-schwingenden, mal urwüchsig-derben Tanz bis zum robust-motorischen Presto. Anmut und Zorn, Witz und Melancholie, Sanftes und Schroffes treffen unvermittelt aufeinander, stehen im Widerstreit miteinander.

Komponierte Improvisationen

Da ist für jedes musikantische Naturell etwas dabei: für feinsinnige Klangpoeten wie Alfred Brendel oder Alicia de Larrocha, für provozierende Exzentriker wie Glenn Gould oder Valery Afanassiev, für nobel-brillante Virtuosen wie Mikhail Pletnev oder Andrei Vieru, für kühne Avantgardisten wie Artur Schnabel, Rudolf Serkin oder Swjatoslaw Richter.
Der Individualismus dieser Künstler kann sich nirgends freier ausleben als in den Bagatellen von Beethoven. Im Geiste der Improvisation erschaffen, sind sie in puncto traditioneller Normen sehr offen. In einigen Details werden sogar künftige musikalische Entwicklungen antizipiert. Wenn Beethoven sich mit der von ihm als "zyklisch" beglaubigten Werkgruppe op. 126 von seinem Instrument, dem Klavier, verabschiedete, so war das kein "planmäßiger" Schritt, sondern eher äußerlich, pekuniär veranlasst. Und doch war es eine Zäsur, ein Aufbruch zu neuen Gipfeln im weiteren Spätwerk des Komponisten.
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