Die Bibel als erotische Provokation

Von Thomas Senne |
Die kleine Gemeinde Katzwang unweit von Nürnberg erfreut sich gerade großen medialen Interesses, seit die dortige evangelische Jugend einen Bildkalender herausgebracht hat. In dem sind allerlei Aktbilder von Jugendlichen zu finden, die Szenen aus der Bibel nachstellen. Einige Gemeindemitglieder fühlen sich dadurch provoziert.
Auf dem spätgotischen Altar der Evangelisch-Lutherischen Pfarrkirche von Katzwang hält eine strahlenumkränzte Madonna das nackte Jesuskind in ihrer Linken. Doch jetzt hat dieses prächtige Werk Konkurrenz bekommen. Denn mitten im Gotteshaus streckt eine splitterfasernackte Eva mit hüftlangen schwarzem Haar dem Betrachter verführerisch einen Apfel entgegen - zumindest auf dem Titelblatt des erotischen Bibelkalenders 2006 der evangelischen Jugend Katzwang. Für das Kirchenvorstandsmitglied dieser Gemeinde, Alfred Schöps, eine Provokation.

""Mein erster Eindruck: Hier will man nur provozieren. Es geht überhaupt nicht um irgendeine inhaltliche Aussage. Und, was mir sehr deutlich geworden ist, was ich also nach wie vor auch aufrechterhalte: Hier hat ein junger Fotograf sehr ambitioniert eben versucht, selber ins Geschäft zu kommen"."

Zu wenig habe man auf die religiösen Gefühle anderer Rücksicht genommen, moniert der Diakon im Ruhestand. Zu plakativ seien in den Kalenderfotografien Bibelzitate umgesetzt worden. Zu wenig hätten verantwortliche Erwachsene wie Gemeindepfarrer Bernt Graßer auf die Jugendlichen pädagogisch eingewirkt. Doch der verteidigt sich und wehrt sich gegen den Vorwurf, die Katzwanger Kirche sei als "Aktstudio" missbraucht worden.

""Ich denke, davon kann keine Rede sein. Zum einen, wenn ich sehe, wie die alten Meister auch Nackte gemalt haben. Mir hat eine ältere Dame ein Bild gegeben: Nürnberg St. Sebald, 16. Jahrhundert, auch im Paradies. Ein Nacktgemälde. Und die Gemälde waren ja früher das, was heut die Fotos sind. Nacktheit ist das Natürlichste der Welt und es ist nichts Verwerfliches, wenn ein Mädchen mal für kurze Zeit fast nackt in der Kirche für ein Foto steht". "

Die große Resonanz auf die Kalenderveröffentlichung, der eine Ausstellung der umstrittenen Fotos in einer kleinen Filialkirche der Gemeinde vorausgegangen war, erstaunt den Pfarrer, der seit neun Jahren in Katzwang predigt.

""Dass das Thema Erotik oder auch Körperlichkeit, Nacktheit im Zusammenhang mit Bibel oder Kirche, im 3. Jahrtausend noch so viel Wogen schlagen kann, hätte ich nicht gedacht. Dass das vielleicht vor 50 Jahren noch Anstoß gegeben hätte, des schon. Aber dass das in unserer aufgeklärten Zeit, wo es an jeder Litfasssäule und jeder Bild-Zeitung und jedem Fernsehspot ab 22 Uhr mehr nackte Haut zu sehen gibt als in dem Kalender, das überrascht mich schon". "

Auch Stefan Wiest, ehrenamtlicher Fotograf der Bilder - die einen in Plastikfolie eingewickelten Isaak als Opfer im Adamskostüm auf einem stählernen Küchentisch neben zwei Messern zeigen oder die versuchte Steinigung einer Ehebrecherin - ist von den Reaktionen auf den Kalender völlig überrascht worden. Und so muss er Reportern aus Kolumbien oder Russland mitteilen, dass es sich bei der ganzen Aktion um ein Nonprofit-Unternehmen handelt, bei dem der Erlös aus dem Verkauf des Kalenders der Jugendarbeit zu Gute kommt und - wohltätigen Projekten.

""Der Kalender entstand auf Wunsch der Jugendlichen. Ich selber hatte die Idee, eine Eva in einer Kirche zu fotografieren und hab mich da im Vorfeld mit vielen Theologen unterhalten, wie man so was unprovokant umsetzen kann. Hab dann auch eine Kirche vermittelt gekriegt bei Coburg und hab mich dann auf die Suche nach einer Eva begeben. Die Eva, die wir jetzt hier abgebildet haben, hab ich bei mir an der Bushaltestelle angesprochen, ob sie Lust hat, so was mal zu machen. Die hat dann darauf gesagt, ja, sie muss erst die Mama fragen, die ist in der Kirche engagiert. Ich hab dann so nach 'ner Woche ungefähr die Rückmeldung gekriegt, ja, die Mama findet’ s gut. Und über diese Eva entstand eben dieser Kontakt zur Katzwanger Jugend, zu der Katzwanger Kirche, die ganz unabhängig davon quasi die gleiche Idee hatten, diesen erotischen Bibelkalender zu machen". "

Provokation, so beteuert der Berufsfotograf, sei ebenso wenig beabsichtigt gewesen wie Pornografie. Und in der Tat wirken die Abbildungen, die überwiegend Zitate aus dem Alten Testament illustrieren, eher harmlos, etwa wenn ein junger Mann in der Rolle des Davids eine barbusige Schöne durch ein Saunafenster bewundert.

""Das Ziel von mir aus war, auf die Kirche aufmerksam zu machen. Passt auf Leute, Kirche ist nicht nur das, was man kennt. Kirche kann was Neues sein. Ich wollt neues Publikum in die Kirche locken, eigentlich ein Hingucker: Hoops, was ist des". "

Die Eltern der an den Fotosessions beteiligten Jugendlichen mussten Einverständniserklärungen unterschreiben und auch letztlich ihr Plazet zur Veröffentlichung der fertigen Bilder geben. Die Jugendlichen selber vertieften sich in die Lektüre der Bibel, suchten entsprechende Stellen aus und sorgten für die visuelle Umsetzung der Zitate. So erstarrt in einer surreal wirkenden Fotografie beispielsweise ein mit Gips fixierter Nackedei als Lots Frau beim Blick zurück auf Sodom und Gomorra zur Salzsäule.

Mittlerweile haben sich die Wogen der Erregung ein klein wenig gelegt und auch vehemente Kritiker der Aktion schlagen inzwischen etwas versöhnlichere Töne an. Ob freilich auch 2007 ein erotischer Bibelkalender aus Katzwang auf den Markt kommt? Da hegt Pfarrer Bernt Graßer eher Zweifel.

" "Vermut ich eher in Katzwang nicht"." (lacht)