Eine andere Form der Wahrheit
05:35 Minuten
Ob im Roman, auf der Bühne oder im Kino: Lügner, Hochstapler und Betrüger faszinieren das Publikum. Im Film kann diese Figur auf eine bis heute anhaltende Tradition zurückblicken: Sie hat immer Konjunktur.
Platz 5 – "The Good Liar – Das alte Böse" von Bill Condon (2019)
Wer kann es besser: er oder sie? Na ja! Es beginnt bei diesem Date mit einer von vielen, Lügen, die Roy loslässt, als er Betty das erste Mal trifft. Lügengebäude! Die hier ist noch banal: "Um die Wahrheit zu sagen, ich bin ein paar Mal um den Block gelaufen, wegen der Schmetterlinge im Bauch."
Roy (Ian McKellen) will auch Betty (Helen Mirren) das Geld aus der Tasche ziehen. Er ist Trickser, Betrüger und Lügner auf Profiniveau. Die Lust an der perfekten Lüge als Basis eines nicht minder perfekten Coups. Nur hat Roy in Betty seine Meisterin gefunden. Die wird nämlich nicht von Perfektionsdrang bzw. Obsessionen, sondern von einem Rachewunsch getrieben.
Showdown: Lüge trifft hier auf Lüge, und natürlich besteht der Reiz in der Frage, welches Lügengebäude sich am Ende als das realitätstüchtigere erweist. Will sagen: Roy hat keine Chance. Sein Schlaganfall ist wohl vor allem Folge der fulminanten narzisstischen Kränkung zu erleben, dass er nicht Herr seines Lügenuniversums ist.
Platz 4 – "Match Point" von Woody Allen (2005)
Chris ist die britische Felix-Krull-Variante: Hochstapler, Aufsteiger, nur um einiges böser, brutaler als der deutsche Kollege, denn Chris geht nicht nur metaphorisch über Leichen. Dass Ehrgeiz, Liebe und gesellschaftlicher Erfolg sich selten harmonisch paaren, sondern nicht selten Schummelei, Unwahrheit oder perfekte Lügen brauchen, das ist die böse Moral von dieser Geschichte.
"Ich denke, meine Karriere ist nicht so gelaufen wie geplant", sagt die Geliebte von Chris. Der Aufsteiger entgegnet: "Ich denke, das Glück spielt immer eine große Rolle." Gemeint ist natürlich: das von ihm lügend angeschobene Glück.
Platz 3 – "Verleugnung" von Mick Jackson (2016)
Das Infragestellen der Shoah und das Kino, das auf der historischen Wahrheit besteht: Im Jahr 1996 strengte der Holocaustleugner David Irving gegen Deborah Lipstadt eine Verleumdungsklage an. Die Professorin warf ihm in einem Buch systematische Geschichtsverfälschung vor. Die Wahrheit als Gegenpol zu Fake News, gegen "alternative Fakten" und gegen das Postfaktische.
Vor Gericht entsteht dramatische Spannung. Das Lügengebäude und sein ideologisches Fundament werden Stein für Stein abgetragen. Wenn der Richter in seiner Urteilsverkündung im Jahr 2000 zu dem Schluss kommt, "dass die Verfälschung der historischen Sachverhalte absichtlich geschah", so tritt er damit auch für die Aufklärung ein.
Platz 2 – "Persischstunden" von Vadim Perelman (2020)
Das Lügen in der Shoah als Kommunikationsstrategie, um zu überleben: Hier gelingt es. Gilles, Sohn eines Rabbis, schwört, dass er Perser sei. Perser! Und kein Jude, den die SS-Killer sofort erschießen würden. So kommt Gilles unverhofft zu einem Job, denn der KZ-Koch und Hauptsturmführer will nach dem Krieg, von dem er nicht annimmt, dass ihn die Deutschen gewinnen, in Teheran ein Restaurant aufmachen.
Der vorgebliche Perser soll ihm Farsi beibringen. Die Namen auf den KZ-Listen der Gefangenen und Ermordeten inspirieren den jungen Mann, der nur überleben will, zu den fiktiven Vokabeln. Gilles´ kann nämlich kein Farsi, er "erlügt" sich eine Sprache. Keine Lüge ist es, wenn Gilles, als einer der wenigen Überlebenden des KZs, am Ende den Alliierten 2840 Namen von Ermordeten aus der Erinnerung auflistet.
Platz 1 – "Jakob der Lügner" von Frank Beyer (1974)
Jakob sagt: "Ich sage dir die Wahrheit." Er lügt, wenn er behauptet, er hätte ein Radio. Noch einmal: das Lügen im Getto inmitten der Shoah noch einmal. Lügen, um eine Hoffnung zu suggerieren, die Kraft fürs Überleben zu schüren. Doch das wird nicht gelingen.
Jakob hört im Hauptquartier der Gestapo zufällig die Meldung im Radio, dass die Russen schon fünf Kilometer weiter Richtung Westen vorgestoßen sind. Das lässt die Leute im Getto, die am Ende deportiert werden, hoffen. Jakob erfindet immer weiter aktuelle, Hoffnung spendende Nachrichten, die alle gerne hören wollen.
Jakob erschafft etwas, das der Lüge an sich ganz fremd zu sein schien: Angesichts der drohenden Vernichtung wird sie paradoxerweise zu einem Akt der Kommunikation in Würde.