Schlitzohr mit Charme
05:29 Minuten
Im Sommer 2021 kommt das Regiedebüt des Schauspielers Viggo Mortensen in die Kinos: "Falling". Für Kritiker Hartwig Tegeler die Gelegenheit, eine Karriere zu betrachten, die immer zwischen Blockbuster- und Arthouse-Kino wechselt.
Platz 5 – "Indian Runner" von Sean Penn (1991)
1968: Die Geschichte zweier ganz unterschiedlicher Brüder basiert auf Bruce Springsteens Song "Highway Patrolman". Der eine – David Morse – Kleinstadt-Sheriff, der andere Vietnam-Heimkehrer, der nie mehr zu Hause ankommen wird.
Viggo Mortensen spielt diesen Ex-Soldaten mit seinen Kriegstraumata wild, böse, teuflisch, vor allem aber selbstzerstörerisch. Wobei sich die Abgründe der posttraumatischen Belastungsstörung im verstörenden Wechselspiel zeigen zwischen physischem Ausdruck und dem im Gesicht von Viggo Mortensen. So wird Mortensen auch in den folgenden Jahren und Filmen faszinierende Präsenz erzeugen.
Platz 4 – "Die Akte Jane" von Ridley Scott (1997)
Was für einen Verriss erlebte diese Geschichte vom weiblichen Marine, die beweist, dass sie erfolgreich die Ausbildung zum Navy Seal durchlaufen kann. Filmische Wehrertüchtigung. Es geht um weibliche Selbstermächtigung, die hier die Transformation einer Frau in einen Mann voraussetzt. Insofern ist dieses "Lutsch meinen Schwanz!", das Demi Moore dem Ausbilder entgegenwirft, schon auf den Punkt. Ist das kritisch oder affirmativ gemeint? Eine Frage, die ein Hollywood-Blockbuster nie eindeutig beantwortet.
Viggo Mortensen spielt den sadistischen Ausbilder rein physisch, als Macho-Klischee. Komplexität der Figur? Nicht auszumachen. Kritisch oder affirmativ gemeint? Tja!?
Platz 3 – "Der Herr der Ringe" von Peter Jackson (2001-2003)
Schon mit seinem ersten Auftreten in Jacksons monumentaler Trilogie, in der dunklen Kneipe, in der die vier Hobbits geraten, wird das Geheimnis des Mannes, dass er kein Waldläufer ist, sondern Aragorn, der verheißene König, sichtbar in der Ausstrahlung von Ruhe, Kraft und Macht.
Am Ende vom "Herr(n) der Ringe" wird Aragorn den Königsthron besteigen und die Welt einen gegen das Böse. Fantasy pur. Aber Viggo Mortensen schafft es, den Mythos des "guten Königs" zum Leben zu erwecken und ihn in die Realität einer Filmfigur zu übertragen. Keine komplexe Psychologie, aber in jedem Fall Märchenkraft und reine Mortensen-Präsenz, die über acht Stunden und 55 Minuten Filmzeit einen großen Sog erzeugt.
Platz 2 – "Eine dunkle Begierde" von David Cronenberg (2011)
Wien, Anfang des 20. Jahrhunderts: Freud (Viggo Mortensen) und sein Gegenspieler C. G. Jung (Michael Fassbender). Die beiden Begründer der Psychoanalyse, die sich auf den unerforschten Kontinent der Seele begeben, um das psychische Leid der Menschen zu erforschen, erweisen sich im Film als getrieben von Macht, Ehrgeiz und Missgunst.
Freud sagt zu einer Schülerin Jungs: "Ich habe mich schlicht ihn ihm getäuscht. Ich dachte, er wäre imstande, unsere Arbeit nach meinem Ableben fortzusetzen." Der Film betreibt die Dekonstruktion der Geistesheroen. Viggo Mortensen lässt Freud dabei ganz aus der Psychologie der Figur entstehen. Sehr spannend.
Platz 1 – "Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück" von Matt Ross (2016)
Der Aussteiger Ben lebt mit seinen sechs Kindern in der Einsamkeit der Berge. Er bringt ihnen alles bei, Quantentheorie, klassische Literatur und die Liebe zu Bach, aber auch die Kunst, mit dem Messer Wild zu erlegen. Für das Begräbnis der Mutter müssen Ben und die Kinder der "normalen" Welt entgegentreten. Wie viel Freiheit jenseits der Normalität darf sein? Ben und Jack, sein Schwiegervater, knallharter Geschäftsmann, treffen aufeinander als Antipoden. Der Schwiegervater stellt berechtigte Fragen: Woher nimmt Ben die Legitimation, seinen Kindern den eigenen Traum aufzudrücken?
Am Ende von "Captain Fantastic" ein nachdenkliches, versöhnliches Bild. Die Familie ist auf einen Bauernhof gezogen, Bens Kinder gehen in eine reguläre Schule. Frühstück, danach haben alle noch ein wenig Zeit, die sie nutzen, um zu lesen.
Dem Maler, Musiker, Dichter, Fotografen, Regisseur und Schauspieler Viggo Mortensen dürfte diese letzte Szene von "Captain Fantastic" gefallen haben, in der das wilde und unangepasste, nicht bürgerliche Leben den Konflikt mit der Zivilisation in der Bildung befriedet.