Die Bedeutung der Musik für den Menschen

Weit mehr als nur ein akustisches Phänomen

Ein Detail aus einer hinduistischen Darstellung des Gottes Krishna, in der er Flöte spielend dargestellt wird (19. Jahrhundert)
Detail einer hinduistischen Darstellung des Gottes Krishna © imago / UIG
Eckart Altenmüller im Gespräch mit Ralf Bei der Kellen |
Der Neurologe und Musiker Eckart Altenmüller erforscht, was Musik mit uns macht und welche Bedeutung sie durch die Jahrhunderte für die Menschen hatte. Musik war Kommunikationsmittel und sozialer Kitt – und immer auch eng verbunden mit Spiritualität.
Viele Weltreligionen und mythische Erzählungen schreiben Musik einen göttlichen Ursprung zu. Der Neurologe und Musiker Eckart Altenmüller erforscht, was im Gehirn geschieht, wenn Klänge uns in andere Sphären tragen. Die ältesten bisher gefundenen Musikinstrumente, Flöten aus Vogelknochen und Elfenbein von der Schwäbischen Alb, wurden für rituelle Zwecke verwendet, vermutet Altenmüller.
"Diese Instrumente sind sehr sorgfältig gefertigt und verziert, das macht man eigentlich nicht für einen einfachen Gebrauchsgegenstand."
In der Antike galt Musik als Geschenk des Gottes Apoll an die Menschen. Der indische Gott Krishna wird als Flötenspieler dargestellt. In seinem Buch "Vom Neandertal in die Philharmonie: Warum der Mensch nicht ohne Musik leben kann" hinterfragt Eckard Altenmüller die enge Verbindung von Musik mit dem Sakralen.
"Musik ist relativ interpretationsoffen. Es ist kein konkretes Medium, aber es ist ein feierliches und ein der Sprache entfremdetes Medium. Das macht vielleicht gerade dieses Ungefähre und Glaubensähnliche der Musik aus."

Musik als Weg zur Spiritualität

Musik sei in den Religionen allerdings nicht unumstritten. Im Islam gebe es einerseits sehr strenge Lager, die Musikausübung strikt ablehnen, während im Sufismus gerade Musik und Tanz den Weg zur Spiritualität eröffnen. Auch im Christentum gab es lange Zeit Bestrebungen, den Einfluss der Musik zurückzuschrauben, sagt Altenmüller. Nicht so jedoch bei Martin Luther:
"Luther hat ganz explizit die Musik genutzt, um den Glauben zu stärken und vor allem natürlich auch mit seinen phantastischen Liedern die Gedächtnisbildung beim Menschen anzusteuern. Es ist ja so, dass Singen auch der Gedächtnisbildung förderlich ist."
Als Direktor des Instituts für Musikerphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover interessiert sich Eckart Altenmüller besonders für die Wirkung von Klang und Rhythmus auf das Nervensystem, zum Beispiel, wenn Musik Menschen in Trance versetzt.

Stirnhirn außer Kontrolle

"Dieses in Trance fallen bei Musik können Sie sowohl in Jugendkulturen beobachten wie auch in großen Chören. Interessant ist da hirnphysiologisch, dass genau der Teil des Gehirns, der unseren Alltag so diktatorisch bestimmt, uns geordnet, konzentriert, sich anständig benehmend ‚programmiert‘, dass dieser Teil dabei deaktiviert wird."
Im Laufe der Evolution habe Musik eine wichtige Rolle dabei gespielt, Zugehörigkeit und Identität zu stiften:
"Musik war ein wunderbares Mittel, um Gruppen zu organisieren, Arbeitsteilung zu organisieren, Gruppen zu synchronisieren. Gleichzeitig war es aber auch eine Möglichkeit, um mit dem Problem fertig zu werden, dass wir endlich sind."

Kommunikation mit den Ahnen

Im Zen Buddhismus treten Mönche mit den Tönen ihrer Bambusflöte in Kontakt mit verstorbenen Familienangehörigen. Und auch europäische Komponisten haben die transzendente Kraft der Musik in ihren Werken heraufbeschworen.
"Bei Richard Wagner ist die Musik und auch das Bühnenwerk eine Art von Parallel-Gottesdienst, der in Bayreuth auf dem Grünen Hügel inszeniert wurde und heute auch zum Teil noch inszeniert wird. Oder wenn Sie die Lukas-Passion von Penderecki anschauen, dahinter steht der Glaube, dass Musik mehr für uns bedeutet als nur ein akustisches Phänomen. In Momenten, wo ich starke Emotionen habe, Gänsehautgefühle, wenn wunderbare Stimmen erklingen, dann habe ich schon das Gefühl, dass ich da in einer anderen Welt schwebe. Der Himmel kommt zwar nicht unbedingt zu mir, aber ich komme vielleicht dabei auch in den Himmel."
Mehr zum Thema