"Die Band Fraktus hat mich sehr, sehr geprägt"
Er habe bewusst eine Komödie schaffen wollen, sagt Regisseur Lars Jessen über seine Pseudo-Dokumentation "Fraktus". Die Geschichte über eine angebliche Techno-Band solle auch ein Kommentar zum Musikgeschäft sein, " wo sehr viel Schaum geschlagen wird".
Susanne Burg: Heute kommt ein Dokumentarfilm in die Kinos, der die Geschichte des Techno nicht ganz neu schreibt, aber doch um interessante Details bereichert. "Fraktus" heißt er und er erzählt die Geschichte dieser angeblich legendären Band Fraktus. Carsten Beyer stellt den Film vor.
Regisseur des Films ist Lars Jessen, und ihn begrüße ich jetzt hier im Studio. Freut mich sehr, dass Sie gekommen sind, guten Tag!
Lars Jessen: Hallo!
Burg: Wie wichtig war und ist die Band Fraktus in Ihrem Leben, Herr Jessen?
Jessen: Die Band Fraktus hat mich sehr, sehr geprägt. Ich war bei ihrem ersten gemeinsamen Konzert in der Diskothek "Babbel" in Brunsbüttel 1981, wo sie sich gegründet haben, wo sie das erste Mal zusammen aufgetreten sind. Ich habe dort mein Lieblingslied "Kleidersammlung" das erste Mal gehört, und das hat mich mein ganzes Leben lang begleitet.
Burg: Wir können jetzt darüber reden, dass es Fraktus nicht gibt, aber es hätte sie geben können. Sie haben am Drehbuch mitgeschrieben - was war Ihnen wichtig, welches Lebensgefühl transportiert wird?
Jessen: Unsere Band Fraktus, die ist ungefähr an der Nahtstelle so zwischen New Wave, Krautrock und NDW, also eine ziemlich spannende Zeit in den 80er-Jahren, wo irgendwie alles möglich war. Und die 80er gelten ja immer so ein bisschen als dieses langweilige, spießige Jahrzehnt. Ich selbst habe das allerdings nicht so empfunden. Und deswegen wollten wir einen Film machen über eine Band, die noch ein Stück weit für so eine verlorene Alternativkultur steht, also wo nichts schematisch ist und nie eine klare Einpressung vorgenommen wurde, was das zu sein hatte. Insofern ist Fraktus im Grunde ein Symbol für die spannenden Seiten an deutscher Musik Anfang der 80er-Jahre.
Burg: Was meinen Sie mit Alternativkultur?
Jessen: Alternativkultur in dem Sinne, dass eben tatsächlich drei Leute in der Provinz, komplett abgeschottet vom Rest der Welt, gearbeitet haben und nur für sich hingefrickelt haben und sich nicht gemessen haben an irgendwelchen Vorbildern oder auch nicht intendiert haben, Vorbilder zu sein, sondern einfach für sich gearbeitet haben, das war damals noch möglich.
Burg: Was kann ein Film über eine fiktive Band mehr transportieren als über eine reale Band?
Jessen: Man kann natürlich in bestimmten Situationen den Kern auch parodistisch überhöhen und da eben zu einer echten Komödie kommen. Also ich denke nicht, dass wir da eine Persiflage gedreht haben auf irgendein Genre, sondern tatsächlich auf das Musik-Dokumentarfilmgeschäft und auf das Musikgeschäft. Und deswegen haben wir da einfach viel größere Freiheiten, einfach eine schöne Komödie zu erzählen, wo es mich eigentlich immer wieder auch interessiert an Dokumentarfilmen, wenn die so fast aussehen wie ausgedacht.
Und genau so finde ich es auch umgekehrt für mich wichtig, wenn ich fiktionale Filme mache, dass die irgendwie auch einen dokumentarischen, einen echten Kern haben. Und das ließ sich hier ganz gut abbilden.
Wir haben uns eben sehr, sehr mit so Musikdokumentationen beschäftigt wie dieser Film über Metallica, "Some Kind of Monster", oder uns sehr beeindruckt hat der Film über die Heavy-Metal-Band "Anvil", und all solche Anklänge aus diesen Filmen, allen voran "This is Spinal Tap", die große Mockumentary über das Rockgeschäft, das ist auch aus den frühen 80er-Jahren. Das sind alles Vorbilder gewesen, und das Ziel war, hier eigentlich einen Film mit Studio Braun zu machen über Studio Braun, und den Studio-Braun-Humor für die Leinwand zu entwickeln.
Burg: Also das heißt, Sie haben sich durchaus reale Musikdokumentationen angeguckt und dann eben sogenannte Mockumentaries, die eben fiktive Bandgeschichten erzählen?
Jessen: Ja, ich finde auch, manchmal, wenn man Dokumentarfilme gerade über Bands sieht, glaubt man doch manche Sachen auch nicht, dass sie tatsächlich stattgefunden haben, und insofern ist da ja immer schon so eine Grauzone gewesen, wo beginnt die Lüge, wo ist es emotional zugespitzt, wo hat der Dokumentarist noch mal gesagt, da könnt ihr euch vielleicht hier noch mal in den Arm nehmen und anfangen zu heulen, weil ihr so emotional bewegt seid. Also ich habe dem Braten da nie so genau getraut, und mich interessiert eben diese Mischform sehr.
Ich bin ein Schüler von Horst Königstein, bei dem ich Mitte der 90er-Jahre studiert habe, und diese Form von Doku-Drama, wenn man so will, hat mich immer irgendwie fasziniert. Nicht im Sinne von Rekonstruktion, sondern eher die nicht erzählbaren Stellen, wo man nicht genau weiß, wie es tatsächlich gewesen ist. Das finde ich interessant.
Burg: Wenn wir noch mal in die Werkstatt gucken, es gibt ja eine ganz ausgeklügelte Bandgeschichte in dem Film, also das heißt, wer wann in welcher Band vorher gespielt hat, wann welche Platte rausgekommen ist - von den Platten gibt es auch wirkliche Plattencover, zum Beispiel "Tut Ench Amour" aus dem Jahr 1982. Da sieht man einen alten Fernseher und das Bild eines Pharaos. Wie muss ich mir das vorstellen, wie haben Sie diese Geschichten entwickelt und die entsprechende Ästhetik dazu auch?
Jessen: Also es ist ein richtiges Teamprojekt gewesen, da sind viele Menschen dran beteiligt gewesen, allen voran auch so Leute wie der Grafiker - Felix Schlüter heißt der -, der eben aus dieser Szene kommt, aus der Graffiti-Szene der 80er-Jahre, und einen großen Spaß hatte, das Stück für Stück so realitätsnah zu machen, wie es irgendwie geht.
Und genau so haben wir auch bei der Musik gearbeitet, wir haben tatsächlich Musik produziert mit den Mitteln von 1982, mit analogen Sequencern, mit analogen Rhythmusgeräten, und haben da keine Plug-ins benutzt, wie man das heute tut, sondern wir haben tatsächlich uns versucht in diese Geisteshaltung dieser Zeit zu bewegen und begeben und auch Musik zu machen und alles was dazu gehört - eben auch, wie sich so Bands gründen, durch irgendwelche absurden zufälligen Bekanntschaften, wie Namen damals geklungen hätten wie zum Beispiel die Vorgängerband von Fraktus, Freakazzé. Und jeder von den Beteiligten hat eigentlich eine musikalische Vergangenheit, und da haben wir einfach noch mal in den kleinen Absurditäten gekramt und die zusammengebaut.
Burg: Lars Jessen ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur, er ist der Regisseur des Films "Fraktus". Sie sprachen eben über die musikalische Dimension, dass die Band ja auch wirklich Songs aufgenommen hat, die ja jetzt auch als CD erschienen ist, die Band tourt ja auch derzeit. Im Film erzählt Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten ganz wunderbar über die musikalische Bedeutung von Fraktus, dass die Band angefangen hat, selber eine Drummachine aus Schaltern zu bauen, dass sie diese gerade Bassline benutzt haben, wie er sagt. Was wollten Sie, Lars Jessen, musikalisch über die 80er-Jahre mit dem Film erzählen?
Jessen: Also mir ging es darum, tatsächlich an so einen Ausgangspunkt zu gehen von Techno. Techno wirkt ja heute immer so als kühle Maschinenmusik, die irgendwie nur industriell gefertigten Mustern folgt. Und das war ja bei Techno am Anfang genau so wenig, wie Punk am Anfang das war, als was er heute wahrgenommen wird. Und ich kannte mich mit Techno vorher nicht aus und habe mich wirklich da in diese ganze Materie reinbegeben und faszinierende Sachen gefunden, die mich auch tatsächlich bewegt haben und die ich auch musikalisch gut fand. Aber es ist eben keine Musik, die man so auf dem MP3-Player hört. Insofern ja, ein Fanal für die frühe Technobewegung.
Burg: Die drei Musiker sehen sehr speziell aus - also man sieht sie ja quasi in der Jetzt-Zeit, und dann erzählen sie die Geschichte, ihre legendäre Geschichte aus den 80ern, aber auch jetzt sehen sie noch sehr speziell aus, mit New-Wave-Seitenscheitel, mit Strickmützen, Tätowierungen. Einer von ihnen, Torsten Bage alias Heinz Strunk, arbeitet als Schlager-Techno-Produzent auf Ibiza, hat mit dem sogenannten "Pupslied" sehr viel Geld verdient. Ist das auch ein eigentlich ziemlich böser Kommentar auf einen Teil der Technowelt beziehungsweise eigentlich auf alternde Technoproduzenten?
Jessen: Ich würde mal sagen, das ist ein Kommentar zu dem Musikgeschäft insgesamt, wo sehr viel Schaum geschlagen wird, wo sehr viel Blödsinn geredet wird, und das bietet sich an, sich darüber ein kleines bisschen zu amüsieren. Das ist jetzt aber kein moralischer Film, der sozusagen im ernsten Sinne mit der Plattenindustrie abrechnet, sondern es ist wirklich eine Komödie, ich sage es immer, für die ganze Familie, man muss vorher kein Musikkenner gewesen sein, und man muss sich auch nicht unbedingt in Techno verliebt haben, aber man erfährt tatsächlich durchaus etwas, wie Musik heutzutage hergestellt wird, weil an einem bestimmten Punkt wird die Band halt von Alex Christensen, der sich selbst spielt, übernommen und mit sehr viel Plastik zusammengerührt, und klingt dann tatsächlich wie heutzutage so weichgespülte Produktionen klingen.
Burg: Wir sprachen ja schon über diese Mockumentaries, dass man eben damit auch so ein bisschen sich über das Genre lustig macht, über die Industrie - in dem Fall die Musikindustrie -, was wollten Sie denn noch parodieren?
Jessen: Es ging mir einerseits um die Parodie, aber es ging mir eben auch um bestimmte Werte. Also ich finde, Film funktioniert immer über Empathie, und mit Figuren, auch seien sie noch so bescheuert und seltsam und wunderlich wie in unserem Film, muss man sich auch identifizieren können. Und das wollte ich eigentlich, und insofern ist "Fraktus" natürlich eine Parodie auf das Musikgeschäft oder auf Musikdokumentationen, aber gleichzeitig ist es auch ein Film über Freundschaft und über Leidenschaft und, ja, über die banale Frage, dass man seinen eigenen Weg gehen muss, und egal, ob es nun für 500.000 ist oder für 50 Leute. Und darum geht es auch bei "Fraktus".
Burg: Sagt Lars Jessen, der Regisseur des Filmes "Fraktus". Und der läuft heute in den deutschen Kinos an.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Regisseur des Films ist Lars Jessen, und ihn begrüße ich jetzt hier im Studio. Freut mich sehr, dass Sie gekommen sind, guten Tag!
Lars Jessen: Hallo!
Burg: Wie wichtig war und ist die Band Fraktus in Ihrem Leben, Herr Jessen?
Jessen: Die Band Fraktus hat mich sehr, sehr geprägt. Ich war bei ihrem ersten gemeinsamen Konzert in der Diskothek "Babbel" in Brunsbüttel 1981, wo sie sich gegründet haben, wo sie das erste Mal zusammen aufgetreten sind. Ich habe dort mein Lieblingslied "Kleidersammlung" das erste Mal gehört, und das hat mich mein ganzes Leben lang begleitet.
Burg: Wir können jetzt darüber reden, dass es Fraktus nicht gibt, aber es hätte sie geben können. Sie haben am Drehbuch mitgeschrieben - was war Ihnen wichtig, welches Lebensgefühl transportiert wird?
Jessen: Unsere Band Fraktus, die ist ungefähr an der Nahtstelle so zwischen New Wave, Krautrock und NDW, also eine ziemlich spannende Zeit in den 80er-Jahren, wo irgendwie alles möglich war. Und die 80er gelten ja immer so ein bisschen als dieses langweilige, spießige Jahrzehnt. Ich selbst habe das allerdings nicht so empfunden. Und deswegen wollten wir einen Film machen über eine Band, die noch ein Stück weit für so eine verlorene Alternativkultur steht, also wo nichts schematisch ist und nie eine klare Einpressung vorgenommen wurde, was das zu sein hatte. Insofern ist Fraktus im Grunde ein Symbol für die spannenden Seiten an deutscher Musik Anfang der 80er-Jahre.
Burg: Was meinen Sie mit Alternativkultur?
Jessen: Alternativkultur in dem Sinne, dass eben tatsächlich drei Leute in der Provinz, komplett abgeschottet vom Rest der Welt, gearbeitet haben und nur für sich hingefrickelt haben und sich nicht gemessen haben an irgendwelchen Vorbildern oder auch nicht intendiert haben, Vorbilder zu sein, sondern einfach für sich gearbeitet haben, das war damals noch möglich.
Burg: Was kann ein Film über eine fiktive Band mehr transportieren als über eine reale Band?
Jessen: Man kann natürlich in bestimmten Situationen den Kern auch parodistisch überhöhen und da eben zu einer echten Komödie kommen. Also ich denke nicht, dass wir da eine Persiflage gedreht haben auf irgendein Genre, sondern tatsächlich auf das Musik-Dokumentarfilmgeschäft und auf das Musikgeschäft. Und deswegen haben wir da einfach viel größere Freiheiten, einfach eine schöne Komödie zu erzählen, wo es mich eigentlich immer wieder auch interessiert an Dokumentarfilmen, wenn die so fast aussehen wie ausgedacht.
Und genau so finde ich es auch umgekehrt für mich wichtig, wenn ich fiktionale Filme mache, dass die irgendwie auch einen dokumentarischen, einen echten Kern haben. Und das ließ sich hier ganz gut abbilden.
Wir haben uns eben sehr, sehr mit so Musikdokumentationen beschäftigt wie dieser Film über Metallica, "Some Kind of Monster", oder uns sehr beeindruckt hat der Film über die Heavy-Metal-Band "Anvil", und all solche Anklänge aus diesen Filmen, allen voran "This is Spinal Tap", die große Mockumentary über das Rockgeschäft, das ist auch aus den frühen 80er-Jahren. Das sind alles Vorbilder gewesen, und das Ziel war, hier eigentlich einen Film mit Studio Braun zu machen über Studio Braun, und den Studio-Braun-Humor für die Leinwand zu entwickeln.
Burg: Also das heißt, Sie haben sich durchaus reale Musikdokumentationen angeguckt und dann eben sogenannte Mockumentaries, die eben fiktive Bandgeschichten erzählen?
Jessen: Ja, ich finde auch, manchmal, wenn man Dokumentarfilme gerade über Bands sieht, glaubt man doch manche Sachen auch nicht, dass sie tatsächlich stattgefunden haben, und insofern ist da ja immer schon so eine Grauzone gewesen, wo beginnt die Lüge, wo ist es emotional zugespitzt, wo hat der Dokumentarist noch mal gesagt, da könnt ihr euch vielleicht hier noch mal in den Arm nehmen und anfangen zu heulen, weil ihr so emotional bewegt seid. Also ich habe dem Braten da nie so genau getraut, und mich interessiert eben diese Mischform sehr.
Ich bin ein Schüler von Horst Königstein, bei dem ich Mitte der 90er-Jahre studiert habe, und diese Form von Doku-Drama, wenn man so will, hat mich immer irgendwie fasziniert. Nicht im Sinne von Rekonstruktion, sondern eher die nicht erzählbaren Stellen, wo man nicht genau weiß, wie es tatsächlich gewesen ist. Das finde ich interessant.
Burg: Wenn wir noch mal in die Werkstatt gucken, es gibt ja eine ganz ausgeklügelte Bandgeschichte in dem Film, also das heißt, wer wann in welcher Band vorher gespielt hat, wann welche Platte rausgekommen ist - von den Platten gibt es auch wirkliche Plattencover, zum Beispiel "Tut Ench Amour" aus dem Jahr 1982. Da sieht man einen alten Fernseher und das Bild eines Pharaos. Wie muss ich mir das vorstellen, wie haben Sie diese Geschichten entwickelt und die entsprechende Ästhetik dazu auch?
Jessen: Also es ist ein richtiges Teamprojekt gewesen, da sind viele Menschen dran beteiligt gewesen, allen voran auch so Leute wie der Grafiker - Felix Schlüter heißt der -, der eben aus dieser Szene kommt, aus der Graffiti-Szene der 80er-Jahre, und einen großen Spaß hatte, das Stück für Stück so realitätsnah zu machen, wie es irgendwie geht.
Und genau so haben wir auch bei der Musik gearbeitet, wir haben tatsächlich Musik produziert mit den Mitteln von 1982, mit analogen Sequencern, mit analogen Rhythmusgeräten, und haben da keine Plug-ins benutzt, wie man das heute tut, sondern wir haben tatsächlich uns versucht in diese Geisteshaltung dieser Zeit zu bewegen und begeben und auch Musik zu machen und alles was dazu gehört - eben auch, wie sich so Bands gründen, durch irgendwelche absurden zufälligen Bekanntschaften, wie Namen damals geklungen hätten wie zum Beispiel die Vorgängerband von Fraktus, Freakazzé. Und jeder von den Beteiligten hat eigentlich eine musikalische Vergangenheit, und da haben wir einfach noch mal in den kleinen Absurditäten gekramt und die zusammengebaut.
Burg: Lars Jessen ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur, er ist der Regisseur des Films "Fraktus". Sie sprachen eben über die musikalische Dimension, dass die Band ja auch wirklich Songs aufgenommen hat, die ja jetzt auch als CD erschienen ist, die Band tourt ja auch derzeit. Im Film erzählt Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten ganz wunderbar über die musikalische Bedeutung von Fraktus, dass die Band angefangen hat, selber eine Drummachine aus Schaltern zu bauen, dass sie diese gerade Bassline benutzt haben, wie er sagt. Was wollten Sie, Lars Jessen, musikalisch über die 80er-Jahre mit dem Film erzählen?
Jessen: Also mir ging es darum, tatsächlich an so einen Ausgangspunkt zu gehen von Techno. Techno wirkt ja heute immer so als kühle Maschinenmusik, die irgendwie nur industriell gefertigten Mustern folgt. Und das war ja bei Techno am Anfang genau so wenig, wie Punk am Anfang das war, als was er heute wahrgenommen wird. Und ich kannte mich mit Techno vorher nicht aus und habe mich wirklich da in diese ganze Materie reinbegeben und faszinierende Sachen gefunden, die mich auch tatsächlich bewegt haben und die ich auch musikalisch gut fand. Aber es ist eben keine Musik, die man so auf dem MP3-Player hört. Insofern ja, ein Fanal für die frühe Technobewegung.
Burg: Die drei Musiker sehen sehr speziell aus - also man sieht sie ja quasi in der Jetzt-Zeit, und dann erzählen sie die Geschichte, ihre legendäre Geschichte aus den 80ern, aber auch jetzt sehen sie noch sehr speziell aus, mit New-Wave-Seitenscheitel, mit Strickmützen, Tätowierungen. Einer von ihnen, Torsten Bage alias Heinz Strunk, arbeitet als Schlager-Techno-Produzent auf Ibiza, hat mit dem sogenannten "Pupslied" sehr viel Geld verdient. Ist das auch ein eigentlich ziemlich böser Kommentar auf einen Teil der Technowelt beziehungsweise eigentlich auf alternde Technoproduzenten?
Jessen: Ich würde mal sagen, das ist ein Kommentar zu dem Musikgeschäft insgesamt, wo sehr viel Schaum geschlagen wird, wo sehr viel Blödsinn geredet wird, und das bietet sich an, sich darüber ein kleines bisschen zu amüsieren. Das ist jetzt aber kein moralischer Film, der sozusagen im ernsten Sinne mit der Plattenindustrie abrechnet, sondern es ist wirklich eine Komödie, ich sage es immer, für die ganze Familie, man muss vorher kein Musikkenner gewesen sein, und man muss sich auch nicht unbedingt in Techno verliebt haben, aber man erfährt tatsächlich durchaus etwas, wie Musik heutzutage hergestellt wird, weil an einem bestimmten Punkt wird die Band halt von Alex Christensen, der sich selbst spielt, übernommen und mit sehr viel Plastik zusammengerührt, und klingt dann tatsächlich wie heutzutage so weichgespülte Produktionen klingen.
Burg: Wir sprachen ja schon über diese Mockumentaries, dass man eben damit auch so ein bisschen sich über das Genre lustig macht, über die Industrie - in dem Fall die Musikindustrie -, was wollten Sie denn noch parodieren?
Jessen: Es ging mir einerseits um die Parodie, aber es ging mir eben auch um bestimmte Werte. Also ich finde, Film funktioniert immer über Empathie, und mit Figuren, auch seien sie noch so bescheuert und seltsam und wunderlich wie in unserem Film, muss man sich auch identifizieren können. Und das wollte ich eigentlich, und insofern ist "Fraktus" natürlich eine Parodie auf das Musikgeschäft oder auf Musikdokumentationen, aber gleichzeitig ist es auch ein Film über Freundschaft und über Leidenschaft und, ja, über die banale Frage, dass man seinen eigenen Weg gehen muss, und egal, ob es nun für 500.000 ist oder für 50 Leute. Und darum geht es auch bei "Fraktus".
Burg: Sagt Lars Jessen, der Regisseur des Filmes "Fraktus". Und der läuft heute in den deutschen Kinos an.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.