"Die Beitrittsverhandlungen müssen weitergeführt werden"
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özuguz plädiert dafür, bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei schwierige Themen wie die Arbeit der Justiz nach vorne zu stellen. Forderungen, den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan abzusetzen, unterstützt sie nicht.
André Hatting: Zwei Wochen schon demonstrieren die Menschen in der Türkei, anfangs gegen die Abholzung eines Parks im Zentrum von Istanbul, aber daraus ist längst ein landesweiter Widerstand gegen die islamisch-konservative Regierung und Premier Erdogan geworden. Der antwortet mit Gewalt, vier Tote, über 7.000 Verletzte und immer wieder zahlreiche Festnahmen – die Polizei greift hart durch, und jetzt hat Erdogan sogar angekündigt, möglicherweise das Militär einzusetzen, um wieder Ruhe und Ordnung herzustellen. Nicht nur in der Türkei, auch in Deutschland finden das viele Menschen als unverhältnismäßig. Mehrere Migrantenverbände haben in den letzten Tagen Solidaritätsdemonstrationen veranstaltet, seit Mittwoch hält zum Beispiel die Alevitische Gemeinde Deutschlands in Köln eine Mahnwache ab. Heute soll daraus eine Großdemonstration werden, 30.000 Menschen werden dazu erwartet, auch Spitzenpolitiker wie Gregor Gysi von der Linken und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Aydan Özoguz ist stellvertretenden Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Özoguz!
Aydan Özoguz: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Die Aleviten sind ja eine Minderheit in der Türkei. Wieso sucht sich die SPD diese Demonstration aus?
Özoguz: Na, das ist, glaube ich, ein Missverständnis. Wir haben uns diese Demonstration nicht ausgesucht. Aber es stimmt natürlich erst mal, was Sie gesagt haben, tatsächlich waren die Bilder aus der Türkei sehr erschreckend, wir haben uns ja alle auch mehrfach geäußert, dass dieses harte Vorgehen und unverhältnismäßige Vorgehen der Sicherheitskräfte, der Polizei gegen friedliche Demonstranten nicht akzeptabel ist, auch von uns natürlich scharf kritisiert wird, aber die Demonstration heute steht unter dem Motto: Die Diktatur Erdogans abschaffen. Das verwischt natürlich ein Stück weit, dass gut 50 Prozent in der Türkei Erdogan und die AKP gewählt haben. Deswegen glaube ich, so leicht kann man es sich dann auch wieder nicht machen, am Ende entscheidet natürlich das türkische Volk, ob Erdogan weiterregiert oder nicht – das ist auch der Grund, warum wir heute dort nicht sprechen.
Hatting: Sie haben das schon angesprochen, Erdogan regiert mit absoluter Mehrheit, zuletzt mit 50 Prozent. Greift seine Politik damit nur einen Trend auf in der Bevölkerung, gibt es einen Trend zur Islamisierung?
Özoguz: Na, man konnte in den letzten Jahren in der Türkei vieles beobachten. Erdogan hat sich auf der einen Seite in Richtung Europa bewegt, das ist glaube ich, ganz zweifelsohne. Er hat viele Gesetze verändert, viele wichtige Schritte ist er gegangen, aber auf der anderen Seite muss man eben sagen, diese Äußerungen von ihm, also wie viele Kinder nun eine Frau bekommen soll, wie man sich zu verhalten hat, wie viel Alkohol man trinkt, das sind natürlich Dinge, die die Menschen sehr schmerzlich berühren, denn sie sagen, der geht in unsere tiefste Privatsphäre, das finden wir nicht akzeptabel, und die jüngsten Geschichten haben natürlich gezeigt, dass das mit der Meinungsfreiheit doch noch ein großes Problem ist, dass man mit einer unverhältnismäßigen Härte nun dagegen vorgeht. Und da sagen wir natürlich deutlich, da muss man mit der Türkei sprechen, da muss man mit ihr auch den schwierigen Dialog eben führen und deutlich machen, dass wir bei den Demonstranten, bei den friedlich Demonstrierenden stehen, ganz eng mit ihnen und solidarisch verbunden fühlen, denn sie treten ja ein für europäische Menschenrechte.
Hatting: Ja, zum Beispiel heute auch die Demonstration in Köln, die eben – das haben Sie schon gesagt – unter dem Motto steht, dass die Diktatur von Erdogan weg müsse. Nun hat aber die SPD jahrelang gefordert, die Türkei in die EU zu holen, die Union hat das immer abgelehnt, unter anderem mit dem Verweis, das Land sei in Sachen Demokratie noch nicht so weit. Hat die CDU recht gehabt?
Özoguz: Na ja, die CDU fährt da eben ein eigenartiges Spiel – ich meine, es gibt diese Verhandlungen mit der Türkei seit Jahrzehnten –, und es hat gute Zeiten gegeben, es hat schwierige Zeiten gegeben. Ich glaube, was man auf gar keinen Fall machen darf, ist, wenn etwas schwierig ist, wie es jetzt gerade ist, dann zu sagen, ach, na ja, wir haben es ja schon immer gewusst, dann hauen wir mal schnell die Tür zu, denn damit lässt man natürlich die Demonstranten da im wahrsten Sinne im Regen stehen. Man macht es denjenigen, die vielleicht eben andere Ideen haben, leichter, man solidarisiert sich nicht mehr. Und das, was jetzt aus der Türkei kommt, dass Frau Merkel dies für ihren eigenen Wahlkampf nutzt, das ist natürlich nicht gut, und ich glaube auch, dass viele Menschen inzwischen dieses Gefühl haben, ja, jetzt wird das mal eben klammheimlich umgeschrieben, aus der privilegierten Partnerschaft wird eine strategische Partnerschaft. Selbst der Oppositionsführer in der Türkei, Kýlýçdaroðlu, soll ja Merkel geschrieben haben, soll ihr gesagt haben, bitte nicht für den deutschen Wahlkampf missbrauchen, bitte bei uns stehen, auf keinen Fall die Verhandlungen jetzt einfach abbrechen...
Hatting: Entschuldigung, aber der Generalsekretär der Aleviten in Deutschland, auf dessen Demonstration, oder um dessen Demonstration es heute geht, der fordert genau das Gegenteil: Erst muss Erdogan weg, dann darf weiter verhandelt werden.
Özoguz: Na ja, das ist ja auch legitim, er kann das fordern, nur das können wir in Deutschland ja nicht entscheiden, sondern letztendlich muss es das türkische Volk entscheiden, und ich glaube, wir können nur der Regierung klarmachen, worauf es uns ankommt. Dafür muss man miteinander reden, deswegen fordere ich auch Merkel auf, wirklich diese Tür nicht zuzuschlagen, sondern sich diesem schwierigen Dialog zu stellen, hier weiter zu verhandeln, und ich glaube, die Glaubwürdigkeit wäre eben am höchsten, wenn man sagen würde: Wir packen mal die schwierigsten Punkte an, wir packen mal die Justiz an, das, was uns jetzt an dem Sicherheitsapparat doch gerade nicht gut gefallen hat, über diese Dinge sprechen wir gerade, und sagen nicht, nö, dann lassen wir es halt wieder, weil wir sowieso schon immer das schwierig fanden, mit der Türkei zu sprechen. Ich glaube, das ist sehr kurz gedacht.
Hatting: Also soll sich die Bundesregierung Ihrer Meinung nach dafür einsetzen, dass die EU die Verhandlungen, die Beitrittsverhandlungen wieder aufnimmt?
Özoguz: Die Beitrittsverhandlungen müssen weitergeführt werden, aber unter sehr kritischen Vorzeichen. Man muss deutlich machen, dass das, was wir jetzt in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, dass uns das nicht das Gefühl gibt, dass die Türkei zurzeit näher an die EU heranrückt, dass das sehr erschreckende Bilder sind, und dass wir dieses Kapitel Justiz jetzt endlich auf dem Tisch haben wollen. Damit kann die Türkei zeigen, ob sie es wiederum ihrerseits ernst meint oder nicht.
Hatting: Aydan Özoguz, stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD – mit ihr habe ich über die Proteste in der Türkei und die Haltung ihrer Partei dazu gesprochen. Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!
Özoguz: Das wünsche ich Ihnen auch, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Aydan Özoguz: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Die Aleviten sind ja eine Minderheit in der Türkei. Wieso sucht sich die SPD diese Demonstration aus?
Özoguz: Na, das ist, glaube ich, ein Missverständnis. Wir haben uns diese Demonstration nicht ausgesucht. Aber es stimmt natürlich erst mal, was Sie gesagt haben, tatsächlich waren die Bilder aus der Türkei sehr erschreckend, wir haben uns ja alle auch mehrfach geäußert, dass dieses harte Vorgehen und unverhältnismäßige Vorgehen der Sicherheitskräfte, der Polizei gegen friedliche Demonstranten nicht akzeptabel ist, auch von uns natürlich scharf kritisiert wird, aber die Demonstration heute steht unter dem Motto: Die Diktatur Erdogans abschaffen. Das verwischt natürlich ein Stück weit, dass gut 50 Prozent in der Türkei Erdogan und die AKP gewählt haben. Deswegen glaube ich, so leicht kann man es sich dann auch wieder nicht machen, am Ende entscheidet natürlich das türkische Volk, ob Erdogan weiterregiert oder nicht – das ist auch der Grund, warum wir heute dort nicht sprechen.
Hatting: Sie haben das schon angesprochen, Erdogan regiert mit absoluter Mehrheit, zuletzt mit 50 Prozent. Greift seine Politik damit nur einen Trend auf in der Bevölkerung, gibt es einen Trend zur Islamisierung?
Özoguz: Na, man konnte in den letzten Jahren in der Türkei vieles beobachten. Erdogan hat sich auf der einen Seite in Richtung Europa bewegt, das ist glaube ich, ganz zweifelsohne. Er hat viele Gesetze verändert, viele wichtige Schritte ist er gegangen, aber auf der anderen Seite muss man eben sagen, diese Äußerungen von ihm, also wie viele Kinder nun eine Frau bekommen soll, wie man sich zu verhalten hat, wie viel Alkohol man trinkt, das sind natürlich Dinge, die die Menschen sehr schmerzlich berühren, denn sie sagen, der geht in unsere tiefste Privatsphäre, das finden wir nicht akzeptabel, und die jüngsten Geschichten haben natürlich gezeigt, dass das mit der Meinungsfreiheit doch noch ein großes Problem ist, dass man mit einer unverhältnismäßigen Härte nun dagegen vorgeht. Und da sagen wir natürlich deutlich, da muss man mit der Türkei sprechen, da muss man mit ihr auch den schwierigen Dialog eben führen und deutlich machen, dass wir bei den Demonstranten, bei den friedlich Demonstrierenden stehen, ganz eng mit ihnen und solidarisch verbunden fühlen, denn sie treten ja ein für europäische Menschenrechte.
Hatting: Ja, zum Beispiel heute auch die Demonstration in Köln, die eben – das haben Sie schon gesagt – unter dem Motto steht, dass die Diktatur von Erdogan weg müsse. Nun hat aber die SPD jahrelang gefordert, die Türkei in die EU zu holen, die Union hat das immer abgelehnt, unter anderem mit dem Verweis, das Land sei in Sachen Demokratie noch nicht so weit. Hat die CDU recht gehabt?
Özoguz: Na ja, die CDU fährt da eben ein eigenartiges Spiel – ich meine, es gibt diese Verhandlungen mit der Türkei seit Jahrzehnten –, und es hat gute Zeiten gegeben, es hat schwierige Zeiten gegeben. Ich glaube, was man auf gar keinen Fall machen darf, ist, wenn etwas schwierig ist, wie es jetzt gerade ist, dann zu sagen, ach, na ja, wir haben es ja schon immer gewusst, dann hauen wir mal schnell die Tür zu, denn damit lässt man natürlich die Demonstranten da im wahrsten Sinne im Regen stehen. Man macht es denjenigen, die vielleicht eben andere Ideen haben, leichter, man solidarisiert sich nicht mehr. Und das, was jetzt aus der Türkei kommt, dass Frau Merkel dies für ihren eigenen Wahlkampf nutzt, das ist natürlich nicht gut, und ich glaube auch, dass viele Menschen inzwischen dieses Gefühl haben, ja, jetzt wird das mal eben klammheimlich umgeschrieben, aus der privilegierten Partnerschaft wird eine strategische Partnerschaft. Selbst der Oppositionsführer in der Türkei, Kýlýçdaroðlu, soll ja Merkel geschrieben haben, soll ihr gesagt haben, bitte nicht für den deutschen Wahlkampf missbrauchen, bitte bei uns stehen, auf keinen Fall die Verhandlungen jetzt einfach abbrechen...
Hatting: Entschuldigung, aber der Generalsekretär der Aleviten in Deutschland, auf dessen Demonstration, oder um dessen Demonstration es heute geht, der fordert genau das Gegenteil: Erst muss Erdogan weg, dann darf weiter verhandelt werden.
Özoguz: Na ja, das ist ja auch legitim, er kann das fordern, nur das können wir in Deutschland ja nicht entscheiden, sondern letztendlich muss es das türkische Volk entscheiden, und ich glaube, wir können nur der Regierung klarmachen, worauf es uns ankommt. Dafür muss man miteinander reden, deswegen fordere ich auch Merkel auf, wirklich diese Tür nicht zuzuschlagen, sondern sich diesem schwierigen Dialog zu stellen, hier weiter zu verhandeln, und ich glaube, die Glaubwürdigkeit wäre eben am höchsten, wenn man sagen würde: Wir packen mal die schwierigsten Punkte an, wir packen mal die Justiz an, das, was uns jetzt an dem Sicherheitsapparat doch gerade nicht gut gefallen hat, über diese Dinge sprechen wir gerade, und sagen nicht, nö, dann lassen wir es halt wieder, weil wir sowieso schon immer das schwierig fanden, mit der Türkei zu sprechen. Ich glaube, das ist sehr kurz gedacht.
Hatting: Also soll sich die Bundesregierung Ihrer Meinung nach dafür einsetzen, dass die EU die Verhandlungen, die Beitrittsverhandlungen wieder aufnimmt?
Özoguz: Die Beitrittsverhandlungen müssen weitergeführt werden, aber unter sehr kritischen Vorzeichen. Man muss deutlich machen, dass das, was wir jetzt in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, dass uns das nicht das Gefühl gibt, dass die Türkei zurzeit näher an die EU heranrückt, dass das sehr erschreckende Bilder sind, und dass wir dieses Kapitel Justiz jetzt endlich auf dem Tisch haben wollen. Damit kann die Türkei zeigen, ob sie es wiederum ihrerseits ernst meint oder nicht.
Hatting: Aydan Özoguz, stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD – mit ihr habe ich über die Proteste in der Türkei und die Haltung ihrer Partei dazu gesprochen. Ich bedanke mich und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!
Özoguz: Das wünsche ich Ihnen auch, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.