Doping für den deutschen Film oder Abseitsfalle?
Dieter Kosslick hat die Reihe "Perspektive Deutsches Kino" eingeführt, um den schwächelnden deutschen Film zu stärken. Die Meinungen sind geteilt - von exzellent bis überflüssig. Dieses Jahr lässt sich ein erstaunlich ernsthafter Ton bei den jungen Filmemachern ausmachen.
"Mach mal ein Feierabendbier für mich. – Mit Schuss? – Normal. – Also ohne? – Nein, mit." - Obwohl in Magnus' Bar immer dieselben Gäste sitzen, kann es noch immer zu Missverständnissen beim Bestellen kommen. In der Kneipe spielt sich Magnus' ganzes Leben ab – bis sein geliebter Oldtimer geklaut wird. Ben Brummer erzählt in "Feierabendbier" wortwitzig vom Hipster-Leben, aber auch von der Sehnsucht nach Bindung und Familie.
Sehr typisch für die jungen Filmemacher der Perspektive Deutsches Kino, wie Sektionsleiterin Linda Söffker findet:
"Irgendwie erzählt das viel über die Generation, glaube ich. Dass die, die den Film gemacht haben, müssen ja das Gefühl haben, dass viele ihrer Freunde so sehr auf Statussymbole Wert legen und sich viel zu wenig um menschliche Aspekte kümmert, diese Generation. Und dass sie fanden, dass sie das erzählen müssen, und das hat mich irgendwie beeindruckt, dass man sich nicht als Moralapostel empfindet."
Auch wenn Geschichten in Filmen wie "Feierabendbier" mit Witz erzählt werden, spürt man ein moralisches Anliegen, von Verlustängsten in unsicheren Zeiten zu erzählen. In einigen Spielfilmen zeigt sich auch die in den letzten Jahren erkennbare, erfreuliche Tendenz, konzentrierter an Dialog und auch Dialogwitz zu arbeiten.
Auf sehr beklemmende Weise dagegen erzählt Felix Hassenfratz in "Verlorene" von einer Familie in der Provinz. Die beiden unterschiedlichen Töchter haben ein schwieriges Verhältnis.
"Was willst Du eigentlich von mir? – Dich beschützen. Darf ich das? – Ich kann auf mich selbst aufpassen."
Noch ahnt die Jüngere nicht, wovor die Schwester sie bewahren will. Der Film zeigt die Familie als traumatischen Ort, an den man sich trotzdem klammert: "Der erzählt schon dieses An-Familie-Festhalten, und dass die Strukturen gut und wichtig sind, sonst könnte die Ältere ja einfach ausbrechen, aber sie will das ja auch irgendwie festhalten", sagt Linda Söffker.
Mit der Heirat läuft es nicht wie erwartet
Von familiärem Druck erzählt auf ganz andere Weise der Film "Die defekte Katze". Der junge Arzt Kian beschließt nach erfolgloser Partnersuche, eine Frau in seiner iranischen Heimat zu finden. Bei einem familiär arrangierten Treffen wird ihm Mina vorgestellt, die beiden heiraten und sie folgt Kian nach Deutschland. Doch nichts läuft wie erwartet.
Die iranisch-stämmige Regisseurin Susan Gordanshekan schaut nüchtern und urteilsfrei auf die Figuren:"Das hat mich schon immer beschäftigt zu beobachten, dass auch solche Beziehungen funktionieren können. Was ganz wichtig ist, es ist keine Zwangsehe, die Leute haben sich schon dafür entschieden, diese Person zu heiraten, sie kennen einander bloß nicht so gut. Und natürlich steht das in krassem Gegensatz zum westlichen Idealbild. Hier muss der Blitz einschlagen, es geht um Liebe auf den ersten Blick. Ich finde es ganz wichtig zu sehen, es gibt auch andere Arten, wie man da rangehen kann."
Sehr lebensnah schildert der Film das Bemühen der beiden um Annäherung. Es sind gerade die Filme von Regisseuren mit ausländischen Wurzeln, die den persönlichen Blick um eine gesellschaftliche Perspektive weiten und damit besondere Dringlichkeit erreichen. Zum Beispiel der Dokumentarfilm "Impreza – Das Fest" der in Polen geborenen Regisseurin Alexandra Wesolowski.
Sie erlebte beim Besuch ihrer Verwandten in Warschau eine Überraschung: "Angefangen hat es Ende 2015, als die Pis die Wahlen gewonnen hat. Da bin ich relativ bald nach Polen gefahren und habe mit meiner Familie darüber gesprochen und habe nicht damit gerechnet, dass die alle diese Regierung unterstützen. Ich habe sie nie mit dem Bild von den Rechtskonservativen in Verbindung gebracht."
Ob es um Nationalismus oder Abtreibung ging, Wesolowksi und ihre Verwandten hatten krasse Meinungsdifferenzen - und sie beschloss, daraus einen Film zu machen. Man erlebt erregte Diskussionen, erfährt aber auch viel über die Motive der kritischen Einstellungen vieler Polen gegenüber Liberalismus, EU und Deutschland: "Die verbinden die EU ganz stark mit Deutschland. Die sagen, Deutschland hat so viel zu sagen in der EU, das ist für sie fast das Gleiche. Und diese multikulturelle Offenheit erinnert sie ganz stark an das, was in der Sowjetunion gepredigt wurde. Das ist halt ein Reflex, dass man auf Abwehrhaltung geht", meint Wesolowski.
Direkter Zugriff auf die pralle Realität
Mit ihrem direkten Zugriff auf die pralle Realität sind die Dokumentarfilme – zum Beispiel auch der Film "Draußen" über Obdachlose - der stärkere Teil der diesjährigen Perspektive. Regisseur Christoph Hochhäusler, einer der Initiatoren der letztjährigen Petition zur Zukunft der Berlinale, hat sich auch zur Perspektive kritisch geäußert. Sie sei ein Ghetto, in das sich kaum ein ausländischer Gast verlaufe.
Sektionsleiterin Söffker sieht das anders: "Wenn es die Perspektive nicht gäbe, würde der deutsche Nachwuchsfilm international nicht wahrgenommen. Die Perspektive ist eine Eintrittskarte für Festivals auf der ganzen Welt."
Die Filmemacher der diesjährigen Perspektive beziehen sich stark auf Herkunft – egal ob deutsch oder ausländisch - und drehen in der eigenen heimatlichen Provinz. Gerade dieser reflexive Blick dürfte einige Filme attraktiv fürs Ausland machen.