Die begehbare Himmelskugel

Ulrich Schneider im Gespräch mit Britta Bürger |
Basierend auf einer Idee in einem Barockroman wurde im 17. Jahrhundert der Globus von Schloss Gottorf errichtet. Dieser wurde von Zar Peter dem Großen nach St. Petersburg verschleppt und jetzt von Wissenschaftlern rekonstruiert. Das Besondere an ihm: außen stellt er die bekannte Welt der damaligen Zeit dar, im Inneren ist er ein begehbares Planetarium, das auch den südlichen Sternenhimmel zeigt. Damit ist der Globus "bis heute einem modernen Planetarium überlegen", sagt der verantwortliche Kunsthistoriker Ulrich Schneider.
Britta Bürger: Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein weltbewegendes Projekt: die Rekonstruktion eines begehbaren Globus auf Schloss Gottorf im norddeutschen Schleswig. Das Original steht in einem Museum in St. Petersburg. Historiker, Physiker und Computerexperten haben gemeinsam an der gleichzeitigen Abbildung von Himmel und Erde gearbeitet. In Kiel bin ich mit dem verantwortlichen Kunsthistoriker verbunden, Ulrich Schneider, Kurator an den Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen. Schönen guten Tag, Herr Schneider!

Ulrich Schneider: Guten Tag!

Bürger: Erzählen Sie uns zunächst etwas über die Geschichte des Originals, das ja zunächst noch gar nicht als Globus existierte, sondern nur beschrieben wurde, nämlich in einem barocken Roman.

Schneider: Ja, das ist die unheimlich spannende Geschichte des Gottorfer Globus, dass wir zum ersten Mal etwas über die Idee in einem Buch erfahren, das im Jahre 1616 in Straßburg erschienen ist, und dass es uns gelungen ist in den letzten Jahren, den Weg dieses Buches von Straßburg über Köthen nach Schleswig nachvollziehen zu können. Und in Schleswig wurde dann gut 40 Jahre, nachdem das Buch gedruckt war, der Gottorfer Globus gebaut. Also es hat eine sehr lange Zeit gebraucht zwischen der Idee bis zur Umsetzung.

Und dennoch ist es was unheimlich Spannendes, denn wir haben sehr wenige Beispiele, in denen literarische Utopie Verwirklichung fand. Und das macht eigentlich das Besondere am Gottorfer Globus aus, dass ein Theologe aus Stuttgart die Idee hatte, in einem Buch zum ersten Mal ein Planetarium zu beschreiben, zu beschreiben, wie ein Planetarium funktioniert. Und Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein Gottorf hatte den Mut, diese literarische Fiktion eins zu eins umzusetzen, ein begehbares Planetarium zu bauen, das zum ersten Mal die Mechanik des Himmels, die Mechanik der Sterne für den Laien verstehbar darzustellen.

Bürger: Da kommen wir gleich noch genauer drauf, denn gemeinhin stellt man sich ja unter Globus und Planetarium zwei unterschiedliche Dinge vor: Den Globus sieht man von außen, in Ihren Globus geht man hinein und von innen ist es dann ein Planetarium. Zunächst aber noch mal zurück zu der Geschichte. Der stand dann in Norddeutschland, dieser Globus, bis Peter der Große kam während des nordischen Kriegs. Er kam in Schleswig vorbei, fand auch Gefallen an diesem Globus. Wie hat er es geschafft, den dann nach St. Petersburg zu schaffen?

Schneider: Das ist eine Odyssee, die sehr ausführlich beschrieben ist. Also er kam ja als Kriegsgewinner, er hat ja denen Beistand geleistet im nordischen Krieg, hat sich als Bezahlung dafür den Gottorfer Globus erbeten, der natürlich nicht mehr zu zerlegen war. Das ist ein Globus mit über drei Metern Durchmesser, mit einem begehbaren Horizont drin. Also wir müssen uns vorstellen, das müssen Kisten gewesen sein mit vier Metern Seitenlänge – das ist heute noch ein Großtransport und war es natürlich auch im 18. Jahrhundert.

Und Peter der Große hat zunächst mal jemand bestimmt, der den Globus von Schleswig bis nach St. Petersburg begleiten sollte. Daher wissen wir auch die ganzen Schritte von dem Globus, also was wann wo passiert ist. Zunächst ging es aufs Meer, dort wurde der Globus also mit einem Schiff von Schleswig über die Ostsee bis nach Pillau transportiert und dort dann im Winter über Land weiter bis nach St. Petersburg. Es gibt noch einige Umschlagstationen dazwischen.

Das große Problem war, dass diese Kisten so groß waren, dass man die nicht einfach auf einen Wagen aufladen konnte. Man musste also die Wagen dann transportieren, wenn der Boden richtig durchgefroren war, also im Winter konnte man nur den Globus über Land transportieren. Im Sommer war nur der Transport über Wasser möglich. Über Land gab es das Problem, dass die Straßen zu schmal waren. Man muss sich vorstellen, vier Meter Breite, es gab damals sehr viele Alleen, die gerade mal drei Meter breit waren. Deshalb begleiteten den Globus rund 600 Soldaten, die ganze Alleen abgeholzt haben, nur damit der Globus in dreieinhalbjähriger Reise von Schleswig bis nach St. Petersburg kam. Also eine Odyssee mit allem Drum und Dran.

Bürger: Wir drehen die Weltkugel. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Kunsthistoriker Ulrich Schneider, der einen großen begehbaren Globus inklusive Planetarium rekonstruiert hat. Zu sehen ist er auf Schloss Gottorf in Schleswig. Sie haben, Herr Schneider, mit einem Team von Historikern, Physikern, Computerspezialisten mehrere Jahre an der Rekonstruktion gearbeitet, was waren dabei die größten Schwierigkeiten?

Schneider: Die größten Schwierigkeiten waren, überhaupt Ansprechpartner zu finden, die in der Lage waren, unser Projekt weiterbefördern zu können, denn die Probleme, die auftauchten, ließen sich nicht im Vorfeld erkennen. Zum Beispiel, wenn wir aus dem Globusmuseum in Wien Vorlagen bekommen haben für die Bemalung des Globus, dann hat uns das sehr gefreut. Das waren Vorlagen, die von einem verebneten Blaeuw'schen Globus stammten, ein Blaeuw'scher Globus, der aus dem 17. Jahrhundert stammte, der in Benutzung war, das bedeutet, er hatte Abnutzungserscheinungen.

Und erst, nachdem wir diese Vorlagen auf die Größe vergrößert hatten, die wir für die Bemalung brauchten, stellten wir fest, dass eben der Globus stark abgegriffen war, dass es Stellen gab, die berieben waren, dass es Stellen gab, die total verschmutzt waren. Und erst in dem Moment ging natürlich die Suche los, wer kann uns weiterhelfen, wer kann uns helfen, diese Vorlagen zu reinigen? Und da kamen dann die Mathematiker ins Spiel, die uns dann vom IWR der Universität Heidelberg geholfen haben, diesen Globus digital zu reinigen, indem sie Software entwickelt haben, die die Eigenarten von Grafik von einer Verschmutzung durch Staub unterscheiden kann.

Bürger: Heute können wir uns die ganze Welt mit Google Earth am Computer anschauen, was aber erzählt uns dieser Globus über die Welt im 18. Jahrhundert?

Schneider: Er erzählt unheimlich Spannendes. Wenn man zum Beispiel den Südpol sich anguckt, erkennt man dort einen sogenannten Südkontinent – der wird auch sogenannt auf dem Gottorfer Globus –, und dieser Kontinent hat eine ganz eigenartige Geschichte. Der taucht auf in dem Moment, wo die Menschen begreifen, dass die Erde sich um die eigene Achse dreht. Das ist Wissen, was im 17. Jahrhundert auftaucht, das die Antike schon hatte, was aber wieder vergessen war und was dann in dem Moment, wo die Erde sich beginnt zu drehen, plötzlich wieder aus der Schublade gezogen wird, man postuliert einen Südkontinent. Und im 17. Jahrhundert entdecken die Holländer Australien, und dann wird dieser Südkontinent, der theoretisch postuliert wurde, plötzlich zurückgenommen, wird zurückgedrängt. Das ist so ein spannender Moment, der am Gottorfer Globus auch erzählt wird.

Bürger: Das heißt, der spiegelt auch Weltbilder?

Schneider: Der spiegelt auch Weltbilder wider, der spiegelt auch Entdeckungsgeschichte wider. Wenn wir zum Beispiel Südamerika angucken, dort können wir die Ureinwohner sehen, die zwergwüchsig sind, die man noch nicht in Augenschein hatte, man hatte nur die Fußabdrücke von diesen Ureinwohnern gesehen, die waren sehr groß, weil man dort Fellschuhe trug. Und wenn man dann auf den Gottorfer Globus schaut, sieht man, dass im Bedeutungsmaßstab quasi die Entdecker, die Europäer wiedergegeben sind, die sind sehr klein, die Ureinwohner sind sehr groß. Und wenn Sie dann einen Globus anschauen, der zehn Jahre älter ist, dann hat sich dieses Verhältnis umgekehrt: Man hat die Ureinwohner in Augenschein genommen, sieht, dass die kleiner sind, und dann schrumpfen diese Menschendarstellungen auch.

Also die Darstellungen auf dem Globus geben Aufschluss darüber, wie man die Erde entdeckt hat, wie man sie oder wann man sie entdeckt hat, was man wahrgenommen hat und was man in der alten Welt weitergeben wollte.

Bürger: Und ist die Welt aus heutiger Sicht, so wie der Globus sie abbildet, unvollständig?

Schneider: In Australien fehlt noch der östliche Teil, der Südkontinent ist noch ein wenig da. Ansonsten ist die Erde sehr komplett wiedergegeben.

Bürger: Jetzt haben wir viel über die Erde gesprochen und wenig über den Himmel. Dazu möchte ich aber auch noch was wissen, denn im Inneren dieses Globus befindet sich eben ein Planetarium, das allererste Planetarium der Welt. Wie unterscheidet sich das von denen, die wir heute kennen?

Schneider: Sehr wenig eigentlich. Zunächst mal ist es das gleiche Prinzip. Wir haben eine konkave Innenschale, auf der der Sternenhimmel wiedergegeben ist. Das entspricht etwa dem, was wir auch in einem modernen Planetarium sehen können. Was wir in dem Globus allerdings auch haben, ist eine Öffnung im Fußboden, durch den wir, während wir den nördlichen Sternenhimmel angucken, auch sofort den südlichen angucken können. Wir haben also ein Planetarium, was 360-Grad-Einblick bietet, was bis heute kein modernes Planetarium schafft.

Bürger: Eine Himmelskugel.

Schneider: Wir haben eine Himmelskugel, in der wir mittendrin sitzen, wir sind also ins Universum eingetaucht und sitzen mittendrin und können nach oben und nach unten gucken. Und da sind wir bis heute einem modernen Planetarium überlegen. Was wir nicht können, das ist das Zoomen in den Himmel.

Wir können allerdings die Bewegung der Sonne über das Jahr hin nachvollziehen, wir können deshalb auch astronomische Aussagen über die Veränderungen, die man am Himmel über das Jahr hin beobachten kann, machen und können damit auch astronomische Phänomene erläutern, zum Beispiel warum die Sonne am Nordpol im Winter nicht zu sehen ist. Wir können Sonnenauf- und Sonnenuntergang für jeden beliebigen Ort auf der Nordhalbkugel im Gottorfer Globus experimentell bestimmen.

Und das sind Dinge, die diesen Globus so begehrenswert zum Beispiel auch für Zar Peter den Großen gemacht haben. Denn alles, was man bis dahin nur kompliziert berechnen konnte, wo man Anleitungsbücher brauchte, das alles kann man sich schenken, wenn man in den Gottorfer Globus einsteigt. Man kann dort die Kugel in Bewegung setzen und kann experimentell das nachvollziehbar machen, was Astronomen im 17. Jahrhundert berechnen konnten.

Bürger: Der Kunsthistoriker Ulrich Schneider über Himmel und Erde, so wie sie im Globus von Schloss Gottorf zusammengeführt werden. Normalerweise ist die Schlossgartenanlage und das Globushaus im Winter geschlossen, aber über Weihnachten wird es Sonderöffnungszeiten geben: vom 27. Dezember bis zum 3. Januar kann der Globus in Schleswig besichtigt werden. Herr Schneider, vielen Dank für das Gespräch!

Schneider: Bitte sehr!