Die Befreiung der Bilder
Mit über 200 Meisterwerken von Dalí, Magritte, Miró und anderen Künstlern des Pariser Surrealismus gibt die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel einen Einblick in eine der einflussreichsten künstlerischen und literarischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts.
Eines ist ziemlich sicher: Die Surrealisten selbst hätten diese Schau nicht gut gefunden. Wenn sie ausstellten, setzten sie auf Schock und provozierende Spektakel, und diese Inszenierung war stets ein Werk für sich. 1936 etwa kam Salvador Dalí mit einem Taucherhelm zur Eröffnung und wäre fast erstickt, weil niemand wusste, wie man ihn wieder öffnet. Ein andermal verspannten die Künstler den Ausstellungsraum mit kilometerlangen Schnüren, sie hängten Kohlesäcke an die Decke, streuten Laub auf den Boden und ließen das Publikum mit Taschenlampen im Dunkeln nach den Bildern suchen.
Hier, in der Basler Surrealistenschau, dulden die Leihgeber keinen Schabernack mit ihren millionenteuren Bilderschätzen. Immerhin sind die Wände in geheimnisvolles Dunkelgrau getaucht; gleich zu Beginn betreten wir gewissermaßen die dämmerige Denkkammer der Bewegung, und belauert von dämonischen Plastiken von Max Ernst und Miró, dürfen wir uns über die Vitrinen beugen und die vergilbten Reliquien einer Revolution bestaunen – Manifeste, Briefe, Schriften und Gedichte. Kurator Philippe Büttner:
"Die Surrealisten selber wollten etwas Neues an die Stelle des Alten setzen und wollten praktisch eine wirkliche Revolution zelebrieren. Nicht einfach nur Kunst machen, nicht nur Literatur, sondern eine Revolution. Aber nicht eine Revolution mit Gewehren und Panzern, sondern eine mit Bildern und neuen Texten."
Nicht zuletzt die Erlebnisse des Ersten Weltkriegs hatten die jungen Künstler damals radikalisiert. Auf Flugblättern forderten sie die Öffnung der Irrenhäuser und Gefängnisse und setzten – inspiriert von der Psychoanalyse Sigmund Freuds – auf die subversive Entfesselung von Traum und Fantasie, auf den zügellosen Gebrauch der Droge Bild. Ausgerechnet in Frankreich, dem Land der Logik und Vernunft, triumphierte die Theorie von der Anarchie des Verstands.
"Es ist eigentlich erstaunlich, zuerst ist der Text da, zuerst ist das Manifest da. Aber was macht das Manifest, was macht der Text? Er befiehlt den Bildern, frei zu werden. Es ist eigentlich eine ganz spannende Situation. Das ist die Ausganglage des Surrealismus."
Die Befreiung der Bilder erleben wir in der Schau als ästhetisch besänftigten Aufstand. Die Protagonisten sind alle tot, kein Exzentriker hat seinen Auftritt, es sprechen allein ihre Werke. Und die sind, was sie niemals sein wollten – museal.
Heute, wo sich jedes Kind am Computer aberwitzige Bildwelten zusammenpixeln kann, haben die gemalten Surrealistenträume einiges an Reiz verloren. Dennoch lassen wir uns in der opulent bestückten Schau gerne noch einmal verzaubern: von Dalís spinnenbeinigen Elefanten und zerfließenden Uhren, von Meret Oppenheims appetitlich dekorierten Damenschuhen auf einem Serviertablett oder von den poetischen Bilderträumen eines Miró. Wir begegnen den experimentellen Visionen von Max Ernst, der magischen Melancholie de Chiricos, den bizarren Fantastereien von Picabia und den mysteriösen Bilderrätseln eines Magritte und staunen immer wieder, was da alles zusammengetragen wurde von den Hauptakteuren und Randfiguren der Bewegung: Gemälde, Skulpturen und Objekte, Zeichnungen, Collagen, Schmuckstücke, Fotografien, Filme.
Man hat André Breton, dem Theoretiker und Wortführer der Bewegung, oft vorgeworfen, dass er einzelne Mitglieder nach Belieben exkommunizierte, wenn sie gewissermaßen gegen das Reinheitsgebot der Surrealisten verstießen. Aber wenn man die Bandbreite der künstlerischen Äußerungen betrachtet, sagt der Kurator:
"... dann kann man vielleicht besser verstehen, dass sich diese ganz verschiedenen Künstler mit ihren komplett verschiedenen Temperamenten und Werken überhaupt nur unter einer relativ rigiden Struktur einer solchen Bewegung überhaupt nur zusammenfinden konnten. Und das ist, glaube ich, auch so ein bisschen die Logik von Breton gewesen, dass er eben auch gespürt hat: Wenn er da nicht einen ganz klaren Kurs fährt und den auch verficht, dann fällt das auseinander."
Dass Dalí seine Bilder zunehmend kommerziell verkitschte, konnte Breton noch ertragen. Doch als er mit dem Franco-Faschismus liebäugelte, wurde er 1938 blitzartig ausgeschlossen. Und weil Giacometti nicht ablassen wollte vom Naturstudium, trennte man sich auch von ihm. Manche, wie Picasso, brachen ohnehin zu neuen Ufern auf.
Dalí war vielleicht der Einzige, der den Surrealismus auch wirklich auslebte, ein Exzentriker und Spinner, wie er im Buche steht. Der Belgier Magritte dagegen ging ins Atelier wie ein Angestellter ins Büro, und auch Miró war privat ein Freund geordneter Verhältnisse und schöpfte gerade daraus seine kreative Kraft.
"Miró ist als Künstler einer der freiesten, der eigentlich keine Grenzen kennt, und gleichzeitig war er ein ganz, ganz kontrollierter ordentlicher Mensch, Buchhalter von der Ausbildung – aber seine Bilder sind die freiesten des ganzen Surrealismus."
Und uns, den Besuchern, geht es in dieser grandiosen Schau genau wie ihm: mit beiden Beinen in der Wirklichkeit und mit dem Kopf im Traum.
Service:
Die Ausstellung "Dalí, Magritte, Miró – Surrealismus in Paris" ist in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bis zum 29. Januar 2012 zu sehen.
Hier, in der Basler Surrealistenschau, dulden die Leihgeber keinen Schabernack mit ihren millionenteuren Bilderschätzen. Immerhin sind die Wände in geheimnisvolles Dunkelgrau getaucht; gleich zu Beginn betreten wir gewissermaßen die dämmerige Denkkammer der Bewegung, und belauert von dämonischen Plastiken von Max Ernst und Miró, dürfen wir uns über die Vitrinen beugen und die vergilbten Reliquien einer Revolution bestaunen – Manifeste, Briefe, Schriften und Gedichte. Kurator Philippe Büttner:
"Die Surrealisten selber wollten etwas Neues an die Stelle des Alten setzen und wollten praktisch eine wirkliche Revolution zelebrieren. Nicht einfach nur Kunst machen, nicht nur Literatur, sondern eine Revolution. Aber nicht eine Revolution mit Gewehren und Panzern, sondern eine mit Bildern und neuen Texten."
Nicht zuletzt die Erlebnisse des Ersten Weltkriegs hatten die jungen Künstler damals radikalisiert. Auf Flugblättern forderten sie die Öffnung der Irrenhäuser und Gefängnisse und setzten – inspiriert von der Psychoanalyse Sigmund Freuds – auf die subversive Entfesselung von Traum und Fantasie, auf den zügellosen Gebrauch der Droge Bild. Ausgerechnet in Frankreich, dem Land der Logik und Vernunft, triumphierte die Theorie von der Anarchie des Verstands.
"Es ist eigentlich erstaunlich, zuerst ist der Text da, zuerst ist das Manifest da. Aber was macht das Manifest, was macht der Text? Er befiehlt den Bildern, frei zu werden. Es ist eigentlich eine ganz spannende Situation. Das ist die Ausganglage des Surrealismus."
Die Befreiung der Bilder erleben wir in der Schau als ästhetisch besänftigten Aufstand. Die Protagonisten sind alle tot, kein Exzentriker hat seinen Auftritt, es sprechen allein ihre Werke. Und die sind, was sie niemals sein wollten – museal.
Heute, wo sich jedes Kind am Computer aberwitzige Bildwelten zusammenpixeln kann, haben die gemalten Surrealistenträume einiges an Reiz verloren. Dennoch lassen wir uns in der opulent bestückten Schau gerne noch einmal verzaubern: von Dalís spinnenbeinigen Elefanten und zerfließenden Uhren, von Meret Oppenheims appetitlich dekorierten Damenschuhen auf einem Serviertablett oder von den poetischen Bilderträumen eines Miró. Wir begegnen den experimentellen Visionen von Max Ernst, der magischen Melancholie de Chiricos, den bizarren Fantastereien von Picabia und den mysteriösen Bilderrätseln eines Magritte und staunen immer wieder, was da alles zusammengetragen wurde von den Hauptakteuren und Randfiguren der Bewegung: Gemälde, Skulpturen und Objekte, Zeichnungen, Collagen, Schmuckstücke, Fotografien, Filme.
Man hat André Breton, dem Theoretiker und Wortführer der Bewegung, oft vorgeworfen, dass er einzelne Mitglieder nach Belieben exkommunizierte, wenn sie gewissermaßen gegen das Reinheitsgebot der Surrealisten verstießen. Aber wenn man die Bandbreite der künstlerischen Äußerungen betrachtet, sagt der Kurator:
"... dann kann man vielleicht besser verstehen, dass sich diese ganz verschiedenen Künstler mit ihren komplett verschiedenen Temperamenten und Werken überhaupt nur unter einer relativ rigiden Struktur einer solchen Bewegung überhaupt nur zusammenfinden konnten. Und das ist, glaube ich, auch so ein bisschen die Logik von Breton gewesen, dass er eben auch gespürt hat: Wenn er da nicht einen ganz klaren Kurs fährt und den auch verficht, dann fällt das auseinander."
Dass Dalí seine Bilder zunehmend kommerziell verkitschte, konnte Breton noch ertragen. Doch als er mit dem Franco-Faschismus liebäugelte, wurde er 1938 blitzartig ausgeschlossen. Und weil Giacometti nicht ablassen wollte vom Naturstudium, trennte man sich auch von ihm. Manche, wie Picasso, brachen ohnehin zu neuen Ufern auf.
Dalí war vielleicht der Einzige, der den Surrealismus auch wirklich auslebte, ein Exzentriker und Spinner, wie er im Buche steht. Der Belgier Magritte dagegen ging ins Atelier wie ein Angestellter ins Büro, und auch Miró war privat ein Freund geordneter Verhältnisse und schöpfte gerade daraus seine kreative Kraft.
"Miró ist als Künstler einer der freiesten, der eigentlich keine Grenzen kennt, und gleichzeitig war er ein ganz, ganz kontrollierter ordentlicher Mensch, Buchhalter von der Ausbildung – aber seine Bilder sind die freiesten des ganzen Surrealismus."
Und uns, den Besuchern, geht es in dieser grandiosen Schau genau wie ihm: mit beiden Beinen in der Wirklichkeit und mit dem Kopf im Traum.
Service:
Die Ausstellung "Dalí, Magritte, Miró – Surrealismus in Paris" ist in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bis zum 29. Januar 2012 zu sehen.