"Die besten Schiffbauer der Welt"
Der Dokumentarfilmer Dieter Schumann hat über Jahre den Niedergang der Wismarer Wadan-Werft begleitet. Dabei zeigt er Menschen, die mit großer Emotionalität ihrer Arbeit nachgehen und allmählich verstehen lernen müssen, dass es ihr Unternehmen eines Tages nicht mehr geben wird.
Britta Bürger: In Wismar hängt das Einkommen jeder dritten Familie von der Wadan-Werft ab, dem einzigen Großbetrieb in der Region. Doch die Werft ist nicht mehr das, was sie einst war. Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Nachfrage nach Schiffen aus Deutschland dramatisch eingebrochen. Damit hatten weder der russische Investor, der die Werft vor drei Jahren übernommen hatte, gerechnet, noch die Schiffbauer, die seit 20, 30 und noch mehr Jahren auf der Werft arbeiten. Was in ihnen vorging, als der Insolvenzverwalter die düsteren Aussichten verkündete, das hat der Dokumentarfilmer Dieter Schumann beobachtet. Und zum heutigen Filmstart von "Wadans Welt" ist er unser Gast. Herzlich willkommen, Herr Schumann!
Dieter Schumann: Ja, danke schön!
Bürger: Sie kommen nicht nur selbst aus Mecklenburg-Vorpommern, Sie sind auch selbst jahrelang zur See gefahren. Was sind die Schiffbauer aus Norddeutschland für ein Menschenschlag?
Schumann: Sie sind eigentlich wie sehr viele Mecklenburger erst mal sehr bodenständig, machen keine großen Sprüche oder nicht viel Gewese um die Dinge und sind einfach handfeste Burschen, würde ich so sagen.
Bürger: In den Berichten der Nachrichtensendungen über die Krise der Werft, da ging es ja vor allen Dingen um Zahlen, um Fakten, aber nie um diese emotionale, diese existenzielle Seite. Sie legen jetzt frei, vor der Kulisse dieser gigantischen Werkshallen, was diese Männer empfinden angesichts der drohenden Arbeitslosigkeit. Wie ist es Ihnen gelungen, so nah an die Männer heranzukommen?
Schumann: Na, ich denke, das, was Sie erwähnten, dieser Stallgeruch, den ich, glaube ich, mitgebracht habe aufgrund dessen, weil ich eben selber auf diesen Schiffen gefahren bin, die dort auch gebaut wurden und werden, das merken die ziemlich schnell. Und wir haben uns … - vor dieser Krise da schon mehrere Monate habe ich versucht, da Kontakt zu bekommen. Ja, und ich hab natürlich zuallererst versucht, Leute zu finden, die immer noch mit ihrer Hände Arbeit das tun.
Bürger: Sie zeigen, wie der Gedanke der drohenden Arbeitslosigkeit so langsam in das Bewusstsein dieser ja eher wortkargen Männer hineinrieselt. 18 Monate lang haben Sie in Wismar gedreht, vom Moment der Übernahme durch den russischen Investor über die Zeit der Finanzkrise bis dann jetzt zum Neubeginn. Und Sie waren sowohl beim letzten Arbeitstag vor der Schließung dabei als auch beim ersten nach der Wiedereröffnung. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Schumann: Was, glaube ich, wirklich auch durch diese Krise zum ersten Mal ins Bewusstsein dieser Menschen und der Leute dort auf der Werft gedrungen ist, dass es tatsächlich eine Aufhebung von Arbeit überhaupt für sie geben könnte. Es gab ja mehrere Besitzerwechsel nach der Wende. Es gab ja diesen großen Einbruch mit dem Bremer Vulkan, der das übernommen hatte und dort 800 Millionen rausgezogen hat, dann Pleite gegangen ist.
Aber immer wieder hat der Staat, aufgrund der Größe auch dieser Unternehmen, eingegriffen, hat das aufgefangen, hat wieder investiert, hat wieder reprivatisiert, sodass der Eindruck entstand für die Arbeiter, wir sind eigentlich zu wichtig.
Und insofern war für sie das undenkbar, dass es tatsächlich mal zu Ende gehen könnte. Und als es hier im Rahmen dieser weltweiten Wirtschaftskrise tatsächlich zu einer Schließung kam, da haben die zum ersten Mal begriffen, dass sie noch so gut arbeiten können, sie können noch so viel eigentlich leisten, das spielt keine Rolle. Sie sind dann mit einem Mal ein Spielball dieser globalen Kräfte, die sie auch nicht verstanden haben, und da ist dieses Urvertrauen – und das ist, glaube ich, der Kern oder die Antwort auf Ihre Frage – das Urvertrauen, das die Gesellschaft regulieren kann, dass sie sie schützen kann, das ist weg.
Bürger: Und es geht um diesen Wert der Arbeit, der verlorengegangen ist, der Wert der Arbeit, der nicht nur der Lohn ist.
Schumann: Das wird ja auch im Film dann mehrfach gesagt. Das ist eine ganz moderne Werft. Die gelten wirklich als die besten Schiffbauer der Welt, und die konnten es überhaupt nicht verstehen, dass sie quasi ihr Bestes geben, dass es auch nicht von ihrer Leistung abhängt, auch nicht von der Technologie, sondern dass hier irgendwelche nicht greifbaren Mächte da über sie kommen und quasi gewaltiger sind als das alles, was sie selber beeinflussen können.
Bürger: Das ist ja ein unglaublicher Knochenjob, den diese Männer zum Teil seit über 30 Jahren machen. Und das ist auch so berührend in diesem Film, fand ich, zu sehen, mit welchem Herzblut, mit welcher Identifikation die Männer Tag für Tag morgens um sechs zur Arbeit gehen – kein Murren, kein Meckern, nur Stolz darauf, dazuzugehören. Ich hab mich dann gefragt, ob das wirklich so ist. Gab es keine Gegenbeispiele? Sie haben ja im Grunde allesamt Helden der Arbeit gezeigt.
Schumann: Na ja, der eine, Knolle, einer unserer Haupthelden, der sagt, er hat schon, in seinen 27 Jahren hat er schon viele kommen und gehen gesehen. Und ich glaube, das ist der Schlüssel und das Geheimnis. Leute, die nicht mit Herzblut dabei sind, also a) erst mal diese körperliche natürlich Belastung aushalten, aber nicht mit Herzblut dabei sind, die halten da nicht durch. Interessant war auch, das geht eigentlich von der Geschäftsführung wirklich bis zum Lehrling, dass die sagen, Schiffbau ist eine emotionale Angelegenheit.
Bürger: Und doch hat es ein bisschen was von Idealisierung, von Heroisierung. Sie haben dem Film nämlich eine Klammer gegeben, in der Sie mit einigen poetischen Sequenzen den Niedergang der Werft in der Göttersage von Wotan spiegeln: Wadan, das ist der russische Name für den germanischen Gott Wotan. Warum haben Sie sich für diese zusätzliche Ebene entschieden, denn ansonsten ist der Film ja klassisches Dok-Kino in der Tradition der DEFA?
Schumann: Na, aus zweierlei Gründen: Zum einen hatte ja der russische Investor Burlakow bei der Übernahme der Werft genau diesen Namen gegeben, "Wadan" slawischer Begriff für "Wotan". Und da haben wir dann mal nachgeschaut – und das war noch vor der Krise – und haben festgestellt, dass der Wotan in der letzten Götterschlacht gegen die Riesen untergeht.
Und da haben wir gedacht, oh, oh, wird das nicht vielleicht ein merkwürdiges Omen sein, was da in Erfüllung geht? Und dann nach wenigen Wochen trat ja dann diese Wirtschaftskrise ein, und diese Werften begannen in dem Strudel eigentlich der Wirtschaftskrise auch unterzugehen. Und das fand ich erst mal eine merkwürdige Übereinstimmung mit dieser Sage. Und zum anderen, wenn man dann mal stärker hineinschaut, diese Legenden und Mythen, die sind ja auch in irgendwelchen Zeiten entstanden, wo Menschen auch existenziell bewegt waren. Was hier passiert ist, glaube ich, in dieser Wirtschaftskrise, wo scheinbar übermächtige Kräfte, die vom Einzelnen nicht mehr zu fassen sind, wirken – wer sind die Riesen, wer sind die Götter, wer sind die Giganten, wer sind auch die Einherjer, das sind die Helden, die in die Schlacht ziehen? –, irgendwie fand ich das doch adäquat, was für globale Kräfte dort walten. Und wenn man sich unsere Schweißer anguckt mit ihren Rüstungen – Sie haben es ja gesehen, die sehen ja auch so aus mit ihren …
Bürger: Schutzkleidung, wirklich Schutzkleidung wie eine Rüstung, x Schichten werden da übereinandergelegt …
Schumann: Ja, und die …
Bürger: Mützen, Brillen, Helme …
Schumann: Ja, ja, genau, sie nuten und sie gehen mit Feuer, sie gehen mit Eisen um. Und da habe ich gesagt, also wir trauen uns das. Ich glaube, das ist ein legitimer Zugriff.
Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Dieter Schumann, der einen Film über die krisengeschüttelte Wadan-Werft in Wismar gedreht hat. Heute kommt er in die Kinos. - Sie haben mit dem Film bereits eine ganze Reihe von Preisen auf Filmfestivals bekommen und doch wird er vermutlich nur ein kleines Kinopublikum erreichen. Woher nehmen Sie den langen Atem für solche Projekte?
Schumann: Na ja, ich denke, als Dokumentarfilmer hat man immer zwei Aspekte im Auge. Das eine ist, aktuell Dinge zu begleiten, wie jetzt auch sagen wir mal diese Krise, wie sie konkret auf Menschen gewirkt hat. Das andere ist aber, was mich bewegt hat, dass wir in einer Zeit leben, wo diese Art von schwerindustriellen Arbeitern aussterben. Das ist also ein Produktionsweise mit einer besonderen Prägung auch von Menschen, die sagen wir mal verschwindet. Und da finde ich, ist es eine Aufgabe des Dokumentarfilms, der Dokumentaristen, diese Arbeits- und Lebenskultur als audiovisuelles Gedächtnis festzuhalten. In 50 Jahren, da wird mal gefragt, wie wurden damals Schiffe gebaut, wie sahen die Menschen aus? Das ist alles das, was, glaube ich, auch der Tagesjournalismus eben nicht und auch die Printmedien eben nicht übermitteln können. Dazu sind Dokumentarfilmer da.
Bürger: Haben Sie den Film eigentlich auch in Wismar vorgeführt?
Schumann: Am Sonntag hatten wir die Vorführung vor den Wismaranern – wir haben es natürlich den Schweißern selbst viel vorher gezeigt –, aber das war eine sehr emotionale Veranstaltung. Da gab es viele Tränen.
Das Gute ist aber, dass der Film nicht nur traurig macht. Es ist ja nicht ein Film, wo dann alle sagen, na, das sind die Verlierer, da geht ein Beruf unter, der Schiffbauer, sondern er zeigt ja auch wirklich diese Kraft und diesen Stolz dieser Leute. Und das ist das, was uns auch im Ausland immer wieder entgegenkommt, dass sie sagen, das sind ja dolle Figuren, die haben …
Bürger: Zum Beispiel beim Filmfestival in Toronto.
Schumann: Genau. Da gab es ja diese Reihe, "Workers of the World", was mich sehr verwundert hat. Aber Hintergrund ist, dass wir ja momentan global diesen Wandel der Arbeitswelt haben, und die Frage, wo bleibt der Mensch eigentlich in diesem Wandel. Scheinbar liegt es auch an der Zeit.
Bürger: Einige der Schweißer sind ja vom letzten Investor zu deutlich schlechteren Bedingungen wieder eingestellt worden, wobei es hieß, die neuen Dumpinglöhne, die könnten nach und nach möglicherweise wieder angehoben werden, eventuell werden noch mehr Arbeiter wieder eingestellt. Jetzt reden alle vom großen Aufschwung in Deutschland – ist der in der Werft angekommen? Wurden die gekürzten Löhne tatsächlich angehoben?
Schumann: Nein, glaube ich nicht. Ich glaube, so funktioniert ja der Kapitalismus: Alles, was er einstmals als Kürzung hat erreichen können, das gibt er nicht so ganz schnell wieder frei. Zum anderen ist die Werft immer noch nicht so richtig in Tritt gekommen, sie haben erste Aufträge, aber der neue russische Investor hat es auch schwer, viel Misstrauen schlägt ihm entgegen. Das andere ist dieses System, stetige Arbeitsplätze auf Leiharbeitsplätze umzuverlagern, mit all den Erniedrigungen, will ich mal so sagen, und auch Vertrauensverlust beim Menschen. Und das, glaube ich, da müssen wir hinschauen und dürfen nicht die Augen verschließen.
Bürger: Heute startet Dieter Schumanns Dokumentarfilm "Wadans Welt" in ausgewählten deutschen Kinos. Danke, Herr Schumann, dass Sie bei uns waren!
Schumann: Danke, dass ich kommen durfte!
Dieter Schumann: Ja, danke schön!
Bürger: Sie kommen nicht nur selbst aus Mecklenburg-Vorpommern, Sie sind auch selbst jahrelang zur See gefahren. Was sind die Schiffbauer aus Norddeutschland für ein Menschenschlag?
Schumann: Sie sind eigentlich wie sehr viele Mecklenburger erst mal sehr bodenständig, machen keine großen Sprüche oder nicht viel Gewese um die Dinge und sind einfach handfeste Burschen, würde ich so sagen.
Bürger: In den Berichten der Nachrichtensendungen über die Krise der Werft, da ging es ja vor allen Dingen um Zahlen, um Fakten, aber nie um diese emotionale, diese existenzielle Seite. Sie legen jetzt frei, vor der Kulisse dieser gigantischen Werkshallen, was diese Männer empfinden angesichts der drohenden Arbeitslosigkeit. Wie ist es Ihnen gelungen, so nah an die Männer heranzukommen?
Schumann: Na, ich denke, das, was Sie erwähnten, dieser Stallgeruch, den ich, glaube ich, mitgebracht habe aufgrund dessen, weil ich eben selber auf diesen Schiffen gefahren bin, die dort auch gebaut wurden und werden, das merken die ziemlich schnell. Und wir haben uns … - vor dieser Krise da schon mehrere Monate habe ich versucht, da Kontakt zu bekommen. Ja, und ich hab natürlich zuallererst versucht, Leute zu finden, die immer noch mit ihrer Hände Arbeit das tun.
Bürger: Sie zeigen, wie der Gedanke der drohenden Arbeitslosigkeit so langsam in das Bewusstsein dieser ja eher wortkargen Männer hineinrieselt. 18 Monate lang haben Sie in Wismar gedreht, vom Moment der Übernahme durch den russischen Investor über die Zeit der Finanzkrise bis dann jetzt zum Neubeginn. Und Sie waren sowohl beim letzten Arbeitstag vor der Schließung dabei als auch beim ersten nach der Wiedereröffnung. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Schumann: Was, glaube ich, wirklich auch durch diese Krise zum ersten Mal ins Bewusstsein dieser Menschen und der Leute dort auf der Werft gedrungen ist, dass es tatsächlich eine Aufhebung von Arbeit überhaupt für sie geben könnte. Es gab ja mehrere Besitzerwechsel nach der Wende. Es gab ja diesen großen Einbruch mit dem Bremer Vulkan, der das übernommen hatte und dort 800 Millionen rausgezogen hat, dann Pleite gegangen ist.
Aber immer wieder hat der Staat, aufgrund der Größe auch dieser Unternehmen, eingegriffen, hat das aufgefangen, hat wieder investiert, hat wieder reprivatisiert, sodass der Eindruck entstand für die Arbeiter, wir sind eigentlich zu wichtig.
Und insofern war für sie das undenkbar, dass es tatsächlich mal zu Ende gehen könnte. Und als es hier im Rahmen dieser weltweiten Wirtschaftskrise tatsächlich zu einer Schließung kam, da haben die zum ersten Mal begriffen, dass sie noch so gut arbeiten können, sie können noch so viel eigentlich leisten, das spielt keine Rolle. Sie sind dann mit einem Mal ein Spielball dieser globalen Kräfte, die sie auch nicht verstanden haben, und da ist dieses Urvertrauen – und das ist, glaube ich, der Kern oder die Antwort auf Ihre Frage – das Urvertrauen, das die Gesellschaft regulieren kann, dass sie sie schützen kann, das ist weg.
Bürger: Und es geht um diesen Wert der Arbeit, der verlorengegangen ist, der Wert der Arbeit, der nicht nur der Lohn ist.
Schumann: Das wird ja auch im Film dann mehrfach gesagt. Das ist eine ganz moderne Werft. Die gelten wirklich als die besten Schiffbauer der Welt, und die konnten es überhaupt nicht verstehen, dass sie quasi ihr Bestes geben, dass es auch nicht von ihrer Leistung abhängt, auch nicht von der Technologie, sondern dass hier irgendwelche nicht greifbaren Mächte da über sie kommen und quasi gewaltiger sind als das alles, was sie selber beeinflussen können.
Bürger: Das ist ja ein unglaublicher Knochenjob, den diese Männer zum Teil seit über 30 Jahren machen. Und das ist auch so berührend in diesem Film, fand ich, zu sehen, mit welchem Herzblut, mit welcher Identifikation die Männer Tag für Tag morgens um sechs zur Arbeit gehen – kein Murren, kein Meckern, nur Stolz darauf, dazuzugehören. Ich hab mich dann gefragt, ob das wirklich so ist. Gab es keine Gegenbeispiele? Sie haben ja im Grunde allesamt Helden der Arbeit gezeigt.
Schumann: Na ja, der eine, Knolle, einer unserer Haupthelden, der sagt, er hat schon, in seinen 27 Jahren hat er schon viele kommen und gehen gesehen. Und ich glaube, das ist der Schlüssel und das Geheimnis. Leute, die nicht mit Herzblut dabei sind, also a) erst mal diese körperliche natürlich Belastung aushalten, aber nicht mit Herzblut dabei sind, die halten da nicht durch. Interessant war auch, das geht eigentlich von der Geschäftsführung wirklich bis zum Lehrling, dass die sagen, Schiffbau ist eine emotionale Angelegenheit.
Bürger: Und doch hat es ein bisschen was von Idealisierung, von Heroisierung. Sie haben dem Film nämlich eine Klammer gegeben, in der Sie mit einigen poetischen Sequenzen den Niedergang der Werft in der Göttersage von Wotan spiegeln: Wadan, das ist der russische Name für den germanischen Gott Wotan. Warum haben Sie sich für diese zusätzliche Ebene entschieden, denn ansonsten ist der Film ja klassisches Dok-Kino in der Tradition der DEFA?
Schumann: Na, aus zweierlei Gründen: Zum einen hatte ja der russische Investor Burlakow bei der Übernahme der Werft genau diesen Namen gegeben, "Wadan" slawischer Begriff für "Wotan". Und da haben wir dann mal nachgeschaut – und das war noch vor der Krise – und haben festgestellt, dass der Wotan in der letzten Götterschlacht gegen die Riesen untergeht.
Und da haben wir gedacht, oh, oh, wird das nicht vielleicht ein merkwürdiges Omen sein, was da in Erfüllung geht? Und dann nach wenigen Wochen trat ja dann diese Wirtschaftskrise ein, und diese Werften begannen in dem Strudel eigentlich der Wirtschaftskrise auch unterzugehen. Und das fand ich erst mal eine merkwürdige Übereinstimmung mit dieser Sage. Und zum anderen, wenn man dann mal stärker hineinschaut, diese Legenden und Mythen, die sind ja auch in irgendwelchen Zeiten entstanden, wo Menschen auch existenziell bewegt waren. Was hier passiert ist, glaube ich, in dieser Wirtschaftskrise, wo scheinbar übermächtige Kräfte, die vom Einzelnen nicht mehr zu fassen sind, wirken – wer sind die Riesen, wer sind die Götter, wer sind die Giganten, wer sind auch die Einherjer, das sind die Helden, die in die Schlacht ziehen? –, irgendwie fand ich das doch adäquat, was für globale Kräfte dort walten. Und wenn man sich unsere Schweißer anguckt mit ihren Rüstungen – Sie haben es ja gesehen, die sehen ja auch so aus mit ihren …
Bürger: Schutzkleidung, wirklich Schutzkleidung wie eine Rüstung, x Schichten werden da übereinandergelegt …
Schumann: Ja, und die …
Bürger: Mützen, Brillen, Helme …
Schumann: Ja, ja, genau, sie nuten und sie gehen mit Feuer, sie gehen mit Eisen um. Und da habe ich gesagt, also wir trauen uns das. Ich glaube, das ist ein legitimer Zugriff.
Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Dieter Schumann, der einen Film über die krisengeschüttelte Wadan-Werft in Wismar gedreht hat. Heute kommt er in die Kinos. - Sie haben mit dem Film bereits eine ganze Reihe von Preisen auf Filmfestivals bekommen und doch wird er vermutlich nur ein kleines Kinopublikum erreichen. Woher nehmen Sie den langen Atem für solche Projekte?
Schumann: Na ja, ich denke, als Dokumentarfilmer hat man immer zwei Aspekte im Auge. Das eine ist, aktuell Dinge zu begleiten, wie jetzt auch sagen wir mal diese Krise, wie sie konkret auf Menschen gewirkt hat. Das andere ist aber, was mich bewegt hat, dass wir in einer Zeit leben, wo diese Art von schwerindustriellen Arbeitern aussterben. Das ist also ein Produktionsweise mit einer besonderen Prägung auch von Menschen, die sagen wir mal verschwindet. Und da finde ich, ist es eine Aufgabe des Dokumentarfilms, der Dokumentaristen, diese Arbeits- und Lebenskultur als audiovisuelles Gedächtnis festzuhalten. In 50 Jahren, da wird mal gefragt, wie wurden damals Schiffe gebaut, wie sahen die Menschen aus? Das ist alles das, was, glaube ich, auch der Tagesjournalismus eben nicht und auch die Printmedien eben nicht übermitteln können. Dazu sind Dokumentarfilmer da.
Bürger: Haben Sie den Film eigentlich auch in Wismar vorgeführt?
Schumann: Am Sonntag hatten wir die Vorführung vor den Wismaranern – wir haben es natürlich den Schweißern selbst viel vorher gezeigt –, aber das war eine sehr emotionale Veranstaltung. Da gab es viele Tränen.
Das Gute ist aber, dass der Film nicht nur traurig macht. Es ist ja nicht ein Film, wo dann alle sagen, na, das sind die Verlierer, da geht ein Beruf unter, der Schiffbauer, sondern er zeigt ja auch wirklich diese Kraft und diesen Stolz dieser Leute. Und das ist das, was uns auch im Ausland immer wieder entgegenkommt, dass sie sagen, das sind ja dolle Figuren, die haben …
Bürger: Zum Beispiel beim Filmfestival in Toronto.
Schumann: Genau. Da gab es ja diese Reihe, "Workers of the World", was mich sehr verwundert hat. Aber Hintergrund ist, dass wir ja momentan global diesen Wandel der Arbeitswelt haben, und die Frage, wo bleibt der Mensch eigentlich in diesem Wandel. Scheinbar liegt es auch an der Zeit.
Bürger: Einige der Schweißer sind ja vom letzten Investor zu deutlich schlechteren Bedingungen wieder eingestellt worden, wobei es hieß, die neuen Dumpinglöhne, die könnten nach und nach möglicherweise wieder angehoben werden, eventuell werden noch mehr Arbeiter wieder eingestellt. Jetzt reden alle vom großen Aufschwung in Deutschland – ist der in der Werft angekommen? Wurden die gekürzten Löhne tatsächlich angehoben?
Schumann: Nein, glaube ich nicht. Ich glaube, so funktioniert ja der Kapitalismus: Alles, was er einstmals als Kürzung hat erreichen können, das gibt er nicht so ganz schnell wieder frei. Zum anderen ist die Werft immer noch nicht so richtig in Tritt gekommen, sie haben erste Aufträge, aber der neue russische Investor hat es auch schwer, viel Misstrauen schlägt ihm entgegen. Das andere ist dieses System, stetige Arbeitsplätze auf Leiharbeitsplätze umzuverlagern, mit all den Erniedrigungen, will ich mal so sagen, und auch Vertrauensverlust beim Menschen. Und das, glaube ich, da müssen wir hinschauen und dürfen nicht die Augen verschließen.
Bürger: Heute startet Dieter Schumanns Dokumentarfilm "Wadans Welt" in ausgewählten deutschen Kinos. Danke, Herr Schumann, dass Sie bei uns waren!
Schumann: Danke, dass ich kommen durfte!