Gesichter eines Gangsters
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Al Capones Lebensgeschichte ist ein Kino-Mythos. Gerade erst hat Tom Hardy den Gangsterboss gespielt und dabei radikal dekonstruiert. Ein guter Anlass für eine Bestenliste "Al Capone im Kino".
Platz 5 – Stephen Graham in "Boardwalk Empire" (2010-2014)
Nun gut, nicht vom "Tellerwäscher", aber vom "Rausschmeißer zum Millionär": Anfangs ist dieser Capone noch ein wenig devot, er trägt noch keinen Fedora-Hut, sondern Schiebermütze. Zunächst ist er Fahrer, Leibwächter und Rausschmeißer. Aber er schafft sich bereits Loyalitäten und Abhängigkeiten: "Wenn ich hochkomme, bist du mit von der Partie", sagt er zu seinem Kumpel.
In "Boardwalk Empire" wirkt Narbengesicht "Scarface"-Capone – hier eine Nebenfigur der Serie – fast noch berechenbar. Kumpelhaft gibt Stephen Graham den späteren Gangsterboss, der aber schon ausgestattet ist mit kapitalistischer Aufsteiger-Energie. Ein halbes Jahrhundert davor fehlt solch Joviales noch.
Platz 4 – Rod Steiger in "Al Capone" von Richard Wilson (1959)
1919, ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkrieges, ein Jahr vor Beginn der Prohibition: Capone kommt als Gefolgsmann des Mafioso Johnny Torrio nach Chicago. In welcher Reihenfolge er seine Konkurrenten aus dem Weg räumt, wird bald unübersichtlich.
Signifikant ist aber das Lauernde, Schlangenhafte, Satanische, mit dem Rod Steiger diesen skrupellosen Gangster von Anfang an ausstattet. Dunkel ist dieses Porträt von 1959, auch wenn das Blut in diesem Schwarz-Weiß-Film nicht rot spritzt.
Platz 3 – Jason Robards in "Chicago-Massaker" von Roger Corman (1967)
Das vorherrschende Geräusch in diesem Capone-Film ist der Sound der Maschinenpistolen-Salven aus den Gangsterautos. Bei Corman steht das Valentinstag-Massaker von 1929 im Mittelpunkt, der Höhepunkt der blutigen Bandenkriege um die Vorherrschaft in Chicago.
Hier, in dieser Ordnung jenseits der bürgerlichen, ist der von Jason Robards gespielte Capone der absolute Herrscher. Gnadenlos, cholerisch, sadistisch und hinterhältig ist er, wenn er den Baseball-Schläger nimmt und die beiden Verräter im Smoking zu Klump haut, vorher aber noch wütend die - neben dem Fedora stilbildende - dicke Zigarre auf den Boden wirft.
Platz 2 – Robert de Niro in "Die Unbestechlichen" von Brian de Palma (1987)
Die blutige Szene mit Smoking und Baseballschläger ist als Remake auch zentral für das Capone-Bild zwanzig Jahre später. Diese Brutalität ist aber immer konterkariert mit Capones Fähigkeit und Wissen, dass das Wichtige für den König die Macht über das eigene Bild ist.
Wir sehen also Robert de Niros dreckiges Grinsen beim Abhalten von Gangster-Pressekonferenzen, vor ihm die Herde nickender Reporter, während Capone doziert: "Stellen Sie sich einen Boxkampf vor. Sie warten, bis der Kampf vorbei ist. Derjenige, der noch steht, ist derjenige, der den Kampf gewonnen hat!"
Al Capones Ende, der Sturz des Gangsterkönigs, ist auch bei de Palma erbärmlich banal: Es ist die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, dann der Knast – Alcatraz –, der körperliche Verfall, das Ende in der Villa in Florida.
Platz 1 – Tom Hardy in "Capone" von Josh Trank (2020)
Da, in der Villa, das letzte Lebensjahr. Al Capone ist erst 48 Jahre alt, dement, inkontinent, die dicke Zigarre im Mundwinkel gegen Ende dann durch eine Karotte ersetzt. Er merkt es nicht mehr – was für eine Demütigung.
Die radikale Dekonstruktion des Gangsterkönigs treibt Tom Hardy mit aufgedunsenem Gesicht und ewig schwitzend auf die Spitze, wenn dieser Capone in einem Anfall von Wahnsinn mit seiner goldenen Maschinenpistole – so eine, wie wir sie aus all den Capone-Filmen und den Chicago-Mafia-Shotouts kennen, ein Requisit vergangener Macht –, wenn er mit dieser Maschinenpistole also um sich ballert, den Morgenmantel offen, und wir seine schlabbernden Windeln sehen.
Dieser Film zelebriert eine unbedingt nötige Unerträglichkeit, die ein Al-Capone-Biopic braucht. Der Gangster-Mythos hat sich ins Nichts aufgelöst. Am 25. Januar 1947 ist Al Capone gestorben.