"Die Besten der Welt"
Nach der Landung des Mars-Rovers "Curiosity" geht der deutsche Missionsanalytiker Michael Khan davon aus, dass die USA ihr Know-How trotz NASA-Umstrukturierung auch künftig weiter nutzen werden. Die USA hätten in der Raumfahrt mehr Erfahrung "als alle anderen zusammen".
Katrin Heise: Verspätung gab es nicht, obwohl auf dem Mars das Ganze stattfand, die Landung der "Rover Curiosity" war für 7:31 Uhr mitteleuropäischer Zeit geplant, und pünktlich 7:31 Uhr landete die Sonde dann auf dem roten Planeten, live verfolgt auf der ganzen Welt, zum Beispiel auf dem New Yorker Times Square hatten sich Menschen versammelt und brachen in Jubel aus. Gebannt also nicht nur beobachtet von Wissenschaftlern und Forschern weltweit, aber die waren natürlich ganz besonders angespannt, und speziell im NASA-Kontrollzentrum im kalifornischen Pasadena.
Kann man sich immer gar nicht vorstellen, zu was für einem Jubel Wissenschaftler so fähig sind, vielleicht ja auch in Darmstadt bei der Esoc, dem Europäischen Raumflugkontrollzentrum. Da gibt es seit Tagen auch schon kein anderes Thema mehr. Entsprechend erleichtert ist man sicherlich auch dort. Ich begrüße bei der Esoc den Missionsanalytiker Michael Khan. Schönen guten Tag, Herr Khan!
Michael Khan: Guten Tag!
Heise: War es bei Ihnen auch so laut?
Khan: Ja, es war ziemlich laut, das kann man sagen.
Heise: Also, alle gucken gebannt auf die, nicht Videoleinwände, sondern auf ihre Rechner und sehen dann, wie dieser Kran diesen Rover absetzt, und dann wird gejubelt?
Khan: Ja. Also, na ja, man hat das natürlich nicht live verfolgt, sondern man hat nur Daten gesehen, man hat gesehen die Geschwindigkeit, und man hat vor allen Dingen die Voice-Loop im GPL gehört. Also das, was wir gesehen haben, war wirklich, war eine Kamera, die im Kontrollraum in Amerika steht, und haben eben mitgehört, was die sagen.
Heise: Ach so, genau, okay. Sie haben eben gerade dieses Bremsmanöver angesprochen. Von 20.000 Stundenkilometern die Stunde auf Null runterzubremsen. Wie ist das eigentlich möglich?
Khan: Das meiste davon war einfach durch den Luftwiderstand, das heißt, der trat in die Atmosphäre ein und der Hitzeschild hat die Wärme aufgenommen bei der Abbremsung, aber im Prinzip war das einfach über, also atmosphärische Bremsung.
Heise: Ein Landemanöver auf dem Mars, das die NASA ja auch dann nicht mehr steuern konnte, sondern man kann dann ja nur noch zuschauen. Erklären Sie mal dem Laien, welche Schwierigkeiten überwunden werden mussten, welche Präzision da eigentlich erforderlich war.
Khan: Ja, das ist richtig. Sie müssen praktisch von – in der Atmosphäre, da wird eingetreten in 120 Kilometern Höhe mit über 20.000 Stundenkilometern und dann müssen Sie auf der Oberfläche sieben Minuten später mit Geschwindigkeit Null, Horizontalgeschwindigkeit Null und Höhe Null zu stehen kommen. Und das ist eben die Herausforderung. Und hinzu kommt, dass in diesem ganzen Ablauf, dem ganzen technischen Ablauf waren 100 Punkte, wenn die schiefgegangen wären, wenn einer von denen schiefgegangen wäre, dann wäre das Ganze gescheitert. 100 einzelne Details in dieser Mission waren missionskritisch. Das muss man sich mal überlegen.
Heise: Wie ist das für so einen Wissenschaftler wie Sie? Hat man da das Gefühl, eigentlich geht es eher schief als gut?
Khan: Habe ich eigentlich nie so gedacht, weil ich wusste, dass die Amerikaner, also die von GPL, die sind allen anderen, die sind eigentlich die Besten der Welt, in der Hinsicht. Die haben einfach mehr Erfahrung, und wenn einer das in der Welt kann, dann die.
Heise: Wie ist das eigentlich beim Eintritt in die Marsatmosphäre. Die soll ja eigentlich eher nicht so ausgeprägt sein wie die zum Beispiel um die Erde, die Atmosphäre. Ist da Hitze ein großes Problem oder was ist da das Problem?
Khan: Ja, ich meine, ob die Atmosphäre dünn ist oder dick, ist eigentlich dann noch schlimmer – also, eine dünne Atmosphäre bedeutet ja, dass das Abbremsen erst sehr spät erfolgt. Wenn die Atmosphäre sehr dicht wäre, dann würde das Abbremsen über einen größeren Zeitraum ausgebreitet werden, und dann hätte man nicht so eine große Spitze darin. Und hier, da war eben eine sehr starke Abbremsung, und da hatte man maximal zwölf g, also zwölfmal die Erdbeschleunigung. Dafür war der Rover längst ausgelegt, das war also technisch innerhalb der Bedingungen, für die das Ding gebaut war.
Heise: So, und nun ist es, das Ding, also gelandet, sanft gelandet, und hat schon die ersten Bilder rübergefunkt. Was hat man da gesehen?
Khan: Ja, wir haben Glück gehabt, dass die tatsächlich, eine Orbitersonde die Daten während des Abstiegs übermitteln konnte, und dass man also eben in Echtzeit fast bis auf die 14 Minuten Verzögerung, die das Licht braucht, um vom Mars zu uns zu kommen …
Heise: Wenn man sich da mal die Entfernung vorstellen kann, noch mal?
Khan: 250 Millionen Kilometer. Also das ist weiter, als wir von der Sonne entfernt sind, ein ganzes Stück weiter. Wir sind 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, und das sind 250. Also diese – darunter waren auch ein paar Bilddaten, aber es war genauso wichtig auch, die technischen Daten, die Geschwindigkeit, die Höhe und der Zustand, also die technischen Daten an Bord, die Temperaturen, die Beschleunigung, solche Sachen.
Heise: Seit 2004 befinden sich ja schon "Spirit" und "Opportunity" auf dem Mars. Auch zwei Sonden. Ist diese heutige Aktion tatsächlich so viel spektakulärer? Ich meine, die sind ja auch irgendwie auf den Mars gekommen.
Khan: Die sind ja auch viel kleiner. Und deswegen konnte man sie noch mit diesen Airbags landen. Also die waren völlig umschlossen von Airbags und sind dann da mehrfach hart auf der Oberfläche aufgeprallt und dann irgendwann zum Liegen gekommen, vielleicht sogar über Kopf. Das kann man mit so einem großen Rover nicht machen. Den musste man wirklich, diesen hier, den musste man butterweich aufsetzen lassen, und genau das wurde auch gemacht. Also diese Raketenstufe, die hat geschwebt wie ein Hubschrauber in acht Meter Höhe und hat dann an einem Seil das langsam runtergelassen, und dann wurde das Seil durchtrennt, und dann konnte – nach dem Aufsetzen flog diese Raketenstufe weg und ist anderswo abgestürzt.
Heise: In Darmstadt, die Esoc ist ja indirekt auch ein bisschen beteiligt an dieser Mission, oder, durch Satelliten?
Khan: Ja, wir haben die, mit unserem – wir haben ja auch einen Orbiter, also eine Raumsonde, die in der Bahn um den Mars ist, die heißt "Marsexpress", seit 25.12.2003, und diese Sonde hat das Signal empfangen während des Abstiegs und hat das, was wir da empfangen haben, den Amerikanern übermittelt. Aber natürlich, was wir gemacht haben, unterstützt nur, und selbst wenn das jetzt gescheitert wäre, hätten wir auch nichts dran ändern können. Wir hätten nur dazu Material geliefert, um herausfinden zu können, warum und wann das gescheitert ist.
Heise: Michael Khan ist Missionsanalytiker in Darmstadt beim Europäischen Raumflugkontrollzentrum. Herr Khan, "Curiosity", übersetzt Wissbegierde, Neugierde, macht seinem Namen ja alle Ehre, ist ein Roboter mit unglaublicher Technik ausgerüstet, diversen Kameras natürlich, Röntgenapparaten, Chemielaboratorium, Laserwerfer. Heute gab es also schon mal erste Bilder von der Landung – wie geht es jetzt weiter?
Khan: Also, wir werden, jetzt wird, innerhalb der nächsten Woche wird der Rover Stück für Stück eingeschaltet und wird dann sich irgendwann in Bewegung setzen. Und ich gehe mal davon aus, dass wir wirklich fantastische Bilder sehen werden in den nächsten Tagen, denn es gibt eine Kamera an Bord, und das finde ich wirklich toll, die hat einen Film gemacht in HD, also in hochauflösender Videoform, den Abstieg. Da kann man sehen, wie der Hitzeschild abgesprengt wird, der Fallschirm rauskommt, wie der Boden immer näher kommt und wie das Ding dann aufsetzt, in Farbe und HD.
Heise: Das Ganze dann auf – also diese Oberfläche oder da, wo "Curiosity" gelandet ist, das ist ein – da ist ein Berg, da ist erst – nein, das ist erst mal ein großes Tal?
Khan: Ein Einschlagskrater, der dann hinterher zu einem See geworden ist.
Heise: Das heißt, es ist noch, es sind Spuren von Wasser, hofft man ja auch zu finden, oder?
Khan: Im Boden, ja, also man hofft auf die Veränderungen in dem Gestein, man will die finden, die Veränderungen im Gestein, die dadurch zustande gekommen sind, dass das Gestein dem Wasser ausgesetzt war über Jahrmillionen hinweg.
Heise: Und man will diesen Berg erforschen. Also geologische Geschichte des Mars soll erforscht werden, "Curiosity" soll sich da so hocharbeiten, den Berg hocharbeiten. Diese Frage nach den organischen Stoffen – hofft man, immer noch Leben zu finden auf dem Mars?
Khan: Das soll "Curiosity" nicht, aber man hofft natürlich, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob sich das Leben auf dem Mars gebildet hat oder zumindest einen Teil dieser Antwort. Denn wir wissen es einfach nicht, und wir haben, wir wissen so wenig über den Mars, dass wir noch nicht einmal auf der Oberfläche irgendwelche organischen Moleküle bis jetzt nachgewiesen haben. Also, wir wissen nicht, ob es auf der Oberfläche welche gibt oder nicht. Das heißt, wir wissen eigentlich nicht viel über den Mars, das kann man jetzt ganz klar so sagen.
Heise: Was wird "Curiosity" da machen? Das wird ja nicht nur filmen, sondern das hat ja, ich habe ja gesagt, Chemielaboratorium – wird es Proben nehmen? Wir funktioniert das?
Khan: Richtig. Also, man wird Proben entnehmen, man kann …
Heise: Nicht "man", weil man kann ja auf der Erde gar nichts machen. Das muss ja der Apparat da oben machen.
Khan: Das ist richtig. Die Wissenschaftler auf der Erde können dem Rover Befehle geben, können also sagen, pass mal auf, du fährst jetzt zu dem Stein da rüber, dann bohrst du den an. Dann guckst du dir das mit dem Mikroskop an, und die Daten speicherst du. Und dann fährst du da rüber, nimmst Bodenproben, tust die in den Ofen, erhitzt die auf 900 Grad, und die Gase, die kommen dann in den Gaschromatografen, dann schauen wir, was da für ein Material drin war. Dann fährst du zu dem Stein rüber und untersuchst, wie die eisenhaltigen Mineralien da zusammengesetzt sind, in welcher Konzentration. So sieht die Sequenz aus an Befehlen, die man diesem Rover dann gibt.
Heise: Und das Ganze nicht über Sonnenenergie gespeist, sondern mit Atom.
Khan: Mit einer Plutonium-, also einer sogenannten Radionukleidbatterie, einem Radioisotopengenerator, wo Plutonium zerfällt und dabei Wärme erzeugt, und aus dieser Wärme wird Strom erzeugt.
Heise: "Curiosity" ist mit zweieinhalb Milliarden US-Dollar ja die teuerste Raumsonde aller Zeiten. Mal ganz ehrlich: Lohnt sich dieser Aufwand? Wie ist das zu rechtfertigen? Mit welchen Ergebnissen?
Khan: Es ist halt so, dass die Kosten einer Raumfahrtmission damit ansteigen, wie viele qualifizierte Wissenschaftler daran beteiligt sind. Und die Anzahl der qualifizierten Wissenschaftler korreliert mit der Größe einer Mission. Und je größer eine Mission ist und je komplexer, desto mehr gute Leute brauchen, die da mitarbeiten und die wollen ja bezahlt werden. Und deswegen kostet das so viel. Aber jeder einzelne Dollar ist auf der Erde ausgegeben worden und kein einziger Dollar ist auf den Mars geschafft worden. Also was man auf den Mars geschickt hat, ist ein bisschen Plastik und Metall.
Heise: Also das heißt, Sie meinen, es rechtfertigt sich schon insofern, weil man die Menschen damit bezahlt hat, aber welche Ergebnisse, würden Sie sagen, würden dann dazu führen, dass man sagt, ja, okay, wir machen so weiter. Denn die USA ist ja erst mal jetzt, hat je erst mal alles zurückgefahren, was so Marsmissionen angeht.
Khan: Die USA ist jetzt in der Restrukturierung, die NASA ist in der Restrukturierung und baut jetzt zuerst mal auf diesen Erfolg, den sie da haben, nicht auf. Und man muss natürlich auch dazu sagen, wenn Sie die Zahl nennen, zweieinhalb Milliarden, dann ist das deswegen, also größtenteils dadurch, kommt das durch diese Landevorrichtung. Denn da steckte sehr viel Entwicklungsarbeit drin. Und fairerweise sollte man dann schon – also man sollte vernünftigerweise schon weitere Missionen machen, die diese Technik nutzen und die Kosten dann umlegen. Also man kann ja auch nicht beim Auto sagen, der Prototyp hat jetzt so und so viele Milliarden gekostet und alle anderen Autos kosten dann nur das, was es kostet, sie zu bauen.
Heise: Aber wenn die Amerikaner sich jetzt mehr oder weniger zurückziehen, Sie haben vorhin so begeistert von den amerikanischen Kollegen gesprochen – wer macht es denn dann weiter?
Khan: Die werden sich nicht zurückziehen. Die sind jetzt in der Restrukturierung und werden das weiter machen, also das ist ganz klar, das ist – es ist einfach nur eine der üblichen, oder eine der leider häufigen Phasen, wo versucht wird, irgendwas anders zu machen als vorher, aber im Prinzip wird man das, was erfolgreich ist, auch weiterführen. Die Amerikaner sind die Besten, die haben jetzt mehr Erfahrung als alle anderen zusammen. Ich meine, die haben jetzt auch so viele Raumsonden am Mars, erfolgreiche, die andere noch nie gehabt haben. Die haben es gerade mal geschafft, eine da hinzuschicken. Ich glaube nicht, dass die diesen Erfolg jetzt verkümmern lassen werden.
Heise: Wie wird Ihr Tag heute weitergehen? Werden Sie sich die ganze Zeit in die Bilder vertiefen?
Khan: Ich denke, ich muss meine ganz normale Arbeit machen, denn ich arbeite ja, ich werde ja nicht dafür bezahlt, fernzusehen, aber ich werde natürlich mit verfolgen – es kommt jetzt in – vielleicht kommen noch Bilder in besserer Qualität, aber die wirklich guten Bilder kommen erst in den nächsten Tagen.
Heise: Michael Khan muss also noch ein bisschen abwarten. Er ist Missionsanalytiker in Darmstadt beim Europäischen Raumflugkontrollzentrum. Herr Khan, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Khan: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Kann man sich immer gar nicht vorstellen, zu was für einem Jubel Wissenschaftler so fähig sind, vielleicht ja auch in Darmstadt bei der Esoc, dem Europäischen Raumflugkontrollzentrum. Da gibt es seit Tagen auch schon kein anderes Thema mehr. Entsprechend erleichtert ist man sicherlich auch dort. Ich begrüße bei der Esoc den Missionsanalytiker Michael Khan. Schönen guten Tag, Herr Khan!
Michael Khan: Guten Tag!
Heise: War es bei Ihnen auch so laut?
Khan: Ja, es war ziemlich laut, das kann man sagen.
Heise: Also, alle gucken gebannt auf die, nicht Videoleinwände, sondern auf ihre Rechner und sehen dann, wie dieser Kran diesen Rover absetzt, und dann wird gejubelt?
Khan: Ja. Also, na ja, man hat das natürlich nicht live verfolgt, sondern man hat nur Daten gesehen, man hat gesehen die Geschwindigkeit, und man hat vor allen Dingen die Voice-Loop im GPL gehört. Also das, was wir gesehen haben, war wirklich, war eine Kamera, die im Kontrollraum in Amerika steht, und haben eben mitgehört, was die sagen.
Heise: Ach so, genau, okay. Sie haben eben gerade dieses Bremsmanöver angesprochen. Von 20.000 Stundenkilometern die Stunde auf Null runterzubremsen. Wie ist das eigentlich möglich?
Khan: Das meiste davon war einfach durch den Luftwiderstand, das heißt, der trat in die Atmosphäre ein und der Hitzeschild hat die Wärme aufgenommen bei der Abbremsung, aber im Prinzip war das einfach über, also atmosphärische Bremsung.
Heise: Ein Landemanöver auf dem Mars, das die NASA ja auch dann nicht mehr steuern konnte, sondern man kann dann ja nur noch zuschauen. Erklären Sie mal dem Laien, welche Schwierigkeiten überwunden werden mussten, welche Präzision da eigentlich erforderlich war.
Khan: Ja, das ist richtig. Sie müssen praktisch von – in der Atmosphäre, da wird eingetreten in 120 Kilometern Höhe mit über 20.000 Stundenkilometern und dann müssen Sie auf der Oberfläche sieben Minuten später mit Geschwindigkeit Null, Horizontalgeschwindigkeit Null und Höhe Null zu stehen kommen. Und das ist eben die Herausforderung. Und hinzu kommt, dass in diesem ganzen Ablauf, dem ganzen technischen Ablauf waren 100 Punkte, wenn die schiefgegangen wären, wenn einer von denen schiefgegangen wäre, dann wäre das Ganze gescheitert. 100 einzelne Details in dieser Mission waren missionskritisch. Das muss man sich mal überlegen.
Heise: Wie ist das für so einen Wissenschaftler wie Sie? Hat man da das Gefühl, eigentlich geht es eher schief als gut?
Khan: Habe ich eigentlich nie so gedacht, weil ich wusste, dass die Amerikaner, also die von GPL, die sind allen anderen, die sind eigentlich die Besten der Welt, in der Hinsicht. Die haben einfach mehr Erfahrung, und wenn einer das in der Welt kann, dann die.
Heise: Wie ist das eigentlich beim Eintritt in die Marsatmosphäre. Die soll ja eigentlich eher nicht so ausgeprägt sein wie die zum Beispiel um die Erde, die Atmosphäre. Ist da Hitze ein großes Problem oder was ist da das Problem?
Khan: Ja, ich meine, ob die Atmosphäre dünn ist oder dick, ist eigentlich dann noch schlimmer – also, eine dünne Atmosphäre bedeutet ja, dass das Abbremsen erst sehr spät erfolgt. Wenn die Atmosphäre sehr dicht wäre, dann würde das Abbremsen über einen größeren Zeitraum ausgebreitet werden, und dann hätte man nicht so eine große Spitze darin. Und hier, da war eben eine sehr starke Abbremsung, und da hatte man maximal zwölf g, also zwölfmal die Erdbeschleunigung. Dafür war der Rover längst ausgelegt, das war also technisch innerhalb der Bedingungen, für die das Ding gebaut war.
Heise: So, und nun ist es, das Ding, also gelandet, sanft gelandet, und hat schon die ersten Bilder rübergefunkt. Was hat man da gesehen?
Khan: Ja, wir haben Glück gehabt, dass die tatsächlich, eine Orbitersonde die Daten während des Abstiegs übermitteln konnte, und dass man also eben in Echtzeit fast bis auf die 14 Minuten Verzögerung, die das Licht braucht, um vom Mars zu uns zu kommen …
Heise: Wenn man sich da mal die Entfernung vorstellen kann, noch mal?
Khan: 250 Millionen Kilometer. Also das ist weiter, als wir von der Sonne entfernt sind, ein ganzes Stück weiter. Wir sind 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, und das sind 250. Also diese – darunter waren auch ein paar Bilddaten, aber es war genauso wichtig auch, die technischen Daten, die Geschwindigkeit, die Höhe und der Zustand, also die technischen Daten an Bord, die Temperaturen, die Beschleunigung, solche Sachen.
Heise: Seit 2004 befinden sich ja schon "Spirit" und "Opportunity" auf dem Mars. Auch zwei Sonden. Ist diese heutige Aktion tatsächlich so viel spektakulärer? Ich meine, die sind ja auch irgendwie auf den Mars gekommen.
Khan: Die sind ja auch viel kleiner. Und deswegen konnte man sie noch mit diesen Airbags landen. Also die waren völlig umschlossen von Airbags und sind dann da mehrfach hart auf der Oberfläche aufgeprallt und dann irgendwann zum Liegen gekommen, vielleicht sogar über Kopf. Das kann man mit so einem großen Rover nicht machen. Den musste man wirklich, diesen hier, den musste man butterweich aufsetzen lassen, und genau das wurde auch gemacht. Also diese Raketenstufe, die hat geschwebt wie ein Hubschrauber in acht Meter Höhe und hat dann an einem Seil das langsam runtergelassen, und dann wurde das Seil durchtrennt, und dann konnte – nach dem Aufsetzen flog diese Raketenstufe weg und ist anderswo abgestürzt.
Heise: In Darmstadt, die Esoc ist ja indirekt auch ein bisschen beteiligt an dieser Mission, oder, durch Satelliten?
Khan: Ja, wir haben die, mit unserem – wir haben ja auch einen Orbiter, also eine Raumsonde, die in der Bahn um den Mars ist, die heißt "Marsexpress", seit 25.12.2003, und diese Sonde hat das Signal empfangen während des Abstiegs und hat das, was wir da empfangen haben, den Amerikanern übermittelt. Aber natürlich, was wir gemacht haben, unterstützt nur, und selbst wenn das jetzt gescheitert wäre, hätten wir auch nichts dran ändern können. Wir hätten nur dazu Material geliefert, um herausfinden zu können, warum und wann das gescheitert ist.
Heise: Michael Khan ist Missionsanalytiker in Darmstadt beim Europäischen Raumflugkontrollzentrum. Herr Khan, "Curiosity", übersetzt Wissbegierde, Neugierde, macht seinem Namen ja alle Ehre, ist ein Roboter mit unglaublicher Technik ausgerüstet, diversen Kameras natürlich, Röntgenapparaten, Chemielaboratorium, Laserwerfer. Heute gab es also schon mal erste Bilder von der Landung – wie geht es jetzt weiter?
Khan: Also, wir werden, jetzt wird, innerhalb der nächsten Woche wird der Rover Stück für Stück eingeschaltet und wird dann sich irgendwann in Bewegung setzen. Und ich gehe mal davon aus, dass wir wirklich fantastische Bilder sehen werden in den nächsten Tagen, denn es gibt eine Kamera an Bord, und das finde ich wirklich toll, die hat einen Film gemacht in HD, also in hochauflösender Videoform, den Abstieg. Da kann man sehen, wie der Hitzeschild abgesprengt wird, der Fallschirm rauskommt, wie der Boden immer näher kommt und wie das Ding dann aufsetzt, in Farbe und HD.
Heise: Das Ganze dann auf – also diese Oberfläche oder da, wo "Curiosity" gelandet ist, das ist ein – da ist ein Berg, da ist erst – nein, das ist erst mal ein großes Tal?
Khan: Ein Einschlagskrater, der dann hinterher zu einem See geworden ist.
Heise: Das heißt, es ist noch, es sind Spuren von Wasser, hofft man ja auch zu finden, oder?
Khan: Im Boden, ja, also man hofft auf die Veränderungen in dem Gestein, man will die finden, die Veränderungen im Gestein, die dadurch zustande gekommen sind, dass das Gestein dem Wasser ausgesetzt war über Jahrmillionen hinweg.
Heise: Und man will diesen Berg erforschen. Also geologische Geschichte des Mars soll erforscht werden, "Curiosity" soll sich da so hocharbeiten, den Berg hocharbeiten. Diese Frage nach den organischen Stoffen – hofft man, immer noch Leben zu finden auf dem Mars?
Khan: Das soll "Curiosity" nicht, aber man hofft natürlich, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob sich das Leben auf dem Mars gebildet hat oder zumindest einen Teil dieser Antwort. Denn wir wissen es einfach nicht, und wir haben, wir wissen so wenig über den Mars, dass wir noch nicht einmal auf der Oberfläche irgendwelche organischen Moleküle bis jetzt nachgewiesen haben. Also, wir wissen nicht, ob es auf der Oberfläche welche gibt oder nicht. Das heißt, wir wissen eigentlich nicht viel über den Mars, das kann man jetzt ganz klar so sagen.
Heise: Was wird "Curiosity" da machen? Das wird ja nicht nur filmen, sondern das hat ja, ich habe ja gesagt, Chemielaboratorium – wird es Proben nehmen? Wir funktioniert das?
Khan: Richtig. Also, man wird Proben entnehmen, man kann …
Heise: Nicht "man", weil man kann ja auf der Erde gar nichts machen. Das muss ja der Apparat da oben machen.
Khan: Das ist richtig. Die Wissenschaftler auf der Erde können dem Rover Befehle geben, können also sagen, pass mal auf, du fährst jetzt zu dem Stein da rüber, dann bohrst du den an. Dann guckst du dir das mit dem Mikroskop an, und die Daten speicherst du. Und dann fährst du da rüber, nimmst Bodenproben, tust die in den Ofen, erhitzt die auf 900 Grad, und die Gase, die kommen dann in den Gaschromatografen, dann schauen wir, was da für ein Material drin war. Dann fährst du zu dem Stein rüber und untersuchst, wie die eisenhaltigen Mineralien da zusammengesetzt sind, in welcher Konzentration. So sieht die Sequenz aus an Befehlen, die man diesem Rover dann gibt.
Heise: Und das Ganze nicht über Sonnenenergie gespeist, sondern mit Atom.
Khan: Mit einer Plutonium-, also einer sogenannten Radionukleidbatterie, einem Radioisotopengenerator, wo Plutonium zerfällt und dabei Wärme erzeugt, und aus dieser Wärme wird Strom erzeugt.
Heise: "Curiosity" ist mit zweieinhalb Milliarden US-Dollar ja die teuerste Raumsonde aller Zeiten. Mal ganz ehrlich: Lohnt sich dieser Aufwand? Wie ist das zu rechtfertigen? Mit welchen Ergebnissen?
Khan: Es ist halt so, dass die Kosten einer Raumfahrtmission damit ansteigen, wie viele qualifizierte Wissenschaftler daran beteiligt sind. Und die Anzahl der qualifizierten Wissenschaftler korreliert mit der Größe einer Mission. Und je größer eine Mission ist und je komplexer, desto mehr gute Leute brauchen, die da mitarbeiten und die wollen ja bezahlt werden. Und deswegen kostet das so viel. Aber jeder einzelne Dollar ist auf der Erde ausgegeben worden und kein einziger Dollar ist auf den Mars geschafft worden. Also was man auf den Mars geschickt hat, ist ein bisschen Plastik und Metall.
Heise: Also das heißt, Sie meinen, es rechtfertigt sich schon insofern, weil man die Menschen damit bezahlt hat, aber welche Ergebnisse, würden Sie sagen, würden dann dazu führen, dass man sagt, ja, okay, wir machen so weiter. Denn die USA ist ja erst mal jetzt, hat je erst mal alles zurückgefahren, was so Marsmissionen angeht.
Khan: Die USA ist jetzt in der Restrukturierung, die NASA ist in der Restrukturierung und baut jetzt zuerst mal auf diesen Erfolg, den sie da haben, nicht auf. Und man muss natürlich auch dazu sagen, wenn Sie die Zahl nennen, zweieinhalb Milliarden, dann ist das deswegen, also größtenteils dadurch, kommt das durch diese Landevorrichtung. Denn da steckte sehr viel Entwicklungsarbeit drin. Und fairerweise sollte man dann schon – also man sollte vernünftigerweise schon weitere Missionen machen, die diese Technik nutzen und die Kosten dann umlegen. Also man kann ja auch nicht beim Auto sagen, der Prototyp hat jetzt so und so viele Milliarden gekostet und alle anderen Autos kosten dann nur das, was es kostet, sie zu bauen.
Heise: Aber wenn die Amerikaner sich jetzt mehr oder weniger zurückziehen, Sie haben vorhin so begeistert von den amerikanischen Kollegen gesprochen – wer macht es denn dann weiter?
Khan: Die werden sich nicht zurückziehen. Die sind jetzt in der Restrukturierung und werden das weiter machen, also das ist ganz klar, das ist – es ist einfach nur eine der üblichen, oder eine der leider häufigen Phasen, wo versucht wird, irgendwas anders zu machen als vorher, aber im Prinzip wird man das, was erfolgreich ist, auch weiterführen. Die Amerikaner sind die Besten, die haben jetzt mehr Erfahrung als alle anderen zusammen. Ich meine, die haben jetzt auch so viele Raumsonden am Mars, erfolgreiche, die andere noch nie gehabt haben. Die haben es gerade mal geschafft, eine da hinzuschicken. Ich glaube nicht, dass die diesen Erfolg jetzt verkümmern lassen werden.
Heise: Wie wird Ihr Tag heute weitergehen? Werden Sie sich die ganze Zeit in die Bilder vertiefen?
Khan: Ich denke, ich muss meine ganz normale Arbeit machen, denn ich arbeite ja, ich werde ja nicht dafür bezahlt, fernzusehen, aber ich werde natürlich mit verfolgen – es kommt jetzt in – vielleicht kommen noch Bilder in besserer Qualität, aber die wirklich guten Bilder kommen erst in den nächsten Tagen.
Heise: Michael Khan muss also noch ein bisschen abwarten. Er ist Missionsanalytiker in Darmstadt beim Europäischen Raumflugkontrollzentrum. Herr Khan, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Khan: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.