"Die Banken sind die neuen Tempel"
Der Leipziger Pfarrer Christian Führer hat scharfe Kritik an der Konsummentalität im wiedervereinigten Deutschland geübt. "Die Banken seien die neuen Tempel", sagte Führer, der als Initiator der monatlichen Friedensgebete 1989 maßgeblich zur Wende in der DDR beigetragen hat. Der Pfarrer wird zusammen mit Michael Gorbatschow mit dem Augsburger Friedensfest-Preis ausgezeichnet.
Hanselmann: Schönen guten Tag, Pfarrer Führer, Kerzen und Gebete, warum konnten die damals so viel bewegen?
Führer: Ja, das ist tatsächlich eine besondere Geschichte, Sie haben das eben dargestellt auch. Lange gewachsen ist es aus einer kleinen Wurzel heraus, der Friedensdekade, der geöffneten Kirche auch für die Rand- und Protestgruppen des Landes, und die Menschen sind erfasst worden einfach von diesem unglaublichen Geschehen. Einer der beiden Rufe der Revolution war "Keine Gewalt!". Die kürzeste Zusammenfassung der Bergpredigt erfasste die Menschen, und sie haben auf unsere Bitte hin diese Gewaltlosigkeit mit auf die Straßen und Plätze hinausgenommen und haben konsequent Gewaltlosigkeit praktiziert, das ist tatsächlich ein, Friedrich von Weizsäcker hat zu mir gesagt, ein erschütternder Vorgang. Ich lege noch einen zu und sage, wenn je was das Wort Wunder verdient, dann ist es das.
Hanselmann: Also Sie sagen nachträglich, dass es ein Wunder war. Sie sagen nicht, dass es eine folgerichtige Erscheinung dessen war, was Sie sozusagen vorbereitet hatten in Ihrer Gemeinde?
Führer: Das ist tatsächlich auch eine Frucht der Öffnung der Kirchen, also 70.000 auf der Straße dann, in den Kirchen zuvor, das ist eigentlich nicht zu begreifen und nicht zu verstehen nach so viel Atheismus, der durch zwei verschiedene Weltanschauungsdiktaturen gepredigt wurde, und nun sich so zu verhalten, wie es Jesus in der Bergpredigt sagt, ihr müsst die Gewalt, irgendeiner muss die Gewalt einmal unterbrechen, die Kette der Gewalt, sonst geht es Schlag auf Schlag, Schuss auf Schuss, dass niemand mehr am Leben ist, und dass die Menschen ausgerechnet in diesem unchristlichen Land, die so wenig von Jesus kannten, sich so verhalten haben, das ist tatsächlich nicht anders zu erklären als ein Wunder biblischen Ausmaßes, das sie alle miterlebt haben.
Hanselmann: Heute, über 15 Jahre später, was können heute Kerzen und Gebete noch bewirken? An welchen Punkten sollte sich die Kirche heutzutage politisch einmischen?
Führer: Ja, wir haben das getan schon seit 1990. Wir haben uns genauso eingebracht nach dem Motto Jesu "Ihr seid das Salz der Erde", also rein in die Gesellschaft, hockt nicht aufeinander, versteckt euch nicht hinter euren Kirchenmauern, einen Gesprächskreis "Hoffnung für Ausreisewillige" brauchen wir schon seit 89 nicht mehr, aber einen Gesprächskreis "Hoffnung für Arbeitslose" umso mehr. Das ist das brennendste Problem der Zeit, und wir haben also aus dieser Gruppe "Hoffnung für Arbeitslose" ist eine kirchliche Erwerbsloseninitiative entstanden, jetzt sind es 14 in Sachsen. Das verstehen die Menschen, das Evangelium so umzusetzen, bei denen in Augenhöhe zu bleiben, die mit der Gesellschaft nicht zurechtkommen oder von der Gesellschaft an den Rand gedrängt worden sind. Und so versuchen wir es weiter zu tun, ansonsten ist ein Friedensgebet, kann sich jeder lokalen und globalen, jeder gesellschaftlichen und persönlichen Not annehmen, sie im Gebet vor Gott bringen und öffentlich aussprechen.
Hanselmann: Aber welche konkreten Auswirkungen, welche Wirkungen dieses Tuns versprechen Sie sich?
Führer: Ja, wir brauchen die Jesus-Mentalität des Teilens, also zum Beispiel Einkommen und Arbeit teilen. Wenn wir das nicht schaffen, wird die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinander gehen, und dann kommt es zu einer Entladung, die die Gesellschaft in hohem Maße in Frage stellt, und das kann im Ernst niemand wollen. Wir bringen uns ein durch die Gebete, durch Predigten, durch unsere Gruppen, in denen wir arbeiten, und durch das eigene Beispiel.
Hanselmann: Die Situation ist dennoch anders als seinerzeit in der Situation der ausgehenden DDR. Es ist natürlich nicht eine so aggressive Stimmung da, wie es seinerzeit war, oder gleichzeitig eine Stimmung, die sich sozusagen entladen muss in einer friedlichen Revolution. Inwiefern ist das vergleichbar?
Führer: Also die politischen Umstände sind völlig verschieden, aber die Empfindungen einer persönlichen Katastrophe, die sind, wenn auf anderem Inhalt, ähnlich, auch auf einem anderen Niveau. Die Menschen empfinden es als eine persönliche seelische Katastrophe, arbeitslos zu sein. Das liegt uns Deutschen, aber anderen sicherlich auch so. Wir wollen nicht als Almosenempfänger uns irgendwie unseren Lebensunterhalt abholen, sondern wollen den erarbeiten und verdienen, und diese Chance muss der Mensch bekommen. Da die Arbeit durch fortschreitende Technisierung immer weniger zur Verfügung steht, werden wir nicht umhinkommen, diese Jesus-Mentalität des Teilens einzuüben, zu praktizieren, vorzuleben, um ein Modell zu liefern, dass die Menschen am Wohlstand und an Arbeit in diesem Land weitgehend alle beteiligt werden. Allerdings der Appell "Ein Ruck muss durch das Land gehen", reicht nicht aus. Da denke ich immer an "Faust", wo es heißt, "die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", und das ist es tatsächlich. Es gibt keine Visionen mehr, die die Politik vermittelt. Es gibt nur noch diesen Wohlstand und diese neue Religion des Atheismus und Materialismus, wo die Banken die neuen Tempel und Gotteshäuser sind und die Kaufhäuser religiöse Ersatzgebäude werden. Das muss irgendwie endlich mal aufhören. Also so kann der Mensch nicht weiterleben, aber das werde ich heute dann abends in dem Vortrag noch deutlicher sagen.
Hanselmann: Dennoch, Herr Führer: Sie sind Pfarrer, Sie sind Christ. Können Sie mir in einem Satz sagen, wo für Sie die Grenze liegt zwischen Engagement, zwischen dem, was Sie als "das Salz der Erde" bezeichnet haben, und einer übertriebenen Politisierung? Wo ist Ende, wo überlassen Sie das Feld letztlich dann doch den Politikern?
Führer: Also es gibt kein Feld, das wir jemandem überlassen. Es ist schon zu lange über die Menschen entschieden worden, und in einer Demokratie ist ja der Vorteil, dass die Menschen wesentlich mehr Einflussnahme, Möglichkeiten haben als in einer Diktatur - liegt auf der Hand. Aber ich unterscheide hier gern zwischen politisch und parteipolitisch. Parteipolitisch darf die Kirche nicht sein, sonst erreicht sie nicht mehr die Gesamtheit im Sinne Jesu, aber politisch ist sie im Sinne der Polis, das heißt Stadt, der öffentliche Bereich, ist sie in jedem Falle, und wenn Jesus sagt "Wir sollen Salz der Erde sein", heißt das, wir müssen uns in die Gesellschaft hineinmischen, das heißt, sich einbringen und sich verweigern, hoffentlich jeweils an der richtigen Stelle. Und wenn Sie das Wort vom Salz meditieren, im Mittelalter haben die Seefahrer das Salz zwischen das Fleisch gelegt, dass es nicht verfault, also wir sollen die Gesellschaft vor dem Verfaulen bewahren. Im Winter wird das Salz ausgestreut, um das Eis zu tauen. Wir sollen die Gesellschaft vor der Vereisung, diese Entsolidarisierung sollen wir auflösen. Also diese Aufgaben sind ganz konkret und haben eigentlich keine Grenze. Wir brauchen wieder eine Vision, für die es sich lohnt, sich einzusetzen. Die Deutschen haben schon an so vielen Stellen irrsinnige Opfer gebracht in den Kriegen. Die Demokratie ist das Beste, was wir an politischer Form haben. Es lohnt sich wirklich, hier Opfer zu bringen für ein zukunftsfähiges Deutschland, und wir müssen endlich wegkommen, Verzicht nicht nur als Verlust zu empfinden, sondern Verzicht um eines Menschen oder einer Sache Willen als Gewinn zu betrachten. Das will ich aber heute Abend noch deutlicher ausführen. Das will ich jetzt nicht alles vorwegnehmen.
Hanselmann: Christian Führer, Pfarrer und Träger des Preises Augsburger Friedensfest. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis und wir wünschen einen ganz besonders schönen Tag heute in Augsburg. Danke Schön.
Führer: Ja, das ist tatsächlich eine besondere Geschichte, Sie haben das eben dargestellt auch. Lange gewachsen ist es aus einer kleinen Wurzel heraus, der Friedensdekade, der geöffneten Kirche auch für die Rand- und Protestgruppen des Landes, und die Menschen sind erfasst worden einfach von diesem unglaublichen Geschehen. Einer der beiden Rufe der Revolution war "Keine Gewalt!". Die kürzeste Zusammenfassung der Bergpredigt erfasste die Menschen, und sie haben auf unsere Bitte hin diese Gewaltlosigkeit mit auf die Straßen und Plätze hinausgenommen und haben konsequent Gewaltlosigkeit praktiziert, das ist tatsächlich ein, Friedrich von Weizsäcker hat zu mir gesagt, ein erschütternder Vorgang. Ich lege noch einen zu und sage, wenn je was das Wort Wunder verdient, dann ist es das.
Hanselmann: Also Sie sagen nachträglich, dass es ein Wunder war. Sie sagen nicht, dass es eine folgerichtige Erscheinung dessen war, was Sie sozusagen vorbereitet hatten in Ihrer Gemeinde?
Führer: Das ist tatsächlich auch eine Frucht der Öffnung der Kirchen, also 70.000 auf der Straße dann, in den Kirchen zuvor, das ist eigentlich nicht zu begreifen und nicht zu verstehen nach so viel Atheismus, der durch zwei verschiedene Weltanschauungsdiktaturen gepredigt wurde, und nun sich so zu verhalten, wie es Jesus in der Bergpredigt sagt, ihr müsst die Gewalt, irgendeiner muss die Gewalt einmal unterbrechen, die Kette der Gewalt, sonst geht es Schlag auf Schlag, Schuss auf Schuss, dass niemand mehr am Leben ist, und dass die Menschen ausgerechnet in diesem unchristlichen Land, die so wenig von Jesus kannten, sich so verhalten haben, das ist tatsächlich nicht anders zu erklären als ein Wunder biblischen Ausmaßes, das sie alle miterlebt haben.
Hanselmann: Heute, über 15 Jahre später, was können heute Kerzen und Gebete noch bewirken? An welchen Punkten sollte sich die Kirche heutzutage politisch einmischen?
Führer: Ja, wir haben das getan schon seit 1990. Wir haben uns genauso eingebracht nach dem Motto Jesu "Ihr seid das Salz der Erde", also rein in die Gesellschaft, hockt nicht aufeinander, versteckt euch nicht hinter euren Kirchenmauern, einen Gesprächskreis "Hoffnung für Ausreisewillige" brauchen wir schon seit 89 nicht mehr, aber einen Gesprächskreis "Hoffnung für Arbeitslose" umso mehr. Das ist das brennendste Problem der Zeit, und wir haben also aus dieser Gruppe "Hoffnung für Arbeitslose" ist eine kirchliche Erwerbsloseninitiative entstanden, jetzt sind es 14 in Sachsen. Das verstehen die Menschen, das Evangelium so umzusetzen, bei denen in Augenhöhe zu bleiben, die mit der Gesellschaft nicht zurechtkommen oder von der Gesellschaft an den Rand gedrängt worden sind. Und so versuchen wir es weiter zu tun, ansonsten ist ein Friedensgebet, kann sich jeder lokalen und globalen, jeder gesellschaftlichen und persönlichen Not annehmen, sie im Gebet vor Gott bringen und öffentlich aussprechen.
Hanselmann: Aber welche konkreten Auswirkungen, welche Wirkungen dieses Tuns versprechen Sie sich?
Führer: Ja, wir brauchen die Jesus-Mentalität des Teilens, also zum Beispiel Einkommen und Arbeit teilen. Wenn wir das nicht schaffen, wird die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinander gehen, und dann kommt es zu einer Entladung, die die Gesellschaft in hohem Maße in Frage stellt, und das kann im Ernst niemand wollen. Wir bringen uns ein durch die Gebete, durch Predigten, durch unsere Gruppen, in denen wir arbeiten, und durch das eigene Beispiel.
Hanselmann: Die Situation ist dennoch anders als seinerzeit in der Situation der ausgehenden DDR. Es ist natürlich nicht eine so aggressive Stimmung da, wie es seinerzeit war, oder gleichzeitig eine Stimmung, die sich sozusagen entladen muss in einer friedlichen Revolution. Inwiefern ist das vergleichbar?
Führer: Also die politischen Umstände sind völlig verschieden, aber die Empfindungen einer persönlichen Katastrophe, die sind, wenn auf anderem Inhalt, ähnlich, auch auf einem anderen Niveau. Die Menschen empfinden es als eine persönliche seelische Katastrophe, arbeitslos zu sein. Das liegt uns Deutschen, aber anderen sicherlich auch so. Wir wollen nicht als Almosenempfänger uns irgendwie unseren Lebensunterhalt abholen, sondern wollen den erarbeiten und verdienen, und diese Chance muss der Mensch bekommen. Da die Arbeit durch fortschreitende Technisierung immer weniger zur Verfügung steht, werden wir nicht umhinkommen, diese Jesus-Mentalität des Teilens einzuüben, zu praktizieren, vorzuleben, um ein Modell zu liefern, dass die Menschen am Wohlstand und an Arbeit in diesem Land weitgehend alle beteiligt werden. Allerdings der Appell "Ein Ruck muss durch das Land gehen", reicht nicht aus. Da denke ich immer an "Faust", wo es heißt, "die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", und das ist es tatsächlich. Es gibt keine Visionen mehr, die die Politik vermittelt. Es gibt nur noch diesen Wohlstand und diese neue Religion des Atheismus und Materialismus, wo die Banken die neuen Tempel und Gotteshäuser sind und die Kaufhäuser religiöse Ersatzgebäude werden. Das muss irgendwie endlich mal aufhören. Also so kann der Mensch nicht weiterleben, aber das werde ich heute dann abends in dem Vortrag noch deutlicher sagen.
Hanselmann: Dennoch, Herr Führer: Sie sind Pfarrer, Sie sind Christ. Können Sie mir in einem Satz sagen, wo für Sie die Grenze liegt zwischen Engagement, zwischen dem, was Sie als "das Salz der Erde" bezeichnet haben, und einer übertriebenen Politisierung? Wo ist Ende, wo überlassen Sie das Feld letztlich dann doch den Politikern?
Führer: Also es gibt kein Feld, das wir jemandem überlassen. Es ist schon zu lange über die Menschen entschieden worden, und in einer Demokratie ist ja der Vorteil, dass die Menschen wesentlich mehr Einflussnahme, Möglichkeiten haben als in einer Diktatur - liegt auf der Hand. Aber ich unterscheide hier gern zwischen politisch und parteipolitisch. Parteipolitisch darf die Kirche nicht sein, sonst erreicht sie nicht mehr die Gesamtheit im Sinne Jesu, aber politisch ist sie im Sinne der Polis, das heißt Stadt, der öffentliche Bereich, ist sie in jedem Falle, und wenn Jesus sagt "Wir sollen Salz der Erde sein", heißt das, wir müssen uns in die Gesellschaft hineinmischen, das heißt, sich einbringen und sich verweigern, hoffentlich jeweils an der richtigen Stelle. Und wenn Sie das Wort vom Salz meditieren, im Mittelalter haben die Seefahrer das Salz zwischen das Fleisch gelegt, dass es nicht verfault, also wir sollen die Gesellschaft vor dem Verfaulen bewahren. Im Winter wird das Salz ausgestreut, um das Eis zu tauen. Wir sollen die Gesellschaft vor der Vereisung, diese Entsolidarisierung sollen wir auflösen. Also diese Aufgaben sind ganz konkret und haben eigentlich keine Grenze. Wir brauchen wieder eine Vision, für die es sich lohnt, sich einzusetzen. Die Deutschen haben schon an so vielen Stellen irrsinnige Opfer gebracht in den Kriegen. Die Demokratie ist das Beste, was wir an politischer Form haben. Es lohnt sich wirklich, hier Opfer zu bringen für ein zukunftsfähiges Deutschland, und wir müssen endlich wegkommen, Verzicht nicht nur als Verlust zu empfinden, sondern Verzicht um eines Menschen oder einer Sache Willen als Gewinn zu betrachten. Das will ich aber heute Abend noch deutlicher ausführen. Das will ich jetzt nicht alles vorwegnehmen.
Hanselmann: Christian Führer, Pfarrer und Träger des Preises Augsburger Friedensfest. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis und wir wünschen einen ganz besonders schönen Tag heute in Augsburg. Danke Schön.