Flucht vor der Wirklichkeit
Besser mal abschalten: Die Affen wollen lieber nichts hören, sehen oder sagen. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Die besten Filme übers Ausblenden
Kein Filmbild ohne Blende. Aber was, wenn man die Bilder, Farben, Eindrücke gar nicht wahrnehmen möchte? Krieg, Krise und Corona ausblenden? Wir präsentieren die besten Filme, die vor der Wirklichkeit die Augen verschließen.
Urlaubszeit, Entspannungszeit? Ja, normalerweise ist das so. Die globale Nachrichtenlage macht das aber alles andere als einfach: Ukraine-Krieg, Corona, Dürre, Waldbrände. Das Medium des Eskapismus, das Kino, hat viel im Angebot, um die Wirklichkeit auszublenden. Aber spannend wird das Kino besonders, wenn sich beim eskapistischen Versuch Problematisches in die Geschichten einschreibt.
Platz 5 – „Bis zum letzten Mann – Fort Apache“ von John Ford (1947)
Im Fort, der permanenten Befestigungsanlage, gibt es Zivilisation im Rahmen der militärischen Ordnung - und damit auch Sicherheit und Entspannung. Von den hohen Mauern oder Palisaden aus kann man in die Ferne, besser die Fremde schauen. Wo das Unbekannte mit den sogenannten Wilden lauert, also die Apachen und ihr Anführer Cochise, die die US-Kavallerie jahrelang an der Nase herumführen.
Das Drinnen und Draußen sind im labilen Gleichgewicht, bis die Ordnungsmacht – die Kavallerie – denen da draußen eine Ordnung aufzwingen will, was man Eroberung oder Kolonialisierung zu nennen pflegt. Wo sind die Apachen? Der Hauptmann klärt den verbohrten Oberst auf: „Sie sind da oben, zwischen den Felsen, Herr Oberst.“ Selbiger will es nicht wahrhaben: „Sehr fantasievoll, Hauptmann. Sie meinen wahrscheinlich, ihr Cochise hat das Talent von Alexander dem Großen oder Bonaparte.“ Doch, er hat dieses Talent. Solche Vorurteile führen zu folgenreichen Fehleinschätzungen.
Man muss also genau hinschauen, alle Aspekte der Realität draußen im fremden Land wahrnehmen, um zu überleben. Alles andere ist – wie im Fall von „Bis zum letzten Mann“ – selbstmörderisch.
Platz 4 – „The Village – Das Dorf“ von M. Night Shyamalan (2004)
Das ist die Alternative zum Fort: selbst einen Kosmos zu bauen, in dem das Draußen als gar nicht mehr existent erscheint. Doch basiert die scheinbar friedliche Abgeschiedenheit des Dorfes auf einer großen Inszenierung, der Behauptung, dass es das 19. Jahrhundert und nicht Jetztzeit ist. Und die Monster im Wald sind auch nur Mummenschanz.
Natürlich schafft das keinen wirklichen Frieden. Bald fliegt den Dörflern ihre Abgeschiedenheit, ihr Wegschauen von der Realität um die Ohren.
Platz 3 – „Die letzten Tage in Kenya“ von Michael Radford (1987)
Das langweilige Leben in ihrer Kolonie ertragen die britischen Aristokraten nur durch Alkohol, Drogen und jeder Menge sexueller Orgien. Aber das Land außerhalb der luxuriösen Villen hat seine eigenen Gesetze. Denn da draußen sind beispielsweise die Massai. Ihre Rinderkultur versteht nur einer dieser Adeligen, nun, nicht wirklich, aber er ahnt etwas von dem anderen, wenn er den Massai sieht.
Culture Clash. Mit ihrer blinden Dekadenz im Dampfkochtopf ihrer Enklave bringen sich die britischen Kolonialherren gegenseitig um. Das hat Psychologik, die diese Selbstzerstörer natürlich mit ihrem Tunnelblick nicht begreifen können.
Platz 2 – „Happy End“ von Michael Haneke (2017)
Die Existenz einer französischen Industriellenfamilie in Calais geht den Bach runter, intern gibt es lauter familiäre Minenfelder, natürlich auch beim Abendessen. Nach außen wird der Schein gewahrt. Das Leben dieser Privilegierten findet wie in einer Blase statt.
Eine französische Variante der „Buddenbrooks“: Der alte Patriarch (Jean-Louis Trintignant) will sich immer wieder umbringen. Das wirkt am Ende gar lächerlich, weil seine abgeschottete Welt schon lange tot ist - kein Blick reicht oder reichte über sie hinaus, es sei denn der auf die Börsenkurse. Vielleicht sind die beiden einzigen Repräsentanten des Außen die Hausangestellten, gebürtig in Nordafrika.
Platz 1 – „Styx“ von Wolfgang Fischer (2018)
Rike hat als Notärztin einen harten Job. Wie könnte sie besser abschalten als beim Einhandsegeltörn auf dem Südatlantik. Alles ausblenden, was in ihrer Alltagsrealität den Stress ausmacht; allein, ganz auf sich gestellt sein. Doch das überladene Flüchtlingsschiff, das am Horizont auftaucht, bedeutet den Einbruch der Realität, die Rike für einen Moment hinter sich lassen wollte. Die Ärztin, hin- und hergerissen, hilft - kann aber nicht verhindern, dass viele Menschen sterben.
Am Ende wird ihr angekündigt, dass ein Verfahren gegen sie eröffnet wird, weil sie einen falschen „Mayday“-Notruf absetzte, um Rettungsschiffe herzulocken. Rike blickt am Ende starr, traumatisiert in die Kamera. Das war ihr Risiko, das sie auf sich genommen hat: Sie hat nichts ausgeblendet – das konnte sie nicht – sie hat hingeschaut.