Die besten Filme übers Verlieren

In Würde abtreten

05:36 Minuten
Physikprofessor Larry (links) und Nebenbuhler Sy nehmen sich in den Arm und schauen bedrückt.
Umarmungen trösten: Physikprofessor Larry (links) und Nebenbuhler Sy in "A Serious Man". © picture alliance / Everett Collection
Von Hartwig Tegeler |
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Dass Wahlverlierer das Verlieren nicht wahrhaben wollen, ist ein Thema, das die Grenze zum Drama berührt. Denn Verlieren ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Auch im Film gibt es gute und schlechte Verlierer.

Platz 5 – "A Serious Man" von Ethan und Joel Coen (2009)

Sein Name ist Hiob Gop..., Entschuldigung, nein, Larry Gopnik heißt der Mann, aber er könnte auch Hiob heißen, wie aus dem Alten Testament. Und wir können keine Sekunde glauben, was sein Kollege, der ihm seine Ehefrau ausgespannt hat, meint: "Larry, es wird alles gut!" Von wegen! Larrys beschauliches Leben hat sich aufgelöst. Warum?, fragt sich Larry. Fragt er einen Rabbi, der doch wissen müsste, warum der Physikprofessor, Ehemann und Vater Familie, Beruf und mehr verliert. Der Rabbi gibt den kaum hilfreichen Satz von sich: "Diese Fragen, die sie so quälen, Larry, vielleicht sind die wie Zahnschmerzen. Sie haben sie ein Weilchen, und dann gehen sie weg." Von wegen! Zu verlieren inmitten der Absurdität des Seins, das macht bei den Gebrüdern Coen so viel Sinn wie das Gegenteil. Nennen wir es Irrwitz, dann liegen wir schon mal fast richtig.

Platz 4 – "Der Geschmack von Rost und Knochen" von Jacques Audiard (2012)

Stéphanie verliert bei einem Unfall beide Beine. Sie verfällt in Depressionen. Dann taucht Ali auf. Er holt die Beinlose aus ihrer verdunkelten Wohnung. Ali beginnt, der Frau zurück ins Leben zu helfen. Am Ende gibt es eine sehr romantische Lösung: Es ist die Liebe, die sie rettet, es ihr ermöglicht, mit dem Verlust umzugehen. Aber sie rettet auch ihn, den Verpanzerten, der fast seinen Sohn verlor. Mit den Fäusten schlug Ali das Eis des Sees auf, in dem sein Sohn zu ertrinken drohte. Ein quasi therapeutischer Befreiungsschlag; blutig, brutal, entsetzlich, aber mit nachhaltiger Wirkung.

Platz 3 – "Blue Jasmine" von Woody Allen (2013)

Jasmine hat ihr luxuriöses Leben in New York verloren und strandet bei ihrer Schwester in San Francisco. Ihre Neffen sind skeptisch, ob die Ex-High-Society-Lady nicht eine notorische Verliererin ist … und bleibt. Ihre Neffen konstatieren: "Mom sagt, früher warst du mal okay. Und dann warst du verrückt." Nicht ganz unrecht haben die Kleinen: Was Tante Jasmine Tag für Tag verbrät, ist eine Legende des Schmalzes, mit dem sie ihr altes Leben zutüncht. Und Demut ist nicht ihre Sache. Jasmine: ganz schlechte Verliererin, festgezurrt im Gestrüpp von Lebenslügen und ihrer Selbststilisierung als Opfer – inklusive Realitätsverlust.

Platz 2 – "Leid und Herrlichkeit" von Pedro Almodóvar (2019)

Und wenn die Jugend verloren ist, das Alter ist schon gekommen. Der alte Regisseur trifft den alten Hauptdarsteller seines alten Films. Jetzt ein ausgewiesener Klassiker. Und nun ist Salvador mittendrin in seiner Vergangenheit. Der Mann hat fürchterliche Rückenschmerzen, andere Krankheiten auch, neigt zum Hypochonder. Ist aber vor allem jetzt, am Ende der Karriere, abgeschnitten von der Arbeit. Alles weg? Verloren? Nein, nicht wie bei Woody Allens Jasmine. Denn Almodóvar lässt Salvador den schmerzhaften Weg der Erinnerung gehen, zurück zu den Lebenslügen, Selbsttäuschungen. Vielleicht liegt die große Weisheit bei Almodóvar in der Struktur der Erzählung, die Erinnerung ist, also ein Zurück, aus dem sich ein Vorwärts überhaupt erst ergeben kann. Und bei dem sich der Verlust am Ende als Illusion erweist.

Platz 1 – "A Ghost Story" von David Lowery (2017)

Die radikalste Form des Verlierens: das des Lebens. C, Musiker, ahnt, als er noch lebt, etwas über den Tod, über sich im Tod und sinniert: "Man tut, was man kann, um sicherzugehen, dass man auch noch hier ist, wenn man fort ist." Das zieht er mit irrwitziger Konsequenz durch, dass "noch Bleiben", wenn man schon fort ist. C wohnt mit seiner Frau in einem Haus. C stirbt. Autounfall. Dann kehrt er in das Haus zurück. Wir sehen, wie er als Geist in seiner weißen Bettlaken-Gestalt, nun gebunden an das Haus, seine Frau beobachtet, wie sie trauert, wie sie anfängt weiter zu leben, wie sie auszieht. Doch der Geist kann das Haus nicht verlassen. Tage, Wochen, Jahre. Aber worauf wartet C als Geist? Am Ende wird das Haus abgerissen, ein Wolkenkratzer entsteht, aber der Geist kann immer noch nicht gehen. Nicht loslassen. "A Ghost Story" ist die Geschichte eines Wesens, das sich gegen die Vergänglichkeit stemmt. Eine Geschichte also über uns, unsere Unfähigkeit zu trauern … und zu verlieren.
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