Die banale Logik des Konsumdenkens
Keine Markenkleider, kein Auto: Wer Verzicht übt, wird schnell als Bürger zweiter Klasse abgestempelt, sagt der Wachstumsskeptiker Tim Jackson. Der Professor für Nachhaltigkeit fordert deshalb ein gesellschaftliches Umdenken.
Matthias Hanselmann: Kann es uns gut gehen, wenn die Wirtschaft nicht weiter wächst? Wie weit kann sie überhaupt wachsen, und wo sind die Grenzen des Wachstums? Uns geht es gut, wenn die Wirtschaft prosperiert. Das hat sich festgesetzt in unseren Köpfen. Vor drei Jahren dann haben wir gesehen, was passiert, wenn aus voller Fahrt die Wirtschaft einbricht, wenn unglaubliche Summen an Geld einfach verpuffen. Aber schon geht es ja wieder bergauf. Wachstum sei Dank, denken wir. "Wohlstand ohne Wachstum: Leben in einer endlichen Welt", das ist der Titel eines Buches, das Tim Jackson geschrieben hat. Er ist Professor für nachhaltige Entwicklung an der Universität von Surrey, und er berät unter anderem die britische Regierung in der Kommission für nachhaltige Entwicklung. Jetzt ist Tim Jackson unser Gast im "Radiofeuilleton", herzlich willkommen!
Tim Jackson: Thank you very much!
Hanselmann: Zunächst, Herr Jackson, die einfache Frage: Warum glauben so viele Menschen, dass Wohlstand immer mit Wachstum verbunden sein muss, mit dem berühmten Größer, Höher, Weiter?
Jackson: Nun, dafür gibt es natürlich fundamentale Gründe, und das hat natürlich damit angefangen, wenn ich nichts habe, wenn ich hungere oder wenn ich überhaupt kein Geld habe, dann macht das natürlich Sinn, dann macht es Sinn, mehr zu bekommen – für Obdachlose beispielsweise oder Leute, die nicht genug zu essen hatten. Also ganz am Anfang unserer ökonomischen Entwicklung hat es natürlich Sinn gemacht zu sagen, wir brauchen mehr. Aber es ist insofern auch kein fundamentaler Fehler, dass man mal so gedacht hat, es ist nur so, dass wir mittlerweile an gewisse natürliche Ressourcen, an gewisse natürliche Grenzen gestoßen sind, und gerade wenn es um das Essen geht – man kann jetzt auch nicht sagen, dass mehr Essen auch immer besser ist.
Hanselmann: Wir leben in einer komplexen Welt mit sehr verschiedenen Stadien von Ökonomien, von ärmsten Ländern wie Haiti bis zu den Global Players, zu denen auch Deutschland gehört. Gilt denn in diesen armen Ländern das Motto "Wachstum schafft Wohlstand" doch noch?
Jackson: Nun, ich würde sowieso sagen, dass Wohlstand immer etwas Positives ist, aber man muss es auch immer in einer Relation zum Einkommen sehen, zum subjektiven Einkommen sehen. Und was die ärmsten Länder betrifft, ja, da würde ich sagen, da bringt auch Wachstum etwas. Zumal die Lebenserwartung zum Beispiel ganz stark auch mit Wachstum zu tun hat. Es ist wirklich bewiesen, dass wenn die Leute auch mehr verdienen, wenn sie mehr haben, dass sie dann zum Beispiel auch älter werden. Ansonsten ist in diesen armen Ländern die Lebenserwartung gerade mal bei 40 oder 50 Jahren – da wäre ich beispielsweise schon längst tot. Es ist immer auch ein moralisches Argument, dass die reicheren Länder den armen Ländern auch Platz lassen müssen, damit dort Platz für Wachstum ist.
Hanselmann: Der Untertitel Ihres Buches lautet "Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt", und es geht darum, dass eben dieses Wachstum an seine Grenzen stößt. Sie beschreiben in Ihrem Buch das Konsumverhalten des Menschen, den Konsumismus, der ja Teil der Wohlstandsgesellschaft ist. Wo müssen wir denn hier umdenken?
Jackson: Um dieses Konsumdenken zu verstehen, müssen wir uns natürlich zuerst die Frage stellen, wo kommt dieses Denken denn eigentlich her. Hat das wirklich nur etwas mit Gier und mit Dummheit zu tun, oder gibt es nicht vielleicht eine soziale Logik, die dahintersteckt, eine sehr viel banalere Logik? Nämlich, wenn wir darüber reden, über Essen, über Wohnen, über Kleiden, dann spielt soziale Psychologie eine ganz starke Rolle. Wir senden damit auch Signale an unsere Umwelt aus, wie wir uns kleiden, wie wir essen, wo wir wohnen. Wir senden damit auch aus, welche Position wir in einer Gesellschaft innehalten. Wir senden Signale aus, wie wir uns lieben. Also materielle Güter, die strahlen auch immer etwas aus in unserer Konsumgesellschaft, und es ist eine Sprache der Waren entstanden, die mit der sozialen Identität sehr viel zu tun hat. Und diese zerstörerische Verbindung, die muss man unterbrechen. Das heißt, wir müssen wieder mehr das Soziale in den Mittelpunkt stellen, mit diesen sozialen Identitäten uns auch wieder anders auseinandersetzen – nur das macht Sinn.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Tim Jackson. Er ist Professor für nachhaltige Entwicklung in Großbritannien und Autor des Buches "Wohlstand ohne Wachstum". Mr. Jackson, einzelne Teile unserer Gesellschaften leben ja schon im Sinne der Grenzen des Wachstum, viele sparen Energie, es wird biologisch gegessen oder man kämpft auf politischer Ebene für Nachhaltigkeit und Erneuerbarkeit. Was muss passieren, damit dieses Verhalten aus der gesellschaftlichen Nische herauskommt und von möglichst allen erkannt und gelebt wird, auch von der Wirtschaft?
Jackson: Diese Menschen, diese Gruppierungen von Menschen, die das versuchen, die sind wirklich sehr, sehr spannend. Die zum Beispiel versuchen, nachhaltiger zu leben, sie wagen eine Art soziales Experiment. Und meine Research-Gruppe an meiner Universität, wir haben diese Menschen wirklich versucht ein bisschen zu studieren, wir haben versucht zu schauen, was das für einen sozialen Wert hat, wenn man so anders lebt, wenn man versucht, so anders zu leben, auch was es psychologisch letztendlich für die Gesellschaft bedeutet. Und eine sehr nette Lektion, die wir daraus gelernt haben, war: Wenn man wirklich im Einklang mit seinen Werten lebt, dann ist man glücklicher.
Die etwas beängstigendere Lektion, die wir gelernt haben, war, dass viele Menschen in einem ganz starken Konflikt mit den Strukturen unserer Gesellschaft und der Gesellschaft selber leben. Beispielsweise, wenn ich mich dazu entschieden habe, auf mein Auto zu verzichten, das aber in einer Umgebung mache, die auf Autos basiert, dann bin ich nur noch ein Bürger zweiter Klasse. Wenn ich meinen Kindern nicht mehr die Markenprodukte mitgebe in die Schule, auch nicht mehr dieses Essen, dann sind die Kinder nur noch Bürger zweiter Klasse. Es ist unglaublich schwer, aus dieser Nische heraus in unserem sozialen Kontext zu existieren. Und das Ganze wird nur wirklich dann funktionieren, wenn es auch von dem mehrheitlichen Teil der Gesellschaft mehr akzeptiert wird. Ansonsten ist dieser Kampf, den man da mit der Gesellschaft führt, einfach zu hart.
Hanselmann: Nehmen wir das, was Sie eben beschrieben haben, und übertragen es aus dem privaten Bereich auf den wirtschaftlichen Bereich. Ganz einfach: Kann ein Unternehmen, ein großes, globales Unternehmen so leben wie diese Menschen, die jetzt sozusagen die ökologische Avantgarde sind? Kann ein großes Unternehmen auch das als Vorbild nehmen?
Jackson: Es verhält sich hier natürlich auch bei den großen Firmen ähnlich wie das, was ich für den privaten Rahmen bereits beschrieben habe. Solange sich der soziale Kontext und der gesellschaftliche Kontext nicht verändern, solange die Strukturen so bleiben, wie sie sind, solange die Legislative, auch was die Finanzierung und Finanzierungsgebaren anbelangt, so bleiben, solange Aktiengesellschaften so strukturiert sind, wie sie derzeit strukturiert sind, ist es unglaublich schwer für große Firmen, den Alleingang zu wagen. Aber das Interessante ist, dass einige große Firmen es wirklich versuchen, gerade was die gedankliche Ebene angeht, da neu zu denken und neue Ansätze zu schaffen, gerade was Nachhaltigkeit anbelangt. Und das ist etwas, was sehr positiv ist. Und da finde ich, dass einige wirklich wichtige große Firmen schon sehr, sehr viel weiter sind als unsere nationalen Regierungen, die da noch sehr rückschrittlich denken. Und da muss man ansetzen. Die politischen Führer müssen da einfach auch viel mehr tun.
Hanselmann: Aber kann denn das, was Sie gerade ansprechen, was Sie als Umbaumaßnahme für unser System fordern, kann das denn alles funktionieren auf der Basis des Kapitalismus? Denken wir dran, Wachstum der Wirtschaft ist bei uns verbunden mit Bruttoinlandsprodukt, dem BIP, wenn dieser stagniert, bricht der Kapitalismus dann nicht zusammen? Was wollen Sie? Wollen Sie ein sozialistisch ökologisches System?
Jackson: Nun ja, es ist sehr, sehr verführerisch, diesen Antagonismus zwischen Kapitalismus und Sozialismus wieder aufzustellen, wie wir das in den vergangenen 150 Jahren letztendlich gemacht haben, aber es ist nicht wirklich exakt, weil es eine zu einfache Gegenüberstellung ist. Und nun kann man sich auch über den Kapitalismusbegriff einmal unterhalten. Wie wollen wir das definieren? Wenn wir das so definieren, wie Sie es gerade kurz getan haben, immer nur mit Wachstum und mit Anhäufung von Kapital, ja, dieser Kapitalismus, der wird uns nicht weiterführen. Die Frage, die man dann stellt, ist: Brauchen wir Kapital? In welcher Form brauchen wir Kapital? Sicher brauchen wir Kapital bis zu einem gewissen Punkt, aber das sind eben Fragen, die könnte man sich dann auch wirklich stellen. Und was die sozialistischen Ideen oder Einflüsse des Sozialismus angeht: In der Weltwirtschaftskrise hat es gerade in Amerika eben diese Diskussion gegeben, ob durch den Staatsinterventionalismus, den es in den USA gegeben hat, man doch langsam in den Sozialismus sozusagen hinübergleitet. Das sind interessante Fragen, und wahrscheinlich brauchen wir auch gewisse Elemente des Sozialismus. Aber insgesamt würde ich einfach sagen, sind das überholte Konzepte, hier Kapitalismus und Sozialismus in diesen Formen gegenüberzustellen. Und etwas ganz Interessantes, was zurzeit passiert, ist ja, dass das erfolgreichste kapitalistische Land der Welt eigentlich ein kommunistischer Staat ist.
Hanselmann: Welcher?
Jackson: China.
Hanselmann: China also, natürlich. Tim Jackson, Autor des Buches "Wohlstand ohne Wachstum", und vielen Dank auch an Jörg Taszman, der die Übersetzung geliefert hat.
Link bei dradio.de:
Verschwendung als "obszön" brandmarken - Sozialwissenschaftler über die Grenzen des Wachstums
Tim Jackson: Thank you very much!
Hanselmann: Zunächst, Herr Jackson, die einfache Frage: Warum glauben so viele Menschen, dass Wohlstand immer mit Wachstum verbunden sein muss, mit dem berühmten Größer, Höher, Weiter?
Jackson: Nun, dafür gibt es natürlich fundamentale Gründe, und das hat natürlich damit angefangen, wenn ich nichts habe, wenn ich hungere oder wenn ich überhaupt kein Geld habe, dann macht das natürlich Sinn, dann macht es Sinn, mehr zu bekommen – für Obdachlose beispielsweise oder Leute, die nicht genug zu essen hatten. Also ganz am Anfang unserer ökonomischen Entwicklung hat es natürlich Sinn gemacht zu sagen, wir brauchen mehr. Aber es ist insofern auch kein fundamentaler Fehler, dass man mal so gedacht hat, es ist nur so, dass wir mittlerweile an gewisse natürliche Ressourcen, an gewisse natürliche Grenzen gestoßen sind, und gerade wenn es um das Essen geht – man kann jetzt auch nicht sagen, dass mehr Essen auch immer besser ist.
Hanselmann: Wir leben in einer komplexen Welt mit sehr verschiedenen Stadien von Ökonomien, von ärmsten Ländern wie Haiti bis zu den Global Players, zu denen auch Deutschland gehört. Gilt denn in diesen armen Ländern das Motto "Wachstum schafft Wohlstand" doch noch?
Jackson: Nun, ich würde sowieso sagen, dass Wohlstand immer etwas Positives ist, aber man muss es auch immer in einer Relation zum Einkommen sehen, zum subjektiven Einkommen sehen. Und was die ärmsten Länder betrifft, ja, da würde ich sagen, da bringt auch Wachstum etwas. Zumal die Lebenserwartung zum Beispiel ganz stark auch mit Wachstum zu tun hat. Es ist wirklich bewiesen, dass wenn die Leute auch mehr verdienen, wenn sie mehr haben, dass sie dann zum Beispiel auch älter werden. Ansonsten ist in diesen armen Ländern die Lebenserwartung gerade mal bei 40 oder 50 Jahren – da wäre ich beispielsweise schon längst tot. Es ist immer auch ein moralisches Argument, dass die reicheren Länder den armen Ländern auch Platz lassen müssen, damit dort Platz für Wachstum ist.
Hanselmann: Der Untertitel Ihres Buches lautet "Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt", und es geht darum, dass eben dieses Wachstum an seine Grenzen stößt. Sie beschreiben in Ihrem Buch das Konsumverhalten des Menschen, den Konsumismus, der ja Teil der Wohlstandsgesellschaft ist. Wo müssen wir denn hier umdenken?
Jackson: Um dieses Konsumdenken zu verstehen, müssen wir uns natürlich zuerst die Frage stellen, wo kommt dieses Denken denn eigentlich her. Hat das wirklich nur etwas mit Gier und mit Dummheit zu tun, oder gibt es nicht vielleicht eine soziale Logik, die dahintersteckt, eine sehr viel banalere Logik? Nämlich, wenn wir darüber reden, über Essen, über Wohnen, über Kleiden, dann spielt soziale Psychologie eine ganz starke Rolle. Wir senden damit auch Signale an unsere Umwelt aus, wie wir uns kleiden, wie wir essen, wo wir wohnen. Wir senden damit auch aus, welche Position wir in einer Gesellschaft innehalten. Wir senden Signale aus, wie wir uns lieben. Also materielle Güter, die strahlen auch immer etwas aus in unserer Konsumgesellschaft, und es ist eine Sprache der Waren entstanden, die mit der sozialen Identität sehr viel zu tun hat. Und diese zerstörerische Verbindung, die muss man unterbrechen. Das heißt, wir müssen wieder mehr das Soziale in den Mittelpunkt stellen, mit diesen sozialen Identitäten uns auch wieder anders auseinandersetzen – nur das macht Sinn.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Tim Jackson. Er ist Professor für nachhaltige Entwicklung in Großbritannien und Autor des Buches "Wohlstand ohne Wachstum". Mr. Jackson, einzelne Teile unserer Gesellschaften leben ja schon im Sinne der Grenzen des Wachstum, viele sparen Energie, es wird biologisch gegessen oder man kämpft auf politischer Ebene für Nachhaltigkeit und Erneuerbarkeit. Was muss passieren, damit dieses Verhalten aus der gesellschaftlichen Nische herauskommt und von möglichst allen erkannt und gelebt wird, auch von der Wirtschaft?
Jackson: Diese Menschen, diese Gruppierungen von Menschen, die das versuchen, die sind wirklich sehr, sehr spannend. Die zum Beispiel versuchen, nachhaltiger zu leben, sie wagen eine Art soziales Experiment. Und meine Research-Gruppe an meiner Universität, wir haben diese Menschen wirklich versucht ein bisschen zu studieren, wir haben versucht zu schauen, was das für einen sozialen Wert hat, wenn man so anders lebt, wenn man versucht, so anders zu leben, auch was es psychologisch letztendlich für die Gesellschaft bedeutet. Und eine sehr nette Lektion, die wir daraus gelernt haben, war: Wenn man wirklich im Einklang mit seinen Werten lebt, dann ist man glücklicher.
Die etwas beängstigendere Lektion, die wir gelernt haben, war, dass viele Menschen in einem ganz starken Konflikt mit den Strukturen unserer Gesellschaft und der Gesellschaft selber leben. Beispielsweise, wenn ich mich dazu entschieden habe, auf mein Auto zu verzichten, das aber in einer Umgebung mache, die auf Autos basiert, dann bin ich nur noch ein Bürger zweiter Klasse. Wenn ich meinen Kindern nicht mehr die Markenprodukte mitgebe in die Schule, auch nicht mehr dieses Essen, dann sind die Kinder nur noch Bürger zweiter Klasse. Es ist unglaublich schwer, aus dieser Nische heraus in unserem sozialen Kontext zu existieren. Und das Ganze wird nur wirklich dann funktionieren, wenn es auch von dem mehrheitlichen Teil der Gesellschaft mehr akzeptiert wird. Ansonsten ist dieser Kampf, den man da mit der Gesellschaft führt, einfach zu hart.
Hanselmann: Nehmen wir das, was Sie eben beschrieben haben, und übertragen es aus dem privaten Bereich auf den wirtschaftlichen Bereich. Ganz einfach: Kann ein Unternehmen, ein großes, globales Unternehmen so leben wie diese Menschen, die jetzt sozusagen die ökologische Avantgarde sind? Kann ein großes Unternehmen auch das als Vorbild nehmen?
Jackson: Es verhält sich hier natürlich auch bei den großen Firmen ähnlich wie das, was ich für den privaten Rahmen bereits beschrieben habe. Solange sich der soziale Kontext und der gesellschaftliche Kontext nicht verändern, solange die Strukturen so bleiben, wie sie sind, solange die Legislative, auch was die Finanzierung und Finanzierungsgebaren anbelangt, so bleiben, solange Aktiengesellschaften so strukturiert sind, wie sie derzeit strukturiert sind, ist es unglaublich schwer für große Firmen, den Alleingang zu wagen. Aber das Interessante ist, dass einige große Firmen es wirklich versuchen, gerade was die gedankliche Ebene angeht, da neu zu denken und neue Ansätze zu schaffen, gerade was Nachhaltigkeit anbelangt. Und das ist etwas, was sehr positiv ist. Und da finde ich, dass einige wirklich wichtige große Firmen schon sehr, sehr viel weiter sind als unsere nationalen Regierungen, die da noch sehr rückschrittlich denken. Und da muss man ansetzen. Die politischen Führer müssen da einfach auch viel mehr tun.
Hanselmann: Aber kann denn das, was Sie gerade ansprechen, was Sie als Umbaumaßnahme für unser System fordern, kann das denn alles funktionieren auf der Basis des Kapitalismus? Denken wir dran, Wachstum der Wirtschaft ist bei uns verbunden mit Bruttoinlandsprodukt, dem BIP, wenn dieser stagniert, bricht der Kapitalismus dann nicht zusammen? Was wollen Sie? Wollen Sie ein sozialistisch ökologisches System?
Jackson: Nun ja, es ist sehr, sehr verführerisch, diesen Antagonismus zwischen Kapitalismus und Sozialismus wieder aufzustellen, wie wir das in den vergangenen 150 Jahren letztendlich gemacht haben, aber es ist nicht wirklich exakt, weil es eine zu einfache Gegenüberstellung ist. Und nun kann man sich auch über den Kapitalismusbegriff einmal unterhalten. Wie wollen wir das definieren? Wenn wir das so definieren, wie Sie es gerade kurz getan haben, immer nur mit Wachstum und mit Anhäufung von Kapital, ja, dieser Kapitalismus, der wird uns nicht weiterführen. Die Frage, die man dann stellt, ist: Brauchen wir Kapital? In welcher Form brauchen wir Kapital? Sicher brauchen wir Kapital bis zu einem gewissen Punkt, aber das sind eben Fragen, die könnte man sich dann auch wirklich stellen. Und was die sozialistischen Ideen oder Einflüsse des Sozialismus angeht: In der Weltwirtschaftskrise hat es gerade in Amerika eben diese Diskussion gegeben, ob durch den Staatsinterventionalismus, den es in den USA gegeben hat, man doch langsam in den Sozialismus sozusagen hinübergleitet. Das sind interessante Fragen, und wahrscheinlich brauchen wir auch gewisse Elemente des Sozialismus. Aber insgesamt würde ich einfach sagen, sind das überholte Konzepte, hier Kapitalismus und Sozialismus in diesen Formen gegenüberzustellen. Und etwas ganz Interessantes, was zurzeit passiert, ist ja, dass das erfolgreichste kapitalistische Land der Welt eigentlich ein kommunistischer Staat ist.
Hanselmann: Welcher?
Jackson: China.
Hanselmann: China also, natürlich. Tim Jackson, Autor des Buches "Wohlstand ohne Wachstum", und vielen Dank auch an Jörg Taszman, der die Übersetzung geliefert hat.
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Verschwendung als "obszön" brandmarken - Sozialwissenschaftler über die Grenzen des Wachstums